OGH 10ObS38/14g

OGH10ObS38/14g23.4.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Monika Lanz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Johann Sommer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. C*****, vertreten durch Mag. Hannes Huber und Dr. Georg Lugert, Rechtsanwälte in Melk, gegen die beklagte Partei Niederösterreichische Gebietskrankenkasse, 3100 St. Pölten, Kremser Landstraße 3, vertreten durch Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wegen Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld (5.303,45 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 17. Dezember 2013, GZ 7 Rs 148/13f‑16, in nichtöffentlicher Sitzung, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:010OBS00038.14G.0423.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Im Revisionsverfahren nicht mehr strittig ist, dass die beklagte Gebietskrankenkasse ihren Rückforderungsanspruch innerhalb der Verjährungsfrist des § 31 Abs 7 KBGG (in der gemäß § 49 Abs 14 KBGG im gegenständlichen Fall noch anwendbaren Stammfassung BGBl I 103/2001) gegenüber der Klägerin geltend gemacht hat. Die Klägerin hält in ihrer Revision aber weiterhin daran fest, dass die beklagte Gebietskrankenkasse als „materieller Kläger“ das Rückforderungsverfahren iSd § 1497 ABGB nicht gehörig fortgesetzt habe. Nach der im Jahr 2008 ‑ im Hinblick auf die Anrufung des Verfassungsgerichtshofs ‑ erfolgten Unterbrechung des Verfahrens durch das Erstgericht habe sie den Fortsetzungsantrag erst 2012 gestellt, obwohl die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs bereits 2009 vorgelegen habe.

Dazu ist auszuführen:

1. § 107 Abs 1 ASVG regelt die Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen im Bereich des (allgemeinen) sozialversicherungsrechtlichen Leistungs-verhältnisses. Für den Bereich des Kinderbetreuungsgeldes besteht mit § 31 KBGG eine eigene Rückforderungsregelung. Diese stimmt im Kernbereich zu einem großen Teil mit § 107 ASVG und entsprechenden Rückforderungsbestimmungen in anderen Gesetzen überein; § 31 KBGG ist im Verhältnis zu § 107 ASVG (aus Sicht der Gesetzwerdung) lex posterior und auch lex specialis (RIS‑Justiz RS0125687).

3. Ergeht ein Rückforderungsbescheid, kann der Gegner (der Versicherte) diesen mit Klage bekämpfen. Das Klagebegehren hat auf Feststellung zu lauten, dass die Pflicht zum Rückersatz für die strittige Zeit nicht besteht (negative Feststellungsklage, 10 ObS 386/90, SSV‑NF 5/4; RIS‑Justiz RS0109892). In Rechtsstreitigkeiten über die Pflicht zum Rückersatz einer zu Unrecht empfangenen Versicherungsleistung hat zwar formell der Rückzahlungspflichtige als Kläger aufzutreten, die materielle Klägerrolle kommt jedoch dem beklagten Versicherungsträger zu, der das Vorliegen der Voraussetzungen der Rückersatzpflicht zu behaupten und zu beweisen hat (10 ObS 68/99v, SSV‑NF 13/46).

4. Zu § 107 ASVG wurde bereits ausgesprochen, dass eine vom Versicherten zur Bekämpfung des Rückforderungsbescheids eingebrachte Klage keine Verjährungsfrist in Gang setzen kann. Eine solche kann daher auch nicht ‑ etwa wegen nicht gehöriger Fortsetzung des Verfahrens ‑ unterbrochen werden (RIS‑Justiz RS0089204). Die Rechtsgrundsätze über die gehörige Fortsetzung des Verfahrens iSd § 1497 ABGB beruhen auf Sachverhaltskonstellationen, in denen eine Verjährungsfrist schon zu laufen begonnen hatte und ‑ etwa durch eine Klage ‑ unterbrochen wurde und zu beurteilen ist, ob das Verfahren gehörig fortgesetzt wurde. Diese Rechtsgrundsätze sind aber auf den Fall einer Rückforderung nach § 107 ASVG nicht zu übertragen. Bildet Gegenstand des Verfahrens das Begehren des Klägers bzw der Klägerin, die beklagte Partei zur Unterlassung ihres ‑ bereits mit Bescheid ausgesprochenen ‑ Rückforderungsanspruchs zu verhalten, konnte mangels Ingangsetzung einer die beklagte Partei treffenden Verjährungsfrist auch keine Unterbrechung der Verjährung eintreten (10 ObS 193/95).

5. Der Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die zu § 107 ASVG ergangene Rechtsprechung treffe auch auf den vorliegenden Fall der Rückforderung nach § 31 KBGG zu, setzt die Revisionswerberin nur entgegen, es sei dennoch nicht gangbar, die beklagte Partei als „materiellen Kläger“ von ihrer Verpflichtung zu entbinden, den Anspruch gehörig voranzutreiben. Es könne ihr deshalb nicht erlaubt sein, gleichsam unbegrenzt andere Verfahren abzuwarten, die vielleicht ähnlich gelagerte rechtliche Probleme zum Gegenstand haben, und dann erst das Verfahren fortzusetzen.

6. Diese Ausführungen bieten keinen Anlass, von der bisher zu § 107 ASVG ergangenen und ‑ in gleicher Weise auf § 31 KBGG zutreffenden ‑ Rechtsprechung abzugehen. Es versteht sich von selbst, dass unterbrochen nur etwas werden kann, was bereits begonnen hat. Hat eine die beklagte Partei treffende Verjährungsfrist nicht zu laufen begonnen, kann auch keine Unterbrechung der Verjährungsfrist eintreten und stellt sich die Frage der gehörigen Fortsetzung einer Klage iSd § 1497 ABGB nicht.

7. Nach § 31 Abs 7 KBGG (in der gemäß § 49 Abs 14 KBGG im gegenständlichen Fall noch anwendbaren Stammfassung BGBl I 103/2001) verjährt das Recht auf Rückforderung binnen fünf Jahren ab dem Zeitpunkt, in dem dem Versicherungsträger bekannt geworden ist, dass die Leistung zu Unrecht erbracht worden ist. Selbst wenn man in analoger Anwendung dieser Bestimmung davon ausgehen wollte, dass die beklagte Partei im Rückforderungsverfahren innerhalb von fünf Jahren ab Zugang der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs verpflichtet gewesen wäre, die Fortsetzung des vorliegenden Verfahrens zu beantragen, hätte sie ‑ wie bereits das Berufungsgericht ausgeführt hat ‑ diese Frist ohnedies eingehalten, sodass auch insoweit nicht von einer Verjährung gesprochen werden könnte (vgl 10 ObS 193/95 zu § 107 Abs 2 lit b ASVG).

Die Revision ist aus diesen Gründen mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

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