OGH 9Ob52/13g

OGH9Ob52/13g27.9.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner in der Rechtssache der klagenden Partei J***** H*****, vertreten durch Kinberger‑Schuberth‑Fischer Rechtsanwälte GmbH in Zell am See, gegen die beklagte Partei E***** M*****, vertreten durch Dr. Gerhard Lebitsch, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Einwilligung (Streitwert: 8.405 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 16. Mai 2013, GZ 53 R 64/13p-74, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Zell am See vom 17. Dezember 2012, GZ 20 C 557/09h-70, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Begründung

Der Kläger benutzt, bewirtschaftet und mäht seit dem Jahr 1970 eine westlich an seine Liegenschaft EZ *****, angrenzende, 1.681 m 2 große Teilfläche des Grundstücks 244/1 der im Eigentum der Beklagten stehenden Liegenschaft EZ *****, bis zu einem von ihm errichteten Zaun. Der Verlauf des Zauns weicht von der zwischen den Grundstücken verlaufenden Katastergrenze ab. Zwischen 1974 und 1977 führte der Kläger eine Rodung (Erlenbruchwald) im südlichen Bereich seiner Liegenschaft und der strittigen Teilfläche bis zur jetzigen Nutzungsgrenze durch.

Der Kläger begehrte, die Beklagte für schuldig zu erkennen, in die lastenfreie Abschreibung dieser Teilfläche und Zuschreibung zu seiner Liegenschaft einzuwilligen und die dafür erforderlichen grundbücherlichen Erklärungen abzugeben, weil er die Teilfläche durch mehr als dreißigjährige Nutzung redlich und echt ersessen habe.

Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass die Nutzungsgrenze bis 1994 mit der tatsächlichen Katastergrenze übereingestimmt habe. Seither sei der Zaun jedoch „gewandert“. Dem Kläger fehle es an der Gutgläubigkeit über den gesamten Ersitzungszeitraum, zumal er von der AMA Agrarmarkt Austria, die seit 1995 Flächennutzungsprüfungen durchführe, über eine Änderung der ihm zugeordneten Wirtschaftsfläche verständigt worden sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Wesentlichen mit der Begründung statt, dass der Kläger hinsichtlich der Teilfläche die Ersitzungsvoraussetzungen der Redlichkeit und Echtheit des Besitzes über einen Zeitraum von mehr als dreißig Jahren erfüllt habe.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Ausführung der Beklagten, dass die Rodung der Teilfläche einen rechtlich unmöglichen Sachgebrauch darstelle, der eine Ersitzung hindere, erachtete es als unzulässigen Verstoß gegen das Neuerungsverbot. Nachträglich erklärte es die Revision zur Frage für zulässig, ob ein öffentlich-rechtliches Rodungsverbot als mögliches Ersitzungshindernis auch ohne entsprechendes Vorbringen der Beklagten im Sinne einer allumfassenden Prüfung zu klären sei. Danach könnte fraglich sein, ob eine dem § 17 ForstG widersprechende Rodung einen rechtlich unmöglichen Sachgebrauch darstelle, der die Ersitzung des Eigentumsrechts hindere.

In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu, ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und im Sinne des Eventualantrags berechtigt .

1. Die zu Punkt II.1. und II.2. getätigten Ausführungen der Revision richten sich gegen die Feststellungen des Erstgerichts zum Verlauf des Zauns als Natur- und als Nutzungsgrenze seit dem Jahr 1970. Sachverhaltsfeststellungen sind jedoch keiner Revision zugänglich, weil der Oberste Gerichtshof keine Tatsacheninstanz ist (vgl RIS‑Justiz RS0043371, RS0043414). Darauf kann daher nicht eingegangen werden.

2. Die gesetzlichen Voraussetzungen der Ersitzung sind eine ersitzungsfähige Sache, ein jedenfalls durch Redlichkeit und Echtheit qualifizierter Besitz und dessen Ausübung während einer bestimmten Zeit (s nur Koziol/Welser I 13 338). Die Beweislast für die Ersitzungsvoraussetzungen trifft hiebei grundsätzlich den Ersitzungsbesitzer, insbesondere für Art und Umfang der Besitzausübung sowie die Besitzdauer (7 Ob 226/01p). Dem beklagten Ersitzungsgegner hingegen obliegt der Beweis der Unredlichkeit, weil die Redlichkeit des Besitzers gemäß § 328 ABGB im Zweifel vermutet wird (RIS‑Justiz RS0010185).

Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass auch das Eigentum an einer bestimmten Teilfläche eines Grundstück ersessen werden kann (RIS-Justiz RS0011696 [T2], s auch RS0045838 [T1]). Allerdings ist gemäß § 50 VermG die Ersitzung von Teilen eines im Grenzkataster enthaltenen Grundstücks ausgeschlossen (RIS‑Justiz RS0011696 [T3]; Meissel in KBB 3 ABGB § 1455 Rz 2). Damit soll verhindert werden, dass die durch exakte Vermessung ermittelten und im Grenzkataster erfassten Abmessungen der Grundstücke, auf die sich die bücherlichen Rechte beziehen, nachträglich durch eine Ersitzung von Grundstücksteilen unrichtig werden ( Twaroch , Kataster- und Vermessungsrecht 2 [2012] § 50 Anm 2).

Sowohl das Klagsvorbringen als auch der festgestellte Sachverhalt (von der Katastergrenze abweichender Zaunverlauf) deuten darauf hin, dass das im Eigentum der Beklagten stehende Grundstück 244/1, von dem die streitgegenständliche Teilfläche abgeschrieben werden soll, nach der dafür maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz (7 Ob 226/01p) im Grenzkataster erfasst sein könnte, sodass die Teilfläche insofern kein ersitzbarer Gegenstand wäre. Dieser Umstand wurde bisher von keiner der beiden Parteien ins Treffen geführt. Da eine Entscheidung jedoch nur dann auf rechtliche Gesichtspunkte, die eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, gestützt werden kann, wenn sie mit den Parteien erörtert wurden und ihnen Gelegenheit zur Äußerung gegeben wurde (RIS‑Justiz RS0037300 [T46 ua]), wird dies im dazu fortzusetzenden Verfahren nachzuholen sein.

Dazu ist der Revision im Sinne des Aufhebungsantrags Folge zu geben und die Rechtssache im aufgezeigten Sinn zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

3. Sollte sich herausstellen, dass die strittige Teilfläche von § 50 VermG nicht berührt wird, so ist zur vom Berufungsgericht aufgeworfenen Frage Folgendes anzumerken:

Vor allem im Zusammenhang mit Dienstbarkeiten wurde ausgesprochen, dass das jeweilige Recht durch Ersitzung erworben werden kann, sofern nicht Sondervorschriften die Ersitzung ausschließen. Das in einem gesetzlichen Verbot der Nutzungsausübung liegende Ersitzungshindernis wird im Wesentlichen damit begründet, dass ein zwingenden Bestimmungen des öffentlichen Rechts widersprechender und damit rechtlich unmöglicher Sachgebrauch kein ersitzungsfähiger Gegenstand iSd § 1460 ABGB sein kann. Ein solches Ersitzungsverbot erfordert demnach ein unmissverständlich und zwingend angeordnetes Verbot jener Nutzungsausübung, die andernfalls zum Erwerb eines entsprechenden dinglichen Rechts durch Ersitzung führen könnte (1 Ob 275/03b; 5 Ob 70/04m ua). Ein die Ersitzung hinderndes Verbot liegt aber nicht schon immer dann vor, wenn gegen eine Bewilligungspflicht verstoßen wurde. Es ist vielmehr eine Wertungsfrage, ob ein konkreter Verstoß gegen eine Bewilligungspflicht einer rechtlich unmöglichen Nutzung gleichzusetzen ist. Das Verbot muss sich außerdem unmittelbar auf das ausgeübte Recht beziehen ( Gusenleitner-Helm in Klang 3 ABGB § 1455 Rz 35).

Ungeachtet dessen, dass Rodungen nicht generell verboten, sondern gemäß den §§ 17, 17a ForstG 1975 bewilligungs- oder auch nur anzeigepflichtig sind (zur Differenzierung von Verbot und Bewilligungspflicht s 1 Ob 89/10k), besagt der genannte Rechtssatz lediglich, dass ein rechtlich unmöglicher Sachgebrauch kein ersitzungsfähiger Gegenstand ist. Selbst wenn man annimmt, dass eine Rodung ohne forstrechtliche Rodungsbewilligung einen rechtlich unmöglichen Sachgebrauch darstellt, so ist im vorliegenden Fall nicht zu übersehen, dass der Kläger nicht die Ersitzung eines entsprechenden Rechts zur Rodung, sondern des Eigentums an der strittigen Teilfläche geltend macht. Eine solche Ersitzung führt aber noch nicht zum Erwerb eines Rechts auf eine Nutzung, der ein öffentlich-rechtliches (forstrechtliches) Verbot entgegenstünde. Auch wird ein Grundstück oder ein Grundstücksteil durch die allfällige forstrechtliche Pflicht zur Einholung einer Rodungsbewilligung noch nicht dem Rechtsverkehr entzogen. Der bloße Umstand, dass der Kläger eine von mehreren Ersitzungshandlungen (Rodung) gegebenenfalls ohne forstrechtliche Genehmigung durchgeführt haben mag, kann danach keinen Einfluss auf die Ersitzungsfähigkeit des streitgegenständlichen Teilgrundstücks haben.

Auch dann, wenn die Ersitzung des Teilgrundstücks nicht an § 50 VermG scheitert, kommt es daher auf die Klärung der vom Berufungsgericht aufgeworfenen Frage nicht an.

4. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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