European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0070OB00016.13Y.0327.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 62 Abs 1 AußStrG ist gegen einen im Rahmen des Rekursverfahrens ergangenen Beschluss der Revisionsrekurs nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt. Eine solche Frage zeigt der Revisionsrekurs der Mutter nicht auf:
Der Entscheidung über die Übertragung der Obsorge im Einzelfall kommt regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zu, wenn dabei ausreichend auf das Kindeswohl Bedacht genommen wurde (RIS-Justiz RS0115719 [T2]; RS0007101 [T11]). Entgegen dem Standpunkt der Mutter ist dem Rekursgericht eine erhebliche Fehlbeurteilung, die vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit oder der Einzelfallgerechtigkeit korrigiert werden müsste, nicht unterlaufen.
Der Revisionsrekurs beruft sich darauf, dass der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen hat, auch im Rechtsmittelverfahren seien noch nach der Beschlussfassung der Vorinstanzen eingetretene Entwicklungen im Hinblick auf das Kindeswohl zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0122192; RS0048056). Dies bezieht sich aber nur auf unstrittige und aktenkundige Umstände (1 Ob 241/12s mwN); außerdem ist das Neuerungsverbot im Obsorgeverfahren aus Gründen des Kindeswohls nur insofern durchbrochen, als der Oberste Gerichtshof solche ‑ nach der Beschlussfassung der Vorinstanzen eingetretene Entwicklungen ‑ lediglich dann zu berücksichtigen hat, wenn die bisherige Tatsachengrundlage dadurch wesentlich verändert wird (5 Ob 112/12z mwN; RIS-Justiz RS0006893 [T16]). Im Übrigen sind daher neue Tatsachenbehauptungen in einem Rechtsmittel nicht zu berücksichtigen (vgl nur 5 Ob 188/11z), zumal der Oberste Gerichtshof ansonsten nahezu stets mit einer aufhebenden Entscheidung vorzugehen hätte. Vor allem ist zu bedenken, dass bei wesentlicher Änderung der für die Obsorgefrage maßgeblichen Umstände den Parteien ohnehin die Möglichkeit einer neuerlichen Antragstellung offensteht (1 Ob 241/12s; 5 Ob 188/11z). Allein das neue Vorbringen im Rechtsmittel macht die betreffende Behauptung nicht schon zur aktenkundigen und deshalb zu berücksichtigenden Tatsachengrundlage (7 Ob 183/12f mwN).
Davon abgesehen ist im vorliegenden Fall gar nicht anzunehmen, dass die Mutter die Erziehungsfähigkeit nunmehr soweit erlangt hätte, dass die Kindeswohlgefährdung nicht mehr bestünde:
Die Mutter beruft sich hiezu im Wesentlichen darauf, dass sie nach Deutschland gezogen sei und die Beziehung zum Vater der Kinder seit Mitte Oktober 2012 beendet habe.
Dem ist entgegenzuhalten, dass auch der Vater sich mittlerweile wieder in Deutschland aufhält und dort Anfang November inhaftiert wurde, sodass die Trennung ab November 2012 schon allein durch die Haft des Vaters bedingt war. Es liegt somit nicht eine mehrmonatige Trennung vor, die auf den Willen der Mutter zurückzuführen wäre, sondern eine solche von nur etwa zwei- bis drei Wochen, wobei die Mutter während dieser Zeit ein weiteres Kind geboren hat. Es ist daher nicht vorhersehbar, ob die Trennung vom Vater tatsächlich auf Dauer ist oder ob lediglich auf Grund der Haft noch keine Versöhnung erfolgt ist. Dabei ist insbesondere zu bedenken, dass der Vater bereits vor einiger Zeit inhaftiert war und die Mutter dennoch die Beziehung nach der Enthaftung wieder aufgenommen hat. Auch nach der Eskalation im Juni 2012 ist die Mutter wieder zu ihrem Mann zurückgekehrt und hat die Aufhebung der Einstweiligen Verfügung begehrt, obwohl sie zwei Monate Zeit für eine Loslösung von ihm hatte (Haftaufenthalt des Manns und Aufenthalt im Frauenhaus).
Nach dem Sachverständigengutachten steht fest (und wird im Rechtsmittel auch gar nicht in Zweifel gezogen), dass eine Erziehungsfähigkeit der Mutter jedenfalls nur dann anzunehmen ist, wenn diese nicht unter dem Einfluss des Ehemanns steht, womit die bei der Mutter (neben dem bereits im Jahr 2004 diagnostizierten Verdacht einer Persönlichkeitsstörung vom emotional instabilen Typ, sodass sie auch zuvor intensive sozial-pädagogische Einzelbetreuung erhielt) vorliegende psychische Abhängigkeit von ihrem Mann angesprochen wird. Eine solche kann schon nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht innerhalb weniger Wochen gelöst werden. Dies gilt umso mehr, wenn man berücksichtigt, dass die Mutter nach den vorgelegten Urkunden noch keine Psychotherapie in Anspruch genommen hat (weil dies nur geplant ist).
Auch ihre Lebenssituation in Deutschland ist noch nicht stabilisiert. Die Mutter bringt vor, dass sie seit Mitte Oktober an einer Adresse wohne; demgegenüber geht jedoch aus dem Akt hervor, dass sich ihr Unterkunftsort seit diesem Zeitpunkt (wegen heftiger innerfamiliärer Streitigkeiten) mehrfach geändert hat: Sie wohnte bei ihrer Schwiegermutter, dann bei ihrem Schwager und anschließend bei einem Bekannten. Nach der letzten diesbezüglichen Information (im Bericht einer Mitarbeiterin des deutschen Pflegedienstes vom 27. 11. 2012 [ON 63]) wurde sie daher an die „Wohnungslosenhilfe“ vermittelt und wird dort aufgenommen werden.
Unter Berücksichtigung des langen Zeitraums, aus dem bereits massive Probleme bekannt sind (schon beim ersten Aufenthalt in Deutschland wurde die am 20. 12. 2004 geborene Minderjährige J***** trotz Kindergartenpflicht vom Kindergarten abgemeldet, als dort ein auffälliges Verhalten hervorkam; sie wurde ‑ ohne Angabe von Gründen ‑ weder für die Schule angemeldet noch wurde eine Vorsorgeuntersuchung wahrgenommen; die Eltern verließen mit den Kindern Deutschland, als das dortige Gesundheitsamt und die Schulbehörde eingeschaltet wurden), kann daher nicht angenommen werden, dass sich die Situation in wenigen Wochen derart geändert hätte, dass jetzt keine akute Kindeswohlgefährdung mehr vorliege.
Das Kindeswohl wurde von den Vorinstanzen somit ausreichend beachtet und vertretbar beurteilt. Auch unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklungen kann in der Einschätzung des Rekursgerichts, dass eine solche Gefährdung vorliegt, eine Fehlbeurteilung nicht gesehen werden.
Die erneut geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz wurde bereits vom Rekursgericht verneint, was einer neuerlichen Geltendmachung in dritter Instanz ‑ auch im Verfahren außer Streitsachen ‑ entgegensteht (RIS-Justiz RS0050037 [insb T7]; 7 Ob 206/12p mwN; jüngst: 7 Ob 3/13m).
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