OGH 8ObS1/13z

OGH8ObS1/13z5.4.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Kuras und die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Kainz und Horst Nurschinger als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei W***** G*****, vertreten durch Mag. Michael Scheed, Rechtsanwalt in Schwertberg, wider die beklagte Partei IEF‑Service GmbH, Geschäftsstelle Linz, 4020 Linz, Gruberstraße 63, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1010 Wien, Singerstraße 17‑19, wegen 33.539 EUR sA an Insolvenz‑Entgelt, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 19. Oktober 2012, GZ 11 Rs 105/12h‑10, mit dem über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Steyr als Arbeits- und Sozialgericht vom 26. Juni 2012, GZ 9 Cgs 269/11m‑6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision der beklagten Partei wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei den mit 2.258,50 EUR (darin enthalten 376,42 EUR USt) bestimmten Anteil an den Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Über die GmbH, bei der der Kläger vom 1. 1. 2007 bis 25. 9. 2011 beschäftigt war, wurde mit Beschluss vom 16. 9. 2011 das Konkursverfahren eröffnet. Die hier maßgeblichen Entgeltforderungen für Juli bis September 2011 zuzüglich Kündigungsentschädigung, Urlaubsersatzleistung, Zinsen und Anmeldegebühr in Höhe von 33.539 EUR wurden im Konkursverfahren anerkannt und festgestellt. Der Kläger war während des Dienstverhältnisses auch Gesellschafter der Gemeinschuldnerin mit einem Anteil am Stammkapital, der zwischen fünf und zuletzt nur noch drei Prozent schwankte.

Nach dem Gesellschaftsvertrag bedurften folgende Entscheidungen der Gesellschafter der Einstimmigkeit:

a) Der Erwerb, die Pachtung und die Veräußerung von Anlagevermögen über einen Wert von 15.000 EUR im Einzelnen bzw 36.500 EUR pro Kalenderjahr;

b) die Aufnahme von Darlehen und Krediten, die Übernahme von Bürgschaften und das Eingehen sonstiger Belastung;

c) der Abschluss von Rahmengeschäften;

d) die Bestellung und Abberufung von Geschäftsführer, Prokuristen und Handelsbevollmächtigten;

e) die Anstellung von Bediensteten, sofern deren monatliches Bruttoeinkommen den Betrag von 3.000 EUR überschreitet;

f) der Abschluss von Verträgen, deren Umfang über den laufenden Geschäftsbetrieb hinausgeht oder die für die Gesellschaft von grundsätzlicher Bedeutung sind;

g) der Abschluss von Rechtsgeschäften zwischen der Gesellschaft und einem Geschäftsführer.

Neben dem Gesellschaftsvertrag wurde auch eine Syndikatsvereinbarung getroffen, nach der die genannten Gegenstände nicht der Einstimmigkeit bedürfen, eine Mehrheit von zwei Dritteln ausreichend ist und sich im Falle der Erreichung dieser Mehrheit alle Gesellschafter zu einer entsprechenden Stimmrechtsausübung in der Generalversammlung verpflichten.

Die Beklagte wies den Antrag des Klägers auf Gewährung von Insolvenz‑Ausfallgeld im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass dem Kläger durch die ihm im Gesellschaftsvertrag für bestimmte Angelegenheiten vermittelte Sperrminorität ein beherrschender Einfluss auf die Dienstgebergesellschaft zugekommen sei.

Der Kläger begehrt die Zuerkennung von Insolvenz‑Ausfallgeld von 33.539 EUR netto zuzüglich 4 % Zinsen. Er stützt sich zusammengefasst darauf, dass ihm trotz der Regelungen des Gesellschaftsvertrags kein beherrschender Einfluss auf die Gesellschaft zugekommen sei, weil die durch den Gesellschaftsvertrag für bestimmte Angelegenheiten vermittelte Sperrminorität durch die Syndikatsvereinbarung beseitigt worden sei.

Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage und verwies auf den beherrschenden Einfluss nach dem Gesellschaftsvertrag.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Nach § 1 Abs 6 Z 2 IESG komme Gesellschaftern, denen ein beherrschender Einfluss auf die Gesellschaft zustehe, selbst dann, wenn dieser Einfluss ausschließlich oder teilweise auf der treuhändigen Verfügung von Gesellschaftsanteilen Dritter beruhe oder durch treuhändige Weitergabe von Gesellschaftsanteilen ausgeübt werde, kein Anspruch auf Insolvenz‑Entgelt zu. Beherrschender Einfluss sei nicht nur dann gegeben, wenn sich dies aus dem Beteiligungsverhältnis ergebe, sondern auch dann, wenn der Gesellschafter nach dem Gesellschaftsvertrag in der Lage sei, eine Beschlussfassung in der Generalversammlung zu verhindern. Dies sei im Hinblick auf das Einstimmigkeitsprinzip im vorliegenden Gesellschaftsvertrag zu bejahen. Daran ändere der Syndikatsvertrag nichts, da dieser nur die Gesellschafter untereinander binde, aber nichts an der Möglichkeit der wirksamen Stimmabgabe ändere.

Das Berufungsgericht änderte das Urteil im klagsstattgebenden Sinne ab. Es treffe zu, dass nach der Rechtsprechung beherrschender Einfluss des Minderheitsgesellschafters auch dann gegeben sei, wenn im Gesellschaftsvertrag das Einstimmigkeitsprinzip für im Rahmen der Unternehmensführung wesentliche Angelegenheiten festgelegt werde. Durch die hier im Syndikatsvertrag getroffenen Regelungen werde aber die in diesem Sinn vermittelte beherrschende Stellung wieder rückgängig gemacht. Nach überwiegender Rechtsprechung und einem Teil der Lehre sei zwar ein Gesellschafterbeschlusses wegen syndikatswidrigen Stimmverhaltens nicht anfechtbar; davon abweichend sei aber auch der Standpunkt vertreten worden, dass in gewissen Fällen ein Gesellschafterbeschluss, der gegen einen zwischen allen Gesellschaftern abgeschlossenen Stimmbindungsvertrag verstoße, angefochten werden könne. Diese Frage könne aber letztlich dahingestellt bleiben, da sich aus der im Ausschlusstatbestand des § 1 Abs 6 Z 2 IESG enthaltenen Formulierung, wonach der beherrschende Einfluss auch „ durch treuhändige Weitergabe von Gesellschaftsanteilen ausgeübt “ werde, unmissverständlich zeige, dass der Gesetzgeber nicht auf das Können im Außenverhältnis, sondern auch auf das „Dürfen“ im Innenverhältnis abstelle. Schließlich entspreche es dem Wesen der Treuhand, dass der Treuhänder im Innenverhältnis besonderen Bedingungen bzw Beschränkungen unterliege, was seine Befugnisse nach außen grundsätzlich nicht schmälere. In diesem Sinne sei aber auch die interne Beschränkung im Syndikatsvertrag zu berücksichtigen, nach der der Kläger verpflichtet war, im Sinne einer allenfalls zustande kommenden Zweidrittelmehrheit abzustimmen. Für dieses Ergebnis spreche im Übrigen auch die Richtlinie 2008/94/EG . Schließlich hätte der Kläger im Fall eines syndikatswidrigen Verhaltens auch auf Schadenersatz in Anspruch genommen werden können. Da die Arbeitnehmereigenschaft des Klägers nicht strittig sei, sei das Urteil im klagsstattgebenden Sinne abzuändern.

Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht als zulässig, da Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, inwieweit eine Stimmrechtsbindung aufgrund eines allseitigen Syndikatsvertrags der Annahme eines nach den im Gesellschaftsvertrag vorgesehenen Mehrheitserfordernissen zu bejahenden beherrschenden Einflusses entgegensteht.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil erhobene Revision der Beklagten ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist auch berechtigt.

I. Der hier maßgebliche Ausschlusstatbestand des § 1 Abs 6 Z 2 IESG lautet wie folgt:

Keinen Anspruch auf Insolvenz‑Entgelt haben:

2. Gesellschafter, denen ein beherrschender Einfluss auf die Gesellschaft zusteht, auch wenn dieser Einfluss ausschließlich oder teilweise auf der treuhändigen Verfügung von Gesellschaftsanteilen Dritter beruht oder durch treuhändige Weitergabe von Gesellschaftsanteilen ausgeübt wird;

…“

II.1. Nach ständiger Rechtsprechung ist der Tatbestand des beherrschenden Einflusses im Sinne dieser Bestimmung nicht nur dann erfüllt, wenn der Gesellschafter kraft seines Beteiligungsverhältnisses als Mehrheitsgesellschafter die Beschlussfassung in der Generalversammlung im Wesentlichen allein bestimmen kann, sondern auch dann, wenn er über einen Anteil verfügt, der ihn in die Lage versetzt, eine solche Beschlussfassung in der Generalversammlung zu verhindern (RIS‑Justiz RS0077381). Dass demgemäß das Einstimmigkeitserfordernis in wesentlichen Angelegenheiten einen in diesem Sinn beherrschenden Einfluss vermittelt, hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen (8 ObS 6/07a).

II.2. Auch mit der Frage, was als „wesentliche Angelegenheit“ im Sinne dieser Rechtsprechung anzusehen ist, hat sich der Oberste Gerichtshof bereits auseinandergesetzt. So bestanden im zu 8 ObS 9/09w entschiedenen Fall besondere Mehrheitserfordernisse für die Beteiligungen an anderen Unternehmen und Gesellschaften, für die Veräußerung und Verpachtung des Unternehmens, für die Auflösung der Gesellschaft, für Beschlüsse über Kapitalerhöhungen, für den Verzicht auf Prüfung des Jahresabschlusses durch den Wirtschaftsprüfer, für die Gewinnverteilung, für die Anstellung von Personen mit einem Jahresgehalt von über 43.603,70 EUR, für Gehaltsänderungen der Gesellschafter und für Investitionen über 5.000 EUR netto. Wenngleich dieser Katalog von den hier im Gesellschaftsvertrag aufgezählten Angelegenheiten im Detail abweicht, sind doch die hier im Gesellschaftsvertrag erfassten Angelegenheiten ‑ auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass für die Gewinnverteilung im vorliegenden Fall ohnehin eine fixe Regelung im Gesellschaftsvertrag vorgegeben war ‑ durchaus mit den der Vorentscheidung zugrunde liegenden Regelung vergleichbar.

III. Zu beurteilen bleibt daher die Frage, welche Bedeutung der außerhalb des Gesellschaftsvertrags geschlossenen Syndikatsvereinbarung der Gesellschafter zuzumessen ist. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in vergleichbaren Fällen außerhalb des Gesellschaftsvertrags liegende Einschränkungen der Einflussmöglichkeiten von Gesellschaftern als unbeachtlich erachtet. Er ist in ständiger Rechtsprechung davon ausgegangen, dass es auf die mit der Gesellschafterstellung typischerweise verbundenen Einfluss‑ und Informationsmöglichkeiten ankommt, nicht aber auf allfällige Gründe für die mangelnde Ausübung dieser Möglichkeiten (so etwa 8 ObS 21/03a, 8 ObS 13/05b ua). Gerade der Umstand, dass der Ausschlusstatbestand auch solche Arbeitnehmer erfassen soll, die die Anteile bloß treuhändig halten (vgl dazu etwa zuletzt 8 ObS 4/09k, 8 ObS 15/08a oder 8 ObS 6/09d), zeigt, dass das Innenverhältnis, das für den Außenstehenden, insbesondere auch die IEF‑Service GmbH, regelmäßig schwer nachvollziehbar ist, insoweit nicht für die Einschränkung des Ausschlusstatbestandes ausreicht. Schließlich hat der Gesetzgeber doch beide Fälle der Treuhand von der Bezugsberechtigung ausgeschlossen, also sowohl den Treugeber, der bloß intern verfügen kann, als auch den Treuhänder, der nach außen berechtigt ist ( Holzer/Reissner/Schwarz 4 , Das Recht der Arbeitnehmer bei Insolvenz, 86; Liebeg , Insolvenzentgeltsicherungsgesetz 3 , 292). Dies ist schon deshalb sinnvoll, weil einerseits auch der intern gebundene Treuhänder nach außen eine wesentliche Rechtsposition hat und andererseits die Einschränkung der Verfügungsmacht auch nicht entsprechend dokumentiert ist und deshalb eine höhere Anfälligkeit für Missbräuche durchaus plausibel ist.

IV.1. Art 12 der RL 2008/94/EG über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers lässt nicht nur generell notwendige Maßnahmen zur Vermeidung von Missbräuchen zu (lit a), sondern anerkennt auch in seiner lit c) ausdrücklich, dass Einschränkungen der Ansprüche daraus resultieren können, dass ein Arbeitnehmer allein oder zusammen mit engen Verwandten Inhaber eines wesentlichen Teils des Unternehmens oder Betriebs des Arbeitgebers war und beträchtlichen Einfluss auf dessen Tätigkeit hatte.

IV.2. Die konkrete Beurteilung des Vorliegens eines Ausnahmetatbestands iSd Art 12 der Richtlinie hat durch die Gerichte der Mitgliedstaaten zu erfolgen. Allerdings dürfen dabei die Zwecke der Richtlinie nicht vereitelt werden (EUGH 11. 9. 2003, C‑201/01 Rs Walcher Rn 37).

IV.3. Hier war Inhaber des Betriebs die GmbH. Auf deren Agieren hatte der Kläger nach dem Gesellschaftsvertrag maßgeblichen Einfluss. Warum es unter dem Blickwinkel der Richtlinie nicht zulässig sein sollte, auf diese öffentlich dokumentierte gesellschaftsrechtliche Stellung abzustellen, wird vom Kläger nicht näher dargelegt. Es wäre den Parteien des Gesellschaftsvertrags ja jederzeit offengestanden, die öffentlich dokumentierten Regelungen des Gesellschaftsvertrags etwaigen tatsächlich gewollten Einschränkungen der Einflussmöglichkeiten des Klägers anzupassen. Dass auf weitere, im Gesellschaftsvertrag nicht dokumentierte vertragliche Abhängigkeiten, die die gesellschaftsrechtliche Stellung wieder einschränken ‑ hier auf den Syndikatsvertrag ‑ nicht Bedacht genommen wird, ist keine Maßnahme, die den Zweck der Richtlinie vereiteln könnte.

V. Insgesamt war daher der Revision der Beklagten Folge zu geben und das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen.

VI. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Dem unterlegenen Gegner war nach Billigkeit die Hälfte seiner Kosten zuzusprechen, weil eine erhebliche Rechtsfrage in einem komplexen Zusammenhang zu behandeln war.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte