OGH 8ObA53/13x

OGH8ObA53/13x28.4.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Rolf Gleißner und Robert Hauser als weitere Richter, in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Angestelltenbetriebsrat der *****, vertreten durch Freimüller/Obereder/Pilz & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei *****, vertreten durch CMS Reich‑Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung gemäß § 54 Abs 1 ASGG (Streitwert 21.800 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 23. April 2013, GZ 9 Ra 126/12h‑35, mit dem das Urteil des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien vom 17. Februar 2012, GZ 27 Cga 77/09d‑31, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird mit der Maßgabe bestätigt, dass der erste Satz des Spruchs zu lauten hat:

„Die in die ***** GmbH überlassenen Angestellten, die dort dauerhaft eine höherwertige Tätigkeit verrichten, haben ab Beginn des siebten Monats dieser Überlassung und unter der Voraussetzung der Erfüllung allfälliger weiterrn Einreihungsvoraussetzungen an Stelle einer Verwendungszulage Anspruch auf eine ihrer höherwertigen Tätigkeit entsprechende Einreihung in die DO.A.“

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 1.329,84 EUR (darin 221,64 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Der SVD GmbH (in der Folge: GmbH) obliegt das Facility Management, der Wirtschaftseinkauf und teilweise IT‑Aufgaben (Helpdesk, EDV‑Support) für ihre vier Gesellschafter, zu denen neben der beklagten Sozialversicherungsanstalt drei weitere Sozialversicherungs-träger gehören.

Die Beklagte überlässt der GmbH Verwaltungsangestellte zur weiteren Dienstleistung. Grundlage für diese Arbeitskräfteüberlassung ist eine Dreiparteieneinigung zwischen dem Beklagten, dem zu überlassenden Dienstnehmer und der GmbH. Nach dieser Vereinbarung bleiben die Rechte und Pflichten der überlassenen Angestellten nach der Dienstordnung A (DO.A) für Verwaltungsangestellte, Pflegepersonal und zahntechnische Angestellte bei den Sozialversicherungs-trägern Österreichs in der jeweils geltenden Fassung unverändert. Für die Vertragsparteien hatte dieser Teil der Vereinbarung nur deklarativen Charakter, sie gingen davon aus, dass die DO.A in jedem Fall weiter gelten würde.

Die künftige Verwendung der Angestellten in der GmbH ist jeweils in der Vereinbarung festgehalten. Der Überlassungsvertrag kann von jeder Vertragspartei unter Einhaltung einer dreimonatigen Kündigungsfrist zum Monatsletzten gekündigt werden. Danach setzt sich für die Dienstnehmer das Dienstverhältnis zum beklagten Sozialversicherungsträger fort. Jedenfalls mit dem Zeitpunkt, zu welchem das Dienstverhältnis mit der beklagten Partei endet, endet auch die Überlassungsvereinbarung.

Jene IT‑Verwaltungsangestellten, die von der Beklagten überlassen wurden und bei der GmbH eine höherwertige Tätigkeit ausüben als zuvor bei der Beklagten, erhalten eine Verwendungszulage. Es steht nicht fest, dass Angestellte nur für ein zeitlich limitiertes Projekt oder wegen Vertretung eines Kollegen in der höherwertigen Verwendung bei der GmbH benötigt werden.

Die GmbH nimmt auch eigenes Personal auf. Diese Dienstverhältnisse unterliegen dem Kollektivvertrag für das Gewerbe. Es steht nicht fest, dass den an die GmbH überlassenen Angestellten der Beklagten, die dort eine höherwertige Tätigkeit verrichten, eine sonstige Voraussetzung für die Einreihung in eine höhere Verwendungsgruppe, wie etwa ein Studium, eine Dienstprüfung, das Bestehen einer entsprechenden Organisationseinheit oder ein Bestellungsakt fehlt.

Der klagende Betriebsrat begehrt die Feststellung, dass jene an die GmbH überlassenen Angestellten, die dort wegen ihrer höherwertigen Tätigkeit eine Verwendungszulage erhalten, Anspruch auf eine ihrer Tätigkeit entsprechende Einreihung (§ 36 DO.A) haben. Die Verwendungszulage nach § 50 Abs 1 DO.A sei an eine bloß vorübergehende höherwertige Verwendung, etwa im Rahmen einer Vertretung geknüpft, die betroffenen Arbeitnehmer seien jedoch unbefristet und zur dauernden höherwertigen Verwendung überlassen. Das rechtliche Interesse der betroffenen Angestellten an der Feststellung ergebe sich insbesondere im Hinblick auf Versetzungen oder das Jubiläumsgeld.

Die Beklagte wandte ein, es liege keine dauerhafte Überlassung und damit auch keine dauerhafte höherwertige Verwendung vor, weil den Angestellten im Überlassungsvertrag ein einseitiges Kündigungs‑ und Rückkehrrecht eingeräumt worden sei. Würden die überlassenen MitarbeiterInnen höher eingereiht und anschließend von ihrem Kündigungsrecht Gebrauch machen und zur beklagten Partei zurückkehren, so wären dort keine dieser höherwertigen Verwendung entsprechenden Dienstposten mehr vorhanden und könnten auch in anderen Bereichen nicht geschaffen werden. Die Überlassung von Angestellten an Dritte wie an die GmbH sei in der DO.A nicht gesondert geregelt. Die vorübergehende Verwendung bei einem „Nichtsozialversicherungsträger“ bewirke keine Umreihung nach den Einreihungsbestimmungen der DO.A (§§ 37 f).

Im ersten Rechtsgang gab das Erstgericht dem Klagebegehren teilweise statt, der abweisende Teil der Entscheidung ist bereits in Rechtskraft erwachsen. Die bestätigende Entscheidung des Berufungsgerichts wurde mit Beschluss des erkennenden Senats (8 Ob 73/10h) aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen. Es sei zu klären, ob der Kläger den geltend gemachten Anspruch auf eine unmittelbare Anwendung der DO.A oder auf die Überlassungsvereinbarung stützen wolle. Eine unmittelbare Geltung sei zweifelhaft, weil der persönliche Geltungsbereich nach § 1 Abs 1 und 7 DO.A nur die bei Sozialversicherungsträgern „beschäftigten“ Angestellten umfasse und die Angestellten in selbstständigen Wirtschaftsbetrieben der Versicherungsträger ausschließe. In jedem Fall sei zu klären, ob alle sonstigen für eine Einstufung der betroffenen Arbeitnehmer in höhere Verwendungsgruppen erforderlichen Kriterien, wie das Ablegen einer Fachprüfung, ein erforderliches Studium oder ‑ bei Leitungsfunktionen ‑ das Bestehen einer entsprechenden Organisationseinheit, erfüllt sind.

Im zweiten Rechtsgang wies das Erstgericht das Klagebegehren ab. Der überbundenen Rechtsansicht des Revisionsgerichts folgend sei die DO.A als Kollektivvertrag auf an Drittunternehmen überlassene Arbeitnehmer nicht anzuwenden. Davon abgesehen handle es sich wegen des Kündigungsrechts der Angestellten um bloß vorübergehende Verwendungen iSd § 50 Abs 1 DO.A, die zu keiner dauerhaften Einreihung berechtigten.

Das Berufungsgericht änderte die erstgerichtliche Entscheidung im klagsstattgebenden Sinn ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Entgegen der Auffassung des Erstgerichts sei in der Begründung des Aufhebungsbeschlusses des Obersten Gerichtshofs im ersten Rechtsgang keine die Vorinstanzen bindende, abschließende rechtliche Positionierung zu erkennen. Sowohl der Wortlaut des § 1 Abs 1 DO.A als auch das historische Verständnis der Kollektivvertragsparteien spreche dafür, dass sich der persönliche Geltungsbereich der DO.A auch auf Angestellte der Sozialversicherungsträger erstrecke, die bei aufrechtem Vertragsverhältnis lediglich zur Dienstleistung an Dritte verliehen wurden.

Der geltend gemachte Anspruch hänge daher nur mehr davon ab, ob die Verwendung der überlassenen Dienstnehmer den Umständen nach eine im Sinn der DO.A vorübergehende oder dauernde sei. Letzteres sei hier mangels Befristung des Überlassungsvertrags zu bejahen. Ein unbefristeter Überlassungsvertrag schließe trotz der darin vorgesehenen Kündigungsmöglichkeiten ein dauerndes, beharrendes Gleichbleiben des Arbeitsinhalts bei der GmbH im Sinn des § 36 Abs 1 DO.A nicht aus. Den Kollektivvertragsparteien stehe es frei, für den Fall der Kündigung der Überlassungsvereinbarung durch den Dienstnehmer eine sachgerechte Regelung zu treffen.

Die Revision der Beklagten strebt die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung an. Sie macht geltend, das Berufungsgericht habe mit seiner Entscheidung die vom Obersten Gerichtshof im ersten Rechtsgang (8 ObA 73/10h) überbundene Rechtsansicht zur Auslegung der DO.A missachtet und die Geltungsbereichsausnahme des § 1 Abs 7 Z 1 DO.A unrichtig ausgelegt. Auch aus der vertraglich vereinbarten Geltung der DO.A lasse sich der Anspruch auf eine über das Ende der Überlassung hinaus wirksame Höherreihung nicht ableiten, weil die DO.A einen solchen Anspruch nicht vorsehe und keine der höheren Verwendung entsprechenden Planstellen für zurückkehrende Angestellte bei der Beklagten bestünden.

Rechtliche Beurteilung

Der Kläger hat eine Revisionsbeantwortung erstattet. Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht dargelegten Gründen zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Das Berufungsgericht ist zutreffend (§ 510 Abs 3 ZPO) davon ausgegangen, dass der erkennende Senat im ersten Rechtsgang (8 ObA 73/10h) lediglich bestimmte rechtliche Aspekte bezeichnet hat, die zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung einer Erörterung mit den Parteien bedurften. Die Verfahrensergänzung hätte sich aber erübrigt, wenn ihr Ergebnis auf die rechtliche Beurteilung keinen Einfluss haben hätte können. Dem Revisionsvorbringen, das Berufungsgericht habe sich mit seiner Entscheidung über eine überbundene Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofs hinweggesetzt, ist daher nicht zu folgen.

2. Für die Entscheidung über das vorliegende Klagebegehren muss auch nicht abschließend beurteilt werden, ob die DO.A für die betroffenen Angestellten während der Dauer ihrer Überlassung unmittelbar anwendbar ist.

Der Kläger hat sich nämlich auch darauf gestützt, dass mit den betroffenen Angestellten im Rahmen der Überlassungsvereinbarungen in jedem Fall auch einzelvertraglich bedungen wurde, dass „ die Rechte und Pflichten laut DO.A in der jeweils aktuellen Fassung unverändert erhalten “ bleiben. Diese Vereinbarung ist umfassend und nimmt auch die §§ 36 ff DO.A über die Einreihung der Verwaltungsangestellten nicht aus.

3. Es kommt daher darauf an, ob die tatsächliche Verwendung der betroffenen Dienstnehmer aufgrund ihrer vereinbarten Dienstzuteilung als vorübergehende (§ 50 Abs 1 DO.A), die nur einen Zulagenanspruch begründet, oder als dauernde (§ 36 Abs 2 DO.A) angesehen werden muss.

Dem Berufungsgericht ist auch darin beizupflichten, dass alle in § 50 Abs 1 DO.A demonstrativ genannten Fälle einer vorübergehenden Verwendung (Vertretung während Urlaubs, Krankheit, Schutzfrist, Karenz- oder Sonderurlaub, Präsenz‑ oder Zivildienst) entweder datumsmäßig oder durch ein bestimmtes, vom Willen der Vertragsteile unabhängiges Ereignis befristet sind. Das Merkmal der Befristung ist umso gewichtiger, als für die „vorübergehende Verwendung“ ansonsten kein Höchstausmaß bestimmt wird; sie kann sogar mehrere Jahre dauern (§ 50 Abs 1: länger als sechs Monate; Abs 3: länger als 12 Monate; Abs 4 iVm § 17 Abs 6 GuKG: zwei bis 5 Jahre).

Einziges fassbares Abgrenzungsmerkmal zwischen einer längeren „vorübergehenden“ und einer längeren „dauernden“ Verwendung ist eine bereits im Zeitpunkt der Übertragung der Aufgaben getroffene, klar definierte Vereinbarung, dass sie durch Zeitablauf ohne weitere Willenserklärung aufgehoben wird.

Zu den verfahrensgegenständlichen Dienstverhältnissen wurden Befristungsvereinbarungen unstrittig nicht getroffen. Die gänzliche Auslagerung von betrieblichen Aufgabenbereichen an ein selbstständiges Unternehmen in Verbindung mit dem Vorbringen der Beklagten, in ihrem eigenen Betrieb seien keine der ausgelagerten Tätigkeit entsprechenden Arbeitsplätze mehr vorhanden, sprechen ebenfalls für eine auf Dauer beabsichtigte Überlassung.

Die von der Beklagten ins Treffen geführte Kündigungsmöglichkeit ist jedem unbefristeten Dauerschuldverhältnis immanent und als Argument für eine Unterscheidung zwischen „vorübergehender“ und „dauernder“ Tätigkeit ‑ im Gegensatz zur Befristung ‑ nicht überzeugend. Käme es auf die Möglichkeit der einseitigen Beendigung des Dienstverhältnisses oder der Dienstzuweisung an, hätte § 36 DO.A keinen Anwendungsbereich, weil dann überhaupt keine Verwendung eine dauernde sein könnte.

5. Für die Entscheidung über das Klagebegehren ist maßgeblich, ob sich der Anspruch der Dienstnehmer aus den Bestimmungen der DO.A ableiten lässt. Darauf, ob die Höherreihung eines überlassenen Dienstnehmers im Fall der Ausübung seines Kündigungsrechts für die Beklagte zu Problemen führen könnte, weil sie in ihrem eigenen Unternehmen keine seiner Einreihung entsprechende Verwendung für ihn hätte, kommt es grundsätzlich nicht an. Es obliegt nicht der Rechtsprechung, einer allenfalls unbefriedigenden Regelung eines Kollektivvertrags eine Deutung zu geben, die seinem klaren Wortlaut zuwiderliefe (8 ObA 70/07p; 9 ObA 33/11k mwN uva).

Unter der Prämisse, dass die höhere Einreihung nur auf einzelvertraglicher Grundlage zusteht, ist die Vereinbarung der Anwendung der DO.A im Falle ihrer Auflösung durch den Dienstnehmer allerdings wohl auch dahin zu verstehen, dass damit auch die an die aufgekündigte Tätigkeit geknüpfte Höherreihung nicht weiter aufrecht bleibt (vgl § 460 Abs 1 ASVG). Im umgekehrten Fall einer Auflösung der Überlassungsvereinbarung durch die Beklagte hat die höhere Einstufung in jedem Fall weiter aufrecht zu bleiben, weil eine einseitige Entziehung der Höherreihung durch den Dienstgeber nach der DO.A nicht vorgesehen ist.

6. Zu der im ersten Rechtsgang offen gebliebenen Frage, ob die vom Klagebegehren betroffenen Angestellten alle weiteren nach der DO.A erforderlichen persönlichen und sachlichen Voraussetzungen für ihre angestrebte Höherreihung erfüllen, hat das Erstgericht nur eine Negativfeststellung formuliert. Tatsächlich sind die Vorinstanzen in ihrer Begründung aber offenkundig davon ausgegangen, dass diese Voraussetzungen vorliegen, zumal das Berufungsgericht der Klage stattgegeben hat. Die Beklagte hat diese Frage in ihren Rechtsmitteln nicht releviert (§ 267 ZPO). Um den betroffenen Personenkreis eindeutig abzugrenzen war die Entscheidung des Berufungsgerichts jedoch mit der aus dem Spruch ersichtlichen Maßgabe zu bestätigen (RIS‑Justiz RS0039357; RS0041254; RS0041207).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 2 ASGG, 41 und 50 ZPO.

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