OGH 9Ob46/13z

OGH9Ob46/13z29.10.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** R*****, vertreten durch Dr. Philipp Götzl, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei M***** AG, *****, vertreten durch Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 25.300 EUR sA und Feststellung (Streitwert 10.700 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 25.300 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 13. Mai 2013, GZ 4 R 49/13y‑26, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Bereits in der Entscheidung 4 Ob 129/12t hat der Oberste Gerichtshof zur Frage der Zurechnung eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens (WPDLU) zur ausführenden Bank Stellung genommen:

Wird ein Vermögensberater von einem anderen Wertpapierdienstleister ständig mit der Vermittlung von bestimmten Anlageprodukten betraut, so entsteht dadurch ein wirtschaftliches Naheverhältnis, das es ‑ ungeachtet einer eigenen vertraglichen Verpflichtung des Beraters gegenüber dem Kunden ‑ rechtfertigt, ein Verschulden des Beraters nach § 1313a ABGB der Bank zuzurechnen. Denn diese ständige Betrauung begründet zusammen mit der regelmäßig produkt- und umsatzabhängigen Provision die Gefahr, dass der Vermittler nicht mehr ausschließlich oder doch überwiegend im Interesse des Kunden tätig wird, sondern auch andere Erwägungen ‑ insbesondere die Maximierung des eigenen Gewinns ‑ in seine Tätigkeit einfließen lässt. Dies erfolgt im Interesse der Bank, die den Vertrieb ihrer Produkte vertraglich auslagert und so die Vorteile der Arbeitsteilung für sich in Anspruch nimmt. Somit kann zwar eine Bank im Allgemeinen darauf vertrauen, dass ein vom Kunden beigezogener Berater den Kunden ausreichend berät, sodass sie insofern keine eigenen Pflichten treffen und ihr (daher) auch ein allfälliges Verschulden des Beraters nicht zuzurechnen ist. Das gilt aber nur dann, wenn sie auf eine objektive Beratung vertrauen darf. Letzteres trifft nicht zu, wenn der Berater mit der Bank in einer ständigen Geschäftsbeziehung steht („Vertriebspartner“), sein wirtschaftlicher Erfolg somit (auch) vom Ausmaß der Vermittlung ihrer Produkte abhängt und daher sein Interesse an der Vermittlung der Verträge grundsätzlich mit jenem der Bank an deren Abschluss parallel läuft. Ist ein Berater derart in die Interessenverfolgung der Bank eingebunden, bleiben deren Beratungspflichten mangels legitimen Vertrauens auf eine objektive Beratung durch einen Dritten aufrecht. Damit ist der Berater der Bank aber nicht nur irrtumsrechtlich zuzurechnen, sondern die Bank haftet auch für Schäden aufgrund von dessen Verhalten bei der Vermittlung der Anlage (so auch Graf, Bank haftet für ständig betrauten Vertriebspartner, ecolex 2013, 762 ff [765], der aus der zitierten Entscheidung Folgendes ableitet: „Besteht die Gefahr, dass der vorgeschaltete Rechtsträger den Kunden nicht objektiv berät, bleibt die nachgeschaltete Bank beratungspflichtig und haftet für ein Verschulden des Beraters“).

Diese Rechtsansicht wurde in 8 Ob 104/12w (P 2.1. der Begründung) und zuletzt in 10 Ob 34/13t bestätigt. In der Entscheidung 2 Ob 24/13p, die kritische Stellungnahmen der Lehre zu diesem Thema aufgezeigt, wurde eine Zurechnung des Wertpapierberaters zur beklagten Bank auf Grundlage der beiden Vorentscheidungen 4 Ob 129/12t und 8 Ob 104/12w (wenn auch ‑ unter Berücksichtigung der konkreten Fallgestaltung ‑ nicht bloß auf die Vertriebspartnerschaft zwischen Bank und dem WPDLU gestützt) ebenfalls bejaht.

In der von der Beklagten bekämpften Entscheidung des Berufungsgerichts, die auf diese Rechtsprechung (4 Ob 129/12t und 8 Ob 104/12w) verwies, kann ein Abgehen von diesen Grundsätzen nicht erblickt werden. Die Frage, ob die erforderliche wirtschaftliche Nahebeziehung zwischen dem WPDLU und der Depotbank auf Grund der konkreten Umstände des Einzelfalls als gegeben anzusehen ist, stellt keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO dar (10 Ob 34/13t). Dass einzelne Fallkonstellationen denkbar sind, mit denen sich der Oberste Gerichtshof noch nicht auseinandergesetzt hat ‑ so die Beklagte ‑, begründet die Zulässigkeit ihrer außerordentlichen Revision noch nicht notwendigerweise (RIS‑Justiz RS0088931 [T3]).

Die Ansicht des Berufungsgerichts, auf Grundlage des zwischen der 100%igen Tochtergesellschaft der Beklagten, der M***** S***** F***** AG (M*****) und des hier einschreitenden Vertriebspartners, der E***** AG (E*****) bereits im Jahr 2003 abgeschlossenen und im Jahr 2007 noch aufrechten Vertriebspartnervertrags sei von einer „ständigen“ Geschäftsbeziehung zwischen der Beklagten und der E***** auszugehen, ist durchaus vertretbar. Entgegen der Ansicht der Beklagten wird in den oben erwähnten Entscheidungen nämlich kein „Auftragsverhältnis“ zwischen dem WPDLU und der Bank vorausgesetzt. Es ist auch nicht unvertretbar, wenn das Berufungsgericht zudem die kostenlose Zurverfügungstellung von Informationsmaterial, Antragsunterlagen und sonstiger für den Vertragsabschluss mit dem Kunden wesentlicher Dokumente an die Vertriebspartnerin E***** durch die M***** und den im Vertriebspartnervertrag vereinbarten Provisionsanspruch der E***** als weitere Kriterien für die Annahme einer „wirtschaftlichen Nahebeziehung“ zwischen Vertriebspartner und Bank herangezogen hat.

Die (unmittelbare) Vertriebspartnerin der Beklagten (M*****) schloss hier wiederum mit anderen konzessionierten Wertpapierdienstleistungsunternehmen (hier mit der E*****) selbständige Vertriebspartnerverträge ab. Im Anlassfall erfolgte die Finanzberatung der Klägerin durch den Vertreter dieses (mittelbaren) Unternehmens (der E*****). Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dieses mittelbare WPDLU sei in die Interessenverfolgung der Beklagten eingebunden und letztlich der Beklagten zuzurechnen, zumal ihre unmittelbare Vertriebspartnerin als Bindeglied zwischen der Beklagten und den mittelbaren Vertriebspartnern fungierte, ist auch unter Berücksichtigung, dass der bloß mittelbare Vertriebspartner andere Finanzprodukte als jene der Beklagten vertreiben durfte und auch nicht zum Vertrieb verpflichtet war, noch vertretbar und nicht korrekturbedürftig. Auch in der erst jüngst ergangenen Entscheidung 10 Ob 34/13t wurde in einem vergleichbaren Fall das mittelbare WPDLU der M***** im Sinne einer sogenannten „Zurechnungsstaffel“ zugerechnet. Die Verwendung von schriftlichen Unterlagen des mittelbaren Vertriebspartners zur Finanzanalyse durch den Finanzberater der Klägerin führt ebenfalls nicht zu einer Durchbrechung der Zurechnung, weil dies nur Folge der von der Beklagten vorgenommenen Auslagerung des Vertriebs ihrer Produkte und damit der von ihr angestrengten Arbeitsteilung ist. Die persönlichen Verhältnisse zwischen der Klägerin und ihrem persönlichen Finanzberater sind von keiner rechtlichen Relevanz.

Dass die von der Beklagten angesprochenen Klauseln in den einzelnen Vertriebspartnerverträgen, die die Eigenständigkeit der jeweiligen WPDLU betonten, jedenfalls insoweit als gröblich benachteiligend iSd § 879 ABGB anzusehen wären, als sie einen Haftungsausschluss zur Folge hätten, wurde bereits in der Entscheidung 4 Ob 129/12t klargestellt.

Insgesamt gelingt es der Beklagten nicht, eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung der erörterten Zurechnungsfrage durch das Berufungsgericht aufzuzeigen.

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