OGH 4Ob35/13w

OGH4Ob35/13w23.5.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Michael Ruhdorfer, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei DI Dr. J***** C*****, vertreten durch Scherbaum Seebacher Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen 144.794,05 EUR sA und Feststellung (Streitwert 20.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 11. Jänner 2013, GZ 2 R 186/12h-27, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 29. August 2012, GZ 69 Cg 189/11y-22, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass - unter Berücksichtigung des schon in erster Instanz rechtskräftig gewordenen abweisenden Teils von 50 % des Klagebegehrens - das Urteil des Erstgerichts insgesamt wiederhergestellt wird.

Die Kosten des Verfahrens erster Instanz werden wechselseitig aufgehoben. Die beklagte Partei ist jedoch schuldig, der klagenden Partei die mit 1.322,50 EUR bestimmte anteilige Pauschalgebühr erster Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 7.461,48 EUR (darin 811,41 EUR USt und 2.593 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist die Haftpflichtversicherung der W***** GmbH (in der Folge: Versicherungsnehmerin), in deren Betrieb sich am 24. 4. 2007 ein Arbeitsunfall ereignete. Dabei geriet ein bei der Versicherungsnehmerin Beschäftigter bei Arbeiten an der Ablängsäge mit seiner linken Hand ins rotierende Sägeblatt, wodurch ihm alle vier Finger der linken Hand hinter dem Grundgelenk abgetrennt wurden. Auf Grund dieses Unfalls leistete die Klägerin 144.794,05 EUR sA.

Der Beklagte führte 2001 im Auftrag der Versicherungsnehmerin eine „Evaluierung“ ihres Betriebs durch und erstattete ein Evaluierungsgutachten.

Die Klägerin macht einen nach § 67 VersVG auf sie übergegangenen Regressanspruch ihrer Versicherungsnehmerin iSd § 896 ABGB geltend und begehrt vom Beklagten zuletzt Rückersatz der gesamten von ihr auf Grund des Arbeitsunfalls vom 24. 4. 2007 erbrachten Leistungen sowie die Feststellung der Haftung des Beklagten zur Gänze für die künftig von ihr aufgrund dieses Arbeitsunfalls noch zu erbringenden Leistungen. Ein Mitarbeiter des Präventivdienstes der AUVA habe bereits 2000 den Betrieb der Versicherungsnehmerin begangen und für die Ablängsäge die Installierung einer Zweihandschaltung empfohlen. Der Beklagte sei über Auftrag der Versicherungsnehmerin als Sonderfachmann für den Arbeitsschutz entgeltlich tätig geworden; er sei mit einer Arbeitsplatzevaluierung beauftragt worden. Dabei habe er ein mangelhaftes Gutachten erstattet und nur unzureichende Empfehlungen abgegeben; insbesondere habe er keine Zweihandschaltung für die Ablängsäge empfohlen. Diese Maschine habe keine automatische Transporteinrichtung zum Vorschub des Holzbrettes aufgewiesen, und der Beklagte hätte die Versicherungsnehmerin auch darüber informieren müssen, dass der normale Arbeitsablauf, der einen Eingriff nach jedem Schnittvorgang zum Vorziehen des Werkstücks und einer Niederhaltekonstruktion umfasst habe, unzulässig gewesen sei. Der Beklagte hätte auch auf eine ausführliche Sicherheits- und Risikoanalyse hinweisen müssen.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des der Höhe nach unstrittigen Klagebegehrens. Das Alleinverschulden am Arbeitsunfall treffe die Versicherungsnehmerin, ein allfälliges Mitverschulden des Beklagten sei vernachlässigbar gering. Die Versicherungsnehmerin habe ihn mit der Evaluierung ihres Betriebs nach §§ 4, 5 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) beauftragt; darüber hinausgehende Prüfaufträge (wie etwa die Durchführung einer Risikoanalyse) habe er nicht erhalten. Der vom Beklagten bei der Gefahrenermittlung an der betreffenden Maschine beobachtete Arbeiter habe sich damals korrekt und gefährdungslos verhalten. Der Beklagte habe konkrete Maßnahmen vorgeschlagen, um den Arbeitsplatz sicherer zu machen (Austausch der als Eingriffsschutz dienenden schadhaften Plexiglasscheibe). Die Versicherungsnehmerin habe Empfehlung der AUVA nicht befolgt und sei im Zeitraum zwischen 2000 (als sie erstmals auf die Notwendigkeit einer Zweihandschaltung an der betreffenden Maschine hingewiesen worden sei) bis zum Unfall im Jahr 2007 untätig geblieben. Sie habe den Mitarbeiter, der später den Unfall erlitten habe, nicht eingeschult.

Das Erstgericht sprach der Klägerin - ausgehend von einer Verschuldensteilung 3 : 1 zu Gunsten des Beklagten - 36.198,51 EUR sA zu und stellte die Haftung des Beklagten zu einem Viertel für sämtliche zukünftigen Pflichtaufwendungen aus dem Arbeitsunfall vom 24. 4. 2007 fest; das darüber hinausgehende Leistungs- und Feststellungsbegehren wies es ab. Es traf folgende wesentliche Feststellungen:

Die Kappsägeanlage (Baujahr 1989) wurde 1991 im Betrieb der Versicherungsnehmerin aufgestellt. Sie erforderte folgenden Arbeitsablauf: Zuerst war der Pfosten am Auflagetisch aufzulegen und bis zu den Anschlagstellern hinter der Säge durchzuschieben. Das Holzbrett musste manuell auf den Wagen gestellt und das Werkstück in die Spannvorrichtung bzw die Ebene der Kreissäge vorgeschoben werden. Danach wurde von der Stirnseite der Anlage das Ablängen der Werkstücke durchgeführt. Es erfolgte ein Standortwechsel des Arbeiters hinter die Maschine, wo die Säge mittels eines Schalters in Betrieb genommen wurde; dieser Schalter war ursprünglich am Boden befestigt und mit dem Fuß zu betätigen. Etwa 12 Jahre vor dem Unfall montierte ein bei der Versicherungsnehmerin Beschäftigter den Fußschalter mittels Klebeband auf einer Schiene im Bereich des Anschlages horizontal. Mit der händischen Auslösung wurde der Ablängzyklus und somit das Sägeblatt gestartet.

Unbestritten blieb, dass die Kappsägeanlage zwischen ihrem Aufstellen 1991 und dem Unfall 2007 adaptiert und umgebaut wurde, indem ein Niederhalteschutz dazugeschweißt wurde (vgl ./3 Seite 6 und AS 94); eine sicherheitstechnische Evaluierung nach diesem Umbau erfolgte nicht.

Zum Unfallszeitpunkt wurden Weidenholzblöcke aus 4 m langen und 6 cm dicken Pfosten geschnitten. Das abzulängende Werkstück wurde über eine pneumatische Spannvorrichtung niedergehalten, der Schnittprozess wurde unverzüglich eingeleitet. Dabei fuhr das Kreissägeblatt aus dem Untertisch heraus und bewegte sich quer durch das Werkstück. Nach dieser horizontalen Bewegung verschwand das Sägeblatt wieder im Untertisch und fuhr in die Ausgangsstellung; es lief jedoch im Sägetisch weiter. Nach dem Auslösen des nächsten Zyklus wurde der Prozess von Neuem gestartet. Die Maschine fuhr in einem automatischen Zyklus; die Anlage startete also automatisch nach jedem Starten und fuhr ohne Abbruchmöglichkeit den ganzen Zyklus durch. Ein Abbruch konnte nur durch den Notausschalter erfolgen, der auf der Niederhaltekonstruktion montiert war. Der Vorschub des Werkstückes erfolgte stets manuell. Es war stets ein Eingriff in die Schnittebene des Kreissägeblattes erforderlich. Der Arbeiter griff unter der hochgegangenen Niederhaltekonstruktion durch, um den Pfosten neuerlich bis zu den Anschlagtellern durchzuziehen. Grundsätzlich musste der an der Maschine tätige Arbeiter nach jedem Kappschnitt mit beiden Händen unter der Niederhaltekonstruktion über dem Sägeblatt das Holzstück hervorziehen. Mit der linken Hand musste er dann das Werkstück halten und mit der rechten Hand den Schalter betätigen. Dann ging der Druckbalken (Niederhaltebalken) hinunter und von unten kam die Säge und schnitt das Werkstück durch. Dann ging der Balken hoch, die Säge in den Sägetisch hinunter, der Arbeiter nahm das Werkstück weg und legte es auf einen Wagen. Für jeden weiteren Schnittvorgang musste der Arbeiter den Holzpfosten wieder nach vorne ziehen und dabei mit den Händen über den Sägebereich greifen. Es gab keine Anweisung, wonach der Arbeiter das Holzstück von hinten nachzuschieben hatte, sodass seine Hände nicht in den Sägebereich kommen.

Der beim Unfall 2007 verletzte Mitarbeiter war seit 2006 im Betrieb der Versicherungsnehmerin beschäftigt. Es wurde ihm der Arbeitsvorgang an der Maschine mündlich erklärt er wurde darauf hingewiesen, dass er sich nur zum Heranziehen und sonst niemals mit den Händen im Sägebereich befinden dürfe und dass er beim Durchgreifen aufpassen müsse. Eine schriftliche Unterweisung wurde ihm nicht ausgefolgt. Im Jahr 2000 führte ein Mitarbeiter der AUVA eine Begehung im Betrieb der Versicherungsnehmerin durch und empfahl in seinem Endbericht die Einrichtung einer Zweihandauslösung für die Kappsägeanlage, dies wegen der vom vollautomatischen Sägeblatt ausgehenden Gefährdung. Bei einer weiteren Begehung beanstandete er die Maschine nicht mehr. Die Versicherungsnehmerin der Klägerin setzte diese Empfehlung nicht um. 2001 erhielt der Beklagte im Rahmen einer Aktion der Wirtschaftskammer von der Versicherungsnehmerin den Auftrag, eine „Evaluierung“ des Betriebes durchzuführen; eine Sicherheits- bzw Risikoanalyse war vom Auftrag nicht umfasst. Der Beklagte beobachtete die Tätigkeiten und Arbeitsläufe im Betrieb, analysierte sie und versuchte, Gefahrenquellen aufzudecken und Gegen- oder Verbesserungsmaßnahmen zu entwickeln, die er in einem Evaluierungsgutachten festhielt. Dabei zog er konkrete Gefährdungssituationen, nicht aber abstrakte theoretische Möglichkeiten in Erwägung. Zur Kappsägeanlage hielt er in der Evaluierung fest, dass die Schutzabdeckung defekt und unvollständig war und die Gefahr bestand, dass ins laufende Sägeblatt gegriffen werde; er empfahl die Erneuerung bzw Reparatur der Schutzabdeckung, Anbringung eines Gefahrenschildes und die Unterweisung des Personals. Die Gefährdung, ins laufende Sägeblatt zu greifen, erschien dem Beklagten gering, wenn entsprechend den Vorgaben gearbeitet wurde; eine Zweihandschaltung erschien ihm nicht geboten. Das Evaluierungsgutachten (Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokument) des Beklagten war in diesem Punkt mangelhaft, weil wesentliche technische Maßnahmen betreffend die Kappsägeanlage nicht aufgezeigt wurden, nämlich das Erfordernis einer Zweihandauslösung oder eines umfassenden Eingriffschutzes (Verkleidungen mit Einhaltung der gemäß § 42 AM-VO erforderlichen Sicherheitsabstände). Wäre die Ablängsäge zum Zeitpunkt des Unfalls - damals war auch die Plexiglasschutzabdeckung, die im Bereich der Halterung montiert war, kaputt - mit einer Zweihandauslösung oder einem umfassenden Eingriffschutz (Schutzkorb vor der Plexiglasscheibe) ausgestattet gewesen, wäre der Unfall (dessen genauer Hergang nicht festgestellt werden konnte) in dieser Form nicht passiert. Der Plexiglasschutz war als Eingriffsschutz ungeeignet. Hätte der Beklagte empfohlen, die Maschine mit einer Zweihandschaltung auszurüsten oder mit einer Schutzabdeckung zu versehen, hätte der Geschäftsführer der Versicherungsnehmerin die Maschine umbauen lassen und erforderlichenfalls die Arbeitsabläufe geändert. Eine Arbeitsanweisung und die Belehrung der an der Ablängsäge tätigen Arbeitnehmer, dass in jedem Fall ein Durchgreifen über dem Sägebereich unzulässig ist, hätten den Unfall verhindert. Die Versicherungsnehmerin und deren Geschäftsführer wurden in einem Vorprozess verurteilt, der dort klagenden AUVA als gesetzlicher Unfallversicherer die von ihr gegenüber dem verletzten Mitarbeiter erbrachten Leistungen zu ersetzen; einem Feststellungsbegehren wurde dort im vollen Umfang stattgegeben.

In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht davon aus, dass das Evaluierungsgutachten des Beklagten erheblich mangelhaft gewesen sei, weil wesentliche technische Maßnahmen (wie eine Zweihandschaltung oder ein umfassender Eingriffschutz in Form einer Verkleidung mit Einhaltung der Sicherheitsabstände gemäß § 42 AM-VO) nicht aufgezeigt worden seien. Im Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokument hätte zumindest der Hinweis auf die Verpflichtung zur Durchführung einer Risikoanalyse nach § 35 Abs 2 ASchG aufscheinen müssen; dies gelte auch für den Hinweis auf die Verpflichtung, die Maschine nach dem vierten Abschnitt der AM-VO (Beschaffenheit von Arbeitsmitteln) nachzurüsten. Die vom Beklagten empfohlenen Maßnahmen und erteilten Informationen seien unzureichend gewesen. Die Versicherungsnehmerin hätte alle tatsächlichen Empfehlungen des Beklagten - hätte er sie abgegeben - auch umgesetzt. Dem Beklagten sei auch bewusst gewesen, dass eine Zweihandschaltung an und für sich notwendig gewesen wäre, er habe sie aufgrund des konkreten Arbeitsablaufs jedoch nicht für sinnvoll erachtet. Ihm hätte bewusst sein müssen, dass sich der von ihm unterlassene Rat bei der Versicherungsnehmerin auf die Einschätzung der objektiven Gefahrenlage auswirken würde; ein durchschnittlich sorgfältiger Sachverständige hätte in der Situation des Beklagten die korrekten Hinweise und Empfehlungen abgegeben, zumindest aber explizit und deutlich darauf hingewiesen, dass ein weiterer externer Rat in Bezug auf die Sicherheit der Ablängsäge einzuholen gewesen wäre. Allerdings seien auch den Verantwortlichen der Versicherungsnehmerin Versäumnisse vorzuwerfen: Sie habe gegen § 4 Abs 1 ASchG verstoßen, weil die Ermittlung der Gefahren für die Arbeitnehmer unzureichend gewesen und insbesondere die Empfehlung der AUVA, eine Zweihandschaltung zu installieren, nicht umgesetzt worden sei. Das weit überwiegende Verschulden am Arbeitsunfall liege bei den Verantwortlichen der Versicherungsnehmerin, weil sie über den sehr langen Zeitraum von sieben Jahren trotz Kenntnis des konkreten Gefahrenpotenzials untätig geblieben seien. Demgegenüber habe sich der Beklagte nur punktuell (nämlich zum Zeitpunkt der Evaluierung) fahrlässig verhalten, sodass eine Verschuldensteilung von 3 : 1 zugunsten des Beklagten geboten sei.

Das Berufungsgericht änderte infolge Berufung der Klägerin, die eine Abänderung des Urteils unter Zugrundelegung eines gleichteiligen Verschuldens begehrte, dieses Urteil dahin ab, dass es den Beklagten - ausgehend von einem gleichteiligen Verschulden von Beklagtem und Versicherungsnehmerin - zur Zahlung von 72.397,03 EUR sA verpflichtete und die Haftung des Beklagten zur Hälfte für sämtliche zukünftigen Pflichtaufwendungen aus dem Arbeitsunfall vom 24. 4. feststellte; es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Arbeitgeber seien nach § 4 Abs 1 ASchG verpflichtet, die für die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer bestehenden Gefahren zu ermitteln und zu beurteilen; insbesondere sei die Gestaltung der Arbeitsplätze, der Arbeitsverfahren und der Arbeitsvorgänge sowie der Stand der Ausbildung und Unterweisung der Arbeitnehmer zu berücksichtigen. Nach § 4 Abs 6 ASchG seien bei der Ermittlung und Beurteilung der Gefahren und der Festlegung der Maßnahmen erforderlichenfalls geeignete Fachleute heranzuziehen; mit der Ermittlung und Beurteilung der Gefahren könnten auch die Sicherheitsfachkräfte und Arbeitsmediziner beauftragt werden. § 5 ASchG verpflichte die Arbeitgeber, in einer der Anzahl der Beschäftigten und den Gefahren entsprechenden Weise die Ergebnisse der Ermittlung und Beurteilung der Gefahren sowie die durchzuführenden Maßnahmen zur Gefahrenverhütung schriftlich festzuhalten (Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokumente). Soweit dies aus Gründen der Gefahrenverhütung erforderlich sei, sei diese Dokumentation arbeitsplatzbezogen vorzunehmen. Vorschriften zur Unfallsverhütung sollten jenen Schäden vorbeugen, die unter bestimmten Voraussetzungen leicht eintreten, aber vermieden werden könnten, falls die Vorschriften strikt eingehalten würden. Bloße Anweisungen könnten technische Einrichtungen, die die Sicherheit des Arbeiters gewährleisteten, nicht ersetzen. Die Versicherungsnehmerin habe die im Februar 2000 ergangene Empfehlung der AUVA zum Einbau einer Zweihandschaltung nicht umgesetzt; dies sei ihr als Verschulden anzurechnen, weil der Arbeitgeber die Verbesserungsvorschläge bei Festlegung von Maßnahmen nach § 4 Abs 3 und Abs 4 ASchG zu berücksichtigen habe. Demgegenüber habe der Beklagte aufgrund einer vorwerfbaren Fehleinschätzung eine Zweihandauslösung nicht für geboten erachtet, was bei diesem gefährlichen Arbeitsmittel besonders ins Gewicht falle. Er habe auch nicht darauf hingewiesen, dass statt der Zweihandschaltung ein Schutzkorb der Plexiglasscheibe hätte vorgebaut werden müssen. Die Einweisung des beim Unfall verletzten Mitarbeiters, er dürfe sich nur zum Heranziehen des Werkstücks und ansonsten nie mit den Händen im Sägebereich befinden und müsse beim Durchgreifen aufpassen, sei unzureichend gewesen, weil mit Fehlverhalten im Zusammenhang mit erhöhtem Arbeitsdruck oder aus Nachlässigkeit immer gerechnet werden müsse. Der Vorwurf einer unterlassenen Nachevaluierung wegen des erfolgten Umbaus der Maschine sei nicht stichhältig, weil eine solche ohne geänderte Arbeitsverhältnisse oder anderer Arbeitsmittel gesetzlich nicht verlangt sei; eine Risikoanalyse sei nach § 35 Abs 2 ASchG nur dann vorzunehmen, wenn die Einsatzbedingungen von Arbeitsmitteln in einem größeren Umfang verändert worden seien. Die einzige festgestellte Veränderung der Ablängsäge sei 1995, als der ursprünglich am Boden befestigte Schalter mittels Klebeband auf einer Schiene im Bereich des Anschlags befestigt worden sei; diese andere Position des Schalters bedeute jedoch keine Veränderung der Maschine in einem größeren Umfang. Versicherungsnehmerin und Beklagter hätten den Unfall zu gleichen Teilen verschuldet.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht bei der Verschuldensteilung den ihm in dieser Frage eingeräumten Ermessensspielraum überschritten hat; das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

1. Für den Regress zwischen gemeinschaftlichen Schädigern nach § 1302 ABGB sind die Regeln des § 896 ABGB anzuwenden; als besonderes Verhältnis im Sinne dieser Bestimmung kommt insbesondere die Schadensaufteilung nach der Schwere des Verschuldens in Betracht (Reischauer in Rummel³ § 1302 Rz 10 mwN).

2. Bei Beurteilung der Pflichten eines Unternehmens sind die Kriterien der Sachverständigenhaftung maßgeblich; es ist somit ein erhöhter Diligenzmaßstab anzulegen (RIS-Justiz RS0026555).

3. Nach der ständigen Rechtsprechung zum Begriff der groben Fahrlässigkeit reicht das Zuwiderhandeln gegen Unfallverhütungsvorschriften für sich allein zur Annahme grober Fahrlässigkeit nicht aus (RIS-Justiz RS0026555 [T4], RS0052197). Entscheidendes Kriterium für die Beurteilung des Fahrlässigkeitsgrades ist auch nicht die Zahl der übertretenen Vorschriften, sondern die Schwere der Sorgfaltsverstöße und die für den Arbeitgeber erkennbare Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts (RIS-Justiz RS0085332). Im Wesentlichen ist zu prüfen, ob nach objektiver Betrachtungsweise ganz einfache und naheliegende Überlegungen in Bezug auf den Arbeitnehmerschutz nicht angestellt wurden (10 ObS 27/09g; RIS-Justiz RS0030644 [T34], RS0085228).

4. Folgende Umstände, die zum Unfall beigetragen haben und der Versicherungsnehmerin als Arbeitgeberin auch erkennbar waren (vgl Sachverständiger AS 244), gehen zu deren Lasten:

4.1. Die Maschine war im Unfallzeitpunkt April 2007 in sicherheitstechnisch unkorrektem Zustand:

a) fehlender umfassender Eingriffschutz (Plexiglas ungeeignet und zerbrochen, dadurch Eingreifen zum Sägeblatt möglich); b) keine Zweihand-Auslösung; c) keine automatisierte Transporteinrichtung für Verschub des Holzes; d) Auslösetaster falsch positioniert.

4.2. Der Bericht Beil ./H vom 1. 2. 2000, der eine Zweihand-Auslösung für die Maschine empfiehlt, blieb sieben Jahre lang bis zum Unfall unbeachtet (Verstoß gegen § 4 Abs 1 ANSchG).

4.3. Die Versicherungsnehmerin hat keine Sicherheitsfachkraft im Betrieb bestellt.

4.4. Dem beim Unfall verletzten Arbeitnehmer wurden keine Anweisungen erteilt, Holzstücke nur von hinten nachzuschieben, damit die Hände nicht in den Sägebereich kommen, und keinesfalls unter der hochgegangenen Niederhaltekonstruktion durchzugreifen (deren Beachten hätte den Unfall verhindert).

4.5. Der beim Unfall verletzte Arbeitnehmer erhielt keine schriftliche Unterweisung zur Bedienung der Maschine.

4.6. Die Maschine wurde zwischen ihrem Aufstellen 1991 und dem Unfall 2007 durch nachträglichen Einbau eines Niederhalteschutzes adaptiert und umgebaut; dies hätte zu einer sicherheitstechnischen Evaluierung durch den Arbeitgeber führen müssen, was jedoch unterblieb.

5. Folgende Umstände, die zum Unfall beigetragen haben und ihm auch erkennbar waren, gehen zu Lasten des Beklagten:

5.1. Der Beklagte verfügt über eine Zusatzausbildung im Bereich Arbeitnehmerschutz und als Sicherheitsfachkraft, ist also Sachverständiger für Arbeitnehmerschutz iSd § 1299 ABGB.

5.2. Sein Evaluierungsgutachten von 2001 (Auftrag: Evaluierung des Betriebs, keine Sicherheits- oder Risikoanalyse) bemängelt zwar die kaputte Schutzabdeckung und das fehlende Gefahrenschild, enthält aber keinen Hinweis auf das Erfordernis einer Zweihand-Auslösung und einen umfassenden Eingriffschutz oder (alternativ) auf das Erfordernis einer ergänzenden sicherheitstechnischen Begutachtung, obwohl dem Beklagten Beil ./H vom 1. 2. 2000 bekannt war.

6. Berücksichtigt man, dass die Versicherungsnehmerin als Betriebsinhaberin selbst als Sachverständige anzusehen und ihren Arbeitnehmern aus ihrer arbeitsrechtlichen Fürsorgepflicht verpflichtet ist, sowie weiters, dass sie über viele Jahre hinweg den erkennbaren sicherheitstechnisch unkorrekten Zustand der Maschine aufrecht erhielt und dass sie auch keine besonderen Einschulungsmaßnahmen beim später verletzten Arbeitnehmer setzte, ist ihr schuldhafter Beitrag zum Unfallseintritt insgesamt größer als jener des Beklagten, der - nur mit einer allgemeinen Evaluierung beauftragt - einen (punktuellen) Sorgfaltsverstoß deshalb zu verantworten hat, weil er in seinem Endbericht zwar allgemein auf die Gefährlichkeit des Zustands der Maschine hinwies, aber die (auch) gebotene technische Schutzmaßnahme einer Zweihand-Auslösung nicht empfohlen hat.

Unter diesen Umständen ist dem Erstgericht darin beizupflichten, dass die fallkonkrete Verschuldensteilung 3 : 1 zu Gunsten des Beklagten vorzunehmen ist. Sein Urteil ist deshalb wiederherzustellen.

7. Die Kostenentscheidung ist in den § 41 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO begründet. Im Verfahren erster Instanz hat die klagende Partei bis zur Ausdehnung des Klagebegehrens unter Zugrundelegung eines Alleinverschuldens des Beklagten unmittelbar vor Schluss der Verhandlung mit der Hälfte obsiegt (die geringfügige Klagsausdehnung mit Schriftsatz vom 11. 6. 2012 kann bei Berechnung der Obsiegensquote unberücksichtigt bleiben). Dies führt zur Kostenaufhebung in diesem Abschnitt und zum Zuspruch der dem ursprünglichen Streitwert zugeordneten halben Pauschalgebühr an den Kläger. Die infolge der Ausdehnung des Klagebegehrens zu entrichtende zusätzliche Pauschalgebühr diente jedoch nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung und war daher nicht zuzusprechen (9 Ob 218/02b; 2 Ob 31/07h). Im Rechtsmittelverfahren hat der Beklagte zur Gänze obsiegt; auch sein Kostenrekurs war berechtigt und zu honorieren.

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