OGH 9Ob16/14i

OGH9Ob16/14i25.3.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner als weitere Richter in der Obsorgesache des minderjährigen F***** K*****, geboren am ***** 2009, *****, über den Revisionsrekurs des Vaters D***** W*****, vertreten durch Dr. Krückl, Rechtsanwaltspartnerschaft in Linz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom 10. Dezember 2013, GZ 21 R 284/13h‑58, mit dem der Rekurs des Vaters gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Vöcklabruck vom 18. September 2013, GZ 40 Ps 97/12p‑50, zurückgewiesen wurden, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0090OB00016.14I.0325.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Rekursgerichts wird ersatzlos aufgehoben und dem Rekursgericht die Entscheidung über den Rekurs unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

 

Begründung:

Der Minderjährige wurde am ***** 2009 als uneheliches Kind geboren. Die Eltern trennten sich im Oktober 2010 und der Minderjährige wurde in der Folge von seiner Mutter betreut. Am 17. Mai 2011 beantragte der Vater, der Mutter die Obsorge zu entziehen und diese ihm alleine zu übertragen. Die Eltern vereinbarten am 20. Juni 2012 in einer vom Pflegschaftsgericht genehmigten Vereinbarung, die gemeinsame Obsorge mit hauptsächlichem Aufenthalt des Minderjährigen beim Vater, wobei der Mutter ein Besuchsrecht eingeräumt wurde. Der Minderjährige befand sich dann seit Juni 2012 bei seinem Vater, der mit seiner Ehefrau und deren aus einer früheren Beziehung geborenen Tochter zusammenlebte. Die „Stiefmutter“ betreute ihn großteils und konnte eine gute Beziehung zum Minderjährigen aufbauen.

Im Mai 2013 übersiedelte die Stiefmutter zu ihrem neuen Lebensgefährten, betreute den Minderjährigen jedoch auch nach ihrem Auszug weiter und nahm ihn auch in ihre neue Wohnung.

Im Juli 2013 wurde die Ehe des Vaters mit der Stiefmutter rechtskräftig geschieden. Der Jugendwohlfahrtsträger traf im August 2013 eine Interimsmaßnahme iSd § 211 Abs 1 ABGB und brachte den Minderjährigen in einem Landeskinderheim unter.

Der Jugendwohlfahrtsträger beantragte, ihn mit der Pflege und Erziehung zu betrauen. Der Vater und die Stiefmutter beantragten, die Obsorge der Stiefmutter zu übertragen. Die leibliche Mutter erklärte sich mit einer vorübergehenden Übertragung der Obsorge an die Stiefmutter einverstanden.

Das Erstgericht traf noch umfangreiche Feststellungen zur Betreuungssituation des Minderjährigen.

Das Erstgericht ging rechtlich zusammengefasst davon aus, dass der Minderjährige an einem Entwicklungsrückstand leidet, die Mutter mit der Betreuung des Minderjährigen überfordert ist und auch der Vater dazu nicht geeignet ist. Die Stiefmutter habe zwar eine gute Beziehung zum Minderjährigen, sei jedoch nicht in der Lage, die notwendige Stabilität zu bieten. Darüber hinaus sei es zu Spannungen zwischen dem Vater und der Stiefmutter in Bezug auf das Kontaktrecht gekommen. Eine Übertragung der Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung an die Stiefmutter entspreche daher nicht dem Wohl des Minderjährigen, obwohl dessen Beziehung zu ihr stabil sei. Die Eltern seien nur deshalb mit der Übertragung an die Stiefmutter einverstanden gewesen, um eine Fremdunterbringung zu vermeiden. Das Erstgericht genehmigte daher die Maßnahme nach § 211 Abs 1 zweiter Satz ABGB, entzog den leiblichen Eltern die Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung und wies den Antrag der Stiefmutter, ihr die Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung zu übertragen, ab.

Gegen diesen Beschluss wendete sich der Rekurs des Vaters, in dem er den Beschluss in seinem gesamten Umfang bekämpfte und beantragte, ihn dahin abzuändern, dass die Obsorge über den Minderjährigen hinsichtlich Pflege und Erziehung an die Stiefmutter übertragen werde; hilfsweise stellte der Vater einen Aufhebungsantrag. Die Begründung des Rekurses lässt sich dahin zusammenfassen, dass das Verfahren mangelhaft geblieben sei, da das Gericht den Minderjährigen weder persönlich noch durch eine entsprechende Einrichtung gehört habe. Auch sei die rechtliche Beurteilung unrichtig, da im Ergebnis eine Kindeswohlgefährdung nicht nachgewiesen sei. Hinsichtlich der Übertragung der Obsorge an die Stiefmutter sei deren Ablehnung nicht nachvollziehbar. Diese habe sich immer um das Wohl des Minderjährigen gesorgt und eine intakte Beziehung zu diesem. Auch habe sich deren Lebenssituation stabilisiert. Mit der Unterbringung im Heim sei eine gesundheitsbezogene Versorgung und Betreuung des Kindes nicht gewährleistet. Das Erstgericht habe es unterlassen, eine entsprechende Zukunftsprognose anzustellen.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Rekursgericht den Rekurs des Kindesvaters zurück. Es ging dabei zusammengefasst davon aus, dass der Vater den Rekurs im eigenen Namen erhebe, sich aber nicht dagegen wende, dass ihm die Obsorge entzogen worden sei. Eine gemeinsame Obsorge mit dem Stiefelternteil sei auch nicht zulässig. Eine Wertung des Rekurses als Rekurs des gesetzlichen Vertreters des Kindes sei nicht möglich, da der Vater die Entziehung der Obsorge ihm gegenüber ja nicht bekämpfe. Die Stiefmutter selbst habe den Beschluss nicht bekämpft. Eine Übertragung der Obsorge an die Stiefmutter als Pflegeelternteil sei nur dann möglich, wenn das Pflegeverhältnis nicht nur für kurze Zeit beabsichtigt sei und die Übertragung dem Wohl des Kindes entspreche. Dazu seien unter anderem die Eltern zu hören und hätten ein „Vetorecht“. Parteien im Adoptionsverfahren seien nur die Vertragsparteien sowie jene Personen, denen nach den §§ 195, 196 ABGB Zustimmungs- und Äußerungsrechte zukommen. Die Rechtsmittellegitimation bestehe nur nach Maßgabe von deren materiell‑rechtlicher Stellung. Jenem Elternteil, der der Adoption zugestimmt habe, fehle aber die Beschwer gegen eine abweisende Entscheidung der beantragten Adoption. Dies habe aber auch hier zu gelten. Die Versagung der Bewilligung der Übertragung der Obsorge an einen Pflegeelternteil könne durch jenen Elternteil, der der Übertragung zugestimmt habe, nicht bekämpft werden. Die Übertragung der Obsorgerechte und Obsorgepflichten durch die Eltern auf die Pflegeeltern sei nicht zulässig. Zwar könnte bei gemeinsamer Obsorge der leiblichen Eltern ein Elternteil einen Antrag stellen, die Obsorge allein dem anderen obsorgeberechtigten Elternteil zuzuweisen, nicht aber ein leiblicher Elternteil hinsichtlich eines „Stiefelternteils“.

Den ordentlichen Revisionsrekurs erachtete das Rekursgericht als zulässig, weil in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob ein Rekurs des Vaters, der die Übertragung der Obsorge an die Stiefmutter beantragt hat, gegen die ablehnende Entscheidung im eigenen Namen zulässig ist, nicht vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluss erhobene Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig und auch berechtigt.

I. § 204 ABGB ordnet ganz allgemein an, dass nur dann, wenn nach dem dritten Hauptstück weder Eltern noch Großeltern oder Pflegeeltern mit der Obsorge betraut sind oder betraut werden können und kein Fall des § 207 ABGB vorliegt, das Gericht unter Beachtung des Wohls des Kindes eine geeignete „ andere “ (fremde) Person mit der Obsorge zu betrauen hat. Diese Bestimmung (vgl § 187 ABGB vor dem Kindschafts‑ und Namensrechts-Änderungsgesetz 2013) bringt klar zum Ausdruck, dass primär die Obsorge durch Eltern, Großeltern oder Pflegeeltern zu erfolgen hat (vgl etwa Hopf in KBB³ § 187 Rz 2; Kathrein in Fenyves/Kerschner/Vonklich , Klang ³ § 187 Rz 12; Deixler-Hübner in Kletečka/Schauer ABGB‑ON § 185 Rz 1). Mit diesem Vorrang der leiblichen Eltern, Adoptiveltern und Pflegeeltern wird auch dem Recht nach Art 8 MRK auf Schutz des Privat‑ und Familienlebens Rechnung getragen (vgl dazu auch Walter/Mayer/Kucsko/Stadlmayer Bundesverfassungsrecht 10 , 697 f; Grabenwarter/Pabel , Europäische Menschenrechtskonvention 5 , 235 ff [237]; Grabenwarter/Holoubeck Verfassungsrecht² Rz 466 ff; allgemein Berka Verfassungsrecht 5 , 474 ff; Öhlinger/Eberhard Verfassungsrecht 9 , 384).

II. Im Revisionsrekurs releviert nun der Vater, dass er den Beschluss des Erstgerichts zur Gänze angefochten habe und der Rekurs auch im Namen des Kindes erhoben worden sei. Es gehe darum, dass zwischen dem Minderjährigen und der Stiefmutter eine Mutter‑Kind‑Beziehung bestehe und es im Interesse des Minderjährigen erforderlich sei, die beantragte Übertragung der Obsorge an die Stiefmutter zu bewilligen und nicht primär an die Jugendwohlfahrtsträger.

III. Diese Ausführungen sind berechtigt:

III.1. Auch im Verfahren außer Streitsachen muss ein Rechtsschutzinteresse an der inhaltlichen Behandlung des Rechtsmittels bestehen. Fehlt ein solches Anfechtungsinteresse (Beschwer), ist ein Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen (RIS‑Justiz RS0006880, RS0006598).

III. 2. Bei der Beschwer unterscheidet man die formelle Beschwer und die materielle Beschwer (RIS‑Justiz RS0041868). Der Rechtsmittelwerber muss jedenfalls formell beschwert sein ( EKodek in Rechberger , ZPO³ Vor § 461 Rz 10), also die gefällte Entscheidung zum Nachteil des Rechtsmittelwerbers von seinem Antrag abweichen (RIS‑Justiz RS0041868 [T5]; Zechner in Fasching/Konecny² IV/1 Vor §§ 514 ff ZPO Rz 58 mwN; Mayr/Fucik , Verfahren außer Streitsachen [2013] Rz 259 ff). Darüber hinaus setzt die Zulässigkeit eines Rechtsmittels aber auch die materielle Beschwer des Rechtsmittelwerbers voraus, also die Möglichkeit der Beeinträchtigung seiner Rechtssphäre durch die angefochtene Entscheidung (vgl RIS‑Justiz RS0014466; RS0006529).

III. 3. Die Eltern können zwar durch Vereinbarung die faktische Ausübung der Obsorge ganz oder teilweise übertragen, nicht aber die Obsorgerechte und -pflichten (7 Ob 10/13s unter Hinweis auf Fischer/Czermak in Kletečka/Schauer , ABGB‑ON 1.00 § 137a [aF] Rz 2). Es entspricht der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass die Versagung der Bewilligung der Adoption in Rechte des zustimmenden Elternteils nicht eingreift und es diesem daher mangels Beschwer an der Rechtsmittelbefugnis fehlt (RIS‑Justiz RS0014466; Höllwerth in Schwimann , ABGB I § 181 Rz 3).

III. 4. Entscheidend ist aber, dass der Vater jedenfalls zutreffend releviert, dass er den Rekurs auch als gesetzlicher Vertreter erhoben hat. Der Oberste Gerichtshof hat in einer ähnlichen Konstellation im Zusammenhang mit einer Adoption zu 2 Ob 220/12k darauf hingewiesen, dass dann, wenn leibliche Eltern im Interesse des Minderjährigen agieren, sie auch als dessen gesetzliche Vertreter auftreten. Ihr Einschreiten kann daher sinnvollerweise nur dahin gedeutet werden, dass sie als gesetzliche Vertreter des Kindes tätig werden.

Genau davon ist auch hier auszugehen. Geht es dem Vater doch im Wesentlichen nicht um die Wahrung der eigenen Interessen, sondern um die Wahrung des Wohles des Kindes, wenn er geltend macht, dass dieses bei der das Kind schon länger betreuenden Stiefmutter, zu der es auch eine intakte persönliche Beziehung hat, besser aufgehoben ist als bei „anderen“ Personen ‑ hier in einem Heim.

Im Ergebnis ist daher die Rekurslegitimation des leiblichen Vaters als Vertreter des Kindes hier zu bejahen. Dementsprechend war der den Rekurs des Vaters zurückweisende Beschluss des Rekursgerichts ersatzlos zu beheben und dem Rekursgericht die Entscheidung in der Sache aufzutragen.

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