OGH 3Ob114/13f

OGH3Ob114/13f21.8.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Univ.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Dr. Susanne Kuen, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei O***** GmbH, *****, vertreten durch Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 212.437,44 EUR sA (Revisionsinteresse 210.000 EUR), infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Zwischenurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 25. März 2013, GZ 15 R 6/13g-29, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 12. Oktober 2012, GZ 41 Cg 30/10k-25, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Klägerin trat nach dem Tod ihres Ehegatten in einen mit der beklagten Partei geschlossenen Tankstellenpachtvertrag ein. Mit Schreiben vom 22. Dezember 2008 kündigte sie das seit dem Jahr 1976 bestehende Vertragsverhältnis zum 31. März 2009 auf, dies unter Hinweis darauf, dass sie dazu aufgrund der Umstellung im Juli 2008 auf ein neues Konzept der beklagten Partei und ihrer daraus resultierenden wirtschaftlichen Schlechterstellung gezwungen sei. Sie wolle zum ehestmöglichen Zeitpunkt aufhören, weil nach Erstellung des Geschäftsplans 2009 ihre schlimmsten Befürchtungen wahr geworden seien. Sie wäre noch gerne bis zu ihrer Pensionierung Pächterin geblieben, aber sie wolle nach 33 sehr erfolgreichen Jahren nicht mit Schulden in Pension gehen.

Die Klägerin begehrt einen Ausgleichsanspruch nach § 24 HVertrG in Höhe von 210.000 EUR sA, davon 120.000 EUR für das Treibstoffgeschäft und 90.000 EUR für den Folgemarkt (Shop, Gastro und Autowäsche).

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Kündigung sei nicht von der beklagten Partei veranlasst worden; vielmehr habe sich die Klägerin selbst in eine Situation gebracht, aufgrund derer sie eine durchaus erkennbare und nicht unwahrscheinliche Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Lage hinzunehmen gehabt habe. Sie habe nämlich trotz Skepsis freiwillig mit der beklagten Partei einen Franchisevertrag abgeschlossen und sich dabei quasi sehenden Auges in einen für die konkrete Tankstelle (anfangs) unwirtschaftlichen Vertrag eingelassen. Überdies sei die Kündigung durch die klagende Partei bereits drei Monate nach Fertigstellung des Umbaus erfolgt. Ein vernünftig und billig denkender Handelsvertreter hätte jedoch aufgrund des vorhersehbaren großen Kundenschichtwechsels einerseits mit anfänglichen Verlusten gerechnet und andererseits eine längere Umstellungsphase eingeplant. Der Klägerin wäre es auch zuzumuten gewesen, vor der Kündigung einen Antrag auf Unterstützung an die beklagte Partei zu stellen. Die Zeit, nach der die Klägerin das Scheitern ihrer Bemühungen, dennoch einen entsprechenden Betrag zu erwirtschaften, zur Kenntnis genommen habe, könne bei diesen Gegebenheiten noch nicht als angemessen angesehen werden. Durch den Umbau bzw den Abschluss des Franchisevertrags sei für die Klägerin nach Treu und Glauben keine unhaltbare Situation geschaffen worden und es wäre ihr die Aufrechterhaltung des Vertragsverhältnisses noch zumutbar gewesen.

Ihre Motivation zur Kündigung sei im Grunde nur darin gelegen, dass sie nicht mit Schulden in Pension gehen habe wollen. Der Umbau habe nur indirekt ein auslösendes Ereignis für den endgültigen Kündigungsentschluss geliefert. Die Klägerin sei nämlich schon vor der Kündigung hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Zukunft aufgrund der bevorstehenden neuen Konkurrenzlage verunsichert gewesen und habe bereits Pensionsgedanken gehegt. Ein fiktiver Ergebnisplan, der ein negatives Betriebsergebnis prognostiziere, könne eine ausgleichswahrende Kündigung nicht begründen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin dahin Folge, dass es mit Zwischenurteil aussprach, dass das Klagebegehren über 210.000 EUR sA dem Grunde nach zu Recht bestehe.

An einen begründeten Anlass (§ 24 Abs 3 Z 1 HVertrG), der dem Handelsvertreter den Ausgleichsanspruch trotz Eigenkündigung wahre, seien geringere Anforderungen zu stellen als an einen wichtigen Grund gemäß § 22 HVertrG. Voraussetzung sei, dass das - wenn auch vertraglich gedeckte - Verhalten des Unternehmers den Handelsvertreter in eine Lage bringe, in der ihm die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses über den nächsten ordentlichen Kündigungstermin hinaus nicht mehr zugemutet werden könne, etwa, wenn der Handelsvertreter eine nicht unerhebliche Verschlechterung seiner wirtschaftlichen Position zu gewärtigen habe. Auf ein Verschulden des Unternehmers komme es nicht an, sondern auf die Zurechnung der Umstände, die Anlass für die Kündigung geben, zur Sphäre des Unternehmers.

In der Situation der Klägerin sei zu berücksichtigen, dass die Initiative zum Abschluss des Franchisevertrags ausschließlich von der beklagten Partei ausgegangen sei. Die Klägerin habe letztlich darauf vertraut, dass das neue System für sie in wirtschaftlicher Hinsicht keine (massiven) negativen Auswirkungen haben werde. Die negativen Folgen der Einführung des Franchise-Systems auf den Umsatz im Gastrobereich, insbesondere aber auch auf den Gesamtgewinn der Klägerin vor Steuern (Rückgang von durchschnittlich rund 4.500 EUR auf rund 3.500 EUR monatlich, jeweils vor Steuern, also um etwa 21 %) seien zweifellos der beklagten Partei zurechenbar.

Die Klägerin habe sich nach Abschluss des Umbaus (und Einführung des Franchise-Systems) nicht nur vier Monate lang mit erheblichen Umsatzrückgängen (insbesondere im Gastrobereich) und damit verbundenen Gewinneinbußen konfrontiert gesehen, sondern sei auch mit einem in ihrem Auftrag erstellten Geschäftsplan für das Jahr 2009 konfrontiert gewesen, der ein negatives Ergebnis prognostiziert habe. Unter diesen Umständen sei der Klägerin ein weiteres Aufrechterhalten des Vertragsverhältnisses - über den nächstmöglichen Termin einer ordentlichen Kündigung (31. März 2009) hinaus - nicht zumutbar gewesen. Vielmehr sei der festgestellte Umsatzeinbruch im Gastronomiebereich für sich genommen ein ausreichender Anlass für eine (den Ausgleichsanspruch wahrende) Kündigung gewesen.

Im Übrigen sei festzuhalten, dass sich die beklagte Partei im Verfahren niemals auf den Standpunkt gestellt habe, die Klägerin habe zu rasch gekündigt, sondern vielmehr den - unberechtigten - Einwand erhoben habe, die Kündigung sei zu spät erfolgt.

In einer Situation wie der gegebenen sei der Tankstellenpächter nicht verpflichtet, eigene Ressourcen einzusetzen, also insbesondere vorerst Verluste hinzunehmen, um allenfalls doch noch ein positives Ergebnis zu erzielen.

Angesichts der Struktur des Franchisevertrags bestehe der Ausgleichsanspruch der Klägerin sowohl für das Treibstoffgeschäft als auch für den Folgemarkt dem Grunde nach zu Recht.

Die Revision sei im Hinblick auf die Einzelfallbezogenheit nicht zulässig.

In der außerordentlichen Revision stellt die beklagte Partei in den Vordergrund, dass das Berufungsgericht von der einheitlichen ständigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung zum Erfordernis eines Kausalzusammenhangs zwischen dem zurechenbaren Verhalten des Geschäftsherrn und der Kündigung durch den Handelsvertreter abgewichen sei. Das Verhalten der beklagten Partei habe aber keinen Anlass zur Kündigung durch die Klägerin gegeben. Die Eröffnung weiterer Tankstellen in der Nähe der Tankstelle der Klägerin sei kein der beklagten Partei zurechenbarer Umstand, ebenso wenig die Einholung eines Geschäftsplans für das Folgejahr (mit einer unrichtigen Prognose) oder das Nichtbegehren eines Betriebszuschusses der beklagten Partei. Mit seiner Begründung sei das Berufungsgericht unter Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes von den Feststellungen des Erstgerichts abgewichen. Im Übrigen wäre der Klägerin die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses jedenfalls zumutbar gewesen, sei doch der Umsatz- und Gewinnrückgang nur vorübergehend gewesen (zu dieser Thematik fehle bislang höchstgerichtliche Rechtsprechung); die Klägerin habe auch keinen Antrag auf finanzielle Unterstützungen gestellt. Der Nachpächter sei wirtschaftlich höchst erfolgreich.

Rechtliche Beurteilung

Damit wird keine erhebliche Rechtsfrage dargestellt.

1. Maßgeblich ist im vorliegenden Fall, ob der Klägerin, die das Vertragsverhältnis zur beklagten Partei selbst gekündigt hat, ein angemessener Ausgleichsanspruch (§ 24 Abs 1 HVertrG) gebührt, weil „dem Unternehmer zurechenbare Umstände, auch wenn sie keinen wichtigen Grund nach § 22 darstellen, … begründeten Anlaß“ zur Kündigung gegeben haben (§ 24 Abs 3 Z 1 HVertrG) . Ob ein solcher begründeter Anlass vorliegt, hängt typischerweise von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab (RIS-Justiz RS0124101 [T9]).

2. Entsprechend dem klaren Gesetzeswortlaut sind an einen begründeten Anlass geringere Anforderungen zu stellen als an einen wichtigen Grund. Auf ein Verschulden des Mineralölunternehmers (im Folgenden: Unternehmer) kommt es nicht an; sogar ein vertragsgemäßes Verhalten des Unternehmers kann dem Handelsvertreter einen begründeten Anlass zur Kündigung des Vertragsverhältnisses geben, ohne dass der Handelsvertreter dadurch seinen Ausgleichsanspruch gefährdet (RIS-Justiz RS0124101). So wurde bereits ausgesprochen, dass dann, wenn aufgrund der vom Unternehmer vorgegebenen Bedingungen eines Tankstellenpachtvertrags ein wirtschaftlicher Betrieb unter zumutbaren Voraussetzungen von vornherein nicht möglich ist, auch bei Selbstkündigung durch den Tankstellenpächter dessen Ausgleichsanspruch nach § 24 Abs 3 HVertrG gewahrt bleibt (RIS-Justiz RS0124725), ebenso dann, wenn der Tankstellenpächter eine nicht unerhebliche Verschlechterung seiner wirtschaftlichen Position zu gewärtigen hat und dadurch für ihn eine nach Treu und Glauben nicht mehr hinnehmbare Situation geschaffen wird (RIS-Justiz RS0124099). Die Gründe müssen aber jedenfalls dem Unternehmer kausal zurechenbar sein, dh sie müssen aus der Unternehmersphäre stammen (9 ObA 18/09a = SZ 2009/61), etwa auch durch eine vom Unternehmer vorgegebene Betriebsumstellung oder -umrüstung (vgl 1 Ob 275/07h).

3. Im vorliegenden Fall geht bereits aus den erstgerichtlichen Feststellungen mit ausreichender Deutlichkeit hervor, dass die Vertragskündigung durch die Klägerin - anders als die beklagte Partei meint - im Zusammenhang mit der durch die Umgestaltung geschaffenen wirtschaftlichen Situation stand; die Umgestaltung war wiederum auf die Vorgaben der beklagten Partei zurückzuführen. Zweifellos ist einem Tankstellenpächter ein Aufrechterhalten des Pachtvertrags zumutbar, wenn er nur vorübergehend mit wirtschaftlich noch vertretbaren Umsatzrückgängen rechnen muss. Es muss ihm aber auch zugestanden werden, dass er schon frühzeitig auf eine gravierend negative Entwicklung seiner wirtschaftlichen Situation reagiert, wenn sich abzeichnet, dass diese Entwicklung nicht nur vorübergehend bestehen wird; in diesem Zusammenhang muss er auch die Möglichkeit einer Kündigung des Vertrags ins Auge fassen. Im vorliegenden Fall war nach den Feststellungen die Tankstelle im Zeitraum vom Umbau bis zur Kündigung unter Einhaltung der vertraglichen Bedingungen „nicht in dem ursprünglichen Ausmaß“ gewinnbringend zu führen. Im Vergleich der Monate August bis November 2007 zu den entsprechenden Monaten des Jahres 2008 ist der Gewinn im Schnitt um 21 % gesunken, von durchschnittlich 4.500 EUR Gewinn auf durchschnittlich 3.500 EUR monatlich, jeweils vor Steuern. Diese Entwicklung stand nicht im Zusammenhang mit der künftig zu befürchtenden Konkurrenzsituation mit weiteren Tankstellen, sondern - wie erwähnt - im Zusammenhang mit den Vorgaben der beklagten Partei.

Hinweise darauf, dass diese Entwicklung nur vorübergehend war und die schlechte(re) wirtschaftliche Situation deswegen mit Unterstützungen der beklagten Partei überbrückt werden hätte können, sind den Feststellungen nicht zu entnehmen (lediglich die rechtliche Beurteilung durch das Erstgericht wird auf diesen Umstand gestützt).

4. Dass auch weitere Gründe Anlass für die Kündigung gebildet haben, verhindert nach dem Wortlaut des § 24 Abs 3 Z 1 HVertrG den Ausgleichsanspruch nicht.

5. Insgesamt hält sich die Entscheidung des Berufungsgerichts im Rahmen der Rechtsprechung zu § 24 Abs 3 Z 1 HVertrG; eine vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung im Einzelfall ist nicht zu erkennen.

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei ist daher mangels erheblicher Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) zurückzuweisen.

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