OGH 3Ob250/06w

OGH3Ob250/06w21.12.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Dr. Prückner, Hon. Prof. Dr. Sailer und Dr. Jensik als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Susanne S*****, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der Betroffenen, vertreten durch Mag. Josef Koller-Mitterweissacher, Rechtsanwalt in Perg, gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom 18. September 2006, GZ 15 R 325/06d-55, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Pregarten vom 14. Juni 2006, GZ P 11/06h-51, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufgetragen.

Text

Begründung

Das Erstgericht enthob die bisherige Sachwalterin, die Mutter der jetzt 45jährigen Betroffenen, ihres Amts und bestellte eine offenbar nicht mit ihr verwandte Person zum Sachwalter.

Nach der Beschreibung des beigezogenen psychiatrischen Sachverständigen sei die Beziehung zwischen Mutter und Tochter nicht günstig, zumal sie sich diese mit jener immer schlechter verstehe. Das betreffe insbesondere das Verbieten des Umgangs der Tochter mit der Mutter unsympathischen Bekannten. Insgesamt scheine das Verhältnis zwischen Sachwalterin und Betroffener deren Wohl nicht förderlich zu sein. Bei der Vernehmung durch den Richter habe diese ihre Sachwalterin nicht dabei haben wollen. Offensichtlich sei zwischen ihnen das für Behördenwege und die Vertretung vor Gericht erforderliche Vertrauen nicht mehr vorhanden.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte über Rechtsmittel der Betroffenen und ihrer Mutter diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Die Entscheidung des Erstgerichts sei unter dem Gesichtspunkt des Vorrangs des Wohls der Betroffenen nicht zu beanstanden, auch wenn nicht geklärt worden sei, weshalb die Sachwalterin ihrer Tochter den Umgang mit einer bestimmten Person untersagt hatte. Schon bei der ersten Sachwalterbestellung habe die Betroffene erklärt, statt der Mutter lieber einen Onkel als Sachwalter zu wollen. Im Hinblick auf die künftig für einen angezeigten Wohnsitzwechsel erforderlichen Schritte erweise sich die Bestellung eines Sachwalters aus dem Kreis eines Sachwaltervereins als dem Wohl der Betroffenen entsprechend. Der außerordentliche Revisionsrekurs der durch ihre bisherige Sachwalterin (Mutter) vertretene Betroffene ist zulässig und iS des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Zur Vertretungsbefugnis der nicht rechtskräftig enthobenen Sachwalterin kann auf die Entscheidung 1 Ob 182/05d = SZ 2005/167 verwiesen werden.

In ihrem selbst verfassten Brief ON 52, den sie nach Verbesserungsversuch als Rekurs gegen den erstinstanzlichen Beschluss aufgefasst wissen wollte, brachte die Betroffene vor, sie wolle von keinem Fremden betreut werden, ihre Mutter solle weiter ihre Sachwalterin bleiben. Diese Äußerung kann nicht bloß als Rekursantrag verstanden werden. Sondern dann ist unter den gegebenen Umständen (Bestehen einer Sachwalterschaft im Allgemeinen, vorerst mangelnder Widerspruch der Betroffenen gegen die Ankündigung eines Sachwalterwechsels bei der Tagsatzung, die der angefochtenen Entscheidung vorausging, Fehlen einer ausdrücklichen Stellungnahme ihrerseits zum Thema im Besonderen), als Vorbringen einer bei Beschlussfassung erster Instanz noch nicht vorhandenen neuen Tatsache iSd § 49 Abs 3 AußStrG zu verstehen. Solche Tatsachen sind soweit zu berücksichtigen, als sie nicht ohne wesentlichen Nachteil zum Gegenstand eines neuen Antrags - ausgenommen einen Abänderungsantrag - gemacht werden können. Ein solcher Nachteil - der nach den ErläutRV zu § 49 Abs 3 AußStrG 2003 (abgedruckt bei Fucik/Kloiber, AußStrG 189) sowohl gegenüber dem Rechtsschutzwerber als auch den übrigen Parteien zu berücksichtigen wäre - ist mit der Umbestellung des Sachwalters, auch wenn diese auf neuen Antrag wieder rückgängig gemacht werden könnte, jedenfalls verbunden. Zu der sicher im Vordergrund stehenden, als beträchtlich anzusehenden Belastung der Betroffenen durch die Umbestellung auf eine (hier noch dazu bisher fremde) neue Person als Ansprechpartner und gesetzlichen Vertreter kommt die notwendige Verständigung Dritter nach § 126 AußStrG, verbunden mit möglichen Komplikationen bei allenfalls laufenden Behörden- oder Gerichtsverfahren.

Demnach hätte das Gericht zweiter Instanz diese Neuerung in seine Erwägungen zur Frage, ob das Wohl der Betroffenen, das allein nach § 282 Abs 1 iVm § 253 ABGB ausschlaggebend ist (3 Ob 46/03s = EFSlg 104.589; 1 Ob 182/05d = SZ 2005/167), die Umbestellung gebiete, einzubeziehen gehabt. Das ist aber, wie im Revisionsrekurs aufgezeigt wird, nicht geschehen.

Wenn dies auch entgegen der Ansicht der Revisionsrekurswerberin den Rechtsmittelgrund des § 66 Abs 1 Z 1 iVm § 57 Z 1 AußStrG nicht herzustellen vermag, wird damit im Ergebnis zu Recht ein sekundärer Feststellungsmangel iSd § 57 Z 5 AußStrG geltend gemacht, wie noch zu zeigen sein wird. § 57 Z 1 AußStrG entspricht im Wesentlichen § 477 Abs 1 Z 9 ZPO (vgl Fucik/Kloiber aaO § 66 Rz 2; Klicka in Rechberger, AußStrG § 57 Rz 1). Diese im AußStrG nicht ausdrücklich so bezeichnete Nichtigkeit liegt schon deshalb nicht vor, weil durch den geltend gemachten Begründungsmangel die Überprüfung der angefochtenen zweitinstanzlichen Entscheidung keineswegs gehindert wird (Zechner in Fasching/Konecny² § 503 ZPO Rz 112 mwN).

Eine Auseinandersetzung mit der vorliegenden neuen Tatsache - sei es eine Einstellungsänderung oder auch nur die erstmalige ausdrückliche Stellungnahme zum Wechsel des Sachwalters - wäre erforderlich gewesen. Wie nämlich der Oberste Gerichtshof in der zu billigenden, bereits zitierten Entscheidung 1 Ob 182/05d ausführte, erfordert die Bestellung eines Familienfremden statt eines Verwandten (auch in casu der Mutter) von Amts wegen die Klärung der Frage, wie sich dies auf die Psyche des Betroffenen auswirken, weil sich die Frage der Notwendigkeit dieser Maßnahme ohne konkrete Feststellungen dazu nicht lösen lässt. Zwar enthält der Beschluss des Erstgerichts durchaus Feststellungen über die bestehende Belastung im Verhältnis zwischen Betroffener und Sachwalterin, dieses konnte aber einerseits die neue Tatsache einer nunmehr erfolgten Ablehnung des Wechsels durch die Betroffene nicht berücksichtigen und damit auch diesen Faktor in die wohl implizit angestellte positive Prognose der Auswirkung desselben auf deren Psyche nicht einbeziehen, andererseits wäre aber die mögliche Belastung nach dem eben Dargelegten jedenfalls in die Erwägungen einzubeziehen gewesen. Dies wird demnach nachzuholen sein, was jedenfalls die Vernehmung der beiden genannten Personen, erforderlichenfalls auch ein ergänzendes Sachverständigengutachten erfordert.

Da letztlich - weil die Auswirkungen der Bestellung eines familienfremden Sachwalters schon in erster Instanz zu prognostizieren gewesen wären - der Verfahrensmangel jedenfalls zum Teil auch dem erstinstanzliche Verfahren anhaftet und eine Bestätigung oder Abänderung ohne weitere Erhebungen nach § 58 Abs 1 und 3 AußStrG wegen der erforderlichen Erhebungen nicht in Betracht kommt, sind gemäß § 70 Abs 3 zweiter Satz AußStrG die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und die Sache an das Gericht erster Instanz zurückzuverweisen.

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