OGH 6Ob179/12k

OGH6Ob179/12k28.8.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** S*****, vertreten durch B & S Böhmdorfer Schender Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei E***** AG, *****, vertreten durch Brandl & Talos Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 159.855,29 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. Mai 2012, GZ 4 R 617/11a‑29, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 25. August 2011, GZ 31 Cg 60/09x‑24, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit 10.938,64 EUR (darin 850,44 EUR Umsatzsteuer und 5.836 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger erlangte 2001/2002 durch den Verkauf eines Reitstalls Barvermögen in Höhe von rund 3 Mio EUR. Da er dieses Vermögen zu einem großen Teil in Wertpapieren veranlagen wollte, wurde er bei der beklagten Bank, deren Kunde er schon länger war, in den Bereich „Private Banking“ (vermögende Privatkunden) übernommen. Bis dahin hatte der Kläger lediglich Konten und Sparbücher und einen Kredit bei der Beklagten gehabt, jedoch kein Wertpapierdepot. Er hatte bis dahin auch keine Aktien besessen und keine Erfahrungen mit dieser Veranlagungsform gemacht.

Im Jahr 2002 kam es diesbezüglich zu ersten Gesprächen mit dem Gruppenleiter Private Banking der Beklagten, R***** B*****, und dessen Mitarbeiter J***** M*****, der in weiterer Folge auch die Betreuung des Klägers übernahm. Es ging dabei darum, die allgemeine Risikoveranlagung des Klägers, welche Risikoklassen es gibt und ob der Kläger sein Geld der allgemeinen Vermögensverwaltung der Beklagten übertragen wolle, festzulegen. Dem Kläger wurden die allgemeinen Risikoklassen von Veranlagungen vorgestellt und ihm dabei drei Möglichkeiten präsentiert, nämlich ein Vermögensverwaltungsvertrag, bei dem der Beklagten das Geld zur Veranlagung zur Verfügung gestellt wird, die Möglichkeit, mit dem Berater Rücksprache vor Veranlagungen zu halten, und die Variante, dass der Kläger allein über die Veranlagungen entscheidet. Der Kläger wählte die Möglichkeit, gemeinsam mit dem Berater Strategien für die Veranlagung auszuarbeiten. Daraufhin wurden am 2. 12. 2002 ein Depoteröffnungsvertrag abgeschlossen und ein Kundenprofil (Risikoprofil) mit dem Kläger erstellt.

Im Herbst 2002 erwarb der Kläger Immo-Aktien, wobei diese Aktien durch ein Absicherungsgeschäft mit einem garantierten Zinsertrag ausgestattet waren. Außerdem investierte der Kläger in andere, nicht abgesicherte Immobilienaktien und auch in andere Aktien, wobei ihm bewusst war, dass man mit Aktien auch Verluste machen kann. Seine „Informationsentscheidungen“ traf der Kläger dabei so, dass er einerseits selbstständig mit Vorstellungen bezüglich Neukäufen zu seinem Berater bei der Beklagten kam und von diesem die Käufe umgesetzt haben wollte, andererseits aber auch wissen wollte, was ihm der Berater hinsichtlich Neuerwerbungen empfehlen könne. Im Laufe der Jahre entwickelte sich der Kläger dabei zu einem informierten und erfahrenen Anleger.

Im Jahr 2005 wurde dem Kläger eine Präsentationsmappe über Immobilienwertpapiere übergeben, worin die Vorteile der Investitionen in Immobilienaktien gegenüber anderen Aktien genannt und hervorgestrichen werden. Dem Kläger wurde auch gesagt, dass Immobilienaktien gegenüber anderen Aktien sehr sicher seien, weil im Hintergrund Immobilien stünden. Zu Immofinanz- und Immoeast-Aktien wurde dem Kläger mitgeteilt, dass diese hauptsächlich in Österreich und Deutschland in Immobilien veranlagten, die Immoeast AG hauptsächlich im Osten. Es wurde ihm dabei jedoch nicht zugesagt, dass man mit solchen Immobilien-Aktien keinen Verlust machen könne; ebenso wenig wurde ihm gesagt, dass diese Immobilienaktien sicherer seien als andere Aktien. Der Kläger schloss dies jedoch daraus, dass die Immobilienaktien in seinem vierteljährlichen Anlegerreport nicht unter normalen Aktien ausgewiesen waren, sondern unter Immobilienveranlagungen und auch daraus, dass er im Jahr 2002 fixverzinsliche Sparkassen‑Immobilienaktien mit Kapital- und Zinsgarantie gehabt hatte. Schließlich wurde dem Kläger zu den Immofinanz-Aktien auch nicht gesagt, dass die Beklagte für die Kursverluste oder sonstige Abschläge hafte. Dem Kläger war der Unterschied zwischen Immobilien und Immobilienaktien bewusst.

Im Jahr 2005 erwarb der Kläger unter Beratung durch J***** M***** Aktien der Immofinanz AG und der Immoeast AG.

Am 24. 10. 2005 füllte J***** M***** mit dem Kläger ein Kundenprofil aus, wobei ein frei verfügbares Nettovermögen von 3,53 Mio EUR, Geldeinlagen von 230.000 EUR, Renten sowie Rentenfonds von 2 Mio EUR und Aktien sowie Aktienfonds von 1,3 Mio EUR ausgewiesen waren. Als Anlageziel wurden Vermögensaufbau und Vorsorge angekreuzt, als Anlagedauer langfristig (über 5 Jahre). Hinsichtlich Kenntnisse und Erfahrungen wurde angekreuzt: Fremdwährungs-Veranlagungen, Renten, Rentenfonds, Aktien und Aktienfonds. Hinsichtlich der Risikobereitschaft (Risikotyp) wurde angekreuzt: dynamisch ‑ risikobewusst, Erhöhung des Anteils risikoreicher Wertpapiere im Finanzvermögen um höhere Ertragschancen zu nutzen (bis zu 60 % risikoreiche Wertpapiere).

Um dem Kläger auch die Möglichkeit telefonischer Wertpapierorders einzuräumen, unterfertigte dieser am 3. 8. 2005 eine so genannte Telefonvereinbarung, wobei er sich diese Vereinbarung vor der Unterschrift nicht durchlas. Er führte allerdings in weiterer Folge immer wieder telefonische Orders von Wertpapieren durch, wobei nicht feststeht, dass der Kläger bei all diesen Orders über Aktien und andere Wertpapiere vorher auch beraten worden wäre.

Mit Februar 2006 wurde die Betreuung des Klägers beim Private Banking von J***** M***** an M***** N***** abgegeben. Aus diesem Anlass wurde die Telefonvereinbarung, die der Kläger bereits mit 3. 8. 2005 unterfertigt hatte, diesem von M***** N***** am 9. 3. 2006 neuerlich vorgelegt und mit ihm durchgegangen. M***** N***** erklärte dem Kläger, dass, wenn dieser bei einer Telefonorder einen Mitarbeiter der Beklagten anruft, die Order aufgenommen und ohne weitere Beratung ausgeführt wird.

Die beiden unterfertigten Telefonorderformulare lauteten auszugsweise wie folgt:

Telefonvereinbarung

Ich/Wir erkläre(n), über das erforderliche Wissen, über die Geld- und Kapitalmärkte, deren Risiken, die Börsenusancen sowie eine umfangreiche Erfahrung mit Geld- und Kapitalmärkten zu verfügen. Die einzelnen Kundenaufträge nehmen Sie nur zur Abwicklung entgegen und erbringen daher im Rahmen dieser Vereinbarung keine Anlageberatung („Execution Only“). Informationen, Marktkurse und Einschätzungen sind nicht als Empfehlung ihres Instituts zu verstehen, bestimmte Geschäfte zu tätigen oder zu unterlassen. Ich/wir schließe(n) meine/unsere Geschäfte aufgrund eigener Einschätzung ab und trage(n) daher alle mit dem Wertpapiergeschäft verbundenen Risiken und daraus eventuell resultierenden Nachteile.

Bei der Übernahme der Beratung des Klägers im Februar 2006 empfahl M***** N***** dem Kläger, Immofinanz-Aktien gegen Immoeast-Aktien auszutauschen, sprich Immofinanz-Aktien zu verkaufen und Immoeast-Aktien dafür anzukaufen. M***** N***** erklärte dem Kläger jedoch nicht, dass die Immofinanz-Aktie nicht mehr als 20 % unter den Net Asset Value (NAV) fallen könne.

Der Kläger kaufte im Februar 2006 und im November 2007 Immoeast-Aktien und verkaufte im Februar 2006 und August 2007 Immofinanz-Aktien. Außerdem verkaufte er im August 2007 Immoeast-Aktien. Zu den Verkäufen im Jahr 2007 war es aufgrund massiver Kurseinbrüche der Aktien gekommen, aufgrund welcher der Kläger etwas in Panik geraten und sein gesamter Depotstand wertmäßig gesunken war. Durch den Verkauf der Immofinanz‑Aktien im August 2007 hatte der Kläger jedoch einen Gewinn von zumindest 31.375,99 EUR gemacht.

Am 11. 12. 2007 wurde mit dem Kläger ein neues Kundenprofil ausgefüllt, bei dem die Risikobereitschaft von dynamisch risikobewusst auf sicherheitsbetont weitestgehend risikoarme Wertpapiere (bis zu 10 % risikoreiche Wertpapiere) angekreuzt wurde. Als Anlagedauer wurde langfristig (über fünf Jahre) angekreuzt, an Kundenvermögen waren freies und verfügbares Nettovermögen von 173.000 EUR, Rentenfonds von 2.682.000 EUR, Aktien- sowie Aktienfonds von 182.000 EUR (gesamt 3,037 Mio EUR) angegeben.

Die Immofinanzaktien waren im Zuge der Börsenkrise im Laufe des Jahres 2007 vom Höchststand 12,54 auf bis zu 6,22 EUR gesunken. Der Kläger hatte diese Entwicklung auch mitverfolgt. Es steht nicht fest, dass M***** N***** dem Kläger auch nach dieser Entwicklung geraten hätte, Immofinanz-Aktien zu erwerben.

Ende des Jahres 2007 (der Kläger hielt zu diesem Zeitpunkt nur Immoeast-Aktien, jedoch keine Immofinanz-Aktien) wurde im Zuge eines Beratungsgesprächs bei der Immoeast-Aktie ein Stopp-Loss-Limit eingefügt.

Am 11. 12. 2007 wurde dem Kläger nochmals ein Konvolut mit Risikohinweisen zu Wertpapierkäufen ausgefolgt und von ihm der Empfang dieses Konvoluts auch durch Unterschrift bestätigt. In diesen Risikohinweisen ist unter anderem wie folgt angeführt:

Grundsätzlich ist bei der Veranlagung in Wertpapieren zu beachten:

Bei jeder Veranlagung hängt der mögliche Ertrag direkt vom Risiko ab. Je höher der mögliche Ertrag ist, desto höher wird das Risiko sein. Auch irrationale Faktoren (Stimmungen, Meinungen, Erwartungen, Gerüchte) können die Kursentwicklung und damit den Ertrag Ihrer Investition beeinflussen.

Aktien ‑ Kursrisiko:

Die Aktie ist ein Wertpapier, das in den meisten Fällen an einer Börse gehandelt wird. In der Regel wird täglich nach Angebot und Nachfrage ein Kurs feststellt. Aktienveranlagungen können zu deutlichen Verlusten führen. Im Allgemeinen orientiert sich der Kurs einer Aktie an der wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens sowie an den allgemeinen wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen. Auch irrationale Faktoren (Stimmungen, Meinungen) können die Kursentwicklung und damit den Ertrag der Investition beeinflussen.

Bonitätsrisiko:

Als Aktionär sind Sie an einem Unternehmen beteiligt. Insbesondere durch dessen Insolvenz kann Ihre Beteiligung wertlos werden.

Es steht nicht fest, dass die Berater der Beklagten bei ihren Beratungen Immobilienaktien mit Immobilien gleichsetzten.

Im September 2007 war der Net Asset Value (NAV) der Immofinanz-Aktie mit 9,17 EUR bewertet.

Der Kläger erkundigte sich bei seinem Berater M***** N***** manchmal auch nach Produkten, die dieser selbst gar nicht kannte, so etwa betreffend spekulative Hedgefonds, und erwarb auch diese spekulativen Produkte wie etwa Superfund, weil es sich dabei um einen Sponsor seines Reitstalls gehandelt hatte, oder Zertifikate der Royal Bank of Scotland, ohne dabei von einem Berater der Beklagten beraten worden zu sein.

Ende des Jahres 2007 kam es zu Beschwerden des Klägers über die Depotabrechnung, weshalb Gruppenleiter R***** B***** im Jahr 2008 wieder die Betreuung des Klägers übernahm und ihn in den ersten Monaten des Jahres 2008 um ein persönliches Gespräch bat; ein Termin kam vorerst jedoch nicht zustande.

Ohne Beratung durch einen Betreuer der Beklagten fasste der Kläger am 11. 6. 2008 den Entschluss, wieder Immofinanz-Aktien zu kaufen, und rief deswegen bei der Assistentin Private Banking (Junior) U***** R***** an. Er orderte Immofinanz-Aktien zu einem Kaufpreis von 7 EUR je Aktie bis zu einer Gesamtsumme von 250.000 EUR. Er stellte bei dieser Kauforder keinerlei Fragen zur Veranlagung; er wurde von U***** R***** auch nicht beraten; U***** R***** wäre dazu auch gar nicht ermächtigt gewesen. U***** R***** hatte bei einer solchen Telefonorder (Execution Only) nicht die Anweisung zu überprüfen, ob die Order noch im Prozentsatz des Risikobereichs des Klägers gelegen war. Sie führte den Kauf, wie vom Kläger beauftragt, durch und bestätigte die Entgegennahme der Kauforder mit E-Mail vom 10. 6. 2008. Hinsichtlich der Durchführung mailte sie dem Kläger am 11. 6. 2008: Ihre Kauforder der Immofinanz in Höhe von 250.000 EUR (35.330 Stück) mit Limit 7 EUR wurde soeben vollständig ausgeführt. Bei Fragen stehe ich Ihnen jederzeit gern zur Verfügung.

Die 35.330 Stück Aktien hatten zum Kaufzeitpunkt einen Preis von 247.310 EUR zuzüglich Wertpapierspesen von 2.720,96 EUR, insgesamt somit 250.030,96 EUR.

Laut Depotaufstellung vom 2. 6. 2008 hatte der Kläger Wertpapiere im Wert von 2,795 Mio EUR in seinem Depot, darunter mit Bonuszertifikaten, der Veranlagung Superfund Q-AG sowie den Anteilen am Blackrock Global Funds World Energy riskante Wertpapiere im Wert von rund 230.000 EUR. Durch den Kauf der Immofinanz-Aktien im Juni 2008 ergab sich mit 1. 7. 2008 ein Gesamtkurswert von 3.023.273,80 EUR und unter Zuzählung der Immofinanz-Investition zum Kurswert 1. 7. 2008 ein Kurswert der angeführten (risikoreichen) Positionen von rund 462.000 EUR.

Ende des Jahres 2008 wurde die C***** AG von den vier größten Banken Österreichs, unter anderem auch der Beklagten übernommen, wobei mittlerweile gegen Ex-Vorstände der Immofinanz AG und der Immoeast AG wegen des Vorwurfs der widmungswidrigen Verwendung von Mitteln im Rahmen von Kapitalerhöhungen Strafverfahren geführt werden. Es steht nicht fest, dass der Beklagten allfällige Malversationen in diese Richtung bekannt gewesen wären.

Aufgrund des weiteren Kursverfalls der Aktie der Immofinanz AG verkaufte der Kläger seine Anteile wiederum, wobei er dafür am 30. 10. 2009 90.175,67 EUR erlöste. Unter Zugrundelegung der einzelnen Käufe und Verkäufe von Immofinanz-Aktien erwirtschaftete der Kläger somit insgesamt einen Verlust von 128.479,30 EUR.

Der Kläger begehrt von der Beklagten den Ersatz des von ihm aus dem Ankauf von Immofinanz-Aktien am 11. 6. 2008 erlittenen Verlusts in Höhe von 159.855,29 EUR, in eventu die Aufhebung dieses Kommissionsvertrags, aus dem Titel des Schadenersatzes und der Irrtumsanfechtung. Soweit für das Rekursverfahren noch von Bedeutung, ist der Kläger der Auffassung, bei dem von ihm erteilten Auftrag habe es sich nicht um ein reines Ausführungsgeschäft nach § 46 WAG 2007, sondern um ein Geschäft nach § 45 WAG 2007 gehandelt; damit hätte die Beklagte aber zu berücksichtigen gehabt, dass der Kläger aufgrund des neu erstellten Kundenprofils eine sicherheitsbetonte Veranlagung und eine Investition in risikoreiche Wertpapiere nur bis zu 10 % seines Finanzvermögens gewünscht habe. Dieses Limit sei durch die Telefonorder nicht eingehalten worden; im Übrigen sei er durch die Nichtaufklärung der Überschreitung des Limits in Irrtum geführt worden. Die ursprüngliche Vereinbarung betreffend Telefonorders sei außerdem im Juni 2008 nicht mehr gültig gewesen. Zwischen den Streitteilen habe schließlich ein langjähriges Beratungsverhältnis bestanden, weshalb die Beklagte auch Beratungsverpflichtungen außerhalb des Wertpapieraufsichtsgesetzes 2007 getroffen hätten.

Die Beklagte wendet demgegenüber ein, in der ursprünglichen Telefonvereinbarung, die auch nicht durch die Neuerstellung des Kundenprofils obsolet geworden sei, sei der Kläger im Sinn des § 46 WAG 2007 eindeutig darauf hingewiesen worden, dass bei Telefonorders Aufklärungs- und Beratungspflichten der Beklagten nicht bestünden. Aber auch nach § 45 WAG 2007 sei keine umfassende, anlageobjektbezogene Eignungsprüfung durchzuführen, sondern lediglich zu prüfen, ob der betreffende Kunde über die erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen verfügt, um die Risken im Zusammenhang mit den gewünschten Produkten zu verstehen; gerade dies sei aber beim Kläger der Fall gewesen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Kläger habe ein beratungsfreies Ausführungsgeschäft nach § 46 WAG 2007 getätigt. Bei den erworbenen Wertpapieren habe es sich nicht um komplexe Finanzinstrumente gemäß § 1 Z 7 WAG 2007 gehandelt; die Telefonvereinbarung habe nicht gegen §§ 864a, 879 Abs 3 ABGB verstoßen; der Kläger sei über die Risikogeneigtheit seiner Investitionen informiert gewesen. Die Telefonvereinbarung sei durch die Erstellung des neuen Kundenprofils nicht obsolet geworden.

Das Berufungsgericht trug dem Erstgericht Verfahrensergänzung und neuerliche Entscheidung auf und erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig; es fehle jegliche Rechtsprechung zu §§ 45 f WAG 2007.

In der Sache selbst vertrat das Berufungsgericht die Auffassung, die Telefonvereinbarung sei zwar nicht hinreichend eindeutig gewesen, um den Erfordernissen des § 46 WAG 2007 zu entsprechen; die Telefonorder vom 11. 6. 2008 habe jedoch die Voraussetzungen eines Geschäfts nach § 45 WAG 2007 erfüllt, habe der Kläger doch über Erfahrungen mit Aktien und Immobilienwerten verfügt. Allerdings könnten auch im Bereich des § 45 WAG 2007 das aktualisierte Kundenprofil des Klägers und das darin enthaltene 10%-Limit nicht außer Acht gelassen werden; die Beklagte hätte den Kläger vor dem Überschreiten des Limits durch seine Telefonorder warnen müssen. Damit treffe die Beklagte eine Haftung für den vom Kläger erlittenen Schaden, wobei allerdings Feststellungen zur hypothetischen Veranlagung des vom Kläger investierten Betrags bei entsprechender Aufklärung durch die Beklagte fehlten.

Der Rekurs der Beklagten ist zulässig; er ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. § 13 Z 3 und 4 WAG 1997 schrieben die schon bisher von der Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0026135, RS0027769) und Lehre zu Effektengeschäften insbesondere aus culpa in contrahendo, positiver Forderungsverletzung und dem Beratungsvertrag abgeleiteten Aufklärungs- und Beratungspflichten fest (RIS-Justiz RS0119752 [T1]). Mit § 15 WAG 1997 wurde eine ausdrückliche Haftungsnorm geschaffen, die auch im Gesetz einen zivilrechtlichen Charakter der Verhaltenspflichten eindeutig klarstellte. Sie bezweckte die grundsätzliche Sicherstellung der Haftung des Rechtsträgers bei Verletzung der Bestimmungen der §§ 13 und 14 WAG 1997 auch bei bereits leichter Fahrlässigkeit (RIS‑Justiz RS0119753 [T1]).

Am 1. 11. 2007 trat das Wertpapieraufsichtsgesetz 2007, BGBl I 2007/60, in Kraft (§ 108), das in seinen §§ 38 ff Wohlverhaltenspflichten enthält. Die in § 103 WAG 2007 enthaltenen Übergangsbestimmungen sind hier nicht relevant. Fehlt eine Rückwirkungsanordnung, sind nach der ständigen Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0008715) nur nach dem Inkrafttreten eines Gesetzes verwirklichte Sachverhalte nach der neuen Rechtslage zu beurteilen. Die Parteien standen in einer dauernden, noch vor Inkrafttreten des Wertpapieraufsichtsgesetzes 2007 begründeten Geschäftsbe-ziehung, die durch mehrere, teils noch vor dem 1. 11. 2007 geschlossene Verträge geregelt wurde. Der Kläger macht Schadenersatzansprüche wegen Verletzung von Aufklärungs-, Beratungs- und Informationspflichten geltend. Für die Beurteilung dieser Ansprüche ist auf den Zeitpunkt der Handlung oder Unterlassung, aus der sie eine Verletzung der Wohlverhaltensregeln der Beklagten ableiten, abzustellen (6 Ob 221/10h [Beratungstätigkeit]; 10 Ob 69/11m [Kauf von Wertpapieren] ‑ jeweils zum Wertpapieraufsichts-gesetz 1997). Soweit der Kläger der beklagten Bank Pflichtverletzungen auch nach dem Inkrafttreten des Wertpapieraufsichtsgesetzes 2007 vorwirft, ist die durch dieses Gesetz geschaffene Rechtslage maßgeblich (1 Ob 48/12h ZfRV‑LS 2013/23 [Ofner] = ecolex 2013/121 [Graf] = ÖBA 2013/1927 [Thiede]).

2. Die vom Berufungsgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage zielt auf die Einordnung des von den Streitteilen am 11. 6. 2008 abgeschlossenen Vertrags ab.

2.1. In Umsetzung des Art 19 Abs 4 bis 5 der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. 4. 2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates (MiFID, ABl L 145/1 vom 30. 4. 2004) unterscheidet das Wertpapieraufsichtsgesetz 2007 zwischen drei Arten der Wertpapierdienstleistung, nämlich

a) dem Anlageberatungs- und Portfolioverwaltungsgeschäft (§ 44), bei dem der Kunde einen sogenannten „Eignungstest“ (Suitability-Test) zu absolvieren hat, im Sinne einer anleger- und anlagegerechten Kundeninformation bzw -beratung;

b) dem „beratungsfreien Geschäft“ (im Sinn des § 45), bei dem die Kenntnisse und Erfahrungen des Kunden in einem sogenannten „Angemessenheitstest“ (Appropriateness-Test) erhoben werden müssen, um sich zu versichern, dass der Kunde weiß, worauf er sich einlässt;

c) dem auch als Execution-only-Business neuer Prägung bezeichneten „reinen Ausführungsgeschäft“ (im Sinn des § 46), bei dem der Rechtsträger nicht verpflichtet ist, sich über Kenntnisse und Erfahrungen des Kunden zu versichern und von der Durchführung eines Eignungs- und Angemessenheitstests befreit ist (1 Ob 48/12h; vgl auch Oppitz, Das „Execution-only-Geschäft neu“, Zur Befugnis für die Geschäftstätigkeit nach § 46 WAG 2007, ÖBA 2007, 953 f; Baum, Pflichten und Haftung im arbeitsteiligen Vertrieb von Finanzprodukten. Zur Verantwortlichkeit im Verhältnis zwischen selbstständigem Vertriebspartner und depotführendem Kreditinstitut, ÖBA 2010, 278 [283]).

2.2. Das zuletzt genannte Modell, auf das sich die Beklagte primär beruft, kommt nur bei Dienstleistungen in Betracht, die sich auf nicht komplexe Finanzinstrumente nach § 1 Z 7 WAG 2007 beziehen (§ 46 Z 1). Dass es sich bei Immobilienaktien nicht um ein derartiges Finanzinstrument handelt (so auch Brandl/Klausberger in Brandl/Saria, WAG² [2010] § 46 Rz 3), erscheint im Rekursverfahren nicht weiter erörterungsbedürftig; der Kläger bestreitet dies zwar in seiner Rekursbeantwortung, verweist diesbezüglich aber ‑ unzulässigerweise ‑ lediglich auf seine Berufung (die im Übrigen dazu an der angegebenen Stelle nichts Substanzielles ausführt).

2.3. Weitere Voraussetzung ist gemäß § 46 Z 3 WAG 2007 der ‑ vom Berufungsgericht verneinte ‑ Umstand, dass der Kunde eindeutig darüber informiert wurde, dass der Rechtsträger bei der Erbringung dieser Dienstleistung die Angemessenheit der Instrumente oder Dienstleistungen, die erbracht oder angeboten werden, nicht gemäß § 45 WAG 2007 prüfen muss und der Kunde daher nicht in den Genuss des Schutzes der einschlägigen Wohlverhaltensregeln kommt.

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen nahm der Kläger durch Unterfertigung der Telefonvereinbarung am 3. 8. 2005 zur Kenntnis, dass bei Telefonorders die Beklagte die einzelnen Kundenaufträge nur zur Abwicklung entgegen nimmt und daher im Rahmen dieser Vereinbarung keine Anlageberatung erbringt („Execution Only“); am 9. 3. 2006 ging M***** N***** mit dem Kläger die Telefonvereinbarung neuerlich durch und erklärte ihm ausdrücklich, dass bei einer Telefonorder der Mitarbeiter der Beklagten lediglich die Order aufnimmt und dass diese ohne weitere Beratung ausgeführt wird. Gerade bei einem Anleger wie dem Kläger, der nach den Feststellungen der Vorinstanzen im Laufe der Jahre immer informierter und erfahrener wurde, müssen aber derartige Hinweise ausreichen, um ihm vor Augen zu führen, dass er bei Telefonorders völlig auf sich gestellt ist und sich auf keinerlei Aufklärungs- und Beratungstätigkeiten der beklagten Bank verlassen kann. Der Kläger lässt auch in seiner Rekursbeantwortung offen, aufgrund welcher konkreten Umstände er nicht ausreichend informiert gewesen sein soll; dort wird nämlich lediglich ausgeführt, eine derartige Belehrung könne „niemals als eine eindeutige Information auf den Entfall dieser ‑ neu festgesetzten ‑ Pflichten gedeutet werden“. Was einem erfahrenen Anleger noch alles vor Augen gehalten werden sollte, um ihm eine „eindeutige Information“ zu verschaffen, stellt der Kläger hingegen nicht dar. Dass die Beklagte ‑ wie der Kläger in der Rekursbeantwortung meint ‑ „vor dem Kursverfall zu warnen“ gehabt hätte, weshalb kein Geschäft im Sinn des § 46 WAG 2007 vorgelegen habe könne, erscheint schon gar nicht verständlich; der Kläger muss in diesem Zusammenhang daran erinnert werden, dass er zuvor bereits erhebliche Gewinne und Verluste mit Immobilienaktien erzielt beziehungsweise erlitten hatte.

2.4. Eine Erklärung dafür, warum durch die Abänderung des Kundenprofils die ursprüngliche Telefonvereinbarung obsolet gewesen sein sollte, lässt der Kläger auch im Rekursverfahren vermissen; im Übrigen ist er ja selbst von der weiteren Geltung dieser Vereinbarung ausgegangen, hat doch er selbst durch telefonischen Auftrag die Dienstleistung der Beklagten veranlasst.

3. Ob den Wohlverhaltenspflichten nach dem Wertpapieraufsichtsgesetz 2007 ein abschließender Regelungscharakter im Hinblick auf vorvertragliche oder vertragliche Pflichten aus Schuldverhältnissen zukommt, kann hier letztlich dahin gestellt bleiben. Der Kläger beruft sich hinsichtlich des „langjährige[n] Beratungsverhältnis[ses] darauf, dass er „sich bei seinen Wertpapiergeschäften ausschließlich auf die Ratschläge der Berater der Beklagten verlassen“ habe. Damit weicht er aber von den Feststellungen der Vorinstanzen ab. Tatsächlich steht gerade nicht fest, dass der Kläger zu allen Orders über Aktien und andere Wertpapiere vorher von der Beklagten beraten wurde; er wandte sich zum Teil auch mit Produkten an die Beklagte, von denen manchmal selbst deren Mitarbeiter nichts wussten. Zwischen den Streitteilen kam es somit „immer wieder“ zu Beratungen, dies galt aber nicht für jede einzelne Telefonorder, insbesondere auch nicht für jene vom 11. 6. 2008.

4. Worin die vom Kläger behauptete Irreführung durch die Beklagte gelegen sein soll, lässt sich seinen Ausführungen in der Rekursbeantwortung nicht entnehmen. Dass er selbst ein 10%-Limit vereinbart hatte, musste ihm ja bekannt sein. Ebenso war ihm bekannt, dass bei Telefonorders keinerlei Beratung oder Aufklärung stattfindet.

5. Mangels eines erkennbaren Fehlverhaltens der Beklagten war somit die abweisliche Entscheidung des Erstgerichts wieder herzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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