OGH 2Ob9/14h

OGH2Ob9/14h12.6.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T***** Gesellschaft m.b.H., *****, vertreten durch Dr. Walter Hausberger und andere Rechtsanwälte in Wörgl, gegen die beklagte Partei f***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Christian Prader und andere Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen 51.115,55 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 12. November 2013, GZ 2 R 256/13f‑17, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Kufstein vom 27. Juni 2013, GZ 5 C 1416/12g‑13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: AT:OGH:2014:E107904

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 7.500,84 EUR (darin 796,14 EUR USt und 2.724 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagende Partei betreibt eine „Incoming‑Agentur“, die beklagte Partei das Hotel „S*****“. Die Streitteile schlossen ‑ wie schon in früheren Jahren ‑ am 20. 8. 2010 einen „Hotelvertrag“, mit dem die klagende Partei ein bestimmtes Bettenkontingent im Hotel der beklagten Partei für die Sommersaison 2011 erwarb. Das Kontingent stand ihr vom 22. 5. 2011 bis 13. 10. 2011 zur Verfügung.

Vertragsbestandteil wurden auch die ‑ nicht einzeln ausgehandelten ‑ Allgemeinen Geschäftsbedingungen der klagenden Partei (in der Folge: AGB). Deren Punkt 10 lautet:

Der Vertragspartner ist nicht berechtigt, innerhalb von 3 Jahren ab dem letzten Abreisetag mit einem von T***** vermittelten Reiseveranstalter oder einer Incomingagentur direkte oder indirekte Verträge und Vereinbarungen abzuschließen, wenn T***** dadurch umgangen werden könne. Für den Fall des Zuwiderhandelns wird eine Konventionalstrafe von 50 % der von T***** bzw dem jeweiligen Reiseveranstalter aufgrund der in der vergangenen Saison getätigten Buchungen insgesamt zu erbringenden Geldleistung (Bruttobetrag) vereinbart.

Der beklagten Partei war bekannt, dass die Gäste, mit denen die klagende Partei das Hotel beschickte, vorwiegend Kunden des Reiseveranstalters B***** GmbH (in der Folge: B*****) aus Deutschland waren.

Nach Beendigung des Hotelvertrags schloss die beklagte Partei mit mehreren Incoming-Agenturen, darunter die M***** GmbH (in der Folge: M*****), Kontingentverträge für den deutschen Raum. B***** und M***** gehören beide zum „F*****-Konzern“, was der Geschäftsführer der beklagten Partei nicht wusste. Diesem wurde von M***** bei Vertragsabschluss mitgeteilt, dass noch nicht gesagt werden könne, welchen Reiseveranstaltern die Zimmer „verkauft“ werden würden. Der Geschäftsführer der beklagten Partei wies allerdings auch nicht darauf hin, dass er keine „direkten oder indirekten Verträge“ mit B***** abschließen dürfe. Er fragte auch nicht nach, ob M***** mit B***** zusammenarbeite und mit deren Gästen Hotels beschicke. Aufgrund des Vertrags mit M***** war die beklagte Partei jedenfalls verpflichtet, den Gast jedes Reiseveranstalters aufzunehmen, den diese Agentur bei ihr einbuchte. In die Verträge mit den Incoming-Agenturen hätte (theoretisch) die Einschränkung aufgenommen werden können, dass das Hotel mit Gästen der B***** nicht belegt werden darf.

In der Wintersaison 2011/12 beschickte M***** das Hotel der beklagten Partei mit Gästen von B*****. Mit Schreiben vom 8. 3. 2012 begehrte die klagende Partei die Konventionalstrafe in Höhe der Hälfte des mit den Gästen von B***** in der Sommersaison 2011 erzielten Gesamtumsatzes. Es konnte nicht festgestellt werden, dass es sich bei B***** um einen der größten Reiseveranstalter Deutschlands handelt, ebensowenig, dass ein Ausschluss von B***** erheblichen Einfluss auf die Akquirierung deutscher Gäste gehabt hätte.

Die klagende Partei begehrte die Zahlung der Konventionalstrafe. Sie brachte vor, sie habe einen Großteil des ihr für die Sommersaison 2011 zur Verfügung gestandenen Kontingents an B***** weitergegeben. Die beklagte Partei habe schuldhaft gegen Punkt 10 der AGB verstoßen. Sie wäre verpflichtet gewesen, bei ihrem Vertrag mit M***** die Beschickung ihres Hotels mit Gästen von B***** auszuschließen.

Die beklagte Partei wandte ein, sie habe ein Vertriebsmodell gewählt, nach dem sie mehreren Incoming-Agenturen Bettenkontingente zum weiteren „Verkauf“ durch Reiseveranstalter zur Verfügung stelle. Für sie sei nicht erkennbar gewesen, mit wem M***** zusammenarbeite, weshalb ihr kein Verschulden zur Last liegen könne. Sie habe keinen direkten Vertrag mit B***** geschlossen, was ein „indirekter Vertrag“ sei, gehe aus Punkt 10 der AGB nicht hervor. Der beklagten Partei werde durch die Klausel praktisch jedwede Zusammenarbeit mit einer (anderen) Agentur verboten. Die Klausel sei sittenwidrig und unverständlich.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es verneinte (im Sinne einer geltungserhaltenden Reduktion) die Sittenwidrigkeit einer für ein bis zwei Saisonen nach Beendigung des Hotelvertrags geltenden Konkurrenzklausel, mit der unterbunden werden solle, dass der Vertragspartner unter Ausnutzung der durch die klagende Partei hergestellten Kontakte zu Reiseveranstaltern mit diesen dann das Geschäft alleine macht. Die Klausel sei auch nicht ungewöhnlich, zumal zwischen den Streitteilen schon mehrfach Hotelverträge mit denselben Bedingungen vereinbart worden seien.

Die Klausel sei allerdings teilweise unklar, was sich die klagende Partei zurechnen lassen müsse. Verträge mit einem Reiseveranstalter direkt oder indirekt abzuschließen bedeute, dass dem Gastwirt der Reiseveranstalter bekannt sein müsse. Beim Vertragsabschluss mit M***** sei der beklagten Partei aber nicht bekannt gewesen und hätten auch keine für sie erkennbaren Umstände darauf hingedeutet, dass diese Agentur demselben Konzern angehöre wie B*****. Nach dem Vertragsabschluss habe die beklagte Partei Gäste, die bei ihr von M***** für B***** eingebucht wurden, nicht mehr ablehnen können.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens ab. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Das Berufungsgericht führte aus, die Formulierung „indirekte Verträge und Vereinbarungen“ in Punkt 10 der AGB sei eindeutig dahin zu verstehen, dass Verträge mit einem von der klagenden Partei vermittelten Reiseveranstalter oder einer Incoming-Agentur, die über eine zwischengeschaltete Stelle (= indirekt) abgeschlossen werden, verboten sein sollten, wenn dadurch die klagende Partei umgangen werden könnte. Ein anderes Verständnis sei nicht denkbar, eine Unklarheit iSd § 915 ABGB liege nicht vor.

Die Klausel erlege der beklagten Partei eine Handlungsverpflichtung auf, indem sie für ihre Einhaltung aktiv zu sorgen habe. Nach den Feststellungen sei sie bei den Vertragsabschlüssen aber untätig geblieben und habe nicht darauf hingewiesen, dass Gäste der B***** nicht an sie vermittelt werden dürften. Eine entsprechende Vereinbarung wäre möglich gewesen.

Eine Interessenabwägung lasse eine gröbliche Benachteiligung der beklagten Partei nicht erkennen. Es stehe eine Vielzahl von Agenturen und Reiseveranstaltern zur Verfügung, eine besondere Marktrelevanz der B***** sei nicht festgestellt. Die Geschäftstätigkeit der beklagten Partei wäre durch die Einhaltung der vertraglichen Verpflichtung kaum eingeschränkt gewesen, während die klagende Partei auf den Schutz ihres Kundenkreises zur Aufrechterhaltung ihrer Geschäftstätigkeit angewiesen sei.

Das Versäumnis der beklagten Partei sei von dieser verschuldet, sie habe nicht nachweisen können, dass ihr die Einhaltung der Verpflichtung nicht möglich gewesen sei. Eine Minderung der Konventionalstrafe habe die beklagte Partei nicht geltend gemacht.

Gegen dieses Berufungsurteil richtet sich die außerordentliche Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen.

Die klagende Partei beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht zu einem unvertretbaren Auslegungsergebnis gelangte. Das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

Die beklagte Partei macht zusammengefasst geltend, nach den Feststellungen sei für sie nicht erkennbar gewesen, ob ihre Vertragspartner in einem Konnex zu B***** stehen. Aufgrund der Formulierung der Klausel seien ihre Handlungspflichten in einer solchen Situation nicht abschätzbar. Entgegen der Meinung des Berufungsgerichts sei keineswegs klar, was unter indirekten Verträgen und Vereinbarungen zu verstehen sei, wenn es dadurch zu einer Umgehung der klagenden Partei kommen könnte. Schon die Verwendung des Konjunktivs („umgangen werden könnte [richtig: könne]“) begründe für sich alleine die Unklarheit.

Hiezu wurde erwogen:

1. Eine gemäß § 1336 Abs 1 ABGB vereinbarte Konventionalstrafe soll einerseits den Schuldner zur korrekten Erfüllung seiner Vertragspflichten veranlassen („Erfüllungsdruck“ bewirken) und andererseits dem vereinfachten Ausgleich der dem Gläubiger aus einer trotzdem erfolgten Vertragsverletzung erwachsenden Nachteile durch Pauschalierung seines Schadenersatzanspruchs dienen (2 Ob 215/10x mwN; 9 Ob 36/12b; RIS-Justiz RS0032013, RS0032072). Dieser Erfüllungsdruck soll schon jene Gefahren einer konkreten Schädigung des Gläubigers abwenden, die bei einer ex-ante-Betrachtung nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls als Folge der Nichterfüllung bzw der nicht gehörigen Erfüllung der maßgeblichen Vertragspflicht typisch sind. Insofern ist also nur das mögliche und nicht das tatsächliche Interesse an der Vertragserfüllung ausschlaggebend. Der Eintritt eines materiellen Schadens ist nicht erforderlich (2 Ob 215/10x mwN). Im Zweifel ist eine Konventionalstrafe nur bei Verschulden zu zahlen (RIS-Justiz RS0016558, RS0017471), wobei den Schuldner die Beweislast für sein fehlendes Verschulden trifft (2 Ob 215/10x; RIS‑Justiz RS0017471). Der Beweis der für die Entstehung des Anspruchs auf Konventionalstrafe entscheidenden Tatsachen obliegt hingegen dem Gläubiger (vgl 3 Ob 1549/92).

2. In welchen Fällen die Konventionalstrafe zu entrichten ist, hängt von der Auslegung der ihr zugrundeliegenden Vertragsbestimmung ab (9 Ob 36/12b). Allgemeine Geschäftsbedingungen sind, wenn sie ‑ wie hier ‑ nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf ihren Wortlaut so auszulegen, wie sie sich einem durchschnittlichen Angehörigen aus dem angesprochenen Adressatenkreis erschließen. Unklarheiten gehen iSd § 915 ABGB zu Lasten des Verwenders, hier also der klagenden Partei. In allen Fällen ist der einem objektiven Beobachter erkennbare Zweck einer Bestimmung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu berücksichtigen (2 Ob 137/08y mwN; 2 Ob 134/09h; 7 Ob 195/13g; RIS-Justiz RS0008901, RS0017960, RS0018008).

3. Auszulegen gilt es hier § 10 AGB. Der erste Satz wirft zunächst die Frage auf, was unter „indirekten Verträgen und Vereinbarungen“ zu verstehen sein soll, ist der österreichischen Rechtsordnung doch eine Unterscheidung zwischen „direkten“ und „indirekten“ Verträgen fremd. Liest man die beiden Sätze der Klausel im Zusammenhang, wird trotz dieser eigentümlichen Terminologie aber doch einigermaßen deutlich, dass sich die beklagte Partei ‑ mit der noch zu erörternden Einschränkung ‑ über einen Zeitraum von drei Jahren jeden geschäftlichen Kontakts mit einem von der klagenden Partei vermittelten (ausländischen) Reiseveranstalter zu enthalten hat, sei es, dass dieser Kontakt durch direkte Vereinbarung mit dem Reiseveranstalter oder ‑ indirekt zB über eine andere Incoming‑Agentur ‑ zustandekommt. Der Zweck der Bestimmung erschließt sich einem objektiven Betrachter somit dahin, dass ein die Erhaltung des Kundenstocks der klagenden Partei gefährdendes Verhalten der beklagten Partei hintangehalten werden soll. In diesem Sinn ist auch das Auslegungsergebnis des Berufungsgerichts zu verstehen.

4. Unberücksichtigt blieb bei der zweitinstanzlichen Auslegung jedoch, dass der beklagten Partei nach dem Wortlaut des ersten Satzes der Klausel ein „direkter“ oder „indirekter“ Geschäftskontakt mit den von der klagenden Partei vermittelten Reiseveranstaltern oder einer Incoming-Agentur im angeführten Zeitraum nicht schlechthin untersagt wird, sondern nur, wenn die klagende Partei „dadurch umgangen werden könne“. Eine Umgehung der klagenden Partei durch ein Verhalten der beklagten Partei, das einen Schaden denkbar erscheinen ließe, kommt grundsätzlich aber nur dann in Frage, wenn die beklagte Partei auch die Möglichkeit gehabt hätte, mit dem Reiseveranstalter über die klagende Partei in geschäftlichen Kontakt zu treten, statt dessen aber den „direkten“ oder „indirekten“ Kontakt zu dem Reiseveranstalter suchte.

Eine andere (allenfalls plausiblere) Auslegung vermag auch die klagende Partei nicht anzubieten. In ihrer Revisionsbeantwortung vertritt sie nur die rechtsirrige Ansicht, dass die Lösung des Rechtsstreits von dieser Wortfolge nicht abhängig sei. Gerade die Auslegung des ersten Satzes der Klausel soll jedoch darüber Aufschluss geben, ob die beklagte Partei unter den konkreten Umständen tatsächlich eine mit Konventionalstrafe bedrohte „Handlungspflicht“ im Sinne der Auffassung der klagenden Partei und des Berufungsgerichts traf.

5. Nach den Feststellungen des Erstgerichts schloss die beklagte Partei erst nach Beendigung des Hotelvertrags mit der klagenden Partei weitere Kontingentverträge ab. Prozessgegenstand ist ein Kontingentvertrag für die Wintersaison 2011/12. Dass für diese Wintersaison auch mit der klagenden Partei ein (neuer) Hotelvertrag abgeschlossen worden oder zumindest ein Vertragsanbot oder eine entsprechende Anfrage der klagenden Partei vorgelegen wäre, wurde weder behauptet noch festgestellt. Bei dieser Sachlage bleibt aber unklar, wie die klagende Partei „umgangen“ hätte werden können.

Diese Unklarheit schlägt sich gemäß § 915 zweiter Fall ABGB zum Nachteil der klagenden Partei nieder. Der Beweis eines Sachverhalts, aus dem die Verletzung einer Vertragspflicht ‑ eines „Zuwiderhandelns“ im Sinn des zweiten Satzes der Klausel ‑ durch die beklagte Partei abzuleiten wäre, ist der klagenden Partei demnach nicht gelungen. Somit stellt sich aber auch nicht mehr die Frage, ob der beklagten Partei ein solches „Zuwiderhandeln“ unter den gegebenen Umständen im Sinne schuldhaften Verhaltens vorwerfbar wäre.

6. Aus den dargelegten Erwägungen ist in Stattgebung der Revision das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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