OGH 7Ob30/13g

OGH7Ob30/13g27.3.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** R*****, vertreten durch Dr. Josef Dengg, Dr. Milan Vavrousek, Mag. Thomas Hölber, Rechtsanwälte in St. Johann im Pongau, gegen die beklagte Partei V*****‑Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Franz Essl, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 6.850 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 21. November 2012, GZ 22 R 347/12a‑13, womit das Urteil des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau vom 29. August 2012, GZ 2 C 148/12v‑9, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.021,42 EUR (darin enthalten 228,90 EUR an USt und 648 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger hatte für seinen Pkw der Marke VW Touareg bei der Beklagten eine Kaskoversicherung abgeschlossen, der unter anderem die Allgemeinen Kaskoversicherungsbedingungen AKKB 2006/A zugrunde gelegt wurden.

Am 5. 7. 2011 brachte der Bruder des Klägers den Pkw auf einer geschotterten Parkfläche, die zum westlichen Rand eine Neigung (weniger als 10 %) aufwies, zum Stehen. Er trat die Feststellbremse mit mäßig starkem Druck. Er legte keinen Gang ein, sondern ließ den Motor laufen und stieg aus, um Kindersitze in andere dort abgestellte Pkws seiner Bekannten umzuladen. Die Fahrzeugtüre ließ er offen stehen. Als er ungefähr zehn Meter entfernt mit dem Rücken zum Pkw stand, begann dieser wegzurollen. Der Pkw kam in einem Graben zum Stillstand.

Der Kläger begehrt Zahlung von 6.850 EUR sA an Fahrzeugschaden (6.800 EUR) und unfallkausalen Nebenkosten (50 EUR). Der Schadensfall sei vom Versicherungsschutz umfasst.

Die Beklagte bestreitet das Klagebegehren. Der Lenker habe gegen die Verpflichtung nach § 23 Abs 5 StVO verstoßen, wonach das Fahrzeug, bevor dieses verlassen werde, so abzusichern sei, dass es nicht abrolle. Gemäß § 61 VersVG sei sie nicht zur Leistung verpflichtet, weil der Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt worden sei. Auch habe es der Lenker unterlassen, eine Rettungshandlung zu setzen, als das Fahrzeug bereits abzurollen begonnen habe. Sollte das Auto wegen starken Windes ins Rollen geraten sein, sei dem Kläger eine Obliegenheitsverletzung gemäß Art 7 AKKB 2006/A vorzuwerfen, weil er eine falsche Schadensmeldung erstattet habe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Dem Kläger seien die vorgeworfenen Obliegenheitsverletzungen nicht anzulasten. Den Lenker des Fahrzeugs treffe kein grobes Verschulden.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, dass es das Klagebegehren abwies, wobei es aussprach, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Nach § 23 Abs 5 StVO sei der Lenker eines Kfz verpflichtet, dieses vor dem Verlassen so zu sichern, dass es nicht abrollen könne. Im vorliegenden Fall sei die Feststellbremse zu leicht angezogen gewesen. Selbst wenn sich die Bremse schwer dosieren lasse, hätte der Lenker insbesondere im Hinblick auf die gegebenen Windverhältnisse und in Anbetracht des Gefälles zumindest auch den Motor abstellen und einen Gang einlegen müssen. Ihm sei daher grobes Verschulden anzulasten. Die Revision sei zulässig zur Frage, ob ein Lenker grob fahrlässig handle, wenn er eine schwer dosierbare Feststellbremse, die über keine Anzeige oder Skala verfüge, bei einem Gefälle von unter 10 % mit mittelmäßig starkem Druck betätige und keine zusätzlichen Absicherungsmaßnahmen gegen das Abrollen treffe, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung bestehe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte begehrt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist, wenn auch nicht aus den vom Berufungsgericht genannten, so doch aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig. Sie ist auch berechtigt.

1.1 Die Kaskoversicherung ist eine Sparte der Sachversicherung, durch die das Interesse des Eigentümers am Fahrzeug versichert ist (RIS‑Justiz RS0080389). Nach § 61 VersVG ist der Versicherer leistungsfrei, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat. Es handelt sich um einen sekundären Risikoausschluss (7 Ob 74/02m, 7 Ob 165/02v je mwN).

Die in Deutschland entwickelte Repräsentantenhaftung kann aus dem VersVG nicht abgeleitet werden (RIS‑Justiz RS0080407). Das Verhalten eines Dritten kann daher nicht zur Leistungsfreiheit des Versicherers führen (7 Ob 6/84, 7 Ob 41/98z, 7 Ob 165/02v, Schauer , Versicherungsvertragsrecht 3 , 269). Auf Vorsatz oder grobes Verschulden des Lenkers kommt es daher bei der Beurteilung der Leistungspflicht des Versicherers grundsätzlich nicht an, wenn dieser nicht gleichzeitig Versicherungsnehmer ist (7 Ob 165/02v, 7 Ob 157/08a).

1.2 Grundsätzlich ist der Lenker in der Kaskoversicherung nicht mitversichert, sondern Dritter (RIS‑Justiz RS0080562). Verursacht daher der Lenker schuldhaft eine Beschädigung des Fahrzeugs, steht dem Versicherungsnehmer gegen ihn ein Anspruch auf Ersatz des Schadens zu, der gemäß § 67 Abs 1 VersVG auf den Versicherer übergeht, soweit dieser dem Versicherungsnehmer den Schaden ersetzt. Der Versicherer kann jedoch auf das Regressrecht nach § 67 Abs 1 VersVG verzichten. Ein solcher Verzicht zu Gunsten des berechtigten Lenkers bewirkt dessen Befreiung vom Risiko, zum Ersatz des von ihm verursachten Schadens herangezogen zu werden. Die auf die Versicherung eigener Sachen gerichtete Versicherung des Versicherungsnehmers umfasst in einem solchen Fall auch eine Fremdversicherung. Der Verzicht zu Gunsten des Schädigers ist nichts anderes als eine Form der ‑ wenn auch nur teilweisen ‑ Mitversicherung des Sachersatzinteresses dieses Schädigers (RIS‑Justiz RS0081382).

Dies ist im vorliegenden Fall geschehen. Nach Art 10 AKKB 2006/A verzichtete die Beklagte auf den Regress gegen den berechtigten Lenker, außer in jenen Fällen, in dem auch gegenüber dem Versicherungsnehmer als Fahrzeuglenker Leistungsfreiheit bestanden hätte. Als berechtigte Lenker werden Personen definiert, die mit dem Willen des Versicherungsnehmers oder des über das Fahrzeug Verfügungsberechtigten das Fahrzeug lenken.

1.3 Zu prüfen bleibt, ob durch die Mitversicherung des Sachersatzinteresses des berechtigten Lenkers dessen Verhalten dem Versicherungsnehmer zuzurechnen ist.

Die Auswirkungen des Fehlverhaltens eines von mehreren Versicherungsnehmern (Mitversicherten), das den Verlust des Versicherungsschutzes zur Folge hat (zB Obliegenheitsverletzung, Prämienverzug, vorsätzliche oder grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls) auf den (die) anderen Versicherungsnehmer (Mitversicherten) wird regelmäßig davon abhängig gemacht, ob eine Mehrheit versicherter Interessen besteht oder ob ein gemeinschaftliches, gleichartiges und ungeteiltes Interesse aller Versicherungsnehmer (Mitversicherter) versichert ist. Nur im letzten Fall kommt es zu einer Zurechnung des Fehlverhaltens anderer am Vertrag beteiligter Personen ( Schauer , Versicherungsvertragsrecht 3 265, 315 f, Martin , Sachversicherungsrecht 3 871 Rz 75 f, SZ 34/60, 7 Ob 241/97k).

Im vorliegenden Fall besteht eine Mehrheit versicherter Interessen, nämlich zum einen das Sachinteresse des Klägers als Eigentümer des Pkw und zum anderen das Sachersatzinteresse seines Bruders als berechtigter Lenker.

Demnach ist dem Kläger das Fehlverhalten seines Bruders nicht zuzurechnen. Auf die Frage, ob den Lenker grobes Verschulden trifft, kommt es daher nicht an.

1.4 Das Rechtsmittelgericht hat, wenn es überhaupt in der Rechtsfrage angerufen ist, die materiell‑rechtliche Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung nach allen Richtungen hin zu prüfen (RIS‑Justiz RS0043352).

Dass der Kläger die sich bereits aus dem vorgetragenen und festgestellten Sachverhalt ergebende, von den Vorinstanzen unbeachtet gebliebene Rechtsfrage erstmals in der Revision aufwirft, schadet daher nicht.

2. Anders verhält es sich jedoch mit den Ausführungen der Beklagten zu den behaupteten Obliegenheitsverletzungen des Klägers selbst.

Der Versicherer hat den objektiven Tatbestand der Obliegenheitsverletzung zu behaupten und zu beweisen, der Versicherungsnehmer das Fehlen von Vorsatz und grober Fahrlässigkeit (RIS‑Justiz RS0043510).

Im erstgerichtlichen Verfahren behauptete die Beklagte eine Obliegenheitsverletzung des Klägers gemäß Art 7 AKKB 2006/A, weil in der Schadensmeldung nicht angeführt gewesen sei, dass am Unfallstag starker Wind geherrscht habe und das Fahrzeug deshalb ins Rollen geraten sei. Die Beklagte berief sich in diesem Zusammenhang auf Leistungsfreiheit gemäß § 6 Abs 3 VersVG.

Diese von der Beklagten behauptete Obliegenheitsverletzung wurde vom Erstgericht ausdrücklich verneint, wogegen sich die Beklagte in ihrer Rechtsrüge nicht mehr wandte. Vielmehr richtete sich ihre Berufung ausschließlich gegen die Beurteilung, dass den Lenker des Fahrzeugs kein grobes Verschulden treffe.

Hat die Rechtsrüge in zweiter Instanz nur einen bestimmten Aspekt aufgegriffen, wurde das Ersturteil aber nicht aus dem nunmehr relevierten Grund bekämpft, dann kann die diesbezügliche rechtliche Beurteilung im Revisionsverfahren nicht mehr überprüft werden.

Soweit die Beklagte dem Kläger nunmehr erstmals auch vorwirft, dass er in der Schadensmeldung grob wahrheitswidrige Angaben dahin getätigt habe, dass er selbst ‑ nicht sein Bruder ‑ den Unfall verursacht habe, weshalb die Beklagte nach §§ 6 Abs 1 bis 3, 19 und 34 Abs 1 VersVG von der Leistung frei sei, hat sie entsprechendes Tatsachenvorbringen im erstgerichtlichen Verfahren nicht erstattet, obwohl sich bereits aus den Klagsangaben ergibt, dass nicht der Kläger, sondern sein Bruder das Fahrzeug lenkte.

3. Der Revision ist daher Folge zu geben und das im Ergebnis zutreffende Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen. Die Entscheidung über die Prozesskosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf die §§ 41 Abs 1 und 50 Abs 1 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte