OGH 9ObA103/13g

OGH9ObA103/13g29.1.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und Mag. Johann Schneller als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A***** K*****, vertreten durch Mag. Thomas Klein, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei H***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Thomas Stampfer, Dr. Christoph Orgler, Rechtsanwälte in Graz, wegen 3.901,99 EUR brutto sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 29. Mai 2013, GZ 7 Ra 6/13a‑36, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Endurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 1. August 2012, GZ 36 Cga 15/10v‑29,in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

I. Die Bezeichnung der beklagten Partei wird von „G***** AG *****“ auf „H***** GmbH“ berichtigt.

II. Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 447,98 EUR (darin 74,66 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

ad I.) Die Beklagte hat im Zuge einer am 29. 6. 2010 beschlossenen Umwandlung gemäß §§ 239 ff AktG ihre Firma geändert (FN *****). Ihre Parteibezeichnung war daher gemäß § 235 Abs 5 ZPO zu berichtigen (4 Ob 226/01s mwH; RIS‑Justiz RS0039530 [T8]).

ad II.) Der am 19. 1. 1954 geborene Kläger war vom 1. 12. 1974 bis zum 30. 9. 2005 im Arbeiterverhältnis bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis ist der Kollektivvertrag für Dienstnehmer der Grazer Verkehrsbetriebe (KV) anwendbar. Seit 1. 10. 2005 befindet sich der Kläger wegen Invalidität in Pension und hat gegenüber der Beklagten aufgrund des Kollektivvertrags Anspruch auf eine Zusatzpension (Ruhegeld, § 223 KV).

Gegenstand des Rechtsstreits ist die Berechnung der Höhe der Zusatzpension. Der Kläger hat 371 Beitragsmonate der Pflichtversicherung bei der Beklagten erworben. Die Berücksichtigung lediglich der vom Kläger bei der Beklagten erworbenen Versicherungszeiten hat im Vergleich zur Berücksichtigung sämtlicher von ihm erworbenen Versicherungszeiten keinen Einfluss auf die Bemessungsgrundlage nach dem ASVG zum Stichtag 1. 10. 2005. Der Kläger trat die Invaliditätspension 13 Jahre und 4 Monate vor dem Erreichen des Regelpensionsalters von 65 Jahren an. Er erreichte am 19. 9. 2012 das Alter von 57 Jahren und 8 Monaten (vgl § 607 Abs 15b ASVG), sodass sich für die Berechnung der Invaliditätspension 72 „Zurechnungsmonate“ (iSd § 261 Abs 3 ASVG) ergeben.

Strittig ist im Revisionsverfahren nur mehr die Frage der Berücksichtigung dieser „Zurechnungsmonate“ für die Berechnung des Ruhegelds nach den Bestimmungen des KV. Die dafür hier maßgeblichen Bestimmungen des KV lauten auszugsweise:

§ 208 Zweck der Pensionseinrichtung

Die „Pensionseinrichtung […]“ hat den Zweck, den Neumitgliedern für den Fall des Alters, der Invalidität (Berufsunfähigkeit) und des Todes nach Maßgabe der Bestimmungen der §§ 220 bis 239 Leistungen zu gewähren, wenn und solange gleichartige Leistungen von den Trägern der gesetzlichen Sozialversicherung nach den darüber bestehenden Vorschriften nicht oder nicht in demselben Ausmaß gebühren.

[...]

§ 213 Pensionseinrichtung und gesetzliche Sozialversicherung

[…]

(3) Die Pensionseinrichtung ergänzt die Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherung für den gleichen Zeitraum und die gleiche Art der Leistung bis zu der in §§ 220 bis 239 festgesetzten Höhe. Sind die Leistungen der Pensionseinrichtung nach §§ 220 bis 239 höher als die im Sinne des Absatzes (5) zeitlich kongruenten Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherung, dann werden die Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherung von den Leistungen der Pensionseinrichtung abgezogen; […]

(4) […]

(5) Gemäß Abs (3) und (4) werden daher die Leistungen der Pensionseinrichtung nach §§ 220 bis 239 gekürzt um

a) jene Leistungen, die sich jeweils bei Anwendung der Vorschriften der gesetzlichen Sozialversicherung einschließlich der §§ 227 bis 299 ASVG, und unter der Annahme der Erfüllung aller gesetzlichen Voraussetzungen für deren Zuerkennung ergeben würden, wenn bei der Berechnung

aa) der Zeitraum einschließlich der neutralen Zeiten nach dem ASVG zugrundegelegt wird, der zwischen dem Tag des Eintritts in den Dienst der Verkehrsbetriebe und dem Tag der Beendigung des Dienstverhältnisses liegt, und

bb) […]

[…]

(6) Soweit die Bestimmungen der §§ 208 bis 239 eine Regelung eines bestimmten Falles oder Tatbestandes nicht enthalten, ist er in sinngemäßer Anwendung der für die Träger der gesetzlichen Sozialversicherung geltenden Bestimmungen und der von ihnen beobachteten Übung zu entscheiden."

Der Kläger begehrt ‑ nach Fällung eines Teilanerkenntnisurteils durch das Erstgericht über 681,73 EUR ‑ die Zahlung von der Höhe nach unstrittigen Differenzbeträgen an Zusatzpension für den Zeitraum Februar 2007 bis Ende Dezember 2009 in Höhe weiterer 3.901,99 EUR brutto sA. Soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung, bringt er zur Berechnung vor, dass bei der Ermittlung der fiktiven ASVG‑Pension, die gemäß § 213 Abs 5 KV auf die Leistungen der Pensionseinrichtung der Beklagten anzurechnen sei, nur auf Monate Bedacht zu nehmen sei, die zwischen Beginn und Ende des Arbeitsverhältnisses liegen, sodass Zurechnungsmonate nicht zu berücksichtigen seien.

Die Beklagte wandte dagegen ein, dass aus § 213 Abs 5 und 6 KV abzuleiten sei, dass die Berechnung der anrechenbaren ASVG‑Pension nach der am Stichtag geltenden Rechtslage durchzuführen sei, sodass auch die auf die Dienstzeit anzurechnenden Zurechnungsmonate voll zu berücksichtigen seien. Diese hätten keinen Einfluss auf die ASVG‑Pensionsbemessungsgrundlage nach dem Kollektivvertrag, sondern wirkten sich nur auf das Ausmaß des Steigerungsbetrags für die Höhe der anrechenbaren ASVG‑Pension aus.

Das Erstgericht wies das nach dem Teilanerkenntnisurteil verbleibende Klagebegehren ab. § 213 Abs 5 KV verweise auf die Vorschriften der gesetzlichen Sozialversicherung. Nach § 261 ASVG orientiere sich die Berechnung der „Zurechnungsmonate“ am Alter des Versicherten zum Stichtag und erfolge unabhängig von den erworbenen Versicherungsmonaten. „Zurechnungsmonate“ hätten nichts mit der Dauer des Arbeitsverhältnisses des Klägers zur Beklagten zu tun, sondern resultierten ausschließlich aus der vorzeitigen Inanspruchnahme der Pensionsleistung. Sie seien daher ebenso wie der in § 261 Abs 4 ASVG normierte Abschlag zur Gänze zu berücksichtigen und vom Ruhegeldanspruch in Abzug zu bringen.

Das Berufungsgericht gab der vom Kläger gegen dieses Urteil erhobenen Berufung nicht Folge. Der Oberste Gerichtshof habe sich mit den hier anzuwendenden Bestimmungen des KV bereits auseinandergesetzt. In der Entscheidung 9 ObA 129/08y habe er darauf hingewiesen, dass die Abschläge für die frühere Inanspruchnahme einer Pension gemäß § 213 Abs 5 lit a KV bei Berechnung der fiktiven ASVG‑Pension zu berücksichtigen seien. In der Entscheidung 9 ObA 82/11s habe er klargestellt, dass die Abschläge nach § 261 Abs 4 ASVG bei der Invaliditätspension vollständig in Abzug zu bringen seien; eine bloß anteilige Berücksichtigung dieser Abschläge könne § 213 Abs 5 lit a sublit aa KV nicht entnommen werden.

Gemäß § 261 Abs 3 ASVG sei bei Inanspruchnahme der Invaliditätspension jeder Monat ab dem Stichtag bis zum Monatsersten nach Vollendung des 60. Lebensjahres bei der Berechnung der Steigerungspunkte gemäß § 261 Abs 2 ASVG einem Versicherungsmonat gleichzuhalten. Durch diese Regelung komme es zur Hinzurechnung von Steigerungspunkten für den Differenzzeitraum zwischen Stichtag und Monatsersten nach Vollendung des 60. Lebensjahres. Sie bezwecke, die durch die vorzeitige Inanspruchnahme einer Pension entstehenden Pensionseinbußen abzuschwächen und beziehe sich daher auf einen Zeitraum nach Pensionsantritt. Die „Zurechnungsmonate“ stünden ebenso wenig in einem Zusammenhang mit der Dauer des Arbeitsverhältnisses wie die in § 261 Abs 4 ASVG normierten Abschläge, die ebenfalls ausschließlich aus der vorzeitigen Inanspruchnahme einer Pensionsleistung resultierten. Bereits die wörtliche Auslegung des § 213 Abs 5 lit a KV führe zu dem Ergebnis, dass nicht nur die Abschläge, sondern auch die „Zurechnungsmonate“ bei Berechnung der fiktiven ASVG‑Pension zu berücksichtigen seien.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil der Auslegung des Kollektivvertrags hier eine den Einzelfall übersteigende Bedeutung zukomme.

Gegen dieses Urteil richtet sich die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurück‑, hilfsweise abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.

1. Der Revisionswerber führt zusammengefasst aus, dass die „Zurechnungsmonate“ zwar notwendig seien, um die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung für die Pension iSd § 213 Abs 5 lit a KV zu erfüllen, sie seien jedoch für die Berechnung der ASVG‑Pensionsbemessungsgrundlage laut KV nicht zu berücksichtigen, weil sie ‑ entgegen § 213 Abs 5 lit a sublit aa KV ‑ nicht zwischen dem Tag des Eintritts und dem Tag der Beendigung des Arbeitsverhältnisses liegen. Bei der Auslegung des KV sei auch auf soziale Aspekte zu achten, die nicht unmittelbar mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder diesem selbst in Verbindung stünden. Gerade im Fall der Invalidität, die regelmäßig mit Pensionseinbußen einhergehe, sollten nach dem Willen der Kollektivvertragsparteien gewisse Nachteile ausgeglichen werden, sodass die Zurechnungsmonate nicht zu berücksichtigen seien.

2. Dem kann zunächst die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts entgegengehalten werden, die zutreffend ist, sodass auf sie verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 ZPO). Ergänzend ist auszuführen:

3. Die Pensionseinrichtung verfolgt gemäß den §§ 208, 213 Abs 3 KV den Zweck, Pensionisten (Neumitgliedern) Leistungen zu gewähren, wenn und solange gleichartige Leistungen von den Trägern der gesetzlichen Sozialversicherung nicht oder nicht in demselben Ausmaß gebühren (§ 213 Abs 3 KV spricht von „zeitlich kongruenten Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherung“). Zur dem § 208 KV inhaltlich vergleichbaren Bestimmung des damaligen § 186 KV führte der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 4 Ob 167/60 (Arb 7.310) aus, dass der Zweck der Pensionseinrichtung nicht darin besteht, den Pensionisten unter allen Umständen Ruhegeldbeträge zukommen zu lassen. Der Ruhegeldanspruch soll vielmehr davon abhängen, ob und in welcher Höhe gleichartige Leistungen von den Trägern der gesetzlichen Sozialversicherung gewährt werden. Sobald daher die gesetzliche Sozialversicherung zur betreffenden Leistung verpflichtet ist, erlischt der Anspruch des Pensionisten gegen die Pensionseinrichtung der Beklagten ganz oder teilweise. Damit übereinstimmend regelt § 213 Abs 5 lit a KV, dass die Leistungen der Pensionseinrichtung um jene gesetzlichen (Pensions‑)Ansprüche gekürzt werden, für deren Zuerkennung der Pensionist die Voraussetzungen erfüllt, und zwar in jener Höhe, die sich nach den Vorschriften des ASVG ergibt.

4. Wie die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben, sind die in der Entscheidung 9 ObA 82/11s dargelegten Grundsätze für die Berechnung der Leistung der Beklagten auch im vorliegenden Fall anzuwenden. Dass hier bei der Berechnung der gesetzlichen Pension der in § 213 Abs 5 lit a sublit aa KV genannte Zeitraum des Arbeitsverhältnisses zugrunde gelegt wurde, ist nicht strittig. Die hier zu beurteilenden „Zurechnungsmonate“ (§ 261 Abs 3 ASVG verwendet diesen Begriff nicht) sind keine zeitraumbezogenen Versicherungsmonate iSd § 213 Abs 5 lit a sublit aa KV. Sie sind gemäß § 261 Abs 3 ASVG lediglich bei der Berechnung der Steigerungspunkte (§ 261 Abs 2 ASVG) Versicherungsmonaten gleichzuhalten. Bei den „Zurechnungsmonaten“ handelt es sich daher um eine rechnerische Größe, die ‑ bis zur Grenze des § 261 Abs 5 ASVG ‑ die Folgen der durch den in § 261 Abs 4 ASVG geregelten Abschlag bewirkten Pensionseinbuße im Fall der vorzeitigen Inanspruchnahme einer Invaliditätspension mildern soll. Der sich unter ihrer Berücksichtigung ergebende gesetzliche Pensionsanspruch kürzt daher die Leistungen der Pensionseinrichtung gemäß § 213 Abs 5 lit a KV. Ebenso wie die Beklagte hinnehmen muss, dass die ‑ lediglich ergänzende (§ 213 Abs 3 KV) ‑ Leistung der Pensionseinrichtung sich infolge der Abschläge gemäß § 261 Abs 4 ASVG erhöht (9 ObA 82/11s), muss der Pensionist hinnehmen, dass der sich infolge der „Zurechnungsmonate“ erhöhende gesetzliche Pensionsanspruch die ergänzende Leistung der Pensionseinrichtung vermindert.

5. Selbst wenn man „Zurechnungsmonate“ iSd § 261 Abs 3 und 5 ASVG als weitere Versicherungszeiten ansehen wollte, so lägen diese ‑ worauf das Berufungsgericht hingewiesen hat ‑ zur Gänze außerhalb des Zeitraums des Arbeitsverhältnisses des Klägers zur Beklagten iSd § 213 Abs 5 lit a sublit aa KV. Das bestreitet der Revisionswerber nicht. Eine Hinzurechnung eines solchen Zeitraums (etwa vergleichbar der in § 213 Abs 5 lit a sublit bb KV enthaltenen Regelung) normiert der KV aber nicht (ungeachtet zwischenzeitig erfolgter anderer Änderungen in § 213 KV, vgl dazu 9 ObA 82/11s).

6. In der Entscheidung 9 ObA 82/11s hat der Oberste Gerichtshof darauf hingewiesen, dass sich gerade auch im Fall der Invalidität aus § 227 KV eine Erhöhung des Anspruchs auf Ruhegeld unabhängig von der tatsächlichen Dauer des Arbeitsverhältnisses ergibt. Daraus ergibt sich, dass die Kollektivvertragsparteien auf soziale Aspekte ‑ insbesondere die Abfederung von Härten ‑ bei Vorliegen von Invalidität oder bestimmten anderen Leidenszuständen Bedacht genommen haben. Das Berufungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass sich daraus aber nicht die vom Kläger gewünschte Auslegung des § 213 Abs 5 lit a KV begründen lässt. Eine Unrichtigkeit dieser Auslegung zeigt der Revisionswerber mit seinem letztlich begründungslosen Hinweis auf die Entscheidung 9 ObA 82/11s nicht auf.

Der Revision ist daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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