OGH 1Ob232/12t

OGH1Ob232/12t7.3.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. A***** L*****, vertreten durch GKP Gabl Kogler Leitner Rechtsanwälte OG in Linz, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen 7.823,16 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 3. September 2012, GZ 4 R 141/12a-12, womit das Urteil des Landesgerichts Steyr vom 6. Juni 2012, GZ 4 Cg 30/12p-8, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 620,36 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Klägerin begehrte aus dem Titel der Amtshaftung 4.618,94 EUR sA an Verdienstentgang sowie die Kosten, die sie im Verfahren 8 C 1449/08i des Bezirksgerichts Linz zu tragen hatte. In dem von ihr zu 1 C 425/08z des Bezirksgerichts Linz geführten Vorverfahren sei ihr Anspruch wegen Unschlüssigkeit abgewiesen worden, was nach der Judikatur einer neuerlichen Klage nicht entgegenstehe. Dennoch sei ihre Klage im Verfahren 8 C 1449/08i wegen rechtskräftig entschiedener Sache zurückgewiesen worden. Das Landesgericht Linz als Rekursgericht in diesem Verfahren sei in unvertretbarer Weise von der ständigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen.

Die Beklagte wendete ein, dass die Entscheidungen der Gerichte im Verfahren 8 C 1449/08i des Bezirksgerichts Linz richtig, jedenfalls aber vertretbar gewesen seien.

Das Berufungsgericht bestätigte die Abweisung der Klage durch das Erstgericht. Im Amtshaftungsprozess sei nicht etwa wie im Rechtsmittelverfahren zu prüfen, ob die beanstandete Entscheidung richtig sei, sondern lediglich, ob sie auf vertretbarer Gesetzesauslegung bzw Rechtsanwendung beruhe. Eine unrichtige, jedoch vertretbare Rechtsauffassung begründe daher keinen Amtshaftungsanspruch. Im Anlassverfahren hätten sich die Instanzen ausführlich mit der Einmaligkeitswirkung der Rechtskraft nach der jüngeren höchstgerichtlichen Judikatur und der Lehre auseinandergesetzt, weswegen selbst dann, wenn die Entscheidung 1 Ob 5/10g keine Aufgabe der bisherigen Rechtsprechungslinie des Obersten Gerichtshofs zur Präklusionswirkung von Unschlüssigkeitsurteilen begründe, von keiner unvertretbaren Rechtsansicht ausgegangen werden könne.

Die Revision erklärte das Berufungsgericht über Antrag der Klägerin nach § 508 ZPO für zulässig, weil die Frage, ob die Rechtsansicht des Rekursgerichts im Anlassverfahren vertretbar gewesen sei, im Interesse der Rechtssicherheit einer Klarstellung bedürfe.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig.

Amtshaftung für ein rechtswidriges Verhalten eines Organs tritt nur ein, wenn es auch schuldhaft ist (§ 1 Abs 1 AHG). Geht es um die (unrichtige) Beurteilung von Rechtsfragen, ist ein Verschulden grundsätzlich nur dann zu bejahen, wenn die beanstandete Entscheidung nicht auf einer nach den Umständen vertretbaren Rechtsanwendung beruht (RIS-Justiz RS0050216 [insb T5]). Dazu wird judiziert, dass ein Abweichen von einer klaren Rechtslage oder der ständigen Rechtsprechung des zuständigen Höchstgerichts, das nicht erkennen lässt, dass es auf einer sorgfältigen und auch begründeten Überlegung und Auseinandersetzung mit der herrschenden Rechtsprechung beruht, in der Regel als rechtswidrig und schuldhaft zu beurteilen sein wird (RIS-Justiz RS0049912 [insb T7, T8]; RS0049969 [T2], RS0049951 [T4]; zuletzt 1 Ob 237/12b; weitere Nachweise bei Schragel, AHG³ Rz 159). Es begründet daher etwa keine Unvertretbarkeit und damit kein Verschulden, wenn ein Entscheidungsorgan deshalb eine von der höchstgerichtlichen Judikatur abweichende Auffassung vertritt, weil es meint, Argumente ins Treffen führen zu können, die stärker seien als jene des Höchstgerichts (1 Ob 199/04b).

Die Prüfung der Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung als Verschuldenselement ist ganz von den Umständen des Einzelfalls abhängig und entzieht sich deshalb regelmäßig einer Beurteilung als erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0110837). Das gilt auch für die Beurteilung, ob ein Abweichen von einer klaren Gesetzeslage oder ständigen Rechtsprechung als (un-)vertretbar anzusehen ist (RIS-Justiz RS0049912 [T5]). Eine gravierende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts, die auch im Einzelfall aufzugreifen wäre (RIS-Justiz RS0110837 [T2]), liegt hier nicht vor.

Der Klägerin ist zunächst beizupflichten, dass nach der Judikatur die Einrede der rechtskräftig entschiedenen Sache nicht begründet ist, wenn die Klage des Vorprozesses mangels Schlüssigkeit, also wegen unvollständiger Tatsachenbehauptungen, abgewiesen wurde und die neue Klage nunmehr schlüssig ist (RIS-Justiz RS0041402). Diese Ansicht wird auch in der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs aufrechterhalten (4 Ob 14/11d; 8 Ob 126/12f). Zutreffend hat aber bereits das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass die Frage, ob die im Anlassverfahren getroffene Entscheidung richtig war, nicht Gegenstand der Prüfung im Amtshaftungsprozess ist (RIS-Justiz RS0050216 [T7]). Inhaltliche Ausführungen zu der dem Anlassverfahren zugrundeliegenden Rechtsfrage sind daher an dieser Stelle nicht erforderlich.

Die im Anlassverfahren tätig gewordenen Gerichte haben ihre Entscheidung unter Berufung auf die Ansicht von Fasching/Klicka (in Fasching/Konecny² § 411 ZPO Rz 51) begründet. Nach dieser Lehrmeinung soll der Anspruch nicht allein durch die vorgebrachten, sondern durch die rechtsbegründenden Tatsachen definiert werden. Die Einmaligkeitswirkung der Entscheidung und damit das Wiederholungsverbot hinsichtlich des entschiedenen Anspruchs greife demnach auch dann ein, wenn die zunächst erhobene Klage unschlüssig gewesen und in weiterer Folge wegen dieser Unschlüssigkeit abgewiesen worden sei.

Richtig ist, dass der Oberste Gerichtshof dieser Lehrmeinung von Fasching/Klicka in seiner Entscheidung 1 Ob 141/05z entgegengetreten ist. Mit diesem Umstand haben sich die Gerichte des Vorprozesses aber ebenso ausführlich auseinandergesetzt wie mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Einmaligkeitswirkung der Rechtskraft. Jüngere Entscheidungen des Höchstgerichts, die eine Abweisung der Klage des Vorprozesses wegen Unschlüssigkeit zu beurteilen hatten, lagen - soweit überblickbar - zum Zeitpunkt von deren Entscheidung nicht vor. Den im Anlassverfahren tätig gewordenen Gerichten kann damit nicht vorgeworfen werden, sie hätten sich mit der herrschenden Rechtsprechung nicht auseinandergesetzt. Ihre Entscheidung beruht auch keineswegs auf nicht begründeten Überlegungen, wenn sie wegen des in 1 Ob 5/10g enthaltenen Verweises auf die von den genannten Autoren vertretene Lehrmeinung auch für den Fall der Unschlüssigkeit die Ansicht vertraten, Tatsachen, die in dem für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt bereits entstanden gewesen, aber noch nicht ausgeführt worden seien, könnten die Rechtskraft nicht durchbrechen.

Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die von den Instanzen des Anlassverfahrens - wenn auch infolge irriger Annahme einer Judikaturwende im Sinne der von Fasching/Klicka aaO vertretenen Lehrmeinung - vertretene Rechtsansicht kein unvertretbares Abgehen von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung darstellt, begründet damit keine erhebliche Fehlbeurteilung, die vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzugreifen wäre. Die inhaltliche Richtigkeit der von den Gerichten im Anlassverfahren vertretenen Rechtsmeinung ist aber, wie bereits dargelegt, im Amtshaftungsverfahren nicht entscheidend.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf den § 50 Abs 1 iVm § 41 Abs 1 ZPO. Die Beklagte hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die mangelnde Zulässigkeit der Revision hingewiesen.

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