OGH 14Os91/13h

OGH14Os91/13h5.11.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. November 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Buchner als Schriftführerin in der Strafsache gegen Rene N***** und eine Angeklagte wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 (erster und dritter Fall) und Abs 3, 148 zweiter Fall, 15 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Rene N***** und Gabriele N***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 28. März 2013, GZ 26 Hv 9/13x-66, sowie weiters über die Beschwerde des Rene N***** gegen den zugleich gefassten Beschluss auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden - soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerden relevant - Rene N***** (zu A/I) und Gabriele N***** (zu A/I und II) jeweils des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 (US 2, 30, 34 und 36: erster und dritter Fall) und Abs 3, 148 zweiter Fall, 15 StGB schuldig erkannt.

Danach haben sie von Jänner 2010 bis zu ihrer Festnahme am 29. Oktober 2012 in Innsbruck und anderen Orten teils im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 erster Fall StGB; A/I), Gabriele N***** auch als Alleintäterin (A/II) in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von Daten- und Urkundenbetrug (US 32) eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, und mit dem Vorsatz, sich oder Dritte durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, Mitarbeiter der im Urteil bezeichneten Unternehmen durch Täuschung über Tatsachen, nämlich (durch Verwendung von Aliasdaten) über ihre wahre Identität sowie über ihre Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit, wobei sie zur Täuschung bei online-Bestellungen auch falsche Daten (US 30 f: A/I/1-5, 7-9, 10/c-e, 11-16, 17/a, b und d-g, 18 sowie A/II/1/a-aa, 2, 4/a-o, 6, 7/b-h) und bei postalisch oder in einzelnen Filialen persönlich erfolgten Bestellungen falsche Urkunden (US 30 f: A/I/6/a-k, 17/c sowie A/II/3/a und b) benützten zur Versendung, Auslieferung oder Herausgabe von im Urteil angeführten Waren sowie zur Bereitstellung von Abonnement- und Telekommunikationsdienstleistungen teils verleitet, teils zu verleiten versucht, wodurch die angeführten Unternehmen mit im Urteil angeführten, in ihrer Summe 50.000 Euro übersteigenden Beträgen am Vermögen geschädigt wurden.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen von Rene N***** aus § 281 Abs 1 Z 4 StPO und von Gabriele N***** aus § 281 Abs 1 Z 4, 10 und 11 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerden verfehlen ihr Ziel.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Rene N*****:

Durch die Abweisung des in der Hauptverhandlung gestellten Antrags auf Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zum Beweis dafür, dass beim Angeklagten zu sämtlichen Tatzeitpunkten die Dispositions- und Diskretionsfähigkeit aufgehoben war, wurden - dem Beschwerdevorbringen (Z 4) zuwider - dessen Verteidigungs-rechte nicht verletzt. Anhaltspunkte dafür ergeben sich weder aus der geständigen Verantwortung des Angeklagten, er sei wegen seiner „Kaufsucht“ schon vor den „gegenständlichen Taten“ in psychiatrischer Behandlung gewesen, die bestellten Waren habe man nicht zu Hause gesammelt, sondern weiterverkauft, um sich gegenseitig „Wünsche“ zu erfüllen (ON 60 S 4 ff), noch aus dessen Antrag (ON 60 S 12), weil aus den angeführten Umständen für sich kein krankheitswertiger Zwang zur Befreiung von einem imperativen Drang durch die Kaufhandlung selbst abzuleiten ist. Der Antrag verfiel daher als unzulässiger Erkundungsbeweis zu Recht der Abweisung (RIS-Justiz RS0097641; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 330 f). Das den Antrag ergänzende Beschwerdevorbringen hat mit Blick auf das aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes resultierende Neuerungsverbot auf sich zu beruhen (RIS-Justiz RS0099618).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Gabriele N*****:

Den Antrag dieser Angeklagten auf Vernehmung des Mecit S***** zum Beweis dafür, dass von ihr keine Waren an diesen Zeugen (weiter-)verkauft und auch die Verhandlungen über An- und Verkauf solcher Waren ausschließlich vom Erstangeklagten geführt wurden (ON 60 S 12), durfte das Erstgericht der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider zu Recht abweisen, weil das Vorbringen nicht erkennen ließ, inwieweit das behauptete Ergebnis für die Schuld- oder Subsumtionsfrage von Bedeutung sein sollte. Die zu I angenommene Mittäterschaft der Beschwerdeführerin wurde zudem auf die von ihr zugestandene (ON 60 S 8) gemeinsame Erfindung von Aliasdatensätzen anlässlich der Bestellungen und auch ihre gewerbsmäßige Tatbegehung auf die Vielzahl der Bestellungen in engem zeitlichen Zusammenhang über einen langen Tatzeitraum unter Verwendung von Aliasdatensätzen wegen fehlender Bonität (US 31), verbunden mit dem Motiv, sich gegenseitig (materielle) Wünsche zu erfüllen, gestützt (US 30, 32, 34; vgl RIS-Justiz RS0118444). Zur Antragsbegründung im Rechtsmittel nachgetragene Argumente sind prozessual verspätet und somit unzulässig (RIS-Justiz RS0099618 [T16]). Im Übrigen verkennt die Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit ihren auf angeblich unsachgemäße Aufteilung einer Vielzahl von Fakten auf mehrere Anklagen und (unter anderem auf das der Entscheidung 13 Os 125/12z zu Grunde liegende) Hauptverfahren rekurrierenden Ausführungen, ihr sei dadurch die Möglichkeit genommen worden, in diesen Verfahren bloß einzelne Fakten betreffende Beweisaufnahmen durchzusetzen, dass die Relevanz von Beweisanträgen für die Schuldfrage, also die Frage, ob hinsichtlich (auch bloß) einzelner der rechtlich selbständigen Straftaten mit Schuld- oder Freispruch vorzugehen ist, stets losgelöst von jener der rechtlichen Unterstellung mehrerer (allenfalls auch nicht gleich qualifizierter) Taten durch Bildung einer Subsumtionseinheit nach § 29 StGB betrachtet wird (vgl RIS-Justiz RS0120980; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 652 und Ratz in WK2 StGB § 29 Rz 7).

Zur Abweisung des (gemeinsam mit dem Angeklagten Rene N***** gestellten) Antrags auf Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zum Beweis dafür, dass (auch bei ihr) zu sämtlichen Tatzeitpunkten die Dispositions- und Diskretionsfähigkeit aufgehoben war, ist die Beschwerdeführerin auf die Ausführungen bei Behandlung der Nichtigkeitsbeschwerde des Mitangeklagten zu verweisen. Weder aus ihrer Verantwortung, sie habe bei den teils über Drängen des Mecit S***** aus „Kaufsucht“ vorgenommenen Bestellungen ein „Glücksgefühl“ oder eine „Befriedigung“ verspürt (ON 60 S 10), noch aus dem Antragsvorbringen, sie habe trotz Verurteilung zu einer empfindlichen Haftstrafe im August 2012 „offenbar unbeeindruckt“ weiter delinquiert und während ihrer Untersuchungshaft nunmehr eine „verdichtete Therapie“ in Anspruch genommen (ON 60 S 12), ergeben sich Anhaltspunkte für eine Zurechnungsunfähigkeit (vgl auch 11 Os 152/10b).

Die gegen die rechtliche Annahme der Qualifikationen nach § 147 Abs 1 Z 1 dritter Fall StGB einerseits und nach § 148 zweiter Fall StGB andererseits gerichtete Subsumtionsrüge (Z 10) leitet prozess-ordnungswidrig nicht aus dem Gesetz ab, weshalb diese auf Basis des Urteilssachverhalts, der jeder Geltendmachung von materiell-rechtlicher Nichtigkeit zu Grunde zu legen ist, falsch sein soll. Da eine bereits früher erfolgte Verurteilung wegen vom vorliegenden Urteil umfasster (rechtlich zu einer Subsumtionseinheit nach § 29 StGB zusammengefasster) Einzeltaten nicht einmal behauptet wird (was in einem solchen Fall im Übrigen Nichtigkeit im Sinn der Z 9 lit b begründen würde; vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 638), orientiert sich die Argumentation mit angeblich unzulässiger „Doppelbestrafung“ in Ansehung der ebenso wie in früheren Urteilen angenommenen rechtlichen Unterstellung der vom bekämpften Schuldspruch umfassten Taten auch unter die angesprochenen Qualifikationen weder am Gesetz noch an den Feststellungen des Erstgerichts (US 30 ff) und scheitert demnach bereits an gesetzmäßiger Ausführung.

Eine rechtsfehlerhafte Unterlassung einer (nach Ansicht der Nichtigkeitswerberin gebotenen) Bedachtnahme (§§ 31, 40 StGB) liegt entgegen dem Vorbringen der Sanktionsrüge (Z 11) nicht vor, weil eine solche Verknüpfung nur dann in Betracht kommt, wenn sämtliche der nachträglichen Verurteilung zugrunde liegenden Taten vor dem (ersten) Vor-Urteil erster Instanz verübt wurden (RIS-Justiz RS0090606, RS0112524; vgl Ratz in WK2 StGB § 31 Rz 2 und 4). Die gegenständliche Verurteilung umfasst auch nach dem 20. August 2012 bis 29. Oktober 2012 begangene Taten (vgl I/8/d, I/9/aj-bg, II/6/l), während zum Verfahren AZ 70 Hv 86/12t des Landesgerichts Innsbruck im Rahmen der am 5. März 2013 erfolgten Berufungs-entscheidung über das erstinstanzliche Urteil vom 20. August 2012 (wegen von November 2010 bis April 2011 begangener Betrügereien; ON 34 in diesem Vorstrafakt) bereits auf das (seit 9. November 2012 rechtskräftige) Urteil desselben Gerichts vom 6. November 2012, GZ 26 Hv 37/12p-36 (betreffend einen Tatzeitraum von Oktober 2011 bis Anfang 2012) Bedacht genommen worden war. Eine Verbindung des vorliegenden Verfahrens auch mit jenem zu AZ 70 Hv 86/12t des Landesgerichts Innsbruck schon in erster Instanz wegen sämtlicher nunmehr abgeurteilter Taten wäre nicht möglich gewesen; zur Vermeidung einer Doppelbegünstigung war § 31 StGB im nunmehrigen dritten Verfahren - wie das Erstgericht zutreffend erkannte (US 36) - demnach nicht anzuwenden (vgl 11 Os 25/10a; Leukauf/Steininger, Komm3 § 31 RN 15 f).

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 letzter Satz StPO).

Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte