OGH 15Os52/12d

OGH15Os52/12d11.12.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Dezember 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Dr. Michel‑Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Vasak als Schriftführerin in der Strafsache gegen Elisabeth S***** wegen § 188 StGB, AZ 112 E Hv 144/10g des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über den Antrag der Verurteilten auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Aicher, der Antragstellerin und ihres Verteidigers Dr. Rami zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0150OS00052.12D.1211.000

 

Spruch:

 

Dem Antrag auf Erneuerung wird nicht Folge gegeben.

 

Gründe:

Elisabeth S***** wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 15. Februar 2011, GZ 112 E Hv 144/10g-30, der Vergehen der Herabwürdigung religiöser Lehren nach § 188 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe in der Höhe von 120 Tagessätzen zu je 4 Euro (insgesamt 480 Euro), im Fall der Uneinbringlichkeit zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 60 Tagen verurteilt.

Danach hat sie in Wien öffentlich eine Person, die den Gegenstand der Verehrung einer im Inland bestehenden Kirche oder Religionsgesellschaft bildet, nämlich den Propheten Mohammed, unter Umständen herabgewürdigt oder verspottet, unter denen ihr Verhalten geeignet war, berechtigtes Ärgernis zu erregen, indem sie vor insgesamt 32 Personen im Rahmen ihrer Vorträge in der „Seminarreihe Islam“ folgende sinngemäße Äußerungen tätigte, und zwar

I./ am 15. Oktober 2009:

1./ Eines der großen Probleme, die wir heute haben, ist, dass Mohammed als der ideale Mann, der perfekte Mensch, der perfekte Muslim gesehen wird. Das heißt, das oberste Gebot für einen männlichen Moslem ist es, Mohammed nachzumachen, sein Leben zu leben. Das läuft nicht nach unseren sozialen Standards und Gesetzen ab. Weil er war ein Kriegsherr, hatte einen relativ großen Frauenverschleiß, um das jetzt einmal so auszudrücken, hatte nun mal gerne mit Kindern ein bisschen was. Und er war nach unseren Begriffen kein perfekter Mensch. Damit haben wir heute riesige Probleme, weil Muslime mit der Demokratie und unserem Wertesystem in Konflikt geraten …

2./ Die wichtigsten von allen Rechtsschulen anerkannten Hadith-Sammlungen: Die allerwichtigste ist die Sahih Al-Bukhari. Wenn eine Hadith nach Bukhari zitiert wurde, dann können Sie sicher sein, dass es alle Muslime anerkennen. Und in der Al-Bukhari ist auch blöderweise das geschrieben mit der Aisha und dem Kindersex … .

II./ am 12. November 2009:

Ich erinnere mich an meine Schwester, das hab ich schon ein paar Mal erzählt, als die Susanne W***** in Graz ihren berühmten Sager gemacht hat, ruft mich meine Schwester an und sagt: „Um Gottes Willen. Hast du ihr das gesagt?“ Worauf ich gesagt habe: „Nein, ich war’s nicht, aber es ist nachzulesen, es ist nicht wirklich ein Geheimnis.“ Und sie: „Das kann man doch so nicht sagen.“ Und ich: „Ein 56‑Jähriger und eine 6‑Jährige? Wie nennst du das? Gib mir ein Beispiel? Wie nennen wir das, wenn’s nicht Pädophilie ist?“ Sie: „Na ja, das muss man ein bisschen umschreiben, diplomatischer sagen.“ Meine Schwester ist symptomatisch. Das haben wir schon so oft gehört. „Das waren doch andere Zeiten“ ‑ das war damals nicht o.k., und es ist heute nicht o.k. Punkt. Und es passiert heute auch noch. So was ist nie gutzuheißen, weil die Wahrheit so grausam ist … .

Nach den Feststellungen hielt die Antragstellerin seit Jänner 2008 wiederholt je vier Stunden dauernde Vorträge im Rahmen einer vom FPÖ-Bildungsinstitut veranstalteten Seminarreihe mit dem Titel „Grundlagen des Islam“. Das Seminarangebot war im Internet auf der Homepage „www.fpoe-bildungsinstitut.at “ abrufbar. Die Werbung erfolgte darüber hinaus durch ein an Jungwähler adressiertes Schreiben, in dem unter anderem das von der Angeklagten abgehaltene Seminar als „Top-Seminar“ im Rahmen eines „Gratis-Bildungspaketes“ angepriesen wurde. Die Angeklagte war in die Auswahl der Seminarteilnehmer nicht involviert. Nicht festgestellt werden konnte, dass die Mitgliedschaft bei der FPÖ Voraussetzung für die Zulassung war (US 12).

Die Antragstellerin beschränkte sich nicht auf die kritische Auseinandersetzung mit dem Thema „Kinderehen“, sondern bezichtigte den Propheten Mohammed mit den im Schuldspruch angeführten Äußerungen ganz bewusst der Pädophilie, somit einer verpönten sexuellen Präferenz, und stellte ihn dadurch als der Achtung der Menschen unwürdig dar (ON 30 US 14 und 29 f). Da die Angeklagte außerhalb des Rahmens einer sachlichen Auseinandersetzung allein die Herabsetzung des Propheten Mohammed als Person intendierte, handelte es sich bei den inkriminierten Vortragsinhalten um jenseits der Grenzen kritischer Werturteile liegende Wertungsexzesse (ON 30 US 48).

Aufgrund dessen gelangte die Einzelrichterin des Landesgerichts für Strafsachen Wien in rechtlicher Hinsicht zum Ergebnis, dass die Äußerungen der Antragstellerin nicht vom Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 MRK gedeckt sind (US 51 f).

Mit Urteil vom 20. Dezember 2011, AZ 22 Bs 145/11a (ON 41), gab das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht der von der Angeklagten dagegen erhobenen Berufung wegen Nichtigkeit sowie wegen des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe keine Folge.

Im Rahmen der Rechtsrüge (§§ 489 Abs 1 iVm 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) schloss sich das Berufungsgericht der Ansicht des Erstgerichts an und beurteilte die inkriminierten Äußerungen ebenfalls als durch Art 10 MRK nicht gerechtfertigte Wertungsexzesse (US 11 ff).

Gegen diese Urteile richtet sich ‑ gestützt auf die Behauptung einer Verletzung in ihren Rechten auf ein faires Verfahren nach Art 6 MRK und auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 MRK, eines Verstoßes gegen das Bestimmtheits- und Klarheitsgebot nach Art 7 Abs 1 MRK und einer pflichtwidrigen Unterlassung der Normanfechtung ‑ der Antrag der Verurteilten Elisabeth S***** auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO per analogiam (RIS-Justiz RS0122228).

Rechtliche Beurteilung

Der Antrag ist unbegründet:

I./ Zur behaupteten Verletzung im Grundrecht auf ein faires Verfahren (Art 6 MRK):

1./ Bei ihrem auf Art 6 Abs 1 MRK gestützten Einwand eines Verstoßes gegen das (von der Rechtsprechung aus Art 6 Abs 3 lit a und b MRK abgeleitete) Überraschungsverbot übersieht die Antragsstellerin, dass sich das Erstgericht (ON 30 US 30 und 48) zur Widerlegung ihrer Ansicht, die „Kinderehe“ sei ein „Phänomen des Islams“ gewesen, zwar im Zuge der Lösung der Rechtsfrage argumentativ auf deren weite Verbreitung innerhalb der europäischen Herrschaftshäuser gestützt, solcherart aber keine für die Schuld- und Subsumtionsfrage entscheidende Tatsache angesprochen hat, weil diese Äußerung gar nicht Gegenstand des Schuldvorwurfs war. Die (historische) Frage nach der gesellschaftlichen Anerkennung von Kinderehen in europäischen Ländern ist daher - vom Berufungsgericht zutreffend erkannt (ON 41 US 9) - unerheblich (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 492 und 545), eine Verletzung im angesprochenen Grundrecht somit nicht erfolgt.

Des Weiteren beruft sich die Antragstellerin auch hinsichtlich des - mit nachfolgender Billigung des Berufungsgerichts (ON 41 US 9) - ohne Erörterung in der Hauptverhandlung angenommenen Verständnisses des Begriffes „pädophil“ (ON 30 US 29 f) im Sinn der - in allgemein zugänglichen Publikationen und Lexika wiedergegebenen - (sexual‑)wissenschaftlichen Definition von Pädophilie (entsprechend dem ICD-Code der Weltgesundheitsorganisation WHO; vgl ON 41 US 9) als (nicht beweisbedürftige [RIS-Justiz RS0124169, RS0098570; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 348, 456]) notorische Tatsache, deren Kenntnis bei jedermann mit durchschnittlichem Interesse am menschlichen Wissensschatz vorausgesetzt werden kann (RIS‑Justiz RS0098570 [T14]), zu Unrecht auf das Überraschungsverbot, zumal dieses nur gerichtskundige Tatsachen betrifft, die bloß Richtern aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit bekannt sind (vgl RIS-Justiz RS0098570 [T14]; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 463 mwN). Auf die Ansicht der Erstrichterin, dass der aus der Ehe des Propheten Mohammed mit einem Kind abgeleitete Vorwurf der Pädophilie (ON 30 S 29 f 47 f; vgl auch ON 29 S 13 im Zusammenhang mit der Abweisung von Beweisanträgen) - entgegen der vom öffentlichen Ankläger vorgenommenen Subsumtion unter § 283 Abs 2 StGB (ON 6) - rechtlich auch unter dem Gesichtspunkt der Herabwürdigung religiöser Lehren nach § 188 StGB zu prüfen sei (§ 262 StPO), wurde die Angeklagte überdies hingewiesen (ON 26 S 11 iVm Blg ./A zu ON 17, Punkte 7 und 8). Zur Ermöglichung einer Neuausrichtung der Verteidigung wurde die Hauptverhandlung sodann vertagt (ON 26 S 11; ON 29 S 5 ff, S 11 iVm ON 28).

2./ Mit der Behauptung einer Verletzung von Erörterungs- und Begründungspflichten im Zusammenhang mit vom Berufungsgericht zur Nichtanwendung der §§ 198 ff StPO und §§ 43 Abs 1, 43a Abs 1 StGB angestellten Erwägungen (ON 41 US 19), übersieht die Antragstellerin, dass das Oberlandesgericht keine neue Strafzumessungstatsache festgestellt, sondern im Rahmen der Entscheidung über die (für unbegründet erachtete) Strafberufung bloß das (festgestellte) Verhalten der Verurteilten, nämlich deren ausdrückliche Bezugnahme auf die von Susanne W***** getätigten Äußerungen und die dadurch ausgelöste öffentliche Debatte, an deren Ende die strafgerichtliche Verurteilung der Genannten gestanden ist („… als Susanne W***** in Graz ihren berühmten Sager gemacht hat …“; ON 30 US 13 f), eigenständig gewichtet hat (vgl Schuldspruch II./; ON 30 US 2 f).

3./ Entgegen dem ‑ eine Grundrechtsverletzung iSd § 363a Abs 1 StPO nicht deutlich und bestimmt bezeichnenden (vgl RIS-Justiz RS0124359) ‑ Vorbringen ging das Erstgericht bei seiner Entscheidungsfindung deutlich genug (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 19) von der Annahme aus, dass der Prophet Mohammed nach der historischen Überlieferung die sechsjährige Aisha geheiratet und mit ihr im Rahmen dieser „Kinderehe“ auch den Geschlechtsverkehr vollzogen „haben soll“, als das Mädchen neun Jahre alt war (ON 30 US 29 f, 45 f), weshalb das Oberlandesgericht in der Abweisung darauf abzielender Beweisanträge auch zu Recht keine Verletzung von Verteidigungsrechten ansah (ON 41 US 7 f). Bloß die Behauptung, Mohammed sei „pädophil“ (im Sinn einer primären sexuellen Ansprechbarkeit durch vorpubertäre Kinderkörper; vgl ON 30 US 47 f, 52) veranlagt gewesen, erachtete die Erstrichterin als unwahr (ON 30 US 30), was im Übrigen jedoch ohne Belang ist, weil die inkriminierten Äußerungen der Antragstellerin nach den Urteilsfeststellungen dem Wahrheitsbeweis nicht zugängliche Werturteile (RIS-Justiz RS0075706) darstellen (vgl ON 31 US 48).

4./ Ebenso wenig dringt die Beschwerdeführerin mit der Reklamation unangemessener Verfahrensdauer von der Zustellung der Ladung durch die Kriminalpolizei am 27. Jänner 2010 bis zur Fällung des Urteils zweiter Instanz am 20. Dezember 2011 durch. Denn zur Erfüllung der Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art 35 Abs 1 MRK bedarf es zur Geltendmachung einer darin gelegenen Verletzung von Art 6 Abs 1 MRK mit Erneuerungsantrag (anders als zur Einforderung des Milderungsgrundes nach § 34 Abs 2 StGB; vgl RIS-Justiz RS0124902) auch der vorherigen Einbringung jener Anträge, die wirksam Abhilfe gegen eine Verzögerung versprechen (vgl 12 Os 125/08m, 13 Os 36/09g, 14 Os 187/10x uvm). Als solche sind im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren ein auf Verletzung des Beschleunigungsgebots (§ 9 Abs 1 StPO) gestützter Einspruch gemäß § 106 Abs 1 Z 1 StPO (11 Os 53/11w) oder im gerichtlichen Verfahren auch ein Fristsetzungsantrag gemäß § 91 GOG anzusehen (statt vieler: 15 Os 22/08m). Da die Verurteilte die Ergreifung derartiger innerstaatlicher Rechtsbehelfe unterlassen hat, steht dem Erneuerungsantrag in diesem Punkt das Fehlen der Rechtswegausschöpfung (Art 35 Abs 1 MRK) entgegen.

Im Übrigen ist im konkreten Fall, der keine Haftsache (§ 9 Abs 2 StPO) betrifft, die Verfahrensdauer - wie vom Berufungsgericht dargetan (ON 41 US 18) - auch nicht als unangemessen lang anzusehen. Denn vom Zeitpunkt der In-Kenntnis-Setzung der Beschuldigten vom gegen sie vorliegenden Verdacht (vgl RIS-Justiz RS0124901) mit Zustellung der Ladung Ende Jänner 2010, gefolgt von der Beschuldigtenvernehmung am 11. Februar 2010 (ON 5 S 109 ff), dem Einlangen eines umfangreichen Abschlussberichts bei der Staatsanwaltschaft am 21. Mai 2010 (ON 5 S 1), der Einbringung des Strafantrags am 24. August 2010 (ON 1 S 2), dessen Zustellung an die Verteidigung am 20. September 2010 (ON 1 S 3), der am 18. Oktober 2010 erfolgten Ausschreibung einer Hauptverhandlung für den 23. November 2010 (ON 9), deren Vertagung auf den 18. Jänner 2011 nach Beantragung des Vortrags von 89 von der Verteidigung erst am Vortag bei Gericht überreichten (ON 16), zu diesem Zeitpunkt noch nicht bei der zuständigen Richterin eingelangten Urkunden (ON 17 AS 87) und zur neuerlichen Vorführung von Beweismaterial nach erst zu behebenden technischen Schwierigkeiten (ON 17 S 27 und 111 f; ON 19, 20; ON 1 S 11 ff), der weiteren Vertagung auf den 15. Februar 2011 zur Ermöglichung einer Neuausrichtung der Verteidigung (ON 26 S 11), der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des erstinstanzlichen Urteils am 4. April 2011, dem Eingang der Akten beim Rechtsmittelgericht am 13. Mai 2011 nach Einlangen der Berufung der Erneuerungswerberin am 2. Mai 2011 (ON 36) bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens mit der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts am 20. Dezember 2011 (ON 40 f) ist kein die Angeklagte in ihrem Recht auf Durchführung ihrer Strafsache in angemessener Zeit beeinträchtigendes Fehlverhalten einer Behörde auszumachen. Bei Ausführung ihrer Berufung ging die Angeklagte sogar selbst von einem weit überdurchschnittlich umfangreichen Verfahren und Ersturteil aus (ON 34).

II./ Zur behaupteten Verletzung im Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 MRK:

Die Verurteilung der Erneuerungswerberin nach § 188 StGB stellt einen Eingriff in ihr Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit dar, dient aber einem an sich legitimen Ziel, nämlich dem Schutz des religiösen Friedens und der religiösen Gefühle anderer (vgl Bachner-Foregger, WK2 § 188 Rz 2 ff und 18; E. Mayer/Tipold SbgK § 188 Rz 6; EGMR 20. 9. 1994, Otto-Preminger-Institut gegenÖsterreich = JBl 1995, 304).

Selbst die an sich weitreichende Privilegierung von kritischen Werturteilen gewährt nach der Rechtsprechung des EGMR zu Art 10 MRK keine schrankenlose Meinungs- und Kritikfreiheit. Auch gegenüber Politikern und in Debatten zu Fragen von öffentlichem Interesse sind (Un-)Werturteile ohne (einzelfallbezogen) hinreichendes Tatsachensubstrat oder Wertungsexzesse vom Grundrecht auf Meinungsäußerungsfreiheit nicht gedeckt (vgl Grabenwarter/Pabel, EMRK5 § 23 Rz 28 ff; 15 Os 171/08y mwN; RIS-Justiz RS0107915, RS0075601, RS0032201).

Der EGMR hat auch wiederholt betont, dass in Fragen des religiösen Glaubens den Staat eine Verpflichtung zur Unterbindung von kritischen Äußerungen trifft, die von Gläubigen als extrem beleidigend und provokativ erlebt werden. In Fragen des Schutzes der religiösen Gefühle anderer steht dem Staat demnach ein weiterer, jedoch nicht unbeschränkter Ermessensspielraum zu. Es ist im Einzelfall festzustellen, ob die getroffenen Einschränkungen einem dringenden sozialen Bedürfnis entsprachen und ob sie verhältnismäßig zum gesetzlich verfolgten Ziel waren (EGMR 20. September 1994, Otto-Preminger-Institut gegenÖsterreich;EGMR 19. 3. 2005, I. A. gegendie Türkei= NL 2005, 229). Jene, welche von ihrer Religionsfreiheit Gebrauch machen, egal ob als Mitglied einer religiösen Mehrheit oder Minderheit können zwar nicht darauf vertrauen, in diesem Bereich von jeglicher Kritik ausgenommen zu sein. Sie haben die Zurückweisung ihrer religiösen Ansichten durch andere zu akzeptieren und zu tolerieren, selbst angesichts der Verbreitung religiöser Doktrinen, die ihrem eigenen Glaubensverständnis widersprechen (I. A. gegendie Türkei). Wenn strafrechtliche Vorschriften über Blasphemie verletzende Äußerungen über eine Religion nicht im Allgemeinen verbieten, sondern die Art und Weise regeln, wie diese zur Sprache gebracht werden dürfen, und das Ausmaß der Verletzung religiöser Gefühle beachtlich ist, kann ein auf solche Gesetzesbestimmungen gestützter Eingriff in die Meinungsfreiheit gerechtfertigt sein (EGMR 25. 11. 1996, Wingrove gegen das Vereinigte Königreich = NL 1997, 13; vgl RIS-Justiz RS0124985). Handelt es sich nicht bloß um Äußerungen oder Ansichten, die als verstörend, schockierend oder provokant aufgefasst werden müssen, sondern um einen ungerechtfertigten und beleidigenden Angriff auf die Glaubensgemeinschaft - etwa durch Beleidigung des Propheten Mohammed -, ist eine strafrechtliche Verurteilung als in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahme zum Schutz gegen beleidigende Angriffe auf Angelegenheiten anzusehen, die von einem Gläubigen als heilig eingestuft werden (I. A. gegen die Türkei).

Aufgrund der zwischen Art 9 MRK und Art 10 MRK bestehenden Wechselwirkung und der fallbezogen durchzuführenden Interessenabwägung zwischen dem Recht der Angeklagten, ihre Ansichten an die Öffentlichkeit weiterzugeben, und dem Recht anderer auf Achtung ihrer Religionsfreiheit sind die Grenzen kritischer Werturteile enger zu ziehen als in Fallkonstellationen, in denen der Schutzbereich des Art 9 MRK nicht betroffen ist.

Bei Anwendung der Strafbestimmung des § 188 StGB (als Eingriffstatbestand iSd Art 10 Abs 2 MRK) sind die sich aus den Art 9 und 10 MRK ergebenden Grundsätze insbesondere bei Prüfung der Eignung, berechtigtes Ärgernis zu erregen, zu berücksichtigen (vgl Bachner-Foregger in WK² § 188 Rz 16 und 18 letzter Absatz; siehe auch E. Mayer/Tipold, SbgK § 188 Rz 70; Lewisch in WK² Nachbem § 3 Rz 269 und 271). So folgt aus dem Merkmal „berechtigt“, dass die Ärgerniseignung und dadurch die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes immer dann zu verneinen ist, wenn die Meinungsäußerung im Einklang mit den Art 9 und 10 MRK steht. In tatsächlicher Hinsicht sind daher zunächst der Bedeutungsinhalt der Äußerung, die Frage nach dem Vorliegen einer Tatsachenmitteilung oder eines Werturteils sowie (allenfalls) die zur Beurteilung der Grenzen kritischer Werturteile notwendigen Umstände zu klären (vgl Bachner‑Foregger in WK² § 188 Rz 1) und ist daran anknüpfend die (Rechts-)Frage der Eignung, berechtigtes Ärgernis zu erregen, zu beantworten.

Nach den Urteilsannahmen stand bei den inkriminierten Äußerungen der Angeklagten nicht die sachliche Auseinandersetzung mit dem Islam oder dem Phänomen Kinderehe im Vordergrund, sondern die Diffamierung des Propheten Mohammed in Bezug auf eine diesem unterstellte, bloß aus dem Vollzug der Ehe mit einem vorpubertären Kind abgeleitete (gesellschaftlich verpönte) Sexualpräferenz, um ihn als der Achtung der Menschen unwürdig darzustellen (ON 30 US 14, 29 f, 47 f, 50, 52). Nicht verkennend, dass die Frage sexueller Kontakte von Erwachsenen zu Unmündigen ein Thema von besonderem öffentlichen Interesse ist, leisteten die Äußerungen der Antragstellerin keinen Beitrag zu einer solchen Debatte, weil sie mit dem Vorwurf der Pädophilie primär - bar jeder Sachlichkeit - auf eine Diffamierung des Propheten Mohammed abzielten (vgl 15 Os 171/08y).

Mit der Wiederholung ihrer Rechtsmittelbehauptung, sie habe im Rahmen politisch konnotierter Veranstaltungen nur „hinterfragt“, ob der Prophet Mohammed „pädophil“ sei, vermag die Antragstellerin auch beim Obersten Gerichtshof keine erheblichen Bedenken im Sinn des § 281 Abs 1 Z 5a StPO (vgl dazu RIS-Justiz RS0119583; RS0118780) gegen den vom Erstgericht angenommenen und auch vom Berufungsgericht für mängelfrei begründet und unbedenklich erachteten (ON 41 US 9, 12, 15 ff) Bedeutungsinhalt ihrer Äußerungen (ON 30 US 14) zu erwecken. Dieser wurde aus deren Wortlaut, der gängigen Definition von Pädophilie (als primäre sexuelle Ansprechbarkeit durch vorpubertäre Kinderkörper) und dem Umstand abgeleitet, dass der Begriff verwendet wurde, obwohl im Leben des Propheten Mohammed bloß eine sexuelle Beziehung mit einer Frau im Kindesalter (Aisha) belegt ist, die im Rahmen der mit dieser geschlossenen Ehe viele Jahre bis zu seinem Tod aufrecht blieb, obwohl die Frau zum letzteren Zeitpunkt der Pubertät schon entwachsen war (vgl ON 30 US 29 f, 47 f; ON 41 US 12).

Ausgehend von den mängelfreien (vgl RIS-Justiz RS0110146 zu § 10 GRBG; 15 Os 171/08y) Urteilsfeststellungen zum Bedeutungsinhalt, zum Vorliegen eines Werturteils einer Vortragenden im Zuge eines mehrtägigen, jedermann zugänglichen Seminars zum Thema „Grundlagen des Islam“ und insbesondere zur Intention der Verurteilten (ON 30 US 12, 14, 47 und 48) stellen die inkriminierten Äußerungen eine außerhalb des Rahmens einer sachlichen Auseinandersetzung liegende Diffamierung des Propheten Mohammed dar. Unter diesen Umständen ist die strafrechtliche Verurteilung der Antragstellerin als eine in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahme zum Schutz gegen beleidigende Angriffe auf Angelegenheiten anzusehen, die von einem Moslem als heilig eingestuft werden, sodass sich die Antragstellerin ‑ zufolge rechtsrichtiger Bejahung der Eignung, berechtigtes Ärgernis zu erregen ‑ nicht mit Erfolg auf die Meinungsäußerungsfreiheit nach Art 10 MRK berufen kann.

Ihre auf Art 10 MRK fokussierende Argumentation gibt dessen besonderem Spannungsverhältnis zu Art 9 MRK zu wenig Gewicht und vernachlässigt den Umstand, dass es sich bei ihren Äußerungen nach den getroffenen Urteilsfeststellungen um keine sachliche Religionskritik handelte, sondern um gezielt herabwürdigende Bemerkungen über den Propheten Mohammed (im Sinn von Werturteilen) in Bezug auf eine diesem ohne ausreichendes Tatsachensubstrat unterstellte (gesellschaftlich verpönte) Sexualpräferenz (ON 30 US 29 f, 47 f, 50; ON 41 US 4 f, 11 ff). Im von der Beschwerdeführerin angesprochenen Fall Aydin Tatlav gegen die Türkei (EGMR 2. 5. 2006, NJW 2007, 1799) hingegen war das betreffende wissenschaftliche islamkritische Buch bereits in der fünften Auflage bis dahin unbeanstandet veröffentlicht worden, enthielt in bestimmten Passagen scharfe Religionskritik in gesellschaftspolitischem Kontext, die nicht beleidigend formuliert war, und auch keine unzulässigen Angriffe auf Muslime oder heilige Symbole des Islam. Auch im Fall Giniewski gegen Frankreich(EGMR 31. 1. 2006, Nr. 64016/00) handelte es sich nicht um herabwürdigende Äußerungen über eine Person, die den Gegenstand der Verehrung einer religiösen Glaubensgemeinschaft bildet.

Die gegenständliche strafrechtliche Verurteilung war im Hinblick auf die Schwere des Eingriffs in die Religionsfreiheit nach Art 9 MRK auch verhältnismäßig. Denn die Antragstellerin wurde nicht zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, obwohl das Vergehen nach § 188 StGB alternativ auch ein Strafmaß von bis zu sechs Monaten Haft vorsieht. Über die Beschwerdeführerin wurde demgegenüber lediglich eine im ersten Drittel des (alternativ) zur Verfügung stehenden Rahmens von 360 Tagessätzen liegende Geldstrafe unter Zugrundelegung des gesetzlichen Mindesttagessatzes von vier Euro (§ 19 Abs 2 StGB) verhängt (vgl EGMR 13. 9. 2005, I. A. gegen die Türkei).

Bleibt anzumerken, dass der religiöse Frieden, der einen Teil des öffentlichen Friedens ausmacht und im friedlichen Nebeneinander der verschiedenen Kirchen und Religionsgesellschaften untereinander und mit denjenigen, die keiner solchen Institution angehören, besteht, das von § 188 StGB geschützte Rechtsgut darstellt (E. Mayer/Tipold SbgK § 188 Rz 6; Bachner-Foregger in WK² Vor §§ 188‑191 Rz 2). Die Eignung der Verletzung des religiösen Friedens bildet kein eigenes Tatbestandsmerkmal (E. Mayer/Tipold SbgK § 188 Rz 9). Die Verurteilte moniert daher zu Unrecht das Fehlen von Tatsachenfeststellungen in diese Richtung. Ganz allgemein ist die (konkrete) Eignung, den religiösen Frieden zu stören, im Fall unsachlicher und diffamierender Äußerungen bereits aufgrund der dadurch bewirkten Förderung von Intoleranz gegenüber Anhängern des beschimpften Bekenntnisses zu bejahen (vgl zur deutschen Rechtslage Hörnle in MüKo StGB § 166 Rz 22; Dippel in Leipziger Kommentar4 § 166 Rz 57). Insoweit hat die von § 188 StGB geforderte Eignung, berechtigtes Ärgernis zu erregen, eine strafbarkeitsbeschränkende Funktion.

III./ Zur behaupteten Verletzung des Bestimmtheits- und Klarheitsgebotes nach Art 7 Abs 1 MRK sowie zur behaupteten pflichtwidrigen Unterlassung der Normanfechtung:

Um als Gesetz iSd Art 7 Abs 1 MRK zu gelten, muss eine Norm die Erfordernisse der Zugänglichkeit und Vorhersehbarkeit erfüllen. Sie hat so klar formuliert zu sein, dass jedermann ‑ allenfalls nach sachkundiger Beratung ‑ in der Lage ist, sein Verhalten darauf abzustellen (RIS-Justiz RS0122531; Grabenwarter/Pabel, EMRK5 § 24 Rz 141). Bedienen sich Gesetze vager Formulierungen, um allzu große Starrheit zu vermeiden und eine Anpassung an neue Entwicklungen zu gestatten, so obliegt es den Gerichten, diese auszulegen (EGMR 12. 4. 1995, M. C. gegen Frankreich, NL 1995, 112; RIS-Justiz RS0122524).

Fallbezogen sind die von § 188 StGB verwendeten ‑ einer Ausfüllung durch die Rechtsprechung bedürfenden ‑ Begriffe des Herabwürdigens und der Eignung, berechtigtes Ärgernis zu erregen, die auch in anderen Tatbeständen in gleicher Weise verwendet werden (vgl §§ 248, 317 StGB einerseits und §§ 189, 191, 218, 219 StGB andererseits), zur Abgrenzung von Recht und Unrecht bei Beurteilung einer konkreten Tat ausreichend und machen das Risiko strafrechtlicher Verfolgung ohne weiteres vorhersehbar, wenn der Prophet Mohammed im Rahmen eines öffentlichen Vortrages vor einem Publikum, das keine Gesinnungsgemeinschaft darstellt (ON 30 US 49 f; ON 41 US 13 f), ohne sachliche Auseinandersetzung einer krankheitswerten sexuellen Präferenz geziehen wird. Eine Verletzung des Art 7 Abs 1 MRK liegt daher nicht vor.

Im Übrigen entsprechen die Argumente des Berufungsgerichts, von Art 10 MRK gedeckte („geordnete“) Kritik würde den Tatbestand des § 188 StGB hinreichend eingrenzen (ON 41 US 14 f), einer nachvollziehbar schlüssigen Ermessensausübung, folgt doch aus dem Gebot verfassungskonformer Interpretation ‑ wie bereits ausgeführt ‑ eine Berücksichtigung von Art 10 MRK bei der Beurteilung des berechtigten Ärgernisses iSd § 188 StGB.

Dem unbegründeten Erneuerungsantrag war daher ‑ in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ‑ nicht Folge zu geben.

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