OGH 7Ob72/14k

OGH7Ob72/14k25.6.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P***** B*****, vertreten durch Kocher & Bucher Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei Land Kärnten, 9021 Klagenfurt am Wörthersee, Arnulfplatz 1, vertreten durch Burger‑Scheidlin Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Klagenfurt am Wörthersee, wegen 720 EUR sA und Leistung von Grundversorgung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 7. März 2014, GZ 2 R 35/14f‑30, mit dem das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 25. November 2013, GZ 23 Cg 45/13m‑26, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.751,04 EUR (darin enthalten 291,84 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin, eine Staatsangehörige von Kamerun, reiste am 10. 7. 2008 nach Österreich ein, wo am 16. 8. 2008 ihr Sohn zur Welt kam. Das auf Grund ihres Antrags auf internationalen Schutz im Jahr 2008 eingeleitete Asylverfahren endete mit dem ihren Antrag abweisenden Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 16. 1. 2013; gleichzeitig wurde sie aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Kamerun ausgewiesen. Während des Asylverfahrens erhielt die Klägerin von der Beklagten Leistungen (Unterbringung, Verpflegung, Krankenversicherung) nach dem Kärntner Grundversorgungsgesetz (LGBl 2006/43 idgF; K‑GrvG). Sie stimmte einer freiwilligen Rückkehr in ihr Heimatland nicht zu.

Die Beklagte kündigte der Klägerin am 26. 3. 2013 an, sie und ihren Sohn am 31. 3. 2013 aus der Grundversorgung zu entlassen. Seit 1. 4. 2013 erhalten die Klägerin und ihr Sohn von der Beklagten kein Verpflegungsgeld; sie sind seitdem auch nicht mehr krankenversichert. Am 3. 4. 2013 mussten sie ihre bis dahin von der Beklagten organisierte Unterkunft verlassen. Seither wohnen die Klägerin und ihr Sohn in E***** in Kärnten in einem Zimmer mit Toilette, das ihnen ein Bekannter vorläufig, unentgeltlich und ohne Rechtsanspruch überließ. Es ist nicht gesichert, dass sie dort dauerhaft bleiben können.

Seit dem Ausscheiden aus der Grundversorgung erhält die Klägerin gelegentlich von Bekannten Geld (ohne Rückzahlungsverpflichtung), um den Lebensunterhalt für sich und ihren Sohn bestreiten zu können. Am 16. 7. 2013 betrug der Kontostand auf ihrem Bankkonto 300 EUR; sie verfügt über kein Vermögen. Als Fremde ohne Aufenthaltsrecht hat die Klägerin keinen Zugang zum Arbeitsmarkt, keinen Anspruch auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung und keine Ansprüche auf Gewährung von Leistungen der bedarfsorientierten Mindestsicherung oder des Familienlastenausgleichs; sie hat keine Arbeit und kein Einkommen.

Die Klägerin besitzt einen Personalausweis, verfügt aber über keinen Reisepass und auch nicht über ein Ersatzreisedokument („Heimreisezertifikat“). Bisher forderten weder die Fremdenpolizei noch eine andere Behörde die Klägerin auf, einen Reisepass oder ein Ersatzreisedokument zu beantragen. Sie versuchte auch von sich aus nicht, derartige Dokumente zu erlangen.

Am 15. 7. 2013 erhielt die Beklagte auf ihre Anfrage, ob die Klägerin aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht abschiebbar sei, von der Bezirkshauptmannschaft Klagenfurt‑Land die Mitteilung, dass für die Klägerin und ihren Sohn bis dato keine „Heimreisezertifikate“ erlangt werden konnten.

Wenn die Fremdenpolizei der Beklagten nicht mitteilt, dass ein Fremder, dessen Asylverfahren rechtskräftig negativ abgeschlossen wurde, „nicht abschiebbar“ ist, wird der Betroffene von der Beklagten aus der Grundversorgung „ausgeschieden“. Im Fall einer nachträglichen Nachricht, dass der Betroffene doch aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abschiebbar ist, nimmt ihn die Beklagte wieder in die Grundversorgung auf; gleiches gilt, wenn der Betroffene eine Bescheinigung („Duldungskarte“) vorweisen kann, gemäß der sein Aufenthalt geduldet ist.

Die Klägerin begehrt vom beklagten Land 720 EUR sA Verpflegungsgeld gemäß § 6 Abs 1 lit b erster Fall K‑GrvG für die Monate April, Mai, Juni und Juli 2013 und als weitere Leistungen aus der Grundversorgung im Sinn des § 3 Abs 1 lit a, b und e K‑GrvG die Unterbringung in einer geeigneten Unterkunft, die Versorgung mit angemessener Verpflegung und weiters die Sicherung der Krankenversorgung durch Bezahlung von Krankenversicherungsbeiträgen im gesetzlichen Ausmaß seit 1. 4. 2013. Sie könne aus tatsächlichen Gründen nicht nach Kamerun abgeschoben werden, weil sie weder über ein Reisedokument ihres Herkunftsstaats verfüge, noch für sie ein Ersatzreisedokument im Sinn des § 46 Abs 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) eingeholt werden könne. Sie beabsichtige, einen Antrag auf Erlassung einer „interim measure“ an den EGMR zu richten, was nach ihrem Standpunkt bewirken würde, dass sie auch aus rechtlichen Gründen nicht abschiebbar wäre. Sie sei in Kärnten aufhältig und hilfs‑, schutz‑ und unterstützungswürdig im Sinn des K‑GrvG. Sie sei unterhaltspflichtig für ihren fünfjährigen Sohn und müsse sich in Österreich aufhalten, weil sie mangels Reisedokuments weder freiwillig ausreisen noch ins Ausland abgeschoben werden könne.

Die Beklagte wendete zusammengefasst ein, mangels einer Mitteilung der Fremdenpolizei über die tatsächliche oder rechtliche Nichtabschiebbarkeit der Klägerin sei diese nicht schutzbedürftig im Sinn des § 2 Abs 3 lit b und d K‑GrvG. Die Beklagte sei deshalb verpflichtet gewesen, die Klägerin aus der Versorgung nach dem K‑GrvG „auszugliedern“. Die Klägerin sei mit 1. 4. 2013 gemäß § 3a Abs 1 lit j K‑GrvG aus der Kärntner Grundversorgung „ausgeschieden“ worden, weil eine solche Mitteilung trotz Nachfrage bei der Fremdenpolizei bislang nicht eingeholt habe werden können. Aus § 9 Abs 2 K‑GrvG ergebe sich, dass die Klägerin, die nicht mehr zum Kreis der in § 2 Abs 3 lit a K‑GrvG aufgezählten Personen zähle, keinen Rechtsanspruch auf Grundversorgung habe. Zudem sei sie gar nicht hilfsbedürftig, weil sie offensichtlich von dritter Seite Unterstützung erhalte.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren (mit Ausnahme einer in Rechtskraft erwachsenen Abweisung eines Teils des Zinsenbegehrens) statt. Die Klägerin sei hilfsbedürftig, weil sie nur eine vorübergehende Unterkunft für sich und ihren Sohn bei einem Bekannten nutze und mit den gelegentlichen Zuwendungen ihrer Bekannten den Lebensunterhalt für sich und ihren fünfjährigen Sohn nicht ausreichend bestreiten könne. Sie sei schutzbedürftig, weil sie mangels Reisedokuments aus tatsächlichen Gründen nicht abschiebbar sei. Die Beklagte habe weder behauptet noch bewiesen, dass die Fremdenpolizei eine „Mitteilung über die Nichtabschiebbarkeit“ wegen Verletzung von Mitwirkungspflichten der Klägerin unterlassen habe. Das Verfahren habe auch keine Anhaltspunkte dafür hervorgebracht, dass die Klägerin auf andere Art Mitwirkungspflichten verletzt habe. Dass die Klägerin nicht unterstützungswürdig sei, habe die Beklagte nicht behauptet.

Das Berufungsgericht gab der gegen den klagestattgebenden Teil des erstinstanzlichen Urteils gerichteten Berufung der Beklagten nicht Folge. Es bejahte wie das Erstgericht die Hilfsbedürftigkeit der Klägerin im Sinn des § 2 Abs 2 K‑GrvG. Auch die Unterstützungswürdigkeit der Klägerin sei gegeben. Die Klägerin sei gemäß § 2 Abs 3 lit b und d K‑GrvG dann schutzwürdig, wenn sie aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abschiebbar sei. Sie sei in Ermangelung eines (Ersatz‑)Reisedokuments faktisch nicht abschiebbar. Da sie die faktische Unmöglichkeit ihrer Abschiebung dargetan habe, liege es an der Beklagten zu behaupten und zu bescheinigen, dass die Fremdenpolizei ‑ wegen Verletzung von Mitwirkungspflichten der Klägerin ‑ „eine Mitteilung über die Nichtabschiebbarkeit“ (§ 3a Abs 1 lit j K‑GrvG) unterlassen habe. Die Beklagte wäre nur dann zur Verweigerung der Grundversorgung berechtigt, wenn sie behaupte und bescheinige, dass die Klägerin trotz Aufforderung nicht an einer Beschaffung eines Ersatzreisedokuments gemäß § 46 Abs 2 FPG mitgewirkt habe; dieser Behauptungs‑ und Bescheinigungslast sei die Beklagte nicht nachgekommen, sodass von der Schutzbedürftigkeit der Klägerin auszugehen sei. Die Beklagte nehme „Fremde ohne Aufenthaltsrecht“, die sie aus der Grundversorgung „ausgeschieden“ habe, dann wieder in die Grundversorgung auf, wenn ihr die Fremdenpolizei nachträglich mitteile, dass die betroffene Person aus rechtlichen oder aus tatsächlichen Gründen doch nicht abschiebbar sei oder wenn die betroffene Person durch eine „Karte für Geduldete“ (§ 46a Abs 2 FPG) nachweisen könne, dass ihr Aufenthalt geduldet sei. Daraus ergebe sich, dass die Beklagte in vergleichbaren „anderen Einzelfällen“ auf Grund der im K‑GrvG normierten Selbstbindung Leistungen erbracht habe, sodass die Leistungsverweigerung gegenüber der Klägerin dem Gleichbehandlungsgebot widerspreche. Die Klägerin habe daher auch einen klagbaren Anspruch auf Grundversorgung.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision gemäß § 502 Abs 1 ZPO mangels Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung nicht zulässig sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das Klagebegehren abzuweisen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem nach § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichts zulässig, weil sich der Oberste Gerichtshof zu § 3a Abs 1 lit j K‑GrvG, den die Beklagte für die Einstellung der Grundversorgung heranzieht, noch nicht geäußert hat. Sie ist jedoch nicht berechtigt.

1. Dass die Klägerin gemäß § 2 Abs 2 K‑GrvG hilfsbedürftig und im Sinn des § 2 Abs 1 K‑GrvG unterstützungswürdig ist (vgl dazu 4 Ob 213/11v), ist im Revisionsverfahren kein Streitthema.

2. Die Klägerin, deren Antrag auf internationalen Schutz rechtskräftig abgewiesen wurde und die daher nicht (mehr) unter § 2 Abs 3 lit a K‑GrvG fällt, stützt ihren Anspruch auf § 2 Abs 3 lit b K‑GrvG. Schutzbedürftig sind danach „Fremde ohne Aufenthaltsrecht, über deren Asylantrag oder Antrag auf internationalen Schutz rechtskräftig negativ abgesprochen wurde, die aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abschiebbar sind“. Nach § 9 Abs 2 K‑GrvG besteht nur für die in § 2 Abs 3 lit a K‑GrvG genannte Gruppe von Fremden ein Rechtsanspruch auf Leistung der Grundversorgung, über den grundsätzlich im Verwaltungsverfahren abzusprechen ist. Über die Gewährung, Einstellung, Einschränkung oder Verweigerung von Leistungen der Grundversorgung an die in § 2 Abs 3 lit b K‑GrvG genannten Personen entscheidet das Land im Wege der Privatwirtschaftsverwaltung (§ 9 Abs 3 K‑GrvG).

Auch im Rahmen ihrer privatwirtschaftlichen Tätigkeit hat die öffentliche Hand den Gleichheitsgrundsatz zu beachten (RIS‑Justiz RS0038110). Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RIS‑Justiz RS0117458; 4 Ob 213/11v und 1 Ob 107/12k, jeweils zu einem [wie hier] geltend gemachten Anspruch eines Fremden im Sinn des § 2 Abs 3 lit b K‑GrvG auf Zahlung von Grundversorgung) reicht der Hinweis auf die Regelung über den Mangel eines Rechtsanspruchs auf Leistung in einem Selbstbindungsgesetz nicht für die Verneinung der Leistungspflicht: Eine Gebietskörperschaft, die sich in einem Selbstbindungsgesetz zur Leistung unter bestimmten Voraussetzungen verpflichtet, ist auf Grund des Diskriminierungsverbots von Gesetzes wegen verpflichtet, diese Leistung jedermann, der diese Voraussetzungen erfüllt, zu erbringen, wenn sie eine solche Leistung in anderen Einzelfällen bereits erbrachte. Auf eine solche Leistung besteht daher insoweit ein klagbarer Anspruch.

3.1. Das beklagte Land argumentiert, die Klägerin sei „keine Schutzwürdige der Zielgruppe des § 2 Abs 3 lit d K‑GrvG“. Eine rechtliche Qualifikation der Klägerin als „abschiebbar bzw nicht abschiebbar“ sei „aufgrund des bisherigen Beweisverfahrens“ nicht möglich. Das Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Klagenfurt‑Land gebe nur eine fragmentarische Darstellung des Verfahrens wieder. Der tatsächliche fremdenpolizeiliche Verfahrensstand habe nicht eruiert werden können, weil das beklagte Land darin keinen Einblick habe.

Diese Argumente sind nicht stichhältig:

3.2. Schutzbedürftigkeit nach § 2 Abs 3 lit b K‑GrvG besteht (ebenso wie nach der von der Beklagten herangezogenen Bestimmung), wenn die Abschiebung „tatsächlich oder rechtlich unmöglich“ ist. Die Behauptung der Beklagten, in die Tätigkeit der von ihr mit § 2 Abs 1 und 2 Bezirkshauptmannschaften‑Gesetz (LGBl 1982/19) eingerichteten Bezirksverwaltungsbehörde Bezirkshaupt‑ mannschaft Klagenfurt‑Land, die nach § 3 Abs 1 leg cit die ihr obliegenden behördlichen Aufgaben zu vollziehen und die ihr übertragenen Aufgaben des Landes und des Bundes als Träger von Privatrechten wahrzunehmen hat, keinen Einblick zu haben, trifft schon vom Ansatz her nicht zu. Zudem hat das beklagte Land (die Landesregierung) zu Zwecken der Durchführung der Grundversorgung Zugriff auf das Betreuungsinformationssystem (§ 8 Abs 1 und 2 K‑GrvG; § 8 Grundversorgungsgesetz ‑ Bund, BGBl 1991/405 in der Fassung des FrÄG 2009 BGBl I 2009/122; vgl dazu Diehsbacher , Bundesbetreuungsrecht [2005], § 8 BBetrG K3. und K6.).

Nach den Feststellungen besitzt die Klägerin zwar einen Personalausweis, verfügt aber über keinen Reisepass. Ihre Abschiebung scheitert derzeit am Fehlen eines Ersatzreisedokuments im Sinn des § 46 Abs 2 FPG („Heimreisezertifikat“), das von jenem Staat ausgestellt werden muss, in den abgeschoben werden soll. Zuständig dafür wäre die Botschaft der Republik Kamerun in Berlin, weil dem Honorarkonsulat in Wien eine diesbezügliche Befugnis fehlt. Die Klägerin hat entsprechend ihrer Behauptungs‑ und Beweislast die derzeitige faktische Unmöglichkeit ihrer Abschiebung wegen des Fehlens eines Ersatzreisedokuments nachgewiesen, sodass es am beklagten Land gelegen wäre, die Aufforderung zur Mitwirkung bei dessen Einholung und das Unterbleiben dieser Mitwirkung zu behaupten und zu beweisen (4 Ob 213/11v). Eine solche Verletzung der Mitwirkungspflicht behauptet die Beklagte gar nicht; sie ergibt sich auch nicht aus den Feststellungen. Zutreffend haben die Vorinstanzen erkannt, dass die Schutzbedürftigkeit der Klägerin gemäß § 2 Abs 3 lit b K‑GrvG derzeit besteht.

4.1. Die Beklagte releviert, in § 3a Abs 1 lit j K‑GrvG sei geregelt, dass Grundversorgungsleistungen in Fällen des § 2 Abs 3 lit b oder d K‑GrvG eingeschränkt, eingestellt oder verweigert werden können, wenn keine Mitteilung der Fremdenpolizei über die Nichtabschiebbarkeit getroffen wurde. Für die mit der Vollziehung dieses Gesetzes betraute Behörde gelte das Legalititätsprinzip. § 3a Abs 1 lit j K‑GrvG sehe vor, dass bei Nichtmitteilung der Fremdenpolizei über die Abschiebbarkeit des Fremden, bei der es sich um eine von ihr „fremde Behörde“ handle, dieser aus der Kärntner Grundversorgung auszuscheiden sei. Die Fremdenpolizei habe die rechtliche oder tatsächliche Nichtabschiebbarkeit zu bestätigen. Jegliche sonstige Mitteilung werde dieser Bestimmung nicht gerecht und könne auch keine Entscheidungsgrundlage für die Behörde darstellen. Aus der Mitteilung der Bezirkshauptmannschaft Klagenfurt‑Land könne nicht der rechtliche Schluss gezogen werden, dass eine tatsächliche Nichtabschiebbarkeit vorliege. Die Qualifizierung, ob die Klägerin akut nicht abschiebbar sei, habe durch die Fremdenpolizei zu erfolgen. Die Klägerin habe den ihr obliegenden Beweis, dass sie tatsächlich nicht abschiebbar sei, nicht erbracht.

Dazu wurde erwogen:

4.2. Mit LGBl 2010/32, das gemäß dessen Art II Abs 1 grundsätzlich am 1. 7. 2010 in Kraft trat, wurde § 3a Abs 1 lit j K‑GrvG eingefügt, wonach Grundversorgungsleistungen gemäß den §§ 3 bis 5 eingeschränkt, eingestellt oder verweigert werden können , wenn in den Fällen des § 2 Abs 3 lit b oder d K‑GrvG „keine Mitteilung der Fremdenpolizei über die Nichtabschiebbarkeit getroffen wurde“. Nach den Gesetzesmaterialien (Erläuterungen zum Entwurf eines Gesetzes, mit dem das Kärntner Grundversorgungsgesetz geändert wird, zu Zl.‑2V‑LG‑1245/13‑2010, 5) orientiert sich diese Bestimmung an § 3 Abs 2 Z 4 lit a des Niederösterreichischen Grundversorgungsgesetzes, LGBl 9240‑0. Ergänzend verweisen die Gesetzesmaterialien noch auf (den früheren) § 10 Abs 4 Asylgesetz 2005, wonach der Fremde unverzüglich auszureisen hat, wenn eine durchsetzbare Ausweisung besteht.

Nach § 3 Abs 2 Z 4 lit a NÖ Grundversorgungsgesetz (LGBl 9240‑0 in der Fassung LGBl 9240‑2) besteht trotz Aufenthalts‑ und Hauptwohnsitzes im Land Niederösterreich kein Anspruch auf Grundversorgung für Fremde nach § 4 Abs 2 Z 4 leg cit (Fremde ohne Aufenthaltsrecht, die aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abschiebbar sind), wenn von der Fremdenpolizeibehörde über die Nichtabschiebbarkeit keine entsprechende Feststellung oder Mitteilung getroffen wurde. Die niederösterreichischen Gesetzesmaterialien (Motivenbericht des Amtes der Niederösterreichischen Landesregierung, IVW2‑K‑N‑7/021‑2006, 8 f) führen dazu allgemein aus, dass § 3 Abs 2 Z 4 NÖ Grundversorgungsgesetz die in § 4 Abs 2 Z 4 angeführte Personengruppe betreffe. Es solle damit klargestellt werden, unter welchen weiteren Voraussetzungen nicht abschiebbaren Personen ohne Aufenthaltsrecht überhaupt Grundversorgung geleistet werde. In vielen Fällen werde es sich bei diesem Personenkreis um Fremde handeln, deren Asyl‑, Niederlassungs‑ bzw Fremdenpolizeiverfahren negativ beschieden worden sei oder bei denen aufenthaltsbeendende Maßnahmen schlagend geworden seien.

In welcher Form und auf welcher Rechtsgrundlage die Mitteilung der Fremdenpolizei im Sinn des § 3a Abs 1 lit j K‑GrvG erfolgen soll, geben weder das Gesetz noch dessen Materialien Auskunft. Gedacht ist offenbar an § 46a FPG in der zum Schluss der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz anzuwendenden Fassung des FrÄG 2011, BGBl I 2011/38 (seit 1. 1. 2014 in der Fassung des FNG, BGBl I 2012/87). Nach § 46a Abs 1a FPG ist „der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet geduldet, wenn die Behörde von Amts wegen feststellt, dass die Abschiebung des Betroffenen aus tatsächlichen, vom Fremden nicht zu vertretenden Gründen nicht möglich ist [...]“. Danach setzt die Duldung in Bezug auf die tatsächliche Unmöglichkeit einer Abschiebung deren von Amts wegen ‑ nicht auf Antrag ‑ vorgenommene Feststellung voraus (VwGH 2012/21/0053; 2012/21/0150; 2012/21/0122). Gemäß § 46a Abs 2 FPG hat die Behörde Fremden, deren Aufenthalt im Bundesgebiet geduldet ist, eine Karte für Geduldete auszustellen. Auf die in § 46a Abs 1a FPG genannte amtswegige Feststellung, dass die Abschiebung des Betroffenen nicht möglich ist, und die daran anschließende Duldung des Aufenthalts des Fremden nimmt § 3a Abs 1 lit j K‑GrvG erkennbar Bezug. Darüber hinaus kommt aber auch jede andere Mitteilung der Fremdenpolizei über die Nichtabschiebbarkeit des Fremden in Betracht, deutet doch das Wort „Mitteilung“ darauf hin, dass darunter nicht nur die in § 46a Abs 1a FPG genannte Feststellung (und Duldung) gemeint ist. Diese Beurteilung belegt auch der Hinweis in den Kärntner Gesetzesmaterialien auf § 3 Abs 2 Z 4 lit a NÖ Grundversorgungsgesetz, der auf eine „Feststellung oder Mitteilung“ abstellt. Nur wenn keine solche Mitteilung der Fremdenpolizei über die Nichtabschiebbarkeit „getroffen wurde“, können in den Fällen des § 2 Abs 3 lit b oder d K‑GrvG die Grundversorgungsleistungen eingeschränkt, eingestellt oder verweigert werden.

4.3. Die Klägerin wohnte seit der Entlassung aus der Grundversorgung in E***** in Kärnten (früherer Gemeindename: E*****tal; siehe VO der Landesregierung vom 7. 10. 1997, LGBl 1997/102). Als Bezirksverwaltungsbehörde war die Bezirkshauptmannschaft Klagenfurt‑Land zuständig (§ 2 Abs 1 iVm der Anlage des Bezirkshauptmannschaften‑Gesetzes). Diese war auch die nach § 5 Abs 1 und § 6 Abs 1 FPG in der Fassung des FrÄG 2011, BGBl I 2011/38, örtlich und sachlich zuständige Fremdenpolizeibehörde erster Instanz. Nach § 2 Abs 2 Sicherheitspolizeigesetz (SPG) besteht die Sicherheitsverwaltung unter anderem aus der Fremdenpolizei. Gemäß § 4 SPG in der Fassung des SNG, BGBl I 2012/50, besorgen dem Bundesminister für Inneres unmittelbar unterstellte Landespolizeidirektionen, ihnen nachgeordnete Bezirksverwaltungsbehörden die Sicherheitsverwaltung in den Ländern. Mit dem Kürzel „fremdenpolizeiliche Behörden (§ 4 SPG)“ in § 3 Abs 1 FPG (in der Fassung vor dem FNG, BGBl I 2012/87) sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass die in § 4 SPG genannten Sicherheitsbehörden als Fremdenpolizeibehörden einzuschreiten haben ( Ornezeder/Schmalzl/Schrefler‑König/Szymanski , FPG § 3 Anm 1 [Stand 1. 1. 2013]). Nach § 9 Abs 1 erster Satz SPG in der Fassung des SNG, BGBl I 2012/50, obliegt außerhalb des Gebiets jener Gemeinden, in dem eine Landespolizeidirektion zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz ist, die Sicherheitsverwaltung ‑ wie hier ‑ den Bezirksverwaltungsbehörden. Wenn die Beklagte meint, die Fremdenpolizei sei eine von ihr „fremde Behörde“, ist darauf hinzuweisen, dass die Bezirkshauptmannschaft Klagenfurt‑Land die zuständige Fremdenpolizeibehörde erster Instanz ist und diese Bezirksverwaltungsbehörde organisatorisch eine Landesbehörde ist (vgl Vogl in Thanner/Vogl , SPG² [2013], § 4 Anm 8, § 9 Anm 5; Hauer/Keplinger , Sicherheitspolizeigesetz 4 [2011], § 9 Anm 4).

4.4. Die Klägerin wurde bislang noch nicht abgeschoben. Die Bezirkshauptmannschaft Klagenfurt‑Land, die ‑ wie dargelegt ‑ Fremdenpolizeibehörde erster Instanz ist, teilte der Beklagten am 15. 7. 2013 mit, dass für die Klägerin und ihren Sohn bisher noch kein „Heimreisezertifikat“ (Ersatzreisedokument im Sinn des § 46 Abs 2 FPG) erlangt werden konnte. Dieser Mitteilung ist bei verständiger Beurteilung zu entnehmen, dass die Abschiebung der Klägerin mangels Ersatzreisedokuments derzeit nicht durchgeführt werden kann. Damit liegt eine Mitteilung der Fremdenpolizei über die derzeitige Nichtabschiebbarkeit der Klägerin vor, die einer Einstellung der Grundversorgungsleistungen nach § 3a Abs 1 lit j K‑GrvG entgegensteht. Zwar stammt die Stellungnahme der Bezirkshauptmannschaft Klagenfurt‑Land vom 15. 7. 2013, jedoch ist davon auszugehen, dass auch schon zuvor ‑ und damit am 1. 4. 2013 ‑ die Klägerin nicht abschiebbar war. Der Klägerin, die auf die von Amts wegen vorzunehmende Tätigkeit der Fremdenpolizei keinen Einfluss hat und ihre Mitwirkungspflichten mangels Aufforderung zu einer solchen Mitwirkung auch nicht verletzen konnte, kann es nicht zur Last fallen, dass die Fremdenpolizei erst am 15. 7. 2013 und nicht bereits zuvor eine solche Mitteilung an die Beklagte erstattete.

Die vom Erstgericht getroffene „Feststellung“, wonach eine Mitteilung der Fremdenpolizei über die „Nichtabschiebbarkeit“ der Klägerin nach wie vor nicht vorliege, beruht offenbar darauf, dass das Erstgericht das Vorliegen einer exakt dem Wortlaut des § 3a Abs 1 lit j K‑GrvG entsprechenden Mitteilung verneinte. Soweit darin eine rechtliche Wertung der Stellungnahme der Bezirkshauptmannschaft Klagenfurt‑Land liegt, handelt es sich um eine in die Feststellungen aufgenommene unzutreffende rechtliche Beurteilung. Dazu finden sich im Ersturteil auch keine beweiswürdigenden Überlegungen. An diese rechtliche Beurteilung ist der Oberste Gerichtshof nicht gebunden.

4.5. Die Klägerin, die einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot zu behaupten und zu beweisen hat (RIS‑Justiz RS0038110 [T3]; 1 Ob 107/12k), hat nachgewiesen, dass sie innerhalb der durch § 2 Abs 3 lit b K‑GrvG definierten Fremden deshalb diskriminiert wird, weil sie im Vergleich zu anderen Einzelfällen trotz gleicher Voraussetzungen keine Leistungen aus der Grundversorgung erhält. Die Beklagte nimmt nämlich Fremde ohne Aufenthaltsrecht, die sie aus der Grundversorgung „ausgeschieden“ hat, dann wieder in die Grundversorgung auf, wenn ihr die Fremdenpolizei nachträglich mitteilt, dass die betroffene Person aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen doch nicht abschiebbar ist oder wenn die betroffene Person durch eine „Karte für Geduldete“ (§ 46a Abs 2 FPG) nachweisen kann, dass ihr Aufenthalt geduldet ist. Daraus ergibt sich ‑ wie das Berufungsgericht zutreffend ausführte ‑, dass die Beklagte in vergleichbaren „anderen Einzelfällen“ auf Grund der im K‑GrvG normierten Selbstbindung Leistungen erbringt, sodass die Leistungsverweigerung gegenüber der Klägerin schon deshalb dem Gleichbehandlungsgebot widerspricht. Die Klägerin hat daher einen klagbaren Anspruch auf die begehrten Grundversorgungsleistungen, auch wenn ein subjektiver Rechtsanspruch im Selbstbindungsgesetz nicht normiert ist (RIS‑Justiz RS0117458).

5. Der unberechtigten Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41 und § 50 ZPO.

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