OGH 15Os109/13p

OGH15Os109/13p2.10.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 2. Oktober 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Dr. Michel-Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Vasak als Schriftführerin in der Strafsache gegen Hermann H***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 20. Februar 2013, GZ 42 Hv 89/12g-37, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Hermann H***** der Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB idF BGBl 1974/60 (I/1), der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 3 StGB (idF BGBl I 2009/40; I/2/a und b), des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB (idF BGBl I 2001/130; II) und der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (idF BGBl I 2004/15; III) schuldig erkannt.

Demnach hat er in Wien

I./ zu nicht mehr festzustellenden Zeitpunkten zwischen Sommer 1988 und Anfang Juli 1994

1./ eine unmündige Person, nämlich die am 5. Juli 1980 geborene Daniela Hö***** auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht, indem er an ihr mehrfach einen „Oralverkehr“ vornahm (US 5 und 11: seine Zunge zu ihrer nackten Scheide führte und diese leckte), wobei die Tat eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) der Daniela Hö*****, nämlich eine posttraumatische Belastungsstörung mit sexueller Funktionsstörung zur Folge hatte;

2./ außer dem Fall des § 206 eine geschlechtliche Handlung an einer unmündigen Person, nämlich der am 5. Juli 1980 geborenen Daniela Hö***** vorgenommen bzw von ihr an sich vornehmen lassen, indem er

a./ sie ca 10 Mal an ihrer nackten Scheide streichelte;

b./ sie wiederholt veranlasste, ihn händisch zu befriedigen, wobei die Tat (zu ergänzen: zu a und b; US 3, 6 und 12 f) eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) der Daniela Hö*****, nämlich eine posttraumatische Belastungsstörung mit sexueller Funktionsstörung zur Folge hatte;

II./ zu einem nicht mehr festzustellenden Zeitpunkt im Zeitraum von „2000 bis 2002“ (US 3, 7, 11 und 5 richtig: 1990 bis 1992) mit einer unmündigen Person, nämlich der am 5. Juli 1980 geborenen Daniela Hö***** den Beischlaf unternommen, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) der Daniela Hö*****, nämlich eine posttraumatische Belastungsstörung mit sexueller Funktionsstörung zur Folge hatte;

III./ durch die zu I/1 und 2 sowie II beschriebenen Tathandlungen mit einer minderjährigen Person, die seiner Aufsicht unterstand, unter Ausnützung seiner Stellung ihr gegenüber geschlechtliche Handlungen an ihr vorgenommen oder von ihr an sich vornehmen lassen.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit einer auf Z 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, die ihr Ziel verfehlt.

Mit dem Einwand, die Bezeichnung des Tatopfers an einer Stelle des Urteils (US 4) als „Nichte“ des Angeklagten stehe der Feststellung, Daniela Hö***** sei die Pflegetochter seiner Schwester (US 4) diametral entgegen, spricht die Mängelrüge (Z 5 dritter Fall) keine für die Lösung der Schuldfrage oder für die Subsumtion entscheidende Tatsache an (vgl RIS-Justiz RS0106268). Im Übrigen wird der Angeklagte an anderer Stelle als „Pflegeonkel“ tituliert (US 6), sodass sich die aus der familiären Aufnahme des Opfers ergebende Bezeichnung „Nichte“ (die der Angeklagte auch selbst benutzte; vgl US 8 iVm ON 2 S 23 und ON 14 S 7) im Kontext der übrigen Feststellungen relativiert, die zweifelsfrei auf ein bloßes Pflegeverhältnis und keine leibliche Verwandtschaft Bezug nehmen (US 4 ff).

Soweit der Beschwerdeführer mit der weiteren Argumentation, als seiner Nichte wäre der Zeugin Hö***** ein dieser - anlässlich ihrer gemäß § 165 StPO durchgeführten Vernehmung im Ermittlungsverfahren (ON 7 S 5) verwehrtes - Entschlagungsrecht (§ 156 Abs 1 Z 1 StPO) zugestanden, der Sache nach die Einbringung eines im Sinn des § 159 Abs 3 erster Satz StPO nichtigen Protokolls über eine Vernehmung oder deren technische Aufzeichnung in die Hauptverhandlung aufzuzeigen trachtet, würde die Geltendmachung des solcherart angesprochenen Nichtigkeitsgrundes (§ 281 Abs 1 Z 2 StPO; vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 169 f) am Fehlen eines Widerspruchs in der Hauptverhandlung scheitern, in welcher abgesehen von der (hingenommenen) Vorführung der Aufnahme der kontradiktorischen Vernehmung des Opfers (§ 252 Abs 1 Z 2a StPO iVm § 156 Abs 1 Z 2 StPO) auch ein einverständlicher Vortrag (§ 252 Abs 2a StPO) des gesamten Akteninhalts erfolgte (ON 36 S 19). Nichtigkeit dieser Aussage im Sinn des § 159 Abs 3 StPO und damit Nichtigkeit der Beweisaufnahme nach § 281 Abs 1 Z 2 StPO kommt aber von vornherein nicht in Betracht, weil der Akteninhalt (vgl ON 2 S 7 und 41, ON 7 S 5 sowie ON 14 S 7) keinen Anhaltspunkt dafür bietet, dass Daniela Hö***** eine leibliche Tochter (und nicht bloß ein wie eine solche aufgenommenes Pflegekind) der Schwester des Angeklagten und damit auch dessen Angehörige (§ 72 StGB) im Sinn des § 156 Abs 1 Z 1 StPO ist (vgl Jerabek in WK² § 72 Rz 8 und 11).

Die inhaltlich bloß gegen die rechtliche Annahme von durch schwere Tatfolgen im Sinn des § 84 Abs 1 StGB qualifizierten strafbaren Handlungen gerichtete Kritik (nominell Z 9 lit a, der Sache nach Z 10) orientiert sich nicht am gesamten Urteilssachverhalt, wonach es der Angeklagte bei seinen Angriffen ernsthaft für möglich hielt, dass die Taten bei Daniela Hö***** eine schwere Körperverletzung in Form der (davor im Urteil als eine mit über 24 Tage dauernden seelischen Schmerzen verbundene und einer sexuellen Funktionssstörung einhergehende posttraumatische Belastungsstörung in Form von Dissoziation, sozialem Rückzug, starken Stimmungsschwankungen und psychosomatischen Erkrankungen) „geschilderten psychischen Probleme“ zur Folge haben könnten und sich damit abgefunden hat (insbesondere US 6). Der bloß an der rechtlichen Beurteilung (US 12) orientierte Vorwurf einer vorgeblich „nicht gesetzeskonformen“ „Wiedergabe des Gesetzestextes“ (vgl dagegen RIS-Justiz RS0119090 und RS0098936) zur Umschreibung des in Bezug auf den Eintritt der Tatfolge angenommenen bedingten Vorsatzes (§ 5 Abs 1 StGB) geht somit ins Leere. Welcher Feststellungen zur Erfassung der entsprechenden „Wissens- und Wollenskomponente“ es darüber hinaus bedurft hätte und welche aus dem Gesetz abgeleiteten Überlegungen gegen die erfolgte Subsumtion sprechen, erklärt die Beschwerde nicht und verfehlt damit eine prozessordnungsgemäße Darstellung materiell-rechtlicher Nichtigkeit (vgl RIS-Justiz RS0099810, RS0099724 und RS0119884; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 584). Im Übrigen reicht für die Annahme einer Erfolgsqualifikation im Sinn des § 7 Abs 2 StGB fahrlässige Herbeiführung der (schweren) Tatfolge aus (Burgstaller in WK2 § 7 Rz 8 ff; Philipp in WK2 StGB § 206 Rz 15 unter Verweis auf § 201 Rz 30; vgl auch RIS-Justiz RS0089253).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufung ergibt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Bleibt mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO anzumerken, dass nach ständiger Rechtsprechung (auch) bei ungleichartiger Realkonkurrenz erfolgsqualifizierter strafbarer Handlungen ein- und derselbe Erfolg (rechtlich) die entsprechende Qualifikation nur bei einer der zusammentreffenden Taten begründet, und zwar bei derjenigen, die mit dem strengsten Strafsatz verknüpft ist (verstärkter Senat vom 2. Oktober 2012, 14 Os 172/11t; RIS-Justiz RS0128224, RS0120828 [T5]; zur Verjährungsfrage jüngst 15 Os 52/13f). Das Erstgericht, das sämtliche Tathandlungen „in ihrer Gesamtheit“ als kausal für den Eintritt der posttraumatischen Belastungsstörung der Daniela Hö***** erachtete (US 6 und 12 f; vgl dagegen RIS-Justiz RS0091997), lastete dem Angeklagten die schwere Folge demgegenüber bei jeder einzelnen Tat, somit nicht nur (einmal) zu II sondern jeweils auch (mehrfach) zu I/1 sowie I/2/a und b an (US 3 und 12 f). Die vorgenommene - insoweit vom Angeklagten ungerügt gebliebene - Subsumtion der zu I/1 sowie I/2/a und b bezeichneten Taten (auch) unter § 207 Abs 2 erster Fall StGB idF BGBl 1974/60 (I/1) und § 207 Abs 3 (erster Fall) StGB idF BGBl I 2009/40 (I/2/a und b) war somit verfehlt (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO).

In letzterem Fall (I/2/a und b) missachtete das Gericht zudem, dass nach § 61 zweiter Satz StGB Gesetze auf vor ihrem Inkrafttreten begangene Taten anzuwenden sind, wenn jene, die zur Zeit der Tat gegolten haben, für den Täter in ihrer Gesamtheit nicht günstiger waren. Gegenüber der eine Strafdrohung von fünf bis fünfzehn Jahren normierenden Bestimmung des § 207 Abs 3 erster Fall StGB idF BGBl I 2009/40 (Fassung des § 207 StGB im Urteilszeitpunkt) sah der zur Tatzeit geltende § 207 Abs 2 erster Fall StGB idF BGBl 1974/60 lediglich eine Strafdrohung von einem bis zu zehn Jahren vor. Somit stellte sich die zur Tatzeit gültige Rechtslage für den Angeklagten - was die Qualifikation betrifft - insgesamt als günstiger dar, weshalb die zu I/2/a und b beschriebenen Taten - wäre eine mehrfache Zurechnung der schweren Tatfolge rechtlich zulässig gewesen - konsequenterweise § 207 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB idF BGBl 1974/60 zu subsumieren gewesen wären. Da im konkreten Fall - wie eingangs ausgeführt - jedoch die mehrfache Erfolgszurechnung verfehlt war, wäre die Unterstellung sämtlicher zu I/2/a und b umschriebenen Handlungen unter § 207 Abs 1 StGB idF BGBl 2009/40 geboten gewesen, weil diese im Urteilszeitpunkt geltende Bestimmung (im hier anzuwendenden Grundtatbestand) nicht ungünstiger war als die zur Tatzeit geltende.

Zu I/1 des Schuldspruchs ist weiters darauf hinzuweisen, dass das vom Schöffengericht festgestellte Lecken an der nackten Scheide (US 5 und 11) das für eine Gleichstellung mit einem Geschlechtsverkehr wesentliche Element einer Penetration nicht erkennen lässt (vgl RIS-Justiz RS0095201; RS0094905; RS0095025). Das Ansetzen der Zunge entspricht nur dann einem tatbestandsmäßigen Unternehmen einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung, wenn das Berühren des äußeren Geschlechtsteils mit dem geforderten Penetrationsvorsatz verbunden ist. Dafür bieten die getroffenen Feststellungen allerdings keinen Anhaltspunkt (vgl RIS-Justiz RS0095144; 12 Os 4/10w; 12 Os 183/11w). Demnach war die Anwendung des § 207 Abs 1 (und Abs 2 erster Fall) StGB idF BGBl 1974/60, die auf der Überlegung beruhte, dass § 206 StGB (damals) dem Beischlaf gleichzusetzende Handlung nicht erfasste und deshalb § 207 StGB zur Tatzeit schon im Grundtatbestand die günstigere Norm darstelle (US 9 f), nicht indiziert, sondern wären auch die zu I/1 umschriebenen Tathandlungen § 207 Abs 1 StGB idF BGBl 2009/40 zu subsumieren gewesen, weil - wie bereits ausgeführt - die Qualifikation aus rechtlichen Gründen ohnehin nicht anzunehmen war. Bloß aus diesem Grund ist zu III im Umfang der Idealkonkurrenz mit I/1 die Anwendung des § 212 Abs 1 Z 2 StGB in der im Urteilszeitpunkt geltenden (gegenüber jener zum Tatzeitpunkt nicht ungünstigeren) Fassung im Ergebnis rechtsrichtig erfolgt (zur Unzulässigkeit einer vom Erstgericht zu III in Bezug auf I/1 vorgenommenen Kombination aus verschiedenen Rechtsschichten vgl Höpfel/U. Kathrein in WK² § 61 Rz 6; RIS-Justiz RS0112939).

Mit den aufgezeigten rechtsirrigen Annahmen zu I/1 sowie I/2/a und b ist jedoch kein Nachteil im Sinn des § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO verbunden, weil die - wenn auch multiplen - Subsumtionsfehler den hier im Hinblick auf den Schuldspruch zu II für die Strafbemessung zur Verfügung stehenden Strafrahmen (§ 28 StGB) unberührt lassen. Sie haben sich auch bei der Strafzumessung nicht nachteilig ausgewirkt, zumal die mehrfache Zurechnung der Tatfolge im Sinn des § 84 StGB nicht erschwerend gewertet (US 13) und der vom Erstgericht unter dem Gesichtspunkt eines „Zusammentreffens mehrerer Vergehen und Verbrechen“ (US 14) herangezogene Erschwerungsgrund nach § 33 Abs 1 Z 1 StGB auch mit Blick auf die (zu I/1 sowie I/2/a und b) richtigerweise vorzunehmende Subsumtion nach § 207 Abs 1 StGB idF BGBl 2009/40 verwirklicht wurde (vgl Ratz, WK-StPO § 290 Rz 24). Bei der Entscheidung über die Berufung besteht für das Oberlandesgericht im erwähnten Umfang auch keine Bindung an den Ausspruch des Erstgerichts über das anzuwendende Strafgesetz (RIS-Justiz RS0118870; Ratz, WK-StPO § 290 Rz 27a und § 295 Rz 15).

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