OGH 1Ob229/13b

OGH1Ob229/13b19.12.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei A***** E*****, vertreten durch Dr. Christian Kleinszig und Dr. Christian Puswald, Rechtsanwälte in St. Veit an der Glan, gegen die gefährdende Partei H***** E*****, vertreten durch Dr. Elmar Ther, Rechtsanwalt in Villach, wegen einstweiliger Regelung der Benützung (§ 382 Z 8 lit c EO), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 23. Oktober 2013, GZ 2 R 217/13h‑10, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Villach vom 2. Juli 2013, GZ 2 C 27/13t‑5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Die Rechtsprechung zur Frage, ob gegen eine einstweilige Verfügung gemäß § 382 Z 8 lit c EO ein außerordentlicher Revisionsrekurs erhoben werden kann, ist uneinheitlich. Zu den nach dieser Gesetzesstelle in Betracht kommenden Sicherungsverfügungen wird überwiegend judiziert, dass ein außerordentlicher Revisionsrekurs gemäß §§ 402 Abs 4, 78 EO iVm §§ 528 Abs 3, 505 Abs 4 ZPO in „familienrechtlichen Angelegenheiten“ nach § 502 Abs 5 ZPO einschließlich einstweiliger Verfügungen zur Sicherung des Aufteilungsanspruchs erhoben werden kann (1 Ob 160/01p; 2 Ob 186/07b; 6 Ob 153/09g). Entsprechendes wurde in einem Provisorialverfahren vertreten, in dem die Scheidungsbeklagte eine einstweilige Verfügung zur Sicherung ihres Aufteilungsanspruchs bzw zur Sicherung ihres dringenden Wohnbedürfnisses an der Ehewohnung begehrt hatte, wobei ausgesprochen wurde, Gegenstand der angefochtenen Entscheidung seien eherechtliche Ansprüche nach § 49 Abs 2 Z 2b JN (4 Ob 206/07h). Andererseits wurde vereinzelt (9 Ob 115/06m) die Auffassung vertreten, die einstweilige Verfügung nach § 382 Z 8 lit c EO unterliege gemäß § 402 Abs 4 und § 78 EO den Anfechtungsbeschränkungen des § 528 Abs 2 ZPO, wobei nach § 528 Abs 2 Z 1a ZPO in den dort geregelten Fällen ‑ das Rekursgericht hatte im Sinn der ersten Alternative bewertet ‑ (nur) ein Antrag an das Rekursgericht auf nachträgliche Zulässigerklärung des Revisionsrekurses in Betracht käme. Der erkennende Senat schließt sich aus den im Folgenden darzulegenden Erwägungen der überwiegenden Judikatur ‑ auch für Regelungsverfügungen nach § 382 Z 8 lit c EO ‑ an, zumal aus der zuletzt genannten abweichenden Entscheidung auch nicht ersichtlich ist, warum darin auf die Ausnahmebestimmung des § 528 Abs 3 ZPO nicht eingegangen worden ist.

Der Gesetzgeber hat sich dazu entschieden, für das Rechtsmittelverfahren über Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung ausschließlich auf das Rekurs‑ und Revisionsrekursrecht der ZPO zu verweisen, obwohl einstweilige Verfügungen auch im Zusammenhang mit Materien in Betracht kommen, die an sich im außerstreitigen Verfahren zu behandeln sind (vgl dazu nur 3 Ob 631/80 = EF‑Slg 37.083; 6 Ob 560/85 = EF‑Slg 49.638; RIS‑Justiz RS0005028; E. Kodek in Angst, EO² § 378a Rz 1). Die weiteren Verweise innerhalb der ZPO selbst bzw auf das streitige Verfahren betreffende Normen der JN können daher Materien des Außerstreitverfahrens nicht explizit erfassen. Die in diesem Fall zu beachtende Verweisungskette (§§ 402 Abs 4, 78 EO, §§ 528 Abs 3, 505 Abs 4, 502 Abs 5 Z 1 ZPO) führt schließlich zu den „in § 49 Abs 2 Z 2a und 2b JN bezeichneten familienrechtlichen Streitigkeiten“, also den ‑ an sich zum streitigen Verfahren gehörigen - Streitigkeiten über die Scheidung, die Aufhebung oder die Nichtigerklärung einer Ehe oder über das Bestehen oder Nichtbestehen einer Ehe zwischen den Parteien (Z 2a) sowie die anderen aus dem gegenseitigen Verhältnis der Ehegatten entspringenden Streitigkeiten (Z 2b). Für den unmittelbaren Anwendungsbereich der erwähnten Bestimmungen der ZPO zum Revisions‑ und Revisionsrekursverfahren hat der Gesetzgeber somit zum Ausdruck gebracht, dass der Zugang zum Obersten Gerichtshof ‑ hier: über ein außerordentliches Rechtsmittel ‑ bei mit bestimmten Rechtsverhältnissen zusammenhängenden Streitigkeiten gegenüber den allgemeinen Vorschriften erleichtert werden soll, wozu etwa die erwähnten Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Verhältnis der (allenfalls ehemaligen) Ehegatten zueinander gehören. Damit steht jedenfalls fest, dass auch für mit derartigen Streitigkeiten im Zusammenhang stehende Provisorialverfahren ‑ über die Verweise in § 402 Abs 4 und § 78 EO ‑ ohne Rücksicht auf den Wert des rekursgerichtlichen Entscheidungsgegenstands ein außerordentlicher Revisionsrekurs erhoben werden kann, wenn das Rekursgericht den (ordentlichen) Revisionsrekurs für nicht zulässig erklärt hat.

Nach Auffassung des erkennenden Senats ist nun aber kein Grund dafür zu sehen, die vom Gesetzgeber angestrebte „Privilegierung“ bei der Bekämpfung von Entscheidungen des Rekursgerichts im Provisorialverfahren auf die an sich im Prozessweg auszutragenden ehelichen Streitigkeiten zu beschränken, solche, die ins Außerstreitverfahren gehören, ‑ oder gar alle Regelungsverfügungen nach § 382 Z 8 lit c EO ‑ hingegen davon auszunehmen (vgl die ähnliche Problematik des einstweiligen Unterhalts zwischen Verwandten in gerader Linie [4 Ob 86/12v = RIS‑Justiz RS0124288 {T3}]). Dass für sämtliche Provisorialverfahren letztlich nur auf „Streitigkeiten“ im Sinne der ZPO verwiesen wird, hat ‑ wie schon eingangs dargelegt ‑ ganz überwiegend gesetzestechnische Gründe. In § 502 Abs 5 ZPO hat der Gesetzgeber aber ganz generell zum Ausdruck gebracht, dass die allgemeinen Schranken für ein Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof in bestimmten Materien nicht gelten sollen, zu denen unter anderem Auseinandersetzungen zählen, die ihre Wurzel im Eheverhältnis der Parteien haben (vgl dazu nur RIS‑Justiz RS0044093). Dies trifft nun zweifellos auch auf einstweilige Verfügungen nach § 382 Z 8 lit c EO zu, die nach der klaren gesetzlichen Anordnung ausschließlich im Zusammenhang mit einem Aufteilungsverfahren oder einem Scheidungs‑, Aufhebungs‑ oder Nichtigerklärungsverfahren erlassen werden können. Mit Recht hat daher schon die bisherige überwiegende Rechtsprechung auch derartige Provisorialverfahren als „familienrechtliche Angelegenheiten nach § 502 Abs 5 ZPO“ qualifiziert.

Damit erweist sich die Rechtsauffassung der gefährdeten Partei, die Entscheidung des Rekursgerichts sei ungeachtet dessen Unzulässigkeitsausspruchs mit außerordentlichem Revisionsrekurs zu bekämpfen, als zutreffend.

2. Es entspricht herrschender Rechtsprechung, dass für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 382 Z 8 lit c erster Fall EO ein besonderes Regelungsbedürfnis des Antragstellers erforderlich ist (RIS‑Justiz RS0006043). Bei der Beurteilung, ob ihm hinsichtlich der vom Antrag erfassten Teile des ehelichen Vermögens (hier: der Ehewohnung) der Vorrang gegenüber dem anderen Ehegatten gebührt, hat eine Abwägung der widerstreitenden Interessen stattzufinden (RIS‑Justiz RS0006039 [T3], RS0006053 [T3]), wobei diese Interessenabwägung von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls abhängig ist und in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage begründet (RIS‑Justiz RS0006053 [T3]). Eine erhebliche Fehlbeurteilung dieser Abwägungsfrage, die vom Obersten Gerichtshof korrigiert werden müsste, ist dem Rekursgericht nicht unterlaufen.

3. Die Behauptung der Revisionsrekurswerberin, sie müsse angesichts ihrer Vermögensverhältnisse damit rechnen, die derzeit bewohnte Mietwohnung zu verlieren, und sei daher der Obdachlosigkeit ausgesetzt, ist mit den Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts nicht in Einklang zu bringen. Danach steht ihr für sich und ihren bei ihr lebenden (zehnjährigen) Sohn ein Betrag von rund 1.540 EUR monatlich zur Verfügung, der sich bei Aufnahme einer (dauerhaften) Berufstätigkeit der gesunden und arbeitsfähigen Antragstellerin noch erhöhen kann. Entgegen der im Revisionsrekurs vertretenen Auffassung kann auch der für den Sohn bezogene Unterhalt anteilig zur Finanzierung der Wohnversorgung herangezogen werden, da mit dem gesetzlichen Unterhalt auch die Kosten der Befriedigung des Wohnbedürfnisses abzudecken sind (RIS‑Justiz RS0125633).

4. Schließlich geht auch das Argument der Revisionsrekurswerberin ins Leere, die einstweilige Zuweisung der bisherigen Ehewohnung wäre deshalb geboten, weil es ansonsten zu einer gravierenden Verschlechterung der Wohnsituation des Sohnes gegenüber der früheren Wohnsituation im gemeinsamen Familienverband käme. Die von ihr dazu ins Treffen geführte Entscheidung zu 1 Ob 6/13h vermag ihren Standpunkt schon deshalb nicht zu stützen, weil es dort darum ging, dass die Antragstellerin als Wohnmöglichkeit für sich und vier Kinder lediglich das Haus ihrer Eltern zur Mitbenützung zur Verfügung gehabt hätte. Hier steht der Antragstellerin und ihrem Sohn eine Mietwohnung mit einer Nutzfläche von rund 55 m² zur Verfügung. Gegenüber der früheren Wohnsituation (nach ihren Behauptungen rund 90 bis 100 m² für drei Personen) fällt in erster Linie nachteilig ins Gewicht, dass der Sohn durch die Übersiedlung die Möglichkeit verloren hat, einen zur bisherigen Ehewohnung gehörenden Garten zu nutzen. Dass das Rekursgericht in diesem Umstand keinen ausreichenden Grund für eine (vorläufige) Zuweisung der bisherigen Ehewohnung an die Antragstellerin gesehen hat, ist keineswegs eine bedenkliche Fehlbeurteilung.

Davon, dass das Rekursgericht zu Unrecht keinen Vergleich mit der bisherigen Wohnsituation angestellt hätte, kann schon deshalb nicht die Rede sein, weil sich schon das Erstgericht mit diesem Problem (Garten) auseinandergesetzt und das Rekursgericht auf die seiner Ansicht nach zutreffende Begründung verwiesen hat.

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