OGH 10ObS21/14g

OGH10ObS21/14g25.3.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Claudia Gründel (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Ing. Thomas Bauer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. (FH) E*****, vertreten durch Dr. Helga Hofbauer, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Wiener Gebietskrankenkasse, 1100 Wien, Wienerbergstraße 15‑19, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld (Streitwert 2.281,21 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 21. August 2013, GZ 10 Rs 57/13w‑15, womit das Urteil des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien vom 4. Oktober 2012, GZ 32 Cgs 264/11i‑11 abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revision selbst zu tragen; die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin bezog für ihren am 14. 8. 2005 geborenen Sohn B***** Kinderbetreuungsgeld in der Zeit vom 1. 1. 2006 bis 31. 5. 2007. Vor und nach der Geburt ihres zweiten Sohnes T***** am 1. 6. 2007 bezog sie in der Zeit vom 4. 12. 2006 bis 27. 7. 2007 Wochengeld; im Anschluss daran bezog sie Kinderbetreuungsgeld in der Zeit vom 28. 7. 2007 bis 31. 12. 2007 im Ausmaß von 2.281,21 EUR. Im Zeitraum vom 1. 8. bis 31. 12. 2007 hatte sie Einkünfte aus nicht selbstständiger Arbeit in der Höhe von insgesamt 652,50 EUR (Lohnsteuerbemessungsgrundlage ohne Sonderzahlungen und Urlaubsersatzleistung) und erhielt Arbeitslosengeld in der Höhe von 5.302,08 EUR.

Mit Bescheid vom 4. 11. 2011 widerrief die beklagte Partei das der Klägerin für den Zeitraum vom 28. 7. 2007 bis 31. 12. 2007 zuerkannte Kinderbetreuungsgeld für das Kind T***** und verpflichtete die Klägerin zum Ersatz der unberechtigt empfangenen Leistung in der Höhe von insgesamt 2.281,21 EUR binnen vier Wochen nach Zustellung des Bescheids. In der Bescheidbegründung ging die beklagte Partei noch von Einkünften der Klägerin aus nicht selbstständiger Arbeit im Zeitraum vom 1. 8. 2007 bis 31. 12. 2007 in der Höhe von 761,26 EUR aus und errechnete daraus einen maßgeblichen Gesamtbetrag der Einkünfte gemäß § 8 KBGG in der Höhe von 16.837,27 EUR (Beilage ./A). Dieser Betrag liege mehr als 15 % über dem Grenzbetrag gemäß § 2 Abs 1 Z 3 KBGG für das Jahr 2007 in der Höhe von 14.600 EUR (14.600 EUR + 15 % = 16.790 EUR).

In der dagegen erhobenen Klage brachte die Klägerin vor, dass sie im Zeitraum vom 1. 8. 2007 bis 31. 12. 2007 Einkünfte aus nicht selbstständiger Arbeit ‑ unter Abzug von Sonderzahlungen ‑ nur in der Höhe von 652,50 EUR bezogen habe. Unter Heranziehung der von der beklagten Partei im Bescheid vorgenommenen Berechnungsmethode errechne sich ein Gesamtbetrag der maßgeblichen Einkünfte in der Höhe von (nur) 16.346,14 EUR, sodass eine bloß geringfügige Überschreitung der Zuverdienstgrenze vorliege. Zur Berechnungsmethode sei im Übrigen Folgendes auszuführen: Sie habe im Kalenderjahr 2007 für zwei Kinder hintereinander Kinderbetreuungsgeld bezogen. Aufgrund des Wortlauts des § 8 Abs 1 Z 1 KBGG und des Inhalts des von der beklagten Partei erstellten Informationsblattes (in der im Jahr 2007 aufliegenden Fassung), sei sie der Ansicht gewesen, dass der gesamte Zuverdienst aus dem Jahr 2007 herangezogen und auf ein ganzes Jahr berechnet werde. Die von der beklagten Partei vorgenommene gesonderte zeitliche Betrachtung der Zuverdienstgrenze pro Kind bewirke, dass sich Monate mit mehr Einkommen stärker auf die Zuverdienstgrenze auswirken, als bei einer Ganzjahresbetrachtung bei durchgehendem Bezug für zwei Kinder. Käme es zu keiner zeitlich gesonderten Betrachtungsweise pro Kind, ermittelte sich unter Berücksichtigung ihres Einkommens aus unselbstständiger Beschäftigung sowie ihres Arbeitslosengeldbezugs im Jahr 2007 ein Gesamtbetrag an Einkünften (abzüglich des achtwöchigen Wochengeldbezugs) in der Höhe von 12.747,53 EUR. Bei dieser ‑ aus dem Informationsblatt (Stand 2007) nicht anders ersichtlichen ‑ Berechnungsmethode werde die Zuverdienstgrenze von 14.600 EUR somit nicht überschritten. Die von der beklagten Partei gesondert pro Kind vorgenommene Ermittlung des Gesamtbetrags der maßgeblichen Einkünfte sei für sie daher unvorhersehbar gewesen. Der Tatbestand des § 1 lit a der KBGG‑Härtefälle‑Verordnung sei objektiv wie auch subjektiv erfüllt.

Die beklagte Partei beantragte Klageabweisung sowie die Feststellung der im Bescheid ausgesprochenen Rückzahlungsverpflichtung der Klägerin. Die gesonderte Ermittlung des maßgeblichen Gesamtbetrags der Einkünfte für jedes Kind auch für den Fall, dass in einem Kalenderjahr hintereinander für zwei Kinder das Kinderbetreuungsgeld bezogen wird, sei logisch nachvollziehbar und auch aus § 8 Abs 1 Z 1 KBGG ableitbar. Richtig sei, dass für die Berechnung der maßgeblichen Einkünfte nach § 8 Abs 1 KBGG Einkünfte aus nicht selbstständiger Arbeit nur in der Höhe von insgesamt 652,50 EUR heranzuziehen seien. Davon ausgehend sei die Berechnung gemäß § 8 Abs 1 Z 1 KBGG wie folgt vorzunehmen: Die Einkünfte aus nicht selbstständiger Arbeit pro Monat betragen 130,50 EUR (652,50 EUR dividiert durch 5 Monate =Bezugszeitraum für das zweitgeborene Kind T*****). Davon sind die pauschalen Werbungskosten in Höhe von 11 EUR pro Monat abzuziehen (132 EUR : 12), sodass sich eine Zwischensumme von 119,50 EUR ergibt. Diese ist nach Erhöhung um 30 % auf 155,35 EUR (119,50 EURx 1,3) in einen Jahresbetrag umzurechnen, sodass ein Teilbetrag von 1.864,20 EUR (155,35 EUR x 12) resultiert. Unter Berücksichtigung des Arbeitslosengeldbezugs von 1.060,41 EUR (5.302,08 EUR dividiert durch 5 Monate = Bezugszeitraum für das zweitgeborene Kind T*****) erhöht um 15 % auf 1.219,47 EUR (1.060,41 EUR x 1,15) umgerechnet auf ein Jahr, ist ein weiterer Teilbetrag von 14.633,73 EUR zu berücksichtigen (1.219,47 EUR x 12). Der Gesamtbetrag der maßgeblichen Einkünfte betrage demnach 16.497,94 EUR und überschreite somit die Zuverdienstgrenze von 14.600 EUR. Die Überschreitung betrage jedoch weniger als 15 %. Da der Bezug des Arbeitslosengeldes sowie des „geringfügigen“ Einkommens keine Unvorhersehbarkeit im Sinne des Gesetzes darstelle, sei die Klägerin auch ‑ unter Zugrundelegung eines Zuverdiensts an unselbstständigen Einkünften von nur 652,50 EUR ‑ zur Rückzahlung des zu Unrecht bezogenen Kinderbetreuungsgeldes zu verpflichten. Selbst wenn eine fehlende bzw unrichtige Manuduktion durch die beklagte Partei vorliegen sollte, könnte dies nicht mit der gegenständlichen Sozialrechtsklage geltend gemacht werden.

Im Zuge des weiteren Verfahrens brachte die Klägerin ergänzend vor, während des Bezugs des Kinderbetreuungsgeldes für ihr erstes Kind B***** vom 1. 1. 2006 bis 31. 5. 2007 sei ihr Dienstverhältnis noch aufrecht gewesen. Im Hinblick auf gesundheitliche Probleme mit der zweiten Schwangerschaft sei sie mit 4. 12. 2006 in vorzeitigen Mutterschutz geschickt worden und habe bis 27. 7. 2007 Wochengeld erhalten. Am 27. 7. 2007 sei ihr Dienstverhältnis einvernehmlich beendet worden. Sie habe an Urlaubsersatzleistung im Jahr 2007 3.831,11 EUR erhalten und sonst keine weiteren Bezüge aus dem Dienstverhältnis mehr lukriert. Eine Urlaubsersatzleistung gelte nicht als Zuverdienst iSd § 8 KBGG. Ausgehend von ihrer Rechtsansicht sei die Berechnung wie folgt vorzunehmen (Schriftsatz ON 7): Der von der beklagten Partei außer Streit gestellte Zuverdienst von 652,50 EUR sei durch 10 Monate zu dividieren (= Bezugszeitraum von Kinderbetreuungsgeld im Jahr 2007 insgesamt, somit auch für das erstgerborene Kind B*****) mal 12 ergebe 783 EUR, abzüglich des Werbungskostenpauschales von 132 EUR resultierten 651 EUR, die um 30 % auf 846,30 EUR zu erhöhen seien. Dazu komme der Bezug des Arbeitslosengeldes im Zeitraum 28. 8. 2007 bis 31. 12. 2007 in Höhe von 5.302,08 EUR, welcher Betrag ebenfalls (siehe oben) durch 10 Monate zu dividieren sei und mal 12 6.362,49 EUR, erhöht um 15 % 7.316,87 EUR ergebe. Im Kalenderjahr 2007 ergebe sich somit ein Gesamtjahresbetrag von richtigerweise sogar nur 8.010,37 EUR (statt 12.747,53 EUR), da die Urlaubsersatzleistung außer Ansatz zu bleiben habe.

Das Erstgericht stellte fest, dass die beklagte Partei nicht berechtigt sei, das für den Zeitraum vom 28. 7. 2007 bis 31. 12. 2007 ausbezahlte Kinderbetreuungsgeld für das Kind T***** in Höhe von 2.281,21 EUR zurückzufordern. Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, dass für die Frage der Überschreitung der Zuverdienstgrenze nach § 2 Abs 1 Z 3 KBGG sämtliche in einem Kalenderjahr (hier 2007) befindlichen Bezugszeiträume gemeinsam zu berücksichtigen seien. Dies folge aus dem Wortlaut des § 2 Abs 1 Z 3 KBGG, wonach der Gesamtbetrag der maßgeblichen Einkünfte des Elternteils im Kalenderjahr den Grenzbetrag nicht übersteigen dürfe. Die von der beklagten Partei vertretene Auslegung würde eine Ein‑Kind‑Familie gegenüber einer Mehr‑Kind‑Familie bevorzugen. Eine verfassungskonforme Interpretation verlange somit, dass der maßgebliche Gesamtbetrag der Einkünfte nach § 8 KBGG jedenfalls für das gesamte Kalenderjahr ermittelt werde, unabhängig davon, ob der Bezugszeitraum in diesem Kalenderjahr für ein oder mehrere Kinder erfolge. Selbst wenn man sich der Auffassung anschließen sollte, nach der der maßgebliche Gesamtbetrag der Einkünfte nach § 8 KBGG für den Bezugszeitraum jedes Kindes gesondert zu ermitteln sei, wäre im konkreten Fall die Überschreitung der Zuverdienstgrenze mit weniger als 15 % geringfügig und auch unvorhersehbar iSd § 1 lit a der KBGG‑Härtefälle‑Verordnung. Eine unvorhersehbare Überschreitung der Zuverdienstgrenze liege nicht nur dann vor, wenn die Einkommenshöhe unvorhersehbar sei, sondern auch, wenn eine bestimmte Rechtsauslegung gewählt werde, die zur Überschreitung der Zuverdienstgrenze führe. Die Klägerin habe weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus den Informationen der beklagten Partei ableiten können oder müssen, dass die Zuverdienstgrenze mit dem Bezugszeitraum jedes einzelnen Kindes getrennt zu berechnen sei. Für sie sei daher unvorhersehbar gewesen, dass die von ihr gewählte Berechnungsweise (im Sinn einer Gesamtbetrachtung für das ganze Kalenderjahr) unrichtig sein sollte.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, dass es das Klagebegehren, es werde festgestellt, dass der von der beklagten Partei erhobene Anspruch auf Rückersatz des an die Klägerin für den Zeitraum 28. 7. 2007 bis 31. 12. 2007 ausbezahlten Kinderbetreuungsgeldes in der Höhe von 2.281,21 EUR nicht zu Recht bestehe, abwies. Die Klägerin sei schuldig, der beklagten Partei 2.281,21 EUR in fünf monatlichen Teilbeträgen von je 400 EUR sowie einen sechsten Teilbetrag in Höhe von 281,21 EUR jeweils am Monatsersten ab dem der Rechtskraft dieser Entscheidung folgenden Monatsersten zu bezahlen. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil zur Auslegung des für die Ermittlung der maßgeblichen Einkünfte nach § 8 Abs 1 KBGG maßgeblichen „Anspruchszeitraumes“ bei mehrfachem Kinderbetreuungs-geldbezug in einem Kalenderjahr keine oberstgerichtliche Rechtsprechung vorliege. Rechtlich ging das Berufungsgericht davon aus, dass der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld spätestens mit einem neuen Anspruch für ein weiteres Kind ende. Das Kinderbetreuungsgeld gebühre für das jeweils jüngste Kind, also für das Kind, das den höchsten Betreuungsaufwand verursache. Für ältere Kinder habe der Gesetzgeber keine Veranlassung gesehen, zusätzlich zu anderen Familienleistungen und Beihilfen auch noch Leistungen nach dem KBGG vorzusehen. Das Gesetz sehe demnach keinen gleichzeitigen Bezug von Kinderbetreuungsgeld für mehrere (nacheinander geborene) Kinder vor. Die Anspruchsvoraussetzung der Einhaltung der sogenannten Zuverdienstgrenze ‑ auch bei einem sukzessiven Bezug von Kinderbetreuungsgeld für mehrere Kinder ‑ sei bei jedem Antrag bzw Kinderbetreuungsgeldbezug gesondert zu prüfen. Die Zuverdienstgrenze sei in § 2 Abs 1 Z 3 KBGG geregelt, diese Norm verweise zur Ermittlung des Gesamtbetrags der maßgeblichen Einkünfte ausdrücklich auf § 8 Abs 1 KBGG. Nach § 8 Abs 1 Z 1 KBGG in seiner Stammfassung (ebenso auch in der aktuellen Fassung) sei für die Ermittlung des Gesamtbetrags der maßgeblichen Einkünfte von jenen Einkünften auszugehen, die während der Kalendermonate mit Anspruch auf Auszahlung des Kinderbetreuungsgeldes (Anspruchszeitraum) erzielt werden. Eine grammatikalische, systematische und auch teleologische Interpretation zeige, dass es ausschließlich auf Einkünfte und deren Höhe in dem Zeitraum ankommen solle, in dem das beantragte ‑ hinsichtlich der Einhaltung der Zuverdienstgrenze zu prüfende ‑ Kinderbetreuungsgeld bezogen wurde. Es wäre systemwidrig, bei einer antragsbezogenen Leistung, die nur für ein Kind gewährt und bezogen werden könne, bei der nachträglich vorzunehmenden Prüfung der Einhaltung der Zuverdienstgrenze verschiedene Leistungsanträge und Leistungsbezüge zu vermengen. Bei der Berechnung der Zuverdienstgrenze sei daher auch bei (sukzessivem) Bezug von Kinderbetreuungsgeld während eines Kalenderjahrs für verschiedene Kinder stets von dem Bezugszeitraum für das Kind auszugehen, für das gerade Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld bestehe. Die Berücksichtigung der nur im betreffenden Bezugszeitraum erzielten Einkünfte führe naturgemäß zu einem anderen jährlichen Gesamtbetrag der maßgeblichen Einkünfte als die Zugrundelegung der verschieden hohen Einkünfte aus mehreren Bezugszeiträumen. Die Berücksichtigung mehrerer Bezugszeiträume könne sich jedoch abhängig von der Höhe und Dauer der Einkünfte nicht nur zu Gunsten, sondern auch zu Lasten der Leistungsbezieherin auswirken. Eine unsachliche und damit gleichheitswidrige Regelung sei in der vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Bezugnahme auf den Anspruchszeitraum für das betreffende Kinderbetreuungsgeld nicht zu erkennen. Die Klägerin habe im Bezugszeitraum des zurückgeforderten Kinderbetreuungsgeldes demnach Einkünfte in einem Gesamtbetrag von 16.346,14 EUR erzielt und damit die für das Jahr 2007 geltende Zuverdienstgrenze von 14.600 EUR überschritten. Gemäß § 1 lit a der auf Anspruchsüberprüfungen der Kalenderjahre 2002 bis 2007 weiterhin anzuwendenden KBGG‑Härtefälle‑Verordnung sei im Falle einer geringfügigen und unvorhersehbaren Überschreitung der Zuverdienstgrenze auf die Rückforderung zu verzichten. Eine geringfügige Überschreitung liege vor, wenn der Grenzbetrag des § 2 Abs 1 Z 3 KBGG um nicht mehr als 15 % überstiegen werde. Wenngleich die maßgeblichen Einkünfte der Klägerin für das Jahr 2007 die Zuverdienstgrenze von 14.600 EUR jedenfalls um nicht mehr als 15 % übersteigen (14.600 EUR + 15 % = 16.790 EUR), sei eine durch eine unrichtige Rechtsauskunft oder eine nicht vorwerfbare unrichtige Berechnung des maßgebenden Gesamtbetrags der Einkünfte hervorgerufene Überschreitung der Zuverdienstgrenze nicht „unvorhersehbar“ im Sinne der KBGG‑Härtefälle‑Verordnung. Bestehe eine Rückersatzpflicht nach dem KBGG, habe das Gericht die Leistungsfrist unter Berücksichtigung der Familien‑, Einkommens‑ und Vermögensverhältnisse des Leistungsbeziehers nach Billigkeit zu bestimmen. Unter Berücksichtigung der Höhe der Rückersatzverpflichtung sowie der Einkommensverhältnisse der Klägerin erscheine eine Rückzahlungsverpflichtung in fünf monatlichen Raten angemessen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der klagenden Partei mit dem Antrag, das der Klage stattgebende Ersturteil wiederherzustellen.

Die beklagte Partei beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Die Revisionswerberin macht im Wesentlichen geltend, entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts habe der Antrag auf Kinderbetreuungsgeld für das zweite Kind keinen eigenen, gesondert zu betrachtenden Anspruchszeitraum ausgelöst. Ob sich der Anspruchszeitraum auf den Bezug von Kinderbetreuungsgeld für dasselbe Kind oder das erste und ein nachfolgend geborenes zweites Kind beziehe, werde in § 8 KBGG nicht zum Ausdruck gebracht. Auch aus § 4 KBGG sei nichts anderes abzuleiten. Dort werde lediglich das Antragsprinzip normiert, aber kein Gleichklang zwischen Anspruchsdauer pro Kind und Ermittlungsperiode der Zuverdienstgrenze (nach § 8 KBGG) hergestellt. Hätte der Gesetzgeber im Fall der Geburt eines weiteren Kindes innerhalb eines Kalenderjahrs eine gesonderte Betrachtungsweise gewollt, hätte er eine entsprechende Regelung schaffen müssen. Es sei nicht einsichtig, dass durch die Geburt des zweiten Kindes während des Bezugszeitraums für das erste Kind infolge des neu auf das Kalenderjahr hochzurechnenden Zeitraums eine Überschreitung der Zuverdienstgrenze entstehen würde, die bei Fortbezug für dasselbe Kind nicht entstanden wäre. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Interpretation sei wegen der daraus sich ergebenden Benachteiligung von Mehrkindfamilien verfassungswidrig. Ein „Härtefall“ nach der KBGG‑Härtefälle‑Verordnung sei gegeben, weil die Klägerin ihrer Überprüfungspflicht hinsichtlich der zu erwartenden Einkünfte auf Grundlage des ihr von der beklagten Partei zur Verfügung gestellten Informationsblattes nachgekommen sei. Erst im Jahr 2008 sei in diese Unterlage ein eigener Hinweis darauf aufgenommen worden, nach dem bei Bezug für zwei Kinder „der maßgebliche Gesamtbetrag der Einkünfte für jedes Kind gesondert zu ermitteln“ sei.

Rechtliche Beurteilung

Dazu ist auszuführen:

1. Nach § 2 Abs 1 Z 3 KBGG (id Stammfassung BGBl I 2001/103 sowie in der hier anzuwendenden Fassung BGBl I 2006/168) hatte ein Elternteil Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld, wenn der maßgebliche Gesamtbetrag der Einkünfte (§ 8 KBGG) einen Grenzbetrag von 14.600 EUR nicht übersteigt („Zuverdienstgrenze“).

2. Wie sich aus dem in § 2 Abs 1 Z 3 KBGG enthaltenen Verweis ergibt, hat die Ermittlung des maßgeblichen Gesamtbetrags der Einkünfte nach § 8 KBGG zu erfolgen. Nach dieser Regelung ist der maßgebliche Gesamtbetrag der Einkünfte wie folgt zu errechnen:

Soweit im Gesamtbetrag der Einkünfte gemäß § 2 Abs 2 des Einkommenssteuergesetzes 1988 solche aus nichtselbstständiger Arbeit (§ 25 EStG 1988) enthalten sind, ist von jenen Einkünften auszugehen, die während der Kalendermonate mit Anspruch auf Auszahlung des Kinderbetreuungsgeldes (Anspruchszeitraum) zugeflossen sind. Sonstige Bezüge iSd § 67 EStG 1988 bleiben außer Ansatz. Der danach ermittelte Betrag ist um 30 % zu erhöhen und sodann auf einen Jahresbetrag umzurechnen.

3. Entscheidend ist, ob der Gesamtbetrag der Einkünfte der Klägerin (§ 8 KBGG) im Jahr 2007 den maßgebenden Grenzbetrag von 14.600 EUR (§ 2 Abs 1 Z 3 KBGG) überschritten hat. War dies der Fall, ist die Klägerin zum Ersatz des vom 28. 7. 2007 bis 31. 12. 2007 zuerkannten Kinderbetreuungsgeldes für das zweitgeborene Kind T***** in Höhe von insgesamt 2.281,21 EUR verpflichtet, wenn nicht ein Härtefall iSd § 1 lit a der Härtefälle‑Verordnung BGBl II 2004/91 vorliegt. Strittig ist, ob bei der Ermittlung des maßgeblichen Gesamtbetrags der Einkünfte gemäß § 8 Abs 1 Z 1 KBGG nur die für diesen Zeitraum ‑ also für fünf Monate ‑ bezogenen Einkünfte auf das gesamte Kalenderjahr 2007 hochzurechnen sind, oder ob bei dieser Berechnung auch die im Kalenderjahr 2007 gelegenen Bezugszeiten von Kinderbetreuungsgeld für das erstgeborene Kind B***** (1. 1. 2007 bis 31. 5. 2007) ‑ in der Dauer von weiteren fünf Monaten ‑ zu berücksichtigen sind.

4. Im Hinblick auf die §§ 4 und 5 Abs 5 KBGG und nach dem Zweck der Zuverdienstgrenze ist diese Frage im Sinne der Beurteilung des Berufungsgerichts zu beantworten:

4.1. Nach § 4 Abs 1 KBGG gebührt das Kinderbetreuungsgeld nur auf Antrag und zwar frühestens ab der Geburt des Kindes. Der Anspruch endet spätestens mit einem neuen Anspruch für ein weiteres Kind (§ 5 Abs 5 KBGG idF BGBl I 21/2007). Dies bedeutet, dass bei nachfolgenden Geburten während des Kinderbetreuungsgeldbezugszeitraums der Anspruch für das zuerst geborene Kind spätestens mit dem Tag endet, welcher der Geburt des nachfolgenden Kindes vorangeht. Ab dem Tag der Geburt des nachfolgenden Kindes beginnt ein neuer Anspruch für dieses weitere Kind. Der Gesetzgeber ging somit davon aus, dass das Kinderbetreuungsgeld für das jeweils jüngste Kind gebühren soll, also für das Kind, das den höchsten Betreuungsaufwand verursacht (10 ObS 118/07m mwN). Im vorliegenden Fall endet der Anspruch der Klägerin auf Kinderbetreuungsgeld für ihren erstgeborenen Sohn B***** mit dem der Geburt des jüngeren Sohnes T***** vorangehenden Tag (dem 31. 5. 2007). Es bestehen somit für beide Kinder getrennt zu betrachtende Ansprüche.

4.2. Nach seinem Wortlaut könnte man den Satzteil in § 8 Abs 1 Z 1 KBGG „... ist von jenen Einkünften auszugehen, die während der Kalendermonate mit Anspruch auf Auszahlung des Kinderbetreuungsgeldes (Anspruchszeitraum) zugeflossen sind“ auch dahin verstehen, dass für die Frage der Überschreitung der Zuverdienstgrenze nach § 2 Abs 1 Z 3 KBGG sämtliche im Kalenderjahr befindlichen Bezugszeiträume gemeinsam ‑ also auch die Bezugszeiten für das erstgeborene Kind B***** vom 1. 1. 2007 bis 31. 5. 2007 zu berücksichtigen sind. Bei der Auslegung von Gesetzen ist aber nicht am Sinn der einzelnen Worte zu haften, sondern sind für das Verständnis einer Norm auch andere Gesetzesregeln heranzuziehen (systematische Auslegung). Aus dem Gesamtzusammenhang ergibt sich, dass die von der Revisionswerberin vertretene Auslegung nicht haltbar ist. Sie ist mit den §§ 4 und 5 KBGG, nach denen der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld nicht als einheitlicher Anspruch für mehrere Kinder, sondern separat bezogen auf das jeweilige Kind zu sehen ist, nicht vereinbar. Es wäre systemwidrig, bei einer antragsbezogenen Leistung, die immer nur für ein ‑ das jüngere ‑ Kind gewährt und bezogen wird, bei der nachträglich vorzunehmenden Prüfung der Einhaltung der Zuverdienstgrenze den Leistungsantrag bzw ‑bezug auch für das ältere Kind zu berücksichtigen, für das kein Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld mehr besteht. Da bei der Auslegung von Gesetzen immer jener Bedeutung der Vorzug zu geben ist, die die Gesamtregelung konsequent erscheinen lässt, ist bei der Berechnung der Zuverdienstgrenze auch bei (sukzessivem) Bezug von Kinderbetreuungsgeld während eines Kalenderjahrs für verschiedene Kinder stets von dem Bezugszeitraum für das Kind auszugehen, für das gerade Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld besteht.

4.3. Die von der Revisionswerberin verfochtene Ansicht läuft zudem der Funktion des Grenzbetrags zuwider. Zielsetzung des KBGG ist, das Kinderbetreuungsgeld nur jenen Eltern(teilen) zu gewähren, die bereit sind, die Berufstätigkeit im Hinblick auf die Kinderbetreuung einzuschränken. Die „Zuverdienstgrenze“ ist daher als Maßstab für die Bereitschaft der Einschränkung der Berufstätigkeit zugunsten der Betreuungsleistung oder ‑ anders betrachtet ‑ für die Bereitschaft (und Möglichkeit) zur Kinderbetreuung zu sehen (10 ObS 173/10d, SSV‑NF 25/2 mwN). Die von der Revisionswerberin vertretene Auffassung bedeutete demgegenüber, dass sie ihre nach der Geburt des zweiten Kindes erzielten (höheren) Einkünfte auf die vor dieser Geburt liegenden Anspruchszeiträume auf Kinderbetreuungsgeld für das erste Kind (in denen keine bzw nur geringe Einkünfte liegen) so verteilen könnte, dass ihr Anspruch für das zweite Kind doch bestünde. Ein derartiges Ergebnis entspricht nicht den Intentionen des Gesetzgebers.

5. Bedenken an der Verfassungsgemäßheit der für jedes Kind gesonderten Ermittlung des maßgeblichen Gesamtbetrags der Einkünfte bestehen nicht:

Wie bereits ausgeführt, endet der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld spätestens mit einem neuen Anspruch für ein weiteres Kind (§ 5 Abs 5 KBGG idF BGBl I 2007/21). Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 4. 10. 2006, G 43/06 ua (VfSlg 17.954 = DRdA 2007/47, 468 [Pfeil]) in dieser Regelung keine Verfassungswidrigkeit (Gleichheitswidrigkeit) erblickt. Auch wenn die Betreuungsleistung und der finanzielle Aufwand für mehrere Kinder höher ist, muss der Gesetzgeber nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofs die Höhe der Leistung im Einzelfall oder für bestimmte Fallgruppen nicht unterschiedlich bemessen. Auch in seinem weiteren Erkenntnis vom 15. 3. 2007, G 81/06 ua (VfSlg 18.109), hielt der Verfassungsgerichtshof das Prinzip des § 5 Abs 5 KBGG, wonach auch bei knapp hintereinander geborenen Kindern das Kinderbetreuungsgeld zusätzlich zu anderen Familienleistungen (Familienbeihilfe ...) nur für das jüngste Kind, das im Allgemeinen den höchsten Betreuungsaufwand verursacht, gebührt, an sich und auch im Hinblick auf die Bevorzugung von Mehrlingsgeburten für verfassungsmäßig. Ausgehend von dieser Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs hat auch der Oberste Gerichtshof in mehreren Entscheidungen den Anspruchsverlust für das ältere Kind bei Geburt eines weiteren Kindes bejaht (RIS‑Justiz RS0120660) und keinen Anlass für eine neuerliche Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof gesehen. Dies auch nicht nach Änderung des § 5 Abs 5 KBGG durch das BGBl I 2007/76 (10 ObS 121/11h). Die im vorliegenden Fall gegen die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung des § 8 KBGG vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken einer nachteiligen Behandlung von Mehrkindfamilien bilden im Hinblick auf die zitierte Judikatur des Verfassungsgerichtshofs und den grundsätzlich weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Gewährung von Familienleistungen somit keinen Anlass für die Einleitung eines neuerlichen Gesetzesprüfungsverfahrens.

6. Zur KBGG‑Härtefälle‑Verordnung idF BGBl II 2004/91:

6.1. Nach § 1 lit a KBGG‑Härtefälle-Verordnung gelten ‑ für Anspruchsüberprüfungen der Kalenderjahre 2002 bis 2007 (§ 49 Abs 15 KBGG) ‑ als Härtefälle nur Fälle einer bloß geringfügigen Überschreitung der Zuverdienstgrenze um nicht mehr als 15 %, wenn die Überschreitung zugleich unvorhersehbar war. Die Fragen der Unvorhersehbarkeit der Überschreitung der Zuverdienstgrenze und des zumutbaren Sorgfaltsmaßstabs können nach ständiger Rechtsprechung nur einzelfallbezogen gelöst werden (RIS‑Justiz RS0124751 [T2]) und bilden daher grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (10 ObS 16/12v uva).

6.2. Nach § 31 Abs 2 letzter Satz KBGG ist der Empfänger einer Leistung nach diesem Bundesgesetz auch dann zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn sich ohne dessen Verschulden aufgrund des von der Abgabenbehörde an die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse übermittelten Gesamtbetrags der Einkünfte ergibt, dass die Leistung nicht oder nicht in diesem Umfang gebührt hat. Dieser von einem Verschulden des Leistungsempfängers unabhängige Rückforderungstatbestand stellt somit ausschließlich auf die objektive Überschreitung der Zuverdienst‑ bzw Freigrenze, die an Hand der Meldung der Einkunftsdaten durch die Abgabenbehörde an die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse ermittelt wird, ab. Gegen eine solche vom Verschulden unabhängige Rückzahlungsverpflichtung auf der dargestellten Grundlage bestehen grundsätzlich auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken (VfGH 26. 2. 2009, G 128/08 ua, VfSlg 18.705).

6.3. Vor diesem Hintergrund hat der Oberste Gerichtshof bereits Leitlinien für die Beurteilung der Unvorhersehbarkeit iSd § 1 lit a KBGG‑Härtefälle‑Verordnung aufgestellt, denen das Berufungsgericht gefolgt ist. Das Kriterium der Unvorhersehbarkeit ist nach der Rechtsprechung erfüllt, wenn die Überschreitung der Zuverdienstgrenze trotz Anlegung eines zumutbaren Sorgfaltsmaßstabs nicht erkannt werden konnte. Den Leistungsempfänger trifft aber eine Überprüfungspflicht hinsichtlich der Höhe der zu erwartenden Einkünfte (RIS‑Justiz RS0124751). Dem Einwand eines unverschuldeten Rechtsirrtums durch die Klägerin ist entgegenzuhalten, dass nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs im Zusammenhang mit dem verschuldensunabhängigen Rückforderungstatbestand des § 31 Abs 2 letzter Satz KBGG auch eine durch eine unrichtige Rechtsauskunft oder durch eine nicht vorwerfbare unrichtige Berechnung des maßgebenden Gesamtbetrags der Einkünfte hervorgerufene geringfügige Überschreitung der Zuverdienstgrenze nicht die für die Anwendung der Härtefalleregelung erforderliche „Unvorhersehbarkeit“ der Überschreitung der Zuverdienstgrenze zu begründen vermag (RIS‑Justiz RS0124751 [T8]). Dazu kann auf die ebenfalls zutreffenden Erwägungen des Berufungsgerichts verwiesen werden.

Die Revision der Klägerin bleibt somit erfolglos.

Die Kostenentscheidung hinsichtlich der Klägerin beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Berücksichtigungswürdige Umstände, die einen ausnahmsweisen Kostenersatzanspruch nach Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden nicht geltend gemacht und sind aus der Aktenlage nicht ersichtlich. Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung gemäß § 77 Abs 1 Z 1 ASGG selbst zu tragen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte