OGH 6Ob12/14d

OGH6Ob12/14d20.2.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Dr. ***** S*****, vertreten durch Stix Rechtsanwälte Kommandit‑Partnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei Verein „V*****“, *****, vertreten durch Dr. Thomas Krankl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung und Widerrufs (Streitwert 8.720 EUR) über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 16. Mai 2013, GZ 21 R 581/13g‑42, womit das Urteil des Bezirksgerichts Tulln vom 6. Juli 2012, GZ 2 C 731/11y‑25, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 744,43 EUR (darin 124,07 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Revision ist entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden ‑ nachträglichen Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig:

Rechtliche Beurteilung

1.1. Ob das Überraschungsverbot iSd §§ 182, 182a ZPO verletzt wurde, ist eine nach den Umständen des Einzelfalls zu lösende Frage, die schon aus diesem Grund keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 ZPO aufwirft (RIS‑Justiz RS0037300 [T31]).

1.2. Das Berufungsgericht erkennt in der Begründung seines nachträglichen Zulässigkeitsausspruchs auch selbst, dass die Rechtsansicht, schon die bloße Behauptung einer Verletzung der Anleitungspflicht durch das Berufungsgericht würde eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufwerfen, nahezu zwangsläufig stets zu einer Zulassung der ordentlichen Revision führen müsste, wenn eine entsprechende Behauptung erhoben wird.

1.3. Damit wird das Berufungsgericht aber der ihm nach § 508 ZPO übertragenen Prüfungspflicht nicht gerecht. Der bloße Umstand, dass dem Berufungsgericht selbst ein Verfahrensverstoß vorgeworfen wird, rechtfertigt als solcher noch nicht die Zulassung der Revision. Im vorliegenden Fall ist in keiner Weise zu erkennen, inwieweit hinter dem angeblichen Verstoß gegen die Anleitungspflicht ein allgemeines, der Klärung durch den Obersten Gerichtshof zugängliches Problem steht, sodass die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs auch eine Orientierung und Leitlinie für vergleichbare Fälle bilden und damit der Rechtsentwicklung dienen könnte, zumal die vermisste Anleitung die Notwendigkeit der Vorlage weiterer Beweismittel, mithin den auch sonst nicht der Kognition des Obersten Gerichtshofs unterliegenden Tatsachenbereich betrifft. Ebensowenig ist erkennbar, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts auf einer groben Verkennung der anzuwendenden Grundsätze beruhte, was ein Einschreiten des Obersten Gerichtshofs im Interesse der Rechtssicherheit erfordern würde.

2.1. Zudem hat schon das Erstgericht im Rahmen der Tatsachenfeststellungen ausdrücklich ausgeführt, dass aus den dem Erstgericht vorliegenden Gutachten der Klägerin jedenfalls die von der beklagten Partei erhobene Behauptung der mangelnden Wissenschaftlichkeit der Gutachten nicht abgeleitet werden kann. Von einer Verletzung der Anleitungspflicht kann in diesem Zusammenhang schon deshalb keine Rede sein, weil jedem Rechtskundigen klar sein muss, dass der Beweis der Richtigkeit der erhobenen Behauptung der Unwissenschaftlichkeit ohne Vorlage der betreffenden Gutachten selbst nicht möglich ist. Der notwendige Schutz der Betroffenen hätte ‑ worauf schon das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen hat ‑ auch durch Vorlage anonymisierter Gutachten gewährleistet werden können. Ergänzend ist auf die Möglichkeit des auszugsweisen Urkundenbeweises nach § 306 ZPO hinzuweisen.

2.2. Zudem läge ‑ hielte man den Hinweis auf die Notwendigkeit einer derartigen Beweismittelvorlage für erforderlich ‑ bereits ein Verstoß des Erstgerichts gegen die Anleitungspflicht vor, sodass die beklagte Partei diesen gemäß § 473a Abs 1 ZPO in der Berufungsbeantwortung zu rügen gehabt hätte.

2.3. Ein Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens, der in der Berufung bzw Berufungsbeantwortung nicht beanstandet wurde, kann aber nach ständiger Rechtsprechung in der Revision nicht mehr geltend gemacht werden (RIS‑Justiz RS0043111). Hat hingegen das Berufungsgericht das Vorliegen eines Verfahrensmangels verneint, so kann dies nach ständiger Rechtsprechung gleichfalls nicht an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden (RIS‑Justiz RS0042963). Zudem hätte nach ständiger Rechtsprechung die Partei, die eine Verletzung der Anleitungspflicht behauptet, in ihrem Rechtsmittel bzw ‑ im vorliegenden Fall ‑ in der Rechtsmittelbeantwortung dartun müssen, welche Behauptungen sie bei entsprechendem Hinweis erhoben hätte bzw die entsprechenden Gutachten vorlegen müssen.

2.4. Im Hinblick auf die zitierte Feststellung gehen aber auch die weiteren Revisionsausführungen ins Leere, wonach der beklagten Partei der Nachweis der Richtigkeit eines wahren Tatsachenkerns gelungen sei.

3.1. In der Auffassung des Berufungsgerichts, das für den durchschnittlichen Leser der Veröffentlichung der beklagten Partei in dieser Mitteilung enthaltene Tatsachensubstrat laute dahingehend, dass die Gutachten der Klägerin unwissenschaftlich seien; hieran ändere die spitzfindig gewählte Formulierung nichts, ist jedenfalls keine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken. Dazu kommt, dass es im vorliegenden Fall nicht um eine „wissenschaftliche“ Tätigkeit der klagenden Partei im Sinne einer originären Forschung, sondern um die richtige Anwendung bekannter Untersuchungs‑ und Explorationsmethoden geht. Die von der beklagten Partei erhobene Behauptung der „Unwissenschaftlichkeit“ der Gutachten der Klägerin suggeriert dem durchschnittlichen Leser, dass damit nicht bloß theoretisch bedeutsame Standards für wissenschaftliche Forschung verletzt würden, sondern dass die Gutachten nicht sorgfaltsgemäß erstattet worden seien und damit keine geeignete Grundlage für eine pflegschaftsgerichtliche Entscheidung bilden könnten. Dass dies tatsächlich der Fall wäre, kann aber ‑ wie die Vorinstanzen zutreffend erkannten ‑ aus den von der beklagten Partei vorgelegten Stellungnahmen von Privatgutachtern, die gerade nicht zu den jeweiligen Anlassfällen Stellung nehmen, sondern sich auf allgemeine methodische Hinweise beschränken, gerade nicht entnommen werden.

3.2. Die Vorgangsweise der beklagten Partei, ohne nähere Anführung von Begleitumständen, die dem Leser eine entsprechende Einschätzung ermöglichten, der klagenden Partei pauschal „Unwissenschaftlichkeit“ ihrer Gutachten zu unterstellen, bedeutet ‑ wie das Berufungsgericht völlig zutreffend erkannt hat ‑ eine schwere Beeinträchtigung der Ehre und des wirtschaftlichen Rufs der Klägerin, die diese nicht hinnehmen muss. Am Schutz gerichtlicher Sachverständiger vor derartigen unsachlichen Anwürfen besteht auch ein besonderes öffentliches Interesse, wäre es doch anderenfalls schwierig, in heiklen Fällen überhaupt geeignete Sachverständige zu finden.

3.3. Völlig zu Recht hat das Berufungsgericht den Vorwurf der Parteilichkeit gegenüber der Klägerin als besonders schwerwiegend betrachtet, zielt er doch direkt und unmittelbar in den Kernbereich der Funktion des Gerichtssachverständigen, diesem entsprechendes Erfahrungswissen zu vermitteln. Uneingeschränkt beizupflichten ist dem Berufungsgericht auch in der Auffassung, dass der Nachweis der Unparteilichkeit nicht durch eine zahlenmäßige Gegenüberstellung von Gutachten, die in die eine oder andere Richtung ausfallen, erfolgen kann. Der Vollständigkeit halber ist schließlich darauf hinzuweisen, dass eine von einer Partei gegen einen Sachverständigen erstattete Strafanzeige als solche noch nicht zur Befangenheit dieses Sachverständigen führen kann, hätte es doch die Partei anderenfalls in der Hand, sich eines unliebsamen Sachverständigen zu entledigen (vgl zur Strafanzeige gegen einen Richter 15 Os 75/05a; Lässig in Wiener Kommentar StPO § 72 Rz 3; vgl auch Rechberger in Fasching/Konecny² § 356 ZPO Rz 5).

4. Zusammenfassend bringt die beklagte Partei sohin keine Rechtsfragen der im § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität zur Darstellung, sodass die Revision spruchgemäß zurückzuweisen war.

5. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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