OGH 3Ob174/13d

OGH3Ob174/13d8.10.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr.

Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Univ.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache der B*****, wegen Umbestellung des Sachwalters, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Betroffenen, vertreten durch den (enthobenen) Sachwalter F*****, dieser vertreten durch Ehrenhöfer & Häusler Rechtsanwälte GmbH in Wiener Neustadt, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 24. Mai 2013, GZ 16 R 112/13d-28, womit infolge Rekurses der Betroffenen der Beschluss des Bezirksgerichts Wiener Neustadt vom 16. Jänner 2013, GZ 21 P 88/10x-17, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0030OB00174.13D.1008.000

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufgetragen.

Begründung

Mit Beschluss vom 29. November 2010 wurde der Lebensgefährte der Betroffenen zu ihrem Sachwalter für alle Angelegenheiten bestellt, weil diese nach jahrzehntelangem Alkoholabusus an typischen körperlichen Folgeerkrankungen leide und nicht in der Lage sei, ihre Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich zu besorgen. Im eingeholten Gutachten wurde sie ua als völliger Pflegefall, verlangsamt, abgebaut und anhaltend desorientiert beschrieben. Sowohl im vorausgehenden Verfahren als auch im Antrittsbericht verneinte der Lebensgefährte ein (Liegenschafts-)Vermögen der Betroffenen mehrmals. Eine Grundbuchsabfrage durch das Erstgericht fand nicht statt.

Am 14. Jänner 2013 sprach der Lebensgefährte beim Erstgericht vor und gab bekannt , dass die Betroffene und er die ihnen je zur Hälfte gehörende, näher bezeichnete Liegenschaft in einer Kleingartenanlage verkauft hätten; der vertragserrichtende Notar habe den Kaufpreis von 48.500 EUR bisher noch nicht ausbezahlt, er wisse nicht, warum dies so lange dauere. Einem Grundbuchsauszug vom 16. Jänner 2013 ist das Miteigentum der Betroffenen an der Liegenschaft aufgrund eines 2007 verbücherten Kaufvertrags zu entnehmen, nicht jedoch eine Anmerkung der Bestellung eines Sachwalters. In einem Aktenvermerk vom 16. Jänner 2013 hielt die Erstrich terin fest, dass der Sachwalter in etwas verwirrtem Zustand mit dem Ersuchen erschienen sei, ihm zu helfen, das Geld vom Vertragserrichter zu bekommen. Mit diesem führte die Erstrichterin in der Folge ein Telefonat, in dem sie ihn ua von der Notwendigkeit einer pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung des Kaufvertrags informierte und er zusagte, den bei ihm erlegten Kaufpreis vorerst nicht auszubezahlen.

Mit Beschluss vom 16. Jänner 2013 enthob das Erstgericht ohne weitere Beweisaufnahme und ohne Kontaktaufnahme mit der Betroffenen den zum Sachwalter bestellten Lebensgefährten seines Amts und bestellte einen offenbar mit ihr nicht verwandten oder bekannten Rechtsanwalt zum neuen Sachwalter gemäß § 268 ABGB, der wie sein Vorgänger alle Angelegenheiten gemäß § 268 Abs 3 Z 3 ABGB zu besorgen habe . D er bisherige Sachwalter habe versucht, ein Grundstück zu verkaufen, das im gemeinsamen Eigentum stehe; es liege daher eine Kollision vor. Im Übrigen habe er auch falsche Angaben vor Gericht über die Vermögensverhältnisse der Betroffenen gemacht und damit nicht im Sinn der Betroffenen gehandelt. Deshalb sei ein Wechsel in der Person des Sachwalters zum Wohl der Betroffenen vorzunehmen.

Mit Eingabe vom 21. Jänner 2013 ersuchte der Käufer , vertreten durch den vertragserrichtenden Notar um pflegschaftsgerichtliche Genehmigung des Kaufvertrags vom 31. Oktober 2012. Die Liegensc haft sei ihm bereits übergeben worden und er habe u mfangreiche Investitionen vorgenommen. Im Falle der Ungültigkeit des Kaufvertrags hätte er einen nicht unbeträchtlichen Schaden. Erst nach dessen Abschluss sei die Besachwalterung bekannt geworden. Anlässlich der Vertragsunterzeichnung sei der Betroffenen ein geistiges Gebre chen nicht anzumerken gewesen .

Gegen die Umbestellung brachte der Lebensgefährte am 30. Jänner 2013 einen „Einspruch“ ein (ON 24), der als Rekurs vorgelegt wurde.

Mit Schreiben vom 5. Februar 2013 beantragte der Lebensgefährte „in Absprache“ mit der Betroffenen die Einholung eines neuerlichen Gutachtens, weil sich der körperliche und geistige Zustand der Betroffenen sehr stark gebessert habe (ON 25). Diesen Antrag wiederholte der Lebensgefährte am 29. März 2013 mit der Ergänzung, die Betroffene könne „weitgehend alle ihre Sachen wieder selbständig bewältigen“ (AS 153 = ON 28).

Das Rekursgericht wies den Rekurs ON 24 zurück (= eine weitere ON 28), soweit er vom enthobenen Sachwalter im eigenen Namen erhoben wurde, und gab ihm nicht Folge, soweit er im Namen der Betroffenen eingebracht wurde. Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ es nicht zu, weil erhebliche Rechtsfragen nicht zu lösen gewesen seien.

Bei der allenfalls von Amts wegen zu treffenden Entscheidung habe das Wohl der Betroffenen im Mittelpunkt zu stehen. Ein Grund für eine Umbestellung (im Sinne der Generalklausel wegen mangelnder Eignung) könne auch die Unterlassung der Einholung einer notwendigen gerichtlichen Genehmigung gemäß § 275 Abs 2 und Abs 3 iVm § 229 Abs 2 ABGB sein, die hier dem Lebensgefährten vorzuwerfen sei. Es sei irrelevant, ob er den Liegenschaftsanteil bewusst oder unbewusst verschwiegen habe, weil seine Eignung zur Ausübung der Sachwalterschaft jedenfalls in Frage gestellt sei. Seine Vorgehensweise, die Liegenschaft zu veräußern, ohne die Sachwalterschaft offen zu legen, zeuge jedenfalls davon, dass er mit Angelegenheiten der Vermögensverwaltung überfordert sei, jedenfalls aber sein eigenes Interesse an der Genehmigung des Kaufvertrags zu jenem der Betroffenen auf dessen Überprüfung in Widerspruch stehe. Die Bestellung eines Rechtsanwalts zum Sachwalter sei nicht zu beanstanden, stehe doch die Veräußerung der Liegenschaft an.

Dagegen erhob die Betroffene persönlich „Einspruch und Nichtigkeit“ (ON 29). In diesem Schreiben führt sie ua aus, sie trinke keinen Alkohol mehr und könne dank ihrem Lebensgefährten selbständig einkaufen und spazieren gehen; er habe sie gut und mit langer Geduld und Kraft „aufgepeppelt“. Es sei ihr Wunsch, dass er weiter ihr Sachwalter bleibe; er sei damit nicht überfordert. Er habe seinerzeit mit seinem Geld das Gartenhaus bezahlt und sie zur Hälfte anschreiben lassen, um sie bei seinem Tod abzusichern. Er habe sicher zu ihrem Wohl gehandelt. Sie wolle nur ihren Lebensgefährten als Sachwalter, weil sie sich dabei wohl fühle und es ihr gut gehe.

Nach einem Verbesserungsauftrag langte der vorliegende außerordentliche Revisionsrekurs des Lebensgefährten namens der Betroffenen mit dem Antrag ein, die angefochtenen Beschlüsse ersatzlos zu beheben, hilfsweise aufzuheben und zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen. Mit dem Rechtsmittel wurde eine psychiatrisch-neurologische Stellungnahme einer Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie vom 22. Juli 2013 vorgelegt. Darin wird zusammenfassend „bei glaubhafter Abstinenz seit 2010, bei gutem AEZ [vermutlich Abkürzung für: Allgemein- und Ernährungszustand] und ausreichenden kognitiven Funktionen und bei Fehlen sonstiger psychiatrischer u./od. neurologischer Komorbiditäten die Aufhebung der Besachwalterung“ befürwortet.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs der durch ihren bisherigen Sachwalter vertretenen Betroffenen ist zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt .

1. Die Vertretungsbefugnis des noch nicht rechtskräftig enthobenen Sachwalters entspricht der Rechtsprechung zum AußStrG 2005 (RIS‑Justiz RS0006229 [T23]).

2. Die Beurteilung der Notwendigkeit der Umbestellung eines Sachwalters ist auf den Einzelfall bezogen und betrifft grundsätzlich keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung (RIS‑Justiz RS0117813 [T2]). Eine Einzelfallentscheidung ist für den Obersten Gerichtshof nur dann überprüfbar, wenn im Interesse der Rechtssicherheit ein grober Fehler bei der Auslegung der anzuwendenden Rechtsnorm korrigiert werden müsste (RIS‑Justiz RS0044088). Das ist hier der Fall, weil nicht ausreichend beachtet wurde, dass bei der vorliegenden Sachwalterschaft die Personensorge und nicht die Vermögensverwaltung im Vordergrund steht.

3.1. Eine Sachwalterumbestellung setzt voraus, dass das Wohl der Betroffenen eine solche Maßnahme erfordert (RIS‑Justiz RS0117813). Das „Wohl“ der Betroffenen ist nicht allein von einem materiellen Gesichtspunkt aus zu beurteilen, sondern es ist auch auf die Befindlichkeit und den psychischen Zustand des Betroffenen abzustellen (3 Ob 75/02d). In diesem Sinn erfordert die Bestellung eines Familienfremden statt eines Nahestehenden (hier des langjährigen Lebensgefährten) von Amts wegen die Klärung der Frage, wie sich dies auf die Psyche der Betroffenen auswirken wird, weil sich die Frage der Notwendigkeit dieser Maßnahme ohne konkrete Feststellungen dazu nicht lösen lässt (3 Ob 250/06w; 1 Ob 182/05d = SZ 2005/167).

3.2. Das gilt auch im vorliegenden Fall, weil nach der Aktenlage von einer intensiven persönlichen Beziehung zwischen der Betroffenen und ihrem zum Sachwalter für alle Angelegenheiten (§ 268 Abs 3 Z 3 ABGB), also auch für die Personensorge, bestellten Lebensgefährten auszugehen ist, sodass negative Auswirkungen auf die ‑ allenfalls wegen der früheren Alkoholproblematik belastete ‑ Psyche der Betroffenen bei einer Umbestellung auf einen vollkommen Fremden jedenfalls in Betracht zu ziehen waren. Bestätigt wird dies durch den Inhalt des von der Betroffenen selbst verfassten „Einspruchs“ ON 29, in dem sie klar zum Ausdruck bringt, dass sie die Enthebung ihres Lebensgefährten strikt ablehnt.

Nachdem das Pflegschaftsgericht Kenntnis vom Liegenschaftsbesitz der Betroffenen und dessen bereits vereinbarten Verkauf erlangte, bestand auch keine Situation, die weitere Beweisaufnahmen, zB eine Befragung der Betroffenen, nicht zugelassen hätte; eine Verbücherung des Kaufvertrags war ja noch nicht erfolgt und wegen der Kontaktaufnahme mit dem Vertragserrichter auch nicht zu befürchten, der überdies die Zurückhaltung des bei ihm erlegten Kaufpreises zusagte. Eine Notwendigkeit für eine sofortige Entscheidung bestand daher nicht.

Schließlich darf der zweifelsohne dem Lebensgefährten anzulastende Fehler, dem Gericht weder den Liegenschaftsbesitz der Betroffenen bekanntzugeben noch die notwendige Genehmigung des Gerichts für dessen Verkauf einzuholen (§ 275 iVm § 229 iVm § 154 Abs 3 und 4 ABGB) ohne weitere Sachverhaltsgrundlagen nicht überbewertet werden. Es war ja der Lebensgefährte selbst, der das Gericht (wenn auch verspätet) davon informierte, sodass schon deshalb kein Anlass zur Befürchtung bestand, er habe mit der Absicht, den Vorgang zu verheimlichen oder gar die Betroffene, um die er sich seit Jahren intensiv kümmert, zu schädigen, gehandelt; vielmehr unterlief einem juristischen Laien ein Fehler, den er noch zu einem Zeitpunkt offenlegte, in dem eine Sanierung noch möglich war. Keinesfalls muss daraus zwingend und unbedingt geschlossen werden, er sei für eine weitere Ausübung des Amts eines Sachwalters für die Betroffene in jedem Fall ungeeignet, zumal er im Bereich der Personensorge offenbar erfolgreich tätig war.

Eine Ergänzung des Verfahrens durch das Erstgericht erweist sich daher als erforderlich, weil nach der derzeitigen Aktenlage die Notwendigkeit einer Umbestellung auch noch nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Das Erstgericht stellte nämlich beim Lebensgefährten anlässlich seiner Vorsprache am 16. Jänner 2013 eine nicht näher beschriebene Verwirrtheit fest, die ebenfalls einer Überprüfung bedarf. Deshalb sind die Beschlüsse der Vorinstanzen gemäß § 70 Abs 3 zweiter Satz AußStrG aufzuheben und die Sache an das Gericht erster Instanz zurückzuverweisen.

4. Für das fortgesetzte Verfahren wird noch Folgendes zu bedenken sein:

4.1. Sowohl den Eingaben des Lebensgefährten ON 25 und 28 als auch dem „Einspruch“ der Betroffenen ON 29 ist zu entnehmen, dass die (fachärztlich befürwortete) Aufhebung der Sachwalterschaft begehrt wird. Es könnte daher zweckmäßig sein, vorerst diesen Antrag zu behandeln, weil im Fall seiner Berechtigung das Genehmigungsverfahren zum Kaufvertrag unterbleiben könnte; dann bestünde die Möglichkeit einer nachträglichen Genehmigung durch die (ehemals) Betroffene.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte