OGH 10Ob10/14i

OGH10Ob10/14i25.2.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj A*****, geboren am 10. Mai 2006, vertreten durch das Land Wien als Kinder‑ und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie ‑ Rechtsvertretung, Bezirke 3 und 11, 1030 Wien, Karl‑Borromäus‑Platz 3), wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 18. September 2013, GZ 42 R 249/13y‑39, womit infolge Rekurses des Minderjährigen der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 9. April 2013, GZ 96 Pu 27/13f‑31, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0100OB00010.14I.0225.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Rekurs des Minderjährigen zurückgewiesen wird.

 

Begründung:

In dem am 16. 5. 2011 vor dem Bezirksgericht Bruck an der Leitha abgeschlossenen Scheidungsvergleich (3 Fam 37/11y‑2) verpflichtete sich der Vater, für den minderjährigen A*****, der nunmehr den Familiennamen H***** führt (ON 47), ab 5. 6. 2011 bis zum 6. Lebensjahr monatliche Unterhaltszahlungen von 450 EUR und ab dem 7. Lebensjahr von 750 EUR zu erbringen, wobei davon ausgegangen wurde, dass der Vater 2010 als selbständig Erwerbstätiger über ein durchschnittliches monatliches Bruttoeinkommen von 2.000 EUR verfügt habe, dieses sich jedoch im Jahr 2011 auf 2.500 EUR brutto steigern werde.

Am 26. 3. 2013 beantragte der Vater die Herabsetzung seiner Unterhaltsverpflichtung ab 1. 2. 2013 von 450 EUR auf 143 EUR monatlich, weil er arbeitslos geworden sei und nur 13,86 EUR täglich an Arbeitslosengeld erhalte. Er habe einen Antrag auf Mindestsicherung gestellt, welche voraussichtlich 794,91 EUR monatlich betragen werde. Trotz Belehrung betreffend das Unterhaltsexistenzminimum verzichte er zum Wohle seines Sohnes auf die Berücksichtigung der Belastungsgrenze. Er habe seinen Arbeitsplatz unverschuldet verloren und werde sich bemühen, wieder einen Arbeitsplatz zu erlangen.

Am 9. 4. 2013 beantragte der Minderjährige, vertreten durch seine Mutter E*****, die nunmehr ebenfalls den Familiennamen H***** führt (ON 47), nach ausdrücklicher Kenntnisnahme des Herabsetzungsantrags und Erörterung der Sach‑ und Rechtslage beim Erstgericht die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Höhe von 143 EUR monatlich (ON 29). Am selben Tag gab die Mutter beim Erstgericht zu Protokoll, dass sie der vom Vater beantragten Herabsetzung des Unterhalts nicht zustimme, weil der Vater „schwarz“ arbeite und ein zusätzliches Einkommen habe. Sie wisse aus dem Zugriff auf den Email‑Account des Vaters, dass er für eine „G***** GmbH“ tätig sei. Ob er daraus Einkommen erziele, wisse sie nicht (ON 30).

Das Erstgericht gab mit Beschluss vom 9. 4. 2013 dem Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen vollinhaltlich statt und gewährte dem Minderjährigen Unterhaltvorschüsse vom 1. 4. 2013 bis 31. 3. 2018 in der beantragten Höhe von 143 EUR monatlich.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Minderjährigen Folge. Es sprach aus, dass dem Minderjährigen vom 1. 4. 2013 bis 31. 3. 2018 gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG ein monatlicher Unterhaltsvorschuss in Titelhöhe von 450 EUR gewährt werde, ordnete aber gleichzeitig die Innehaltung der Unterhaltsvorschüsse bis zur Höhe von 143 EUR monatlich an. Es begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass eigentlich das für die Zulässigkeit des Rechtsmittels erforderliche Rechtsmittelinteresse fehle, weil das Erstgericht dem Antrag des Minderjährigen vollinhaltlich stattgegeben habe. Im Rekurs werde jedoch ein Verfahrensmangel dahin geltend gemacht, dass der Mutter bei ihrer Antragstellung aufgrund mangelnder Deutsch‑ und Rechtskenntnisse ein Fehler unterlaufen sei, das Erstgericht diesen Fehler hätte erkennen und die Mutter darauf hinweisen müssen. Es stelle sich daher die Frage, ob der geltend gemachte Verfahrensmangel relevant sei und das Erstgericht dem Minderjährigen ‑ bei anderer Antragstellung ‑ höhere Unterhaltsvorschüsse hätte gewähren können. Das Erstgericht hätte aufgrund der bestehenden Rechtslage und des bestehenden Unterhaltstitels dem Minderjährigen allenfalls auch höhere als die tatsächlich beantragten Unterhaltsvorschüsse zusprechen können. In diesem Sinne könne eine fehlende oder fehlerhafte Anleitung tatsächlich einen relevanten Verfahrensmangel darstellen. Der Minderjährige sei daher so zu stellen, als wäre tatsächlich ein Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen in Höhe von 450 EUR monatlich gestellt worden. Das Rekursgericht gehe davon aus, dass aufgrund der sich aus dem Akt ergebenden Arbeitslosigkeit des Vaters und den hier gegebenen Umständen zwar begründete Bedenken gegen eine Auszahlung des Unterhaltsvorschusses in der Titelhöhe bestünden, sodass mit einer teilweisen Innehaltung iSd § 16 Abs 2 iVm § 20 Abs 2 UVG vorzugehen sei. Diese Umstände reichten jedoch nicht aus, um gemäß § 7 Abs 1 Z 1 UVG den Vorschuss derzeit bereits auch nur teilweise zu versagen, dies insbesondere auch aufgrund des Einwands der Mutter, dass der Vater „schwarz“ arbeite. Dem Minderjährigen seien daher Unterhaltsvorschüsse in jener durch den Titel gedeckten Höhe zu gewähren, in der sie laut Rekurs bei gehöriger Anleitung beantragt worden wären, somit in Höhe von 450 EUR monatlich. Da aber begründete Bedenken bestünden, dass die festgestellte Unterhaltspflicht des Vaters nicht mehr in einer Höhe von 450 EUR monatlich bestehe, sei gleichzeitig eine Innehaltung auf jenen Betrag anzuordnen gewesen, zu dessen Zahlung sich der Vater freiwillig bereit erklärt habe und welcher sogar über der gesetzmäßigen Leistungsfähigkeit bei voller Anerkennung der Arbeitslosigkeit liege.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil ‑ soweit überblickbar ‑ keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu der Frage vorliege, ob eine Erhöhung der gewährten Unterhaltsvorschüsse über das ursprünglich beantragte Ausmaß hinaus aufgrund des geltend gemachten Anleitungsfehlers des Erstgerichts überhaupt vorgenommen werden könne oder ob der Antragsteller allenfalls doch auf einen späteren Erhöhungsantrag zu verweisen sei, wenn über den Herabsetzungsantrag rechtskräftig entschieden worden sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der rechtzeitige Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass der Rekurs des Minderjährigen zurückgewiesen, hilfsweise der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt werde.

Der Kinder‑ und Jugendhilfeträger beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, dem Rechtsmittel keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und auch berechtigt.

Der Revisionsrekurswerber macht geltend, der Minderjährige sei durch den Beschluss des Erstgerichts nicht beschwert, weshalb sein Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen gewesen wäre. Die Geltendmachung eines Verfahrensmangels durch den Rekurswerber setze aber die Zulässigkeit seines Rechtsmittels voraus. Im Übrigen sei ein Zuspruch von Unterhaltsvorschüssen über die vom Minderjährigen ausdrücklich und unmissverständlich beantragte Höhe hinaus nicht zulässig. Schließlich sei das Rekursgericht für die von ihm getroffene Entscheidung insoweit, als mehr als der beantragte Unterhaltsvorschuss zugesprochen worden sei, funktionell unzuständig gewesen. Das Rekursgericht habe außerdem überraschend Neuerungen darstellendes Vorbringen des Rekurswerbers über angebliche Vorgänge in erster Instanz zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht, ohne dem Bund zu dieser Vorgangsweise Gehör zu geben. Insofern liege ein erheblicher Mangel des Rekursverfahrens vor.

Der erkennende Senat hat dazu Folgendes erwogen:

1. Gemäß § 5 Abs 1 UVG sind die Vorschüsse, sofern im Folgenden nicht anderes bestimmt ist, jeweils in der beantragten Höhe bis zu dem im Exekutionstitel festgesetzten Unterhaltsbeitrag zu gewähren. Es darf daher bei „echten“ Titelvorschüssen nach den §§ 3, 4 Z 1 UVG ein Vorschuss das Begehren im Antrag, den Titel, die Obergrenze nach § 6 Abs 1 UVG und die iSd § 7 Abs 1 Z 1 UVG zu beurteilende materiell richtige Höhe nicht überschreiten ( Neumayr in Schwimann/Kodek , ABGB 4 I § 5 UVG Rz 1).

1.1 Im vorliegenden Fall hat der Minderjährige, vertreten durch seine Mutter, selbst nur einen monatlichen Unterhaltsvorschuss gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Höhe von 143 EUR monatlich beantragt (ON 29). Aufgrund des auch im Außerstreitverfahren geltenden Dispositionsgrundsatzes (RIS‑Justiz RS0006259) konnte vom Erstgericht keinesfalls ein höherer Vorschuss zugesprochen werden (vgl 10 Ob 14/10x).

2. Soweit der Minderjährige gegen den seinem Antrag vollinhaltlich stattgebenden Beschluss des Erstgerichts Rekurs erhob und darin im Wesentlichen als Verfahrensmangel geltend machte, seine Mutter verfüge über keine ausreichenden Deutsch‑ und Rechtskenntnisse, sodass für das Erstgericht die Verpflichtung bestanden hätte, sie zu einer Korrektur der Höhe der beantragten Unterhaltsvorschüsse auf 450 EUR monatlich anzuleiten, ist darauf hinzuweisen, dass auch im Außerstreitverfahren das Vorliegen von Beschwer Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels ist (RIS‑Justiz RS0006598). Die Beschwer als Zulässigkeitsvoraussetzung des Rechtsmittels ist vor dessen meritorischer Behandlung zu prüfen (9 Ob 1/03t; 6 Ob 83/01a ua). Formelle Beschwer liegt vor, wenn die Entscheidung von dem ihr zu Grunde liegenden Antrag des Rechtsmittelwerbers zu seinem Nachteil abweicht. In Verfahren, die auf Parteiantrag eingeleitet werden, muss der Antragsteller formell beschwert sein. Das Fehlen der Beschwer ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten. Die Beschwer muss sowohl im Zeitpunkt der Erhebung des Rechtsmittels als auch im Zeitpunkt der Entscheidung darüber vorliegen. Andernfalls ist das Rechtsmittel zurückzuweisen ( Kodek in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG § 45 Rz 50 ff mwN). Liegt kein zulässiges Rechtsmittel vor, dann können auch etwa vorhandene Nichtigkeitsgründe ‑ oder sonstige Verfahrensmängel ‑ nicht wahrgenommen werden (vgl E. Kodek in Rechberger , ZPO³ Vor § 461 Rz 9).

2.1 Die Beschwer fehlt in der Regel für die Bekämpfung einer über Antrag des Rekurswerbers ergangenen antragsgemäßen Entscheidung. Daher ist die Anfechtung eines in einer Pflegschaftssache antragsgemäß ergangenen Beschlusses durch den Antragsteller unzulässig (RIS‑Justiz RS0006471). Eine Rechtsmittelbefugnis gegen Entscheidungen, die einem Antrag vollinhaltlich stattgeben, ist im Verfahren Außerstreitsachen ausnahmsweise dann zu bejahen, wenn die Entscheidung der Parteiendisposition entzogen und von Amts wegen zu treffen ist. Durch Parteiantrag dürfen nämlich nicht gegen zwingendes Recht verstoßende Gerichtsentscheidungen herbeigeführt werden ( Kodek in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG § 45 Rz 53 f mwN).

3. Zutreffend macht der Revisionsrekurswerber geltend, dass sich der Minderjährige als Rekurswerber durch die mit seiner Antragstellung übereinstimmende Entscheidung des Erstgerichts nicht beschwert erachten konnte und es dem Minderjährigen daher an dem für eine meritorische Erledigung seines Rechtsmittels erforderlichen Rechtsschutzinteresse fehlte. Der Minderjährige konnte somit in seinem Rekurs den von ihm behaupteten Verfahrensmangel erster Instanz mangels Beschwer nicht erfolgreich geltend machen.

4. Aus diesem Grund hätte das Rekursgericht den Rekurs des Minderjährigen gegen den Beschluss des Erstgerichts zurückweisen müssen. Dies ist nunmehr aufgrund des Revisionsrekurses des Bundes nachzuholen. Es erübrigt sich daher ein Eingehen auf die weiteren inhaltlichen Ausführungen im Revisionsrekurs.

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