OGH 9ObA129/08y

OGH9ObA129/08y30.9.2009

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Mag. Ziegelbauer, die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Johann S*****, vertreten durch Klein, Wuntschek und Partner, Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei G***** AG *****, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl, Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Graz, wegen 4.552,99 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 5. Juni 2008, GZ 7 Ra 34/08m-47, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 15. November 2007, GZ 49 Cga 139/05t-41, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 445,82 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 74,30 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom 16. 9. 1985 bis 31. 5. 2004 bei der Beklagten als Kraftfahrer beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Streitteile war der Kollektivvertrag (KV) für die Dienstnehmer der Verkehrsbetriebe der Grazer Stadtwerke Aktiengesellschaft idF vom 3. 5. 2004 anzuwenden.

Mit Bescheid vom 19. 7. 2004 wurde dem Kläger von der Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau aufgrund seines Antrags vom 1. 10. 2003 rückwirkend ab 1. 12. 2003 eine Invaliditätspension zuerkannt. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass diese Pension erst am 1. 6. 2004, nach Beendigung der Tätigkeit des Klägers für die Beklagte, anfällt.

Die Beklagte erkannte dem Kläger ab 1. 6. 2004 einen Anspruch auf Ruhegeld iSd § 223 KV in der unstrittigen Höhe von 986,65 EUR zu. Strittig ist zwischen den Streitteilen im Verfahren jedoch die Höhe der nach dem KV vorzunehmenden Abzüge anrechenbarer Leistungen in der gesetzlichen Sozialversicherung.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger nach mehrfacher Ausdehnung zusammengefasst die Differenz zwischen der ihm von der Beklagten seit 1. 12. 2004 tatsächlich monatlich bezahlten Zusatzpension und der seiner Berechnung nach zustehenden Zusatzpension. Bei der Berechnung der fiktiven gesetzlichen Pension sei von der unstrittigen Bemessungsgrundlage per 1. 6. 2004 mit 2.150,73 EUR sowie der Dauer des Arbeitsverhältnisses auszugehen. Die sich daraus errechnende fiktive Invaliditätspension sei geringer als das ihm zustehende Ruhegeld nach dem Kollektivvertrag, sodass die Differenz von der Beklagten geschuldet sei.

Die Beklagte wandte gegen das Klagebegehren zusammengefasst ein, dass die von ihr tatsächlich bezahlte Zuschusspension zutreffend errechnet sei. Für die Berechnung der fiktiv abzuziehenden Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherung könne gemäß § 213 Abs 5 KV nur die gesetzliche Regelpension herangezogen werden, nicht aber eine solche Pension, die der Kläger allenfalls wegen fehlender Zeiten vor Antritt des Dienstes oder wegen Invalidität erhalte. Nur der Beschäftigungszeitraum des Klägers bei der Beklagten solle bei Erfüllung aller gesetzlichen Voraussetzungen verglichen werden. Dies sei aber nicht möglich, wenn man jene Abschläge heranziehe, die dem Kläger etwa aufgrund der Inanspruchnahme der Invaliditätspension zustünden. Jede andere Auslegung des Kollektivvertrags führe zum Ergebnis, dass fehlende Zeiten vor Antritt des Dienstes zu Lasten der Beklagten gingen und zu einer Erhöhung der Zahlungspflicht im Rahmen der Zusatzpension führen müssten.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Gemäß § 213 Abs 3 KV ergänze die Pensionseinrichtung der Beklagten die Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherung für den gleichen Zeitraum und die gleiche Art der Leistung bis zur Höhe des Ruhegeldes. Sei das Ruhegeld höher als die im Sinn des § 213 Abs 5 KV zeitlich kongruenten Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherung, so seien diese vom Ruhegeld abzuziehen. Die anrechenbaren Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherung seien wegen § 213 Abs 5 KV zeitlich von den tatsächlichen Leistungen der gesetzlichen Pensionsversicherung entkoppelt. Für die Berechnung der anrechenbaren Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherung seien daher die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen Ende als Stichtag maßgeblich. Die sich daraus errechnende fiktive Invaliditätspension unterliege ab dem dem Stichtag zweitfolgenden Kalenderjahr der Pensionsanpassung, wobei der KV hiefür keine eigene Regelung vorsehe. Gemäß § 213 Abs 6 KV sei die Regelung eines bestimmten Falls oder Tatbestands, sofern sie nicht durch die §§ 208 bis 239 KV vorgenommen werde, in sinngemäßer Anwendung der für die Träger der gesetzlichen Sozialversicherung geltenden Bestimmungen und der von ihnen beobachteten Übung zu entscheiden. Dem Umstand der Pensionsanpassung sei daher entsprechend der Verordnung des Bundesministeriums für Soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz (BGBl II 2004/460; II 2005/374; II 2006/434) Rechnung zu tragen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der Kollektivvertrag sei gemäß §§ 6, 7 ABGB nach seinem objektiven Inhalt auszulegen. § 213 Abs 3 KV stelle grundsätzlich auf die gleiche Art der Leistung ab, sodass im vorliegenden Fall von der Invaliditätspension auszugehen sei. Die Kürzungsbestimmung des § 213 Abs 5 lit a KV schränke ausschließlich den Zeitraum der Vergleichsberechnung auf jenen der Dauer des Beschäftigungsverhältnisses bei der Beklagten ein. § 213 Abs 6 KV verweise auf die sinngemäße Anwendung der für die Träger der gesetzlichen Sozialversicherung geltenden Bestimmungen und der von ihnen beobachteten Übung. Keinesfalls hätten die Kollektivvertragspartner vereinbart, dass in jedem Fall der Vergleichsberechnung von der Regelpension auszugehen sei. Schon bei der Berechnung des Ruhegelds sei von der Dauer des Arbeitsverhältnisses bei der Beklagten auszugehen, dies treffe auch für die Berechnung der abzuziehenden gesetzlichen Pensionsleistungen zu. Darüber hinaus sehe § 227 Abs 1 KV Sonderregelungen für Invalidität oder Berufsunfähigkeit in besonderen Fällen unabhängig von der Dauer des Beschäftigungsverhältnisses vor, sodass es auch in diesem Zusammenhang zu einer Erhöhung der Leistung der Pensionseinrichtung kommen könne. Es könne daher davon ausgegangen werden, dass die Kollektivvertragspartner in Fällen der Invalidität oder Berufsunfähigkeit einen sozialen Ausgleich in Betracht zogen und damit nicht nur die von der Beklagten aufgezeigte Betriebstreue abgelten wollten. Eine ungerechtfertigte Bevorzugung des Klägers sei nicht gegeben.

Im Hinblick auf die den Einzelfall übersteigende Bedeutung der Frage der Auslegung des Kollektivvertrags zur Berechnung des Zusatzpensionsanspruchs (Ruhegelds) erklärte das Berufungsgericht die ordentliche Revision als zulässig.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klageabweisenden Sinn abzuändern, hilfsweise aufzuheben.

Der Kläger beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.

Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts ist zutreffend, sodass gemäß § 510 Abs 3 ZPO auf sie verwiesen werden kann. Ergänzend ist der Revisionswerberin entgegenzuhalten, dass die Vorinstanzen ohnehin bei der Berechnung der vom Ruhegeld abzuziehenden fiktiven gesetzlichen Pensionsleistungen vom Zeitraum der Beschäftigung des Klägers bei der Beklagten ausgingen. Keinesfalls hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass „Invalide aus sozialen Gesichtspunkten mehr erhalten sollen".

Den Kollektivvertragsparteien kann grundsätzlich unterstellt werden, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen wollten (RIS-Justiz RS0008828). Unstrittig gelten für den Kläger als Neumitglied die Bestimmungen der §§ 208 ff KV. Die Pensionseinrichtung der Beklagten hat gemäß § 208 KV den Zweck, den Neumitgliedern für den Fall des Alters, der Invalidität (Berufsunfähigkeit) und des Todes nach Maßgabe der Bestimmungen der §§ 220 bis 239 KV Leistungen zu gewähren, wenn und solange gleichartige Leistungen von den Trägern der gesetzlichen Sozialversicherung nach den darüber bestehenden Vorschriften nicht oder nicht in demselben Ausmaß gebühren. Schon aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt sich, dass Ruhegeld gemäß § 223 KV zu gewähren ist, soweit nicht der Träger der gesetzlichen Sozialversicherung eine gleichartige Leistung erbringt. Gemäß § 213 Abs 3 KV ergänzt die Pensionseinrichtung der Beklagten die Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherung für den gleichen Zeitraum und die gleiche Art der Leistung bis zur - hier unstrittigen - Höhe des Ruhegelds.

§ 213 KV lautet auszugsweise (Unterstreichungen durch den Senat):

„ [...]

(3) Die Pensionseinrichtung ergänzt die Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherung für den gleichen Zeitraum und die gleiche Art der Leistung bis zu der in §§ 220 bis 239 festgesetzten Höhe. [...]

(4) [...]

(5) Gemäß Abs (3) und (4) werden daher die Leistungen der Pensionseinrichtung nach §§ 220 bis 239 gekürzt um

a) jene Leistungen, die sich jeweils bei Anwendung der Vorschriften der gesetzlichen Sozialversicherung einschließlich der §§ 227 bis 299 ASVG, und unter der Annahme der Erfüllung aller gesetzlichen Voraussetzungen für deren Zuerkennung ergeben würden, wenn bei der Berechnung

aa) der Zeitraum einschließlich der neutralen Zeiten nach dem ASVG zugrundegelegt wird, der zwischen dem Tag des Eintritts in den Dienst der Verkehrsbetriebe und dem Tag der Beendigung des Dienstverhältnisses liegt, und

bb) [...]

(6) Soweit die Bestimmungen der §§ 208 bis 239 eine Regelung eines bestimmten Falles oder Tatbestandes nicht enthalten, ist er in sinngemäßer Anwendung der für die Träger der gesetzlichen Sozialversicherung geltenden Bestimmungen und der von ihnen beobachteten Übung zu entscheiden."

Damit haben die Parteien des Kollektivvertrags schon bei einer wörtlichen Auslegung entgegen der Rechtsansicht der Revisionswerberin auch die Frage der Berücksichtigung von Abschlägen für die frühere Inanspruchnahme einer Pension berücksichtigt (arg: „jeweils bei Anwendung der Vorschriften der gesetzlichen Sozialversicherung"). Im Revisionsverfahren unbeachtliche Neuerungen enthält das Vorbringen der Revisionswerberin, dass die Rechtsansicht des Berufungsgerichts zu einer nicht gerechtfertigten Bevorzugung von Pensionisten, die eine vorzeitige Pension in Anspruch nehmen, gegenüber solchen, die die Alterspension in Anspruch nehmen zur Folge hätte, und dass § 588 Abs 9 ASVG im konkreten Fall nur anwendbar gewesen sei, weil der Kläger „92 ausländische Versicherungsmonate" aus einem früheren Beschäftigungsverhältnis aufgewiesen habe. Wie ausgeführt lagen der Berechnung des vom Ruhegeld vorzunehmenden Abzugs an Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherung nach den Feststellungen der Vorinstanzen nur die zum Stichtag 1. 6. 2004 im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses des Klägers zur Beklagten erworbenen Anwartschaftszeiten zugrunde.

Der Revision war daher nicht Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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