OGH 17Os28/13s

OGH17Os28/13s12.5.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Mai 2014 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden, die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek und Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kotanko als Schriftführerin in der Strafsache gegen Heinrich W***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Schöffengericht vom 17. Juli 2013, GZ 9 Hv 95/12s‑30, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Holzleithner, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Holzinger zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, zu I/1 und zu I/3 betreffend die dort angeführten Exekutionsverfahren AZ 2 E 2304/10m sowie AZ 2 E 314/09p, jeweils des Bezirksgerichts B*****, in der zu I gebildeten Subsumtionseinheit und demzufolge im Strafausspruch aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung zu I/3 (Verfahren AZ 2 E 2304/10m sowie AZ 2 E 314/09p, jeweils des Bezirksgerichts B*****) wird eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht Ried im Innkreis verwiesen.

Im Übrigen wird in der Sache selbst wie folgt erkannt:

Heinrich W***** wird für das ihm nach den unberührt bleibenden Schuldsprüchen (unter Neubildung der Subsumtionseinheit) weiterhin zur Last liegende Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 302 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt.

Gemäß § 43 Abs 1 StGB wird die Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

Gemäß § 259 Z 3 StPO wird Heinrich W***** von der Anklage freigesprochen, er habe in B***** von „etwa 2003“ bis 22. Juli 2011 als Gerichtsvollzieher des Oberlandesgerichts Linz, sohin als Beamter, mit dem Vorsatz, dadurch die „Republik Österreich und die betreibenden Parteien in Exekutionsverfahren in ihrem Recht auf eine den Verfahrensvorschriften entsprechende Bearbeitung und Erledigung von Exekutionsakten sowie das Recht der Republik Österreich auf nachvollziehbare Kontrolle dieser Tätigkeit zu schädigen“, seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem er entgegen Punkt 3.2.1. des Einführungserlasses des Bundesministers für Justiz zur EO-Novelle 2003 vom 3. Dezember 2003 (JMZ 12114/103/I5/03, JABl 2003/35) das ihm zugewiesene Dienstkonto in den in der Anklageschrift teils pauschal (I/1/a), teils einzeln bezeichneten (I/1/b bis v) Fällen für den persönlichen Zahlungsverkehr benützte.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen wird verworfen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch rechtskräftige ‑ verfehlt die Subsumtion betreffende (vgl Lendl, WK-StPO § 259 Rz 1) ‑ Freisprüche des Angeklagten (II) enthält, wurde Heinrich W***** des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB (I) schuldig erkannt.

Danach hat er in B*****

(I) als Gerichtsvollzieher des Oberlandesgerichts Linz, sohin als Beamter, mit dem Vorsatz, dadurch die „Republik Österreich und die betreibenden Parteien in Exekutionsverfahren in ihrem Recht auf eine den Verfahrensvorschriften entsprechende Bearbeitung und Erledigung von Exekutionsakten sowie das Recht der Republik Österreich auf nachvollziehbare Kontrolle dieser Tätigkeit zu schädigen“, seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem er

(1) von „etwa 2003“ bis 22. Juli 2011 entgegen Punkt 3.2.1. des Einführungserlasses des Bundesministers für Justiz zur EO-Novelle 2003 vom 3. Dezember 2003 (JMZ 12114/103/I5/03, JABl 2003/35) das ihm zugewiesene Dienstkonto in den im Urteil teils pauschal (a), teils einzeln bezeichneten (b bis v) Fällen für den persönlichen Zahlungsverkehr benützte;

(2) von Anfang 2007 bis 1. Jänner 2010 entgegen dem Erlass des Präsidenten des Oberlandesgerichts Linz vom 20. Dezember 2006, AZ Jv 4009.1/06, die Kontoauszüge betreffend das zu 1) erwähnte Dienstkonto vernichtete;

(3) von 5. Mai 2009 bis 19. September 2011 in 33 im Urteil einzeln bezeichneten Exekutionsverfahren entgegen Punkt 3.2.2. des zu 1) genannten Erlasses die von den Verpflichteten eingehobenen oder eingezahlten Beträge nicht spätestens an dem auf die Einzahlungen nächstfolgenden Bankwerktag an die betreibenden Gläubiger oder deren Vertreter überwies.

Nach dem Urteilssachverhalt (US 7 bis 13) war der Angeklagte als Gerichtsvollzieher tätig. Sein durch Erlässe des Bundesministers für Justiz und des Präsidenten des Oberlandesgerichts Linz definierter Aufgabenbereich umfasste auch die spätestens am nächstfolgenden Bankwerktag zu veranlassende Überweisung der in Exekutionsverfahren von Verpflichteten eingehobenen oder eingezahlten Geldbeträge an die betreibenden Gläubiger oder deren Vertreter. In den Überweisungsbeträgen enthaltene Vergütungen für die Vollzugstätigkeit des Angeklagten waren monatlich abzuschöpfen. Zur Abwicklung dieser Vorgänge war für den Angeklagten ein ausschließlich für die Fremdgeldverwaltung bestimmtes Konto eingerichtet. Die Originalkontoauszüge und Belege waren sieben Jahre lang aufzubewahren.

In den im Urteil bezeichneten Fällen benützte der Angeklagte das genannte „Dienstkonto“ für seinen privaten Zahlungsverkehr (I/1), vernichtete Bezug habende Kontoauszüge (I/2) und leitete von Verpflichteten auf das Konto eingezahlte Geldbeträge nicht am nächstfolgenden Bankwerktag an betreibende Gläubiger oder deren Vertreter weiter (I/3).

In subjektiver Hinsicht konstatierte das Schöffengericht wissentliches Zuwiderhandeln gegen die sich aus den genannten Erlässen ergebenden Verpflichtungen. Überdies stellte es einen Schädigungsvorsatz betreffend das Recht der „Republik Österreich auf Ausübung einer nachvollziehbaren Kontrolle der Geldgebarung“ (US 9, 10, 13, 20, 24) sowie ‑ in Ansehung der zu I/3 angelasteten Tathandlungen ‑ auf Befriedigungsrechte betreibender Gläubiger (US 13, 20, 24) fest.

Die gegen dieses Urteil nominell aus Z 5, 5a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist teilweise berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten:

1. Die gegen I/1 gerichtete Rechtsrüge (Z 9 lit a) betont zutreffend, dass der im Urteil genannte Anspruch des Staates auf „Ausübung einer nachvollziehbaren Kontrolle der Geldgebarung“ (US 9, 10, 13, 20, 24) als Bezugspunkt des von § 302 Abs 1 StGB verlangten Schädigungsvorsatzes nicht ausreicht. Denn das Recht des Staates, dass Beamte ihre Befugnis den Vorschriften entsprechend gebrauchen, somit keinen Befugnismissbrauch begehen, stellt ebenso wenig wie darauf gerichtete Aufsichts- und Kontrollrechte ein im Sinn des § 302 Abs 1 StGB beachtliches (konkretes) Recht dar (RIS-Justiz RS0096270; zuletzt 17 Os 25/13z). Andere derartige Rechte, wie etwa die sich bloß auf I/1 beziehenden „Befriedigungsrechte der betreibenden Gläubiger“ (vgl US 13, 20 und 24), werden im gegebenen Zusammenhang nicht genannt.

Da sich der Aspekt vorsätzlicher Gläubigerschädigung bereits in I/3 findet, ist nicht zu erwarten, dass auch zu den Urteilspunkten I/1 entsprechende Konstatierungen getroffen werden können. Es war daher aus prozessökonomischen Gründen von einer Rückverweisung an die Tatsacheninstanz abzusehen, in der Sache selbst zu entscheiden und insoweit ‑ entgegen der Stellungnahme der Generalprokuratur ‑ mit Freispruch vorzugehen (vgl Ratz, WK-StPO § 288 Rz 24; RIS-Justiz RS0118545).

2. Die gegen I/2 gerichtete Rechtsrüge (Z 9 lit a) zeigt an sich zutreffend verfehlte Subsumtion nach § 302 Abs 1 StGB auf. Denn das Zuwiderhandeln gegen die Verpflichtung zur bloßen Aufbewahrung der jeweiligen Auszüge samt Belegen betreffend das „Dienstkonto“ ist nicht Missbrauch einer Befugnis zur Vornahme von Amtsgeschäften (vgl 13 Os 196/78, SSt 50/13). Es erübrigt sich daher, auf die in der Mängelrüge (Z 5) erhobene Kritik betreffend das konstatierte Wissen des Angeklagten über seine Handlungspflichten einzugehen.

Das Rechtsmittel geht aber daran vorbei, dass nach den Konstatierungen (US 10) sämtliche Voraussetzungen für eine Tatbeurteilung nach § 229 Abs 1 StGB vorliegen und ein zur Absicherung eines Missbrauchs der Amtsgewalt begangenes (und nicht als dessen Teilakt verwirklichtes) Urkundendelikt zu § 302 Abs 1 StGB in echte Realkonkurrenz tritt (vgl RIS-Justiz RS0091613; zuletzt 17 Os 9/13x mwN aus der Lehre).

Bleibt anzumerken, dass amtswegiges Vorgehen nach § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO ausscheidet, weil der Angeklagte den erwähnten Subsumtionsfehler (mangels Beschwer [§ 282 Abs 1 StPO]) nicht hätte geltend machen können (vgl Ratz, WK-StPO § 290 Rz 21). Denn im Fall einer von diesem (hier zu Recht nicht) erhobenen Subsumtionsrüge (Z 10) hätte der Oberste Gerichtshof wegen der eine (zusätzliche) Tatbeurteilung nach § 229 Abs 1 StGB ermöglichenden Urteilsfeststellungen (I/2) und der unverändert nach § 29 StGB zu bildenden Subsumtionseinheit (§ 302 Abs 1 StGB zu I/3) eine für den Angeklagten ungünstigere rechtliche Unterstellung vornehmen müssen (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 656, § 282 Rz 15 ff, § 290 Rz 32).

Da somit weder eine Sachentscheidung noch eine Rückverweisung (Ratz, WK-StPO § 290 Rz 32), sondern lediglich Berücksichtigung des wahren Gewichts der zu I/2 genannten Taten (§ 32 Abs 3 StGB) im Rahmen der Entscheidung über die Strafe in Betracht kam, war die Nichtigkeitsbeschwerde in diesem Umfang ‑ entgegen der Stellungnahme der Generalprokuratur ‑ zu verwerfen (§ 288 Abs 1 StPO).

3. Zu I/3 hat der Schöffensenat den Angeklagten (anders als zu I/2 und I/1/a) nicht einer sogenannten gleichartigen Verbrechensmenge (zum Begriff Ratz, WK-StPO § 281 Rz 33, 405 f, 576) schuldig erkannt, sondern ihm ‑ bezogen auf eine Reihe von einzeln aufgelisteten Geschäftsfällen des Bezirksgerichts B***** ‑ untereinander abgrenzbare (dh nicht nur pauschal individualisierte) Taten angelastet (zur umgekehrten Konstellation vgl 17 Os 25/13z). Damit ist die (aus Z 5 erhobene) Beschwerdekritik an der Annahme eines Schädigungsvorsatzes in Bezug auf einzelne, in I/3 genannte Exekutionsverfahren zulässig; sie ist auch berechtigt.

Denn der Beschwerdeführer zeigt zu Recht auf, dass sich die Tatrichter mit seiner ‑ insofern von den sonstigen Angaben abweichenden ‑ Einlassung, wonach sich die um 14 Tage verspätete Überweisung im Verfahren AZ 2 E 2304/10m auf eine urlaubsbedingte Abwesenheit zurückführen lasse (ON 29 S 21) und die Weiterleitung im Verfahren AZ 2 E 314/09p irrtümlich unterblieben sei (ON 29 S 11 ff), nicht auseinandergesetzt haben (Z 5 zweiter Fall).

In diesem Umfang war daher ‑ entgegen der Stellungnahme der Generalprokuratur ‑ Urteilsaufhebung und Anordnung einer neuen Hauptverhandlung erforderlich (§ 288 Abs 2 Z 1 StPO).

4. Zur Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen:

Der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zuwider ist der aus dem äußeren Geschehen gezogene Schluss auf die subjektive Tatseite unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 452; RIS-Justiz RS0098671, RS0116882).

Mit dem Einwand beruflicher Überlastung und dem Hinweis auf Verfahrensergebnisse, denen zufolge nach der Suspendierung des Angeklagten keine Vorwürfe gegen ihn wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten erhoben worden seien, bekämpft die Beschwerde bloß die Annahme des Schädigungsvorsatzes nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung.

Gleiches gilt, soweit der Beschwerdeführer die Angaben des Zeugen S***** über eine „besonders intensive“ Gebarungsprüfung betreffend einen zweimonatigen Zeitraum im Jahr 2010 (ON 29 S 75 ff), eigenständig dahin würdigt, dass schon damals seine „vereinfachte Arbeitsweise“ toleriert worden sei.

Insoweit war die Nichtigkeitsbeschwerde ‑ in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ‑ zu verwerfen (§ 288 Abs 1 StPO).

Zur Strafbemessung:

Im Hinblick auf das geringe Gewicht der noch offenen Anklagevorwürfe betreffend die Verfahren AZ 2 E 2304/10m sowie AZ 2 E 314/09p (jeweils des Bezirksgerichts B*****) sah sich der Oberste Gerichtshof dazu bestimmt, in sinngemäßer Anwendung des § 289 StPO die Strafe zu den übrigen Schuldsprüchen sofort festzusetzen (RIS-Justiz RS0100261; Ratz, WK-StPO § 289 Rz 21; Fabrizy, StPO11 § 289 Rz 3a).

Das Erstgericht verurteilte den Angeklagten zu einer ‑ für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen ‑ Freiheitsstrafe von 15 Monaten.

Auf Basis der verbliebenen Schuldsprüche und des oben zu I/2 aufgezeigten Subsumtionsfehlers war die Tatwiederholung erschwerend, mildernd der bisher ordentliche Lebenswandel und dass die Tat mit dem sonstigen Verhalten des Angeklagten in auffallendem Widerspruch steht (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB). Davon ausgehend erachtete der Oberste Gerichtshof die Verhängung einer einjährigen Freiheitsstrafe als angemessen. Dabei war auch die dem Angeklagten laut Urteilspunkt I/3 zur Last liegende 31-fache Tatbegehung über einen Zeitraum von knapp zweieinhalb Jahren in angemessene Relation zu seinem durchschnittlichen Arbeitsumfang von monatlich etwa 400 bis 500 Vollzugsaufträgen zu setzen (vgl ON 12 S 7, 21). Zu berücksichtigen war überdies das geringere Gewicht der zu I/2 abgeurteilten Taten (§ 32 Abs 3 StGB).

Der Ausspruch bedingter Strafnachsicht (§ 43 Abs 1 StGB) folgt bereits aus § 295 Abs 2 StPO.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die Strafneubemessung zu verweisen.

Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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