OGH 10ObS43/14t

OGH10ObS43/14t23.4.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Monika Lanz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Johann Sommer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Mag. Harald Redl, Rechtsanwalt in Bruckneudorf, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Berufsunfähigkeitspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 25. Februar 2014, GZ 8 Rs 9/14y‑138, in nichtöffentlicher Sitzung, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die Klägerin, die zuletzt als Sachbearbeiterin nach der Dienstordnung A (DO.A) für die Angestellten bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs (eingestuft in der Gehaltsgruppe C II bzw C III) tätig war, könne nach § 273 Abs 1 ASVG auf Angestelltentätigkeiten außerhalb des Bereichs der Sozialversicherung (etwa auf die Tätigkeit einer Informationsangestellten im Handel, eingestuft nach dem Kollektivvertrag der Handelsangestellten in der Beschäftigungsgruppe 2 bis 3) verwiesen werden, steht im Einklang mit der Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen (vgl 10 ObS 139/90, SSV‑NF 4/110 betr einen Angestellten im Bereich der Sozialversicherung; 10 ObS 21/98f, SSV‑NF 12/15 mwN betr einen Angestellten im Bankenbereich).

Mit ihren Ausführungen, die Verweisung auf Angestelltentätigkeiten in der Privatwirtschaft wäre unzulässig bzw mit einem unzumutbaren sozialen Abstieg verbunden, zeigt die Klägerin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO auf:

1. Bei der Pensionsversicherung der Angestellten handelt es sich um eine Berufsgruppenversicherung, deren Leistungen bereits einsetzen, wenn der (die) Versicherte infolge seines (ihres) körperlichen und/oder geistigen Zustands einen Beruf seiner (ihrer) Berufsgruppe nicht mehr ausüben kann. Dabei ist in der Regel von jenem Angestelltenberuf auszugehen, den der (die) Versicherte zuletzt nicht nur vorübergehend ausgeübt hat. Dieser Beruf bestimmt das Verweisungsfeld, das sind alle Berufe, die derselben Berufsgruppe zuzurechnen sind, weil sie eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten verlangen (RIS-Justiz RS0084867 [T12]). Bei der Prüfung der Verweisungsmöglichkeiten ist somit die Art der ausgeübten Beschäftigung, nicht aber die vom Arbeitgeber vorgenommene Einreihung oder das ausbezahlte Gehalt entscheidend (10 ObS 88/92, SSV‑NF 6/53 mwN).

2. Schon aus der Formulierung des § 273 Abs 1 ASVG, wonach beim Herabsinken der Arbeitsfähigkeit eines Versicherten nicht auf „gleichartige“ oder „gleiche“ Kenntnisse, sondern bloß auf „gleichwertige“ Kenntnisse und Fähigkeiten abgestellt wird, folgt, dass eine Festlegung ausschließlich auf den Bereich der Sozialversicherung nicht diesem Kriterium entspricht. Nur die Verweisung auf eine völlig anders gelagerte Sparte ist nicht zulässig (RIS‑Justiz RS0084867 [T14]). So kann etwa ein in einem Beruf mit weit überwiegender technischer Qualifikation tätiger Versicherter nicht auf einen ausschließlich kaufmännischen Beruf verwiesen werden (RIS‑Justiz RS0108694).

3. Auch bei Verweisungen innerhalb seiner Berufsgruppe darf der Versicherte aber nicht auf Berufe verwiesen werden, die für ihn einen unzumutbaren sozialen Abstieg bedeuten würden. Dabei kommt es auf den sozialen Wert an, den die Ausbildung und die Kenntnisse und Fähigkeiten, die in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit von Bedeutung waren, unter den Verhältnissen zur Zeit des Stichtags haben (RIS‑Justiz RS0084890).

4. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der erkennende Senat bereits ausgesprochen, dass die frühere Ausübung einer Tätigkeit als Angestellter nach der Dienstordnung A der Sozialversicherungsangestellten durch den Versicherten keine Einschränkung seiner Verweisbarkeit im Rahmen seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit bewirkt, sondern auch eine Verweisung auf eine Angestelltentätigkeit außerhalb des Bereichs der Sozialversicherung in Betracht kommt (10 ObS 139/90, SSV-NF 4/110).

5. Soweit die Revisionswerberin geltend macht, sie bringe als Sachbearbeiterin nach der DO.A der Sozialversicherungsträger ein höheres Einkommen ins Verdienen, weshalb sie bei der von den Vorinstanzen vorgenommenen Verweisung auf andere Angestelltentätigkeiten außerhalb des Bereichs der Sozialversicherung eine unzumutbare Einkommenseinbuße zu erwarten habe, ist ihr entgegenzuhalten, dass nach ständiger Rechtsprechung die Verweisung von Angestellten auch auf Tätigkeiten der nächstniedrigeren Beschäftigungs- oder Verwendungsgruppe eines Kollektivvertrags in der Regel mit keinem unzumutbaren sozialen Abstieg verbunden ist. Gewisse Einbußen an Entlohnung und sozialem Prestige muss ein Versicherter hinnehmen (vgl RIS-Justiz RS0085599 [T2, T5, T6, T14 ua] mwN). Eine allfällig geringe Entlohnung stellt daher für sich allein noch kein ausreichendes Kriterium für einen unzumutbaren sozialen Abstieg dar (10 ObS 45/95, SSV-NF 9/29 ua). Im Übrigen hat die Prüfung der Frage der Zumutbarkeit einer Lohneinbuße auch im Rahmen des Berufsschutzes nach § 273 Abs 1 ASVG grundsätzlich abstrakt zu erfolgen. Dies bedeutet, dass nicht vom individuellen früheren Verdienst des Versicherten bei seinem konkreten Arbeitgeber, sondern vom Durchschnittsverdienst gleichartig Beschäftigter auf dem Arbeitsmarkt auszugehen ist (vgl 10 ObS 78/95, SSV-NF 9/46; 10 ObS 447/89, SSV‑NF 4/15 ua). Nur diese Betrachtungsweise entspricht der in der Pensionsversicherung herrschenden abstrakten Ermittlung der Minderung der Arbeitsfähigkeit und ermöglicht eine weitgehend gleiche Beurteilung vergleichbarer Fälle. Die in der Revision zitierte Entscheidung 10 ObS 90/06t, SSV-NF 20/40 (= RIS-Justiz RS0120866 [T1]) bezieht sich auf die ‑ für die Klägerin nicht anwendbare ‑ Bestimmung des § 255 Abs 4 ASVG und die Frage, ob eine gravierende Lohneinbuße ein Kriterium für die Unzumutbarkeit einer Änderung der Tätigkeit iSd § 255 Abs 4 zweiter Satz ASVG darstellen kann.

6. Die Verweisung ist auch nicht deshalb unzumutbar, weil sie ‑ wie die Klägerin in ihrer Revision behauptet - mit einem Verzicht auf die ihr als begünstigte Behinderte zustehenden „Privilegien laut Behinderteneinstellungsgesetz“ verbunden wäre. Die Zugehörigkeit zum Kreis der Behinderten ist nicht an einen konkreten Arbeitsplatz oder eine bestimmte Tätigkeit gebunden, sondern erlischt nur durch einen Bescheid über den Wegfall der Voraussetzungen (§ 14 Abs 2 BEinStG). Ausgehend von den getroffenen Feststellungen liegen bei der Klägerin die allenfalls denkbaren Erlöschensgründe des § 2 Abs 2 lit c oder d BEinstG gerade nicht vor.

7. Auch das von der Revisionswerberin letztlich ins Treffen geführte Lebensalter von 50 Jahren ist für die Frage der Verweisbarkeit nicht maßgeblich (RIS-Justiz RS0084833).

Haben die Vorinstanzen die oben dargelegten Grundsätze der Rechtsprechung beachtet, stellt die Frage, ob eine konkrete Verweisung einen unzumutbaren sozialen Abstieg bewirkt oder nicht, eine Beurteilung des Einzelfalls dar (10 ObS 100/06p; 10 ObS 80/09a, SSV-NF 23/41 jeweils mwN), in der keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung erblickt werden kann.

Die Revision ist aus diesen Gründen mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

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