OGH 9Ob3/14b

OGH9Ob3/14b26.2.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer, sowie die Hofrätin Dr. Dehn und den Hofrat Dr. Hargassner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Ralph Mayer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei K***** B*****, vertreten durch Dr. Walter Lichal, Rechtsanwalt in Wien, wegen 11.867,69 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 26. Juni 2013, GZ 4 R 72/13g‑11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 11. Dezember 2012, GZ 35 Cg 44/12b‑7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0090OB00003.14B.0226.000

 

Spruch:

I. Die Bezeichnung der klagenden Partei wird von „W***** GmbH“ auf „W***** GmbH“ berichtigt.

II. Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 698,70 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

I. Nach der am 23. 7. 2013 von der Generalversammlung der klagenden Partei beschlossenen und am 27. 7. 2013 zu FN ***** im Firmenbuch eingetragenen Änderung des Gesellschaftsvertrags wurde der Firmenwortlaut der klagenden Partei von „W***** GmbH“ auf „W***** GmbH“ geändert. Die Parteienbezeichnung war daher gemäß § 235 Abs 5 ZPO von Amts wegen zu berichtigen.

II. Die Beklagte schloss mit der Klägerin als Netzbetreiberin am 15. 1. 2008 einen Netznutzungsvertrag für ihr Sonnenstudio in Wien ab.

Nachdem bei der Jahresablesung am 31. 10. 2010 festgestellt wurde, dass die Jahresabrechnungsleistung die Anmeldeleistung in der Anlage überschritten hatte, schrieb die Klägerin der Beklagten mit Rechnung vom 6. 12. 2011 ein Netzbereitstellungsentgelt von 11.867,69 EUR brutto für die Erhöhung des Strombezugsrechts von 10 kW auf 52 kW zur Zahlung vor.

Die Beklagte wandte sich daraufhin am 23. 1. 2012 an die Regulierungskommission der Energie‑Control Austria für die Regulierung der Elektrizitäts‑ und Erdgaswirtschaft (in weiterer Folge: Regulierungsbehörde) mit dem Antrag, festzustellen, dass die seitens der Klägerin geltend gemachte Forderung in Höhe von 11.867,69 EUR nicht bestehe. Diesen Antrag wies die Regulierungskommission mit Bescheid vom 14. 3. 2012, R STR 01/12, ab. Die Beklagte brachte innerhalb der vierwöchigen Frist des § 12 Abs 4 Energie‑Control‑Gesetzes (E‑ControlG, BGBl I 2010/110) keine Klage gegen diesen Bescheid bei Gericht ein.

Die Klägerin begehrt die Zahlung von 11.867,69 EUR an Netzbereitstellungsentgelt gemäß der Rechnung vom 6. 12. 2011.

Die Beklagte wandte dagegen, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, ein, dass sie das Sonnenstudio gutgläubig übernommen habe und die Forderung verjährt sei. Gegen den abweisenden Bescheid der Regulierungsbehörde habe sie nur deshalb nicht den Rechtsweg beschritten, weil sie eine ähnliche Klage eingebracht habe, die mit der Begründung, es bestehe kein Feststellungsinteresse, weil eine Leistungsklage möglich gewesen wäre, abgewiesen worden sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Beklagte habe gegen den Bescheid der Regulierungsbehörde keine Klage innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Frist eingebracht, sodass dieser in Rechtskraft erwachsen sei. Das Gericht sei an diesen Bescheid, in dem die Verwaltungsbehörde den Sachverhalt materiell geprüft habe, gebunden.

Das Berufungsgericht gab der von der Beklagten gegen dieses Urteil erhobenen Berufung nicht Folge. Für Klagen der Netzzugangsberechtigten wegen einer Streitigkeit iSd § 22 Abs 2 Z 1 ElWOG sei zwingend ein Verwaltungsverfahren vor der Regulierungsbehörde dem gerichtlichen Verfahren vorgeschaltet und damit eine sukzessive Kompetenz der ordentlichen Gerichte vorgesehen. Der Beklagten sei es daher nicht freigestanden, anstelle ihres Antrags an die Regulierungsbehörde sofort eine negative Feststellungsklage bei Gericht einzubringen; eine solche wäre wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückzuweisen gewesen. Die Gerichte seien an rechtskräftige Bescheide der Verwaltungsbehörden gebunden, eine inhaltliche Prüfung sei ihnen nicht möglich. Mangels fristgerechter Anrufung des Gerichts durch die Beklagte iSd § 12 Abs 4 E‑ControlG sei eine nochmalige Überprüfung der von der Beklagten bereits vor der Regulierungsbehörde erhobenen und von dieser geprüften Einwendungen gegen die Berechtigung der Vorschreibung des hier in Rede stehenden Netzbereitstellungsentgelts im gerichtlichen Verfahren daher nicht möglich. Die Voraussetzungen für eine materielle Bindungswirkung lägen auch dann vor, wenn das Begehren das begriffliche Gegenteil des bereits rechtskräftig entschiedenen Anspruchs sei. Das Ausmaß der Bindungswirkung werde zwar durch den Spruch bestimmt, jedoch seien auch die Entscheidungsgründe zur Auslegung und Individualisierung des rechtskräftig entschiedenen Anspruchs heranzuziehen. Ein abweisendes Urteil eines Vorprozesses könne trotz mangelnder Identität des Begehrens bindende Wirkung im Folgeprozess entfalten, wenn Parteien und rechtserzeugender Inhalt ident seien und beide Verfahren in einem so engen Zusammenhang stehen, dass die Gebote der Rechtssicherheit und Entscheidungsharmonie eine widersprechende Beantwortung derselben in beiden Fällen entscheidenden Rechtsfrage nicht gestatten. Diese Grundsätze seien auch hier anzuwenden, sodass dem Argument der Beklagten, die Regulierungsbehörde habe lediglich ihren Antrag auf Feststellung der fehlenden Berechtigung der Forderung der Klägerin abgewiesen, weshalb diese nun im gerichtlichen Verfahren zu prüfen sei, keine Berechtigung zukomme. Die Höhe des Klagebegehrens habe die Beklagte darüber hinaus nicht substantiiert bestritten.

Das Berufungsgericht sprach die Zulassung der Revision aus, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Bindungswirkung von Feststellungsbescheiden der Regulierungsbehörde gemäß § 22 Abs 2 Z 1 ElWOG 2010 fehle.

Die dagegen von der Beklagten erhobene Revision ist fristgerecht. Die Beklagte hat den Antrag auf Beigebung eines Verfahrenshilfeanwalts unstrittig innerhalb der Berufungsfrist gestellt. Die dadurch gemäß § 464 Abs 3 ZPO bewirkte Unterbrechung der Berufungsfrist kommt der Partei nach dem Schutzzweck dieser Bestimmung auch dann zustatten, wenn sie ‑ wie hier ‑ bei Stellung des Antrags auf Verfahrenshilfe noch durch einen frei gewählten Rechtsanwalt vertreten ist (RIS‑Justiz RS0041652 [T3]; E. Kodek in Rechberger, ZPO³ § 464 Rz 4).

Die Revision ist jedoch entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch unzulässig. Die Zurückweisung der Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

1. Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung liegt dann keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn das Gesetz selbst eine klare, eindeutige Regelung trifft (RIS‑Justiz RS0042656), was hier der Fall ist.

2. § 22 ElWOG 2010, BGBl I 2010/110 lautet auszugsweise:

Streitbeilegungsverfahren

§ 22 (1) […]

(2) In allen übrigen Streitigkeiten zwischen

1. Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern über die aus diesem Verhältnis entspringenden Verpflichtungen,

[…]

entscheiden die Gerichte. Eine Klage eines Netzzugangsberechtigten gemäß Z 1 […] kann erst nach Zustellung des Bescheides der Regulierungsbehörde im Streitschlichtungsverfahren innerhalb der in § 12 Abs 4 E‑ControlG vorgesehenen Frist eingebracht werden. Falls ein Verfahren gemäß Z 1 bei der Regulierungsbehörde anhängig ist, kann bis zu dessen Abschluss in gleicher Sache kein Gerichtsverfahren anhängig gemacht werden.

[…]“

§ 12 E‑ControlG in der hier noch anwendbaren Fassung BGBl I 2011/107 lautet auszugsweise:

Aufgaben der Regulierungskommission

§ 12 (1) ( Verfassungsbestimmung ) Die Regulierungskommission der E‑Control ist zur bescheidmäßigen Erledigung folgender Aufgaben zuständig:

[…]

2. die Schlichtung von sonstigen Streitigkeiten gemäß § 22 Abs 2 ElWOG 2010 […];

[…]

(4) ( Verfassungsbestimmung ) Die Partei, die sich mit Entscheidungen gemäß Abs 1 Z 2 und 3 nicht zufrieden gibt, kann die Sache innerhalb von vier Wochen nach Zustellung des Bescheides bei dem zuständigen ordentlichen Gericht anhängig machen. Mit der rechtskräftigen Entscheidung des Gerichts tritt die Entscheidung der Regulierungskommission außer Kraft. Die Entscheidung über einen Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung gegen den Ablauf der Anrufungsfrist obliegt dem Gericht; der Wiedereinsetzungsantrag ist unmittelbar bei Gericht anzubringen.“

3. Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass das in den § 22 Abs 2 ElWOG 2010 iVm § 12 Abs 4 E‑ControlG normierte Streitbeilegungsverfahren einen Fall der sogenannten sukzessiven Gerichtszuständigkeit darstellt, ist zutreffend und wird von der Revisionswerberin, die sich mit diesen Bestimmungen in ihrer Rechtsmittelschrift nicht auseinandersetzt, auch nicht in Frage gestellt (RIS‑Justiz RS0119839; vgl nur Würthinger, Systemnutzungstarife für Elektrizitätsnetze, 94 f zur vergleichbaren Bestimmung des früheren § 21 Abs 2 ElWOG 2000, BGBl I 2000/121). Die Zuständigkeit des Gerichts zur Entscheidung in der Sache ist daher nur dann gegeben, wenn es innerhalb der von § 12 Abs 4 E‑ControlG vorgesehenen Frist angerufen wird. Wird das Gericht im Rahmen der sukzessiven Kompetenz innerhalb der Frist des § 12 Abs 4 E‑ControlG angerufen, so hat es die der Regulierungsbehörde zur Streitbeilegung vorgelegte Streitigkeit im Sinn des § 22 Abs 2 ElWOG 2010 selbständig zu beurteilen. Wird aber, was hier unstrittig der Fall war, das Gericht nicht innerhalb dieser Frist angerufen, so erwächst der Bescheid der Regulierungsbehörde unangefochten in Rechtskraft. Die ordentlichen Gerichte sind an rechtskräftige Bescheide der Verwaltungsbehörden nach ständiger Rechtsprechung gebunden, eine inhaltliche Überprüfung des Verwaltungsbescheids durch das Gericht hat nicht stattzufinden (RIS‑Justiz RS0036981; RS0036880). Die Rechtskraft des Bescheids der Regulierungsbehörde vom 14. 3. 2012 steht daher einer neuerlichen Beurteilung desselben Anspruchs im Gerichtsverfahren entgegen (4 Ob 135/08v). Daran ändert, worauf das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen hat, der durch die verfahrensrechtlichen Bestimmungen vorgegebene Umstand, dass die Regulierungsbehörde über den negativen Feststellungsantrag der Beklagten als Antragstellerin zu entscheiden hatte, nichts (RIS‑Justiz RS0041331; RS0041157; RS0039157). Soweit daher die geltend gemachte Forderung auch noch in der Revision inhaltlich bestritten wird, zeigt die Revisionswerberin keine erhebliche Rechtsfrage auf.

4. Das erstmals in der Revision erstattete Vorbringen, die Regulierungskommission sei keine Behörde (vgl aber nur §§ 22 Abs 1, 89 ElWOG 2010 sowie zB VfGH V 22/12 ua), verstößt gegen das Neuerungsverbot des § 482 ZPO und ist daher unbeachtlich.

5. Auf die in der Revision aufgeworfene Frage, ob das Verfahren vor der Regulierungsbehörde nach Ablauf und gesetzlicher Ausgestaltung dem Schlichtungsstellenverfahren nach dem MRG entspreche, kommt es zur Beurteilung der Bindungswirkung nach den hier anzuwendenden Bestimmungen nicht an. Lediglich der Vollständigkeit halber ist der Revisionswerberin aber entgegenzuhalten, dass sich die zwingende Anrufung der Regulierungsbehörde gerade in einem Fall wie dem hier vorliegenden gemäß § 22 Abs 2 letzter Satz ElWOG 2010 ergibt. Verfahrensvorschriften für das Verfahren vor der Regulierungsbehörde ergeben sich entgegen den Behauptungen der Revisionswerberin aus den gemäß § 26 Abs 5 E‑ControlG erlassenen und im Internet veröffentlichten Verfahrensrichtlinien (www.e ‑control.at).

Mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO war die Revision daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO, die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (RIS‑Justiz RS0035979).

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