OGH 7Ob72/13h

OGH7Ob72/13h23.5.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Pflegschaftssache des (nunmehr volljährigen) H***** H*****, geboren am *****, vertreten durch Mag. Karl Heinz Fauland, Rechtsanwalt in Leibnitz, gegen den Vater (Gegner der gefährdeten Partei) K***** H*****, vertreten durch Divitschek, Sieder, Sauer Rechtsanwälte GmbH in Deutschlandsberg, wegen vorläufigen Unterhalts gemäß § 382a EO, über den Revisionsrekurs des Vaters (Gegners der gefährdeten Partei) gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 7. Dezember 2012, GZ 2 R 325/12x‑19, womit die einstweilige Verfügung des Bezirksgerichts Leibnitz vom 17. Oktober 2012, GZ 8 Pu 433/09x‑4, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0070OB00072.13H.0523.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Beschluss ‑ unter Einschluss der bereits rechtskräftigen Teilabweisung ‑ lautet:

Der Antrag, den Gegner der gefährdeten Partei mit einstweiliger Verfügung gemäß § 382a EO zur Leistung eines vorläufigen Unterhalts von 106 EUR monatlich ab 1. 10. 2012 an die gefährdete Partei zu verpflichten, wird abgewiesen.

Der Vater hat die Kosten des Revisionsrekurses selbst zu tragen.

Begründung

Der am 14. 1. 1995 geborene (nunmehr bereits volljährige) Antragsteller ist der eheliche Sohn von C***** und K***** H*****. Der Vater (Unterhaltsschuldner) zog im Dezember 2009 aus der Ehewohnung aus.

Mit Antrag vom 1. 10. 2012 begehrte die Mutter für ihren damals noch minderjährigen Sohn vom Vater rückständigen Unterhalt (7.302 EUR), monatlichen Unterhalt (106 EUR ab 1. 10. 2012) sowie die Leistung vorläufigen Unterhalts gemäß § 382a EO von 106 EUR monatlich ab 1. 10. 2012.

Das Erstgericht verpflichtete den Antragsgegner mit einstweiliger Verfügung zur Leistung eines vorläufigen Unterhalts von 38 EUR monatlich ab 1. 10. 2012 und wies das Mehrbegehren ‑ unbekämpft und daher rechtskräftig ‑ ab. Es stellte fest, das der Minderjährige (abzüglich berufsbedingten Aufwands) über ein anrechenbares Eigeneinkommen von 819 EUR verfüge. Mit Wirkung vom 14. 1. 2013 (Vollendung des 18. Lebensjahres) hat es die Gewährung vorläufigen Unterhalts gemäß § 399a EO aufgehoben.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters gegen die einstweilige Verfügung nicht Folge. Rechtlich führte es aus, die von der Mutter bezogene Familienbeihilfe stelle gemäß § 12a FLAG kein Eigeneinkommen dar, könnte aber unter bestimmten Voraussetzungen zur steuerlichen Entlastung des Unterhaltspflichtigen auf den Unterhalt anzurechnen sein; dies führe jedoch unter Heranziehung des vom Minderjährigen behaupteten Nettoeinkommens des Unterhaltsschuldners von 1.500 EUR monatlich zu keinem anderen Ergebnis. Das Verfahren nach § 382a EO sei ein reines Aktenverfahren. Zulässige Rekursargumente seien nur die Unschlüssigkeit des Antrags oder das Fehlen der Bewilligungsvoraussetzungen schon nach der Aktenlage.

Den ordentlichen Revisionsrekurs erklärte das Rekursgericht (erst) auf Grund eines Abänderungsantrags des Vaters mit der Begründung für zulässig, dass es von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Anrechnung von Eigeneinkommen auf vorläufigen Unterhalt abgewichen sei.

Der Rechtsmittelwerber macht auch in dritter Instanz als unrichtige rechtliche Beurteilung geltend, die Vorinstanzen hätten die Rechtsprechung außer Acht gelassen (10 Ob 28/04x), wonach Eigeneinkommen des Antragstellers mit 819 EUR monatlich anzurechnen und der Antrag daher abzuweisen gewesen wäre.

Der (nunmehr volljährige) Antragsteller hat keine Revisionsrekursbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht angeführten Grund zulässig und auch berechtigt.

Gemäß § 382a Abs 1 EO ist ein Antrag eines Minderjährigen auf Gewährung vorläufigen Unterhalts durch einen Elternteil, in dessen Haushalt der Minderjährige nicht betreut wird, zu bewilligen, wenn der Elternteil dem Kind nicht bereits aus einem vollstreckbaren Unterhaltstitel zu Unterhalt verpflichtet ist und ein Verfahren zur Bemessung des Unterhalts des Minderjährigen gegen den Elternteil anhängig ist oder ‑ wie hier ‑ zugleich anhängig gemacht wird. Nach § 382a Abs 2 EO kann der vorläufige Unterhalt nach Abs 1 höchstens bis zum jeweiligen altersabhängig bestimmten Betrag der Familienbeihilfe nach dem FLAG bewilligt werden ( König , Einstweilige Verfügungen im Zivilverfahren 4 Rz 4/28 mwN).

Was die Höhe dieses Betrags betrifft, hat der Oberste Gerichtshof in den Entscheidungen 10 Ob 81/09y und 10 Ob 11/10f jeweils vom 2. 3. 2010 darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber mit dem am 1. 1. 2010 in Kraft getretenen FamRÄG 2009, BGBl I 2009/75, in § 382a Abs 2 EO eine Klarstellung im Sinn der bisherigen Rechtsprechung vorgenommen habe; dazu werde in den Gesetzesmaterialien (IA 673/A 24. GP 37) ausgeführt, dass „die weiteren in § 8 Abs 3 und 4 FLAG vorgesehenen Zuschläge im vorläufigen Unterhalt nicht enthalten sind“. Auch wenn die Gesetzesmaterialien nicht auf § 8 Abs 8 FLAG eingingen, sei dem Gesetzestext daher nunmehr eindeutig zu entnehmen, dass für „Neufälle“ (§ 414 EO) eine aliquote Einbeziehung der 13. Familienbeihilfe in den „Grundbetrag“ (richtig: „ Betrag “) der Familienbeihilfe nicht in Betracht komme (RIS‑Justiz RS0125719).

Auch der 6. Senat hat sich der dargelegten Auffassung ausdrücklich angeschlossen und dies wie folgt begründet: Neben den überzeugenden Ausführungen des 10. Senats sei vor allem mit Holzner (JBl 2003, 245) davon auszugehen, dass auch der historische Gesetzgeber des FLAG unter dem „Grundbetrag“ lediglich den Basissatz der Familienbeihilfe gemeint habe: So sei etwa anlässlich der Nov BGBl I 1998/79 in den Materialien davon die Rede, dass der „Grundbetrag“ seit 1990 nicht mehr angepasst worden sei. Darüber hinaus spreche auch die Neufassung des § 382a Abs 2 EO für diese Auslegung, weil nunmehr vom „Betrag“ die Rede sei, einem Begriff, den auch § 8 FamLAG kenne („Gesamtbetrag“); dort sei aber immer der Monatsbetrag gemeint (6 Ob 53/10b).

Dieser Auffassung, wonach der Zusammenhang zwischen § 8 FLAG und § 382a EO nur insoweit gegeben ist, als eine Veränderung des Basissatzes der Familienbeihilfe auf § 382a EO durchschlägt, sodass die mit dem Bundesgesetz BGBl I 2008/31 eingeführte „13. Familienbeihilfe“ (§ 8 Abs 8 FLAG) nicht anteilig einzubeziehen ist (RIS-Justiz RS0125480 [T1]), hat sich auch der 2. Senat angeschlossen (2 Ob 72/10t mwN). Nach § 8 Abs 2 FLAG idgF stand dem minderjährigen Antragsteller im hier maßgebenden Zeitraum daher ein Betrag von maximal 130,90 EUR zu.

§ 382a EO soll minderjährigen Kindern, von denen in den meisten Fällen anzunehmen ist, dass sie vermögens- und einkommenslos und daher auf den gesetzlichen Unterhalt zur Sicherung ihrer materiellen Existenz angewiesen sind, ein vereinfachtes Verfahren zur raschen Erledigung eines gewissen, an die Familienbeihilfe gekoppelten Mindestbetrags ermöglichen; demnach ist es Sinn der Bestimmung, der Existenzgefährdung von auf Unterhaltszahlungen angewiesenen minderjährigen Kindern entgegenzuwirken. Die durch § 382a EO ermöglichte rasche Vorgangsweise gegen den Unterhaltsschuldner hat nicht den Zweck, den Unterhaltsschuldner zu pönalisieren, sondern die finanzielle Existenzgrundlage für das Kind zu sichern (RIS‑Justiz RS0097430 [T1, T4]). Als Ausgleich zum erleichterten Bewilligungsverfahren dient die den Antragsgegner begünstigende Sonderregelung der Aufhebung und Einschränkung der einstweiligen Verfügung in § 399a EO sowie der Rückforderung des zu Unrecht Empfangenen in § 399b EO (RIS-Justiz RS0097430 [T3]).

Auch wenn § 382a Abs 4 Satz 2 EO eine unverzügliche Entscheidung des Gerichts über den Antrag fordert, ist dabei jedoch auf die Maßgeblichkeit des Inhalts der Pflegschaftsakten zu achten (§ 382a Abs 4 Satz 1 EO; 10 Ob 28/04x). Werden vom Gericht entgegen der Intention des Gesetzes Erhebungen über Umstände gepflogen, die die Berechtigung des Anspruchs betreffen, sind die Ergebnisse dieser Erhebungen der Entscheidung zugrunde zu legen (RIS‑Justiz RS0119185). Dies ergibt sich im Übrigen auch aus § 399a EO, wonach die einstweilige Verfügung nach § 382a EO von Amts wegen so weit einzuschränken ist, wie sich dies aus den Pflegschaftsakten ergibt; die Gründe dafür können auch schon zum Zeitpunkt der Erlassung der einstweiligen Verfügung bestanden haben (10 Ob 28/04x; König aaO Rz 4/31 mwN in FN 91).

Dem Minderjährigen steht ein den Grundbetrag der Familienbeihilfe übersteigender Betrag somit nicht zu (RIS-Justiz RS0103397 [T1]). Damit unterscheidet sich ein vorläufiger Unterhalt nach § 382a EO vom einstweiligen Unterhalt nach § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO, der eine solche Obergrenze nicht kennt (RIS-Justiz RS0103397 [T2]). Wenn sich daher etwa aus dem Vorbringen ergibt (und die Pflegschaftsakten nichts anderes ergeben), dass Unterhalt zumindest in Höhe der Familienbeihilfe gezahlt wird, ist der Antrag auf vorläufigen Unterhalt abzuweisen ( König aaO Rz 4/29 mwN in FN 86; 4 Ob 508/96).

Als ein Aufhebungsgrund, der ‑ wenn er aus dem Pflegschaftsakt hervorgeht ‑ schon von vornherein zu einer Antragsabweisung führen kann, kommt nach der Rechtsprechung auch Selbsterhaltungsfähigkeit oder der Wegfall der Unterhaltspflicht aus sonstigen Gründen in Betracht (10 Ob 28/04x mwN); wobei nach allgemeinen Grundsätzen die aus den Einkünften des Kindes resultierende Verringerung der Unterhaltspflicht beiden Elternteilen zugute kommt (RIS-Justiz RS0047573). Es ist kein Grund ersichtlich, warum dies im Fall eines vorläufigen Unterhalts nach § 382a EO anders sein sollte; soll doch auch dieser die Bedürfnisbefriedigung des Kindes sichern. Wie bereits dargestellt, dient § 382a EO letztlich einer verfahrensrechtlichen Bevorzugung des Unterhalts fordernden Kindes, während der Begriff des Unterhalts nicht verändert wird (10 Ob 28/04x).

Auch bei der Bemessung des vorläufigen Unterhalts nach § 382a EO ist also für die Anrechnung des Eigeneinkommens auf die Unterhaltspflicht beider Elternteile die Zweifelsregel, dass dann, wenn nicht besondere Umstände ein anderes Verhältnis nahelegen, etwa die Hälfte des Eigeneinkommens dem betreuenden Elternteil und nur die andere Hälfte dem Geldunterhalt schuldenden Elternteil anzurechnen ist, durchaus brauchbar (RIS-Justiz RS0047440 [T1 und T9]; 10 Ob 28/04x).

Nach den maßgebenden Feststellungen ist von einem monatlichen Netto-Eigeneinkommen des Antragstellers von 819 EUR (einschließlich anteiliger Sonderzahlungen) auszugehen. Da die Hälfte davon noch immer über der Hälfte des altersabhängigen Betrags der Familienbeihilfe von 130,90 EUR liegt, hätten die Vorinstanzen ‑ unter Berücksichtigung des Akteninhalts ‑ den Sicherungsantrag abweisen müssen (10 Ob 28/04x). In Stattgebung des Revisionsrekurses ist die bekämpfte Entscheidung daher wie im Spruch ersichtlich abzuändern.

Ein Ersatz der im Revisionsrekurs verzeichneten Kosten findet nicht statt (§ 393 Abs 1 letzter Satz EO iVm § 101 Abs 2 AußStrG; König aaO Rz 4/31 aE). Der Vater hat das Rechtsmittel erhoben, bevor das Kind volljährig wurde (RIS-Justiz RS0123811 [T1 und T2]).

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