OGH 9ObA125/12s

OGH9ObA125/12s21.2.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky und Mag. Manuela Majeranowski als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Parteien 1. Ing. P***** M*****, 2. K***** Z*****, 3. S***** N*****, 4. M***** E*****, alle vertreten durch Dr. Harald Bisanz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Austrian Airlines AG, 1300 Wien-Flughafen, Office Park 2, Postfach 100, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen insgesamt 6.012,78 EUR sA, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. Juli 2012, GZ 8 Ra 135/11y-16, mit dem der Berufung der klagenden Parteien gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 27. Juni 2011, GZ 36 Cga 13/11m-8, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 670,55 EUR (darin 111,76 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen, davon die erstklagende Partei 36,3 %, die zweitklagende Partei 36,5%, die drittklagende Partei 15,2 % und die viertklagende Partei 12 %.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Kläger sind bei der Beklagten als Piloten angestellt. Die tatsächlichen Voraussetzungen für die Anwendung des Kollektivvertrags für das Bordpersonal der Austrian Airlines und Lauda Air sowie des Zusatzkollektivvertrags „Einsparungspaket“ vom 9. 3. 2010 (idF: Zusatz-KV) liegen vor.

Die Beklagte zahlte aufgrund ihrer Rechtsauffassung, dass Sonderzahlungen für Mehrleistungen, aliquote Mehrleistungsabgeltungen für Urlaub und Pensionsbeiträge gemäß Zusatz-KV auf Basis des um 5 % reduzierten Gehalts zu errechnen seien, dem Erstkläger um 2.180,27 EUR brutto, dem Zweitkläger um 2.191,58 EUR brutto, dem Drittkläger um 914,09 EUR brutto und dem Viertkläger um 726,84 EUR brutto weniger, als sich ohne Reduktion ergäbe.

Mit ihrer Klage begehrten die Kläger von der Beklagten die Zahlung dieser Beträge mit dem Vorbringen, die Minderauszahlungen seien nicht zu Recht erfolgt, weil mit dem Zusatz-KV lediglich das jeweils gültige Bruttogehalt gemäß Kollektivvertrag bzw Zusatzkollektivvertrag 2 reduziert worden sei, nicht aber vom Bruttoentgelt eine prozentmäßige Leistung als Krisenbeitrag zurückbehalten werden solle. Auf das Monatsentgelt und somit die eingeklagten Sonderzahlungen dürfe nicht zugegriffen werden.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren lediglich dem Grunde nach, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, der Zusatz-KV sei so auszulegen, dass für seinen Geltungszeitraum ein um 5 % verringertes Monatsgehalt auch für sämtliche danach zu bemessenden Entgeltansprüche zustehe. Alle Ansprüche, für die das Bruttomonatsgehalt anspruchsbildend oder zumindest Bemessungsgrundlage sei, würden auch die 5 %-ige Gehaltsreduktion nach dem Zusatz-KV erfahren. Ausgenommen seien gemäß Punkt 4 des Kollektivvertrags nur die Leistungspensionen, die vorzeitige Alterspension, die Abfertigungszahlungen bei betriebsbedingten Dienstgeberkündigungen sowie die Zahlungen aus Dienstjubiläen.

Das Erstgericht folgte dem Standpunkt der Beklagten und wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht teilte die Rechtsansicht des Erstgerichts und gab der Berufung der Kläger keine Folge. Den in der Präambel festgehaltenen Äußerungen des Betriebsrats und des Vorstands komme bloß illustrative Wirkung zu. Der weitere Hinweis, dass es sich bei dem Zusatz-KV um eine „abschließende“ Regelung handle, sei nicht im Sinne einer zwingenden taxativen Aufzählung zu verstehen, sondern nur dahin, dass später keine weiteren Kürzungen vorgenommen werden sollten. Die Regelung des Krisenbetrags könne nur so ausgelegt werden, dass nicht nur das Bruttomonatsentgelt, sondern auch die auf diesem basierenden Entgeltsbestandteile zu kürzen seien. Darauf weise auch die Formulierung „Bruttobezüge“ in Punkt 5.2.b. hin. Hingegen seien in Punkt 4. ausdrücklich Leistungen genannt, die nicht zu kürzen seien; teilte man den Klagsstandpunkt, wäre diese Regelung sinnlos. Die Revision sei zulässig, weil der Auslegung von Kollektivverträgen eine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zukomme.

In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragen die Kläger die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsstattgebung; hilfsweise stellen sie einen Aufhebungsantrag.

Die Beklagte beantragt, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.

1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Zusatz-Kollektivvertrags „Einsparungspaket“ lauten:

Präambel

Der Betriebsrat Bord (in der Folge „BRB“) der Austrian Airlines AG erklärte am 15. 7. 2009 als Beitrag zur Sicherung der Übernahme der Austrian Airlines AG durch die Deutsche Lufthansa AG an einem Paket zur Einsparung von Personalkosten in der Austrian Airlines Group von konzernweit EUR 150 Mio. Barwert - vom Vorstand der Austrian Airlines AG wurde diesbezüglich ein Wert von 5 % der Personalkosten genannt - in einem Zeitraum von 5 Jahren mitzuwirken. ...

1. Derogationsverhältnis

Regelungen dieses Zusatzkollektivvertrages gelten für seine Laufzeit als vorrangige Sonderbestimmungen („leges speciales“) gegenüber den entsprechenden Bestimmungen des Kollektivvertrages und Zusatzkollktivvertrages-2 …

4. Leistungspension, Abfertigungen und

Dienstjubiläumszahlungen

Als Bemessungsgrundlage für die Leistungspension (Pkt I.1. des Pkt 10 „Firmenpension Piloten Punkt 63“ Zusatzkollektivvertrag-2) gilt jene Bemessungsgrundlage, die gegolten hätte, wenn kein Einsparungspaket vereinbart worden wäre.

Als Bemessungsgrundlage für die Pensionsleistung Anhang VIII, § 11 (2) vorzeitige Alterspension, gilt sofern der Arbeitnehmer bei der Beendigung des Dienstverhältnisses einen bescheidmäßig zuerkannten Anspruch auf eine Pension nach dem ASVG hat, jene Bemessungsgrundlage, die gegolten hätte, wenn kein Einsparungspaket vereinbart worden wäre.

Abfertigungszahlungen aufgrund objektiv betriebsbedingter Dienstgeberkündigungen sowie Zahlungen aus Dienstjubiläen erfolgen von jener Bemessungsgrundlage, die gegolten hätte, wenn kein Einsparungspaket vereinbart worden wäre.

5. Umsetzung des Einsparungspaketes

5.2. Um eine möglichst gleichförmige Umsetzung des Einsparungspaketes beim gesamten fliegenden Personal zu gewährleisten, werden nach allfälligen An- und Einrechnungen (Punkt 3) folgende Umsetzungsschritte angewandt:

a. Änderung der Pensionsregelung.

b. Krisenbeitrag in einem prozentmäßigen Ausmaß vom jeweils gültigen Bruttogehalt gemäß Kollektivvertrag bzw. Zusatz-Kollektivvertrages-2. Der Krisenbeitrag wird in der Gehaltsabrechnung als ein die Bruttobezüge reduzierender Betrag, explizit als „Krisenbeitrag“, ausgewiesen.

Die Details sind in den Punkten 6 und 7 geregelt …

7. Einsparungspaket Cockpitpersonal (KVA-P und KVN-P)

...

7.2. Krisenbeitrag

Die Dienstnehmer leisten im Zeitraum 1. 4. 2010 bis 31. 3. 2015 einen monatlichen solidarischen Krisenbeitrag in einem prozentmäßigen Ausmaß von ihrem jeweils anwendbaren Bruttogehalt gemäß Kollektivvertrag bzw. Zusatz-Kollektivvertrag-2. ...“

Teil 3 des Kollektivvertrags für das Bordpersonal der Austrian Airlines und Lauda Air enthält ua folgende Definitionen:

„50.1 Monatsgehalt - Monatsentgelt

Das am jeweiligen Monatsletzten fällige Bruttomonatsgehalt setzt sich aus dem monatlichen Grundgehalt, der Flugzulage sowie den kollektivvertraglichen Zulagen (z.B. Regional-PIC-Zulage, R-PIC-Zulage, Seniorzulage und Purserzulage) zusammen.

Das Bruttomonatsentgelt ist das Bruttomonatsgehalt plus anteiliger Sonderzahlungen, Provisionen und Prämien, etc.“

2. Der normative Teil eines Kollektivvertrags ist nicht nach den §§ 914, 915 ABGB, sondern gemäß den Grundsätzen der §§ 6, 7 ABGB nach seinem objektiven Inhalt auszulegen. Maßgeblich ist, welchen Willen des Normgebers der Leser dem Text entnehmen kann (vgl RIS-Justiz RS0010088; RS0008782 ua). Dabei darf den Kollektivvertragsparteien zumindest im Zweifel unterstellt werden, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen und daher eine Ungleichbehandlung der Normadressaten vermeiden wollten (RIS-Justiz RS0008897). Entgegen der Ansicht der Kläger ist für eine (mittelbare) Berücksichtigung der Zweifelsregel des § 915 ABGB daher kein Raum.

3. Nach diesen Grundsätzen ist zur Ansicht der Kläger, dass die Kürzung nicht auf die eingeklagten Leistungen zu beziehen sei, Folgendes zu erwägen:

Aus der Formulierung in der Präambel, dass die nachstehenden Vereinbarungen den auf das fliegende Personal der Austrian Airlines AG entfallenden Anteil des 150 Mio EUR Barwertpakets „abschließend“ umsetzen, ist für den Klagsstandpunkt nichts zu gewinnen, kann dieser Wortlaut doch nur bedeuten, dass für diesen Teil des Personals keine weiteren Umsetzungsmaßnahmen getroffen werden sollen.

Den Klägern ist aber zuzugestehen, dass Punkt 5.2.b. („Krisenbeitrag in einem prozentmäßigen Ausmaß vom jeweils gültigen Bruttogehalt“) bei Gleichsetzung der Begriffe „Bruttogehalt“ und „Bruttomonatsgehalt“ im Rahmen der Wortinterpretation dahin verstanden werden könnte, dass der Krisenbeitrag nur vom Bruttomonatsgehalt selbst zu berechnen ist und weitere Entgeltbestandteile davon nicht berührt werden. Punkt 5.2.b. zweiter Satz steht dem noch nicht entgegen, weil mit der Anordnung, dass der Krisenbeitrag „in der Gehaltsabrechnung als ein die Bruttobezüge reduzierender Beitrag, explizit als 'Krisenbeitrag', ausgewiesen“ wird, keine Berechnungsmodalität festgelegt wird.

Zu bedenken ist jedoch auch, dass eine Reihe kollektivvertraglicher Leistungen, darunter auch Mehrleistungen, Überstunden und Sonderzahlungen (Urlaubsgeld, Weihnachtsremuneration) auf Basis des Bruttomonatsgehalts zu berechnen sind (s die Punkte 51, 52 und 53 des Kollektivvertrags). Eine Kürzung des Bruttomonatsgehalts führt damit grundsätzlich zu einer geringeren Bemessungsgrundlage und zu einer entsprechenden Kürzung dieser Leistungen. Da eine Kürzung des Bruttomonatsgehalts dergestalt auf die Höhe der genannten Leistungen durchschlägt, kann davon ausgegangen werden, dass die Kollektivvertragsparteien bereits die gewählte Diktion „Krisenbeitrag in einem prozentmäßigen Ausmaß vom jeweils gültigen Bruttogehalt“ als ausreichend erachteten, um auch eine aliquote Kürzung der auf Basis des Bruttomonatsgehalts zu berechnenden Mehrleistungen, Überstunden und Sonderzahlungen etc zu erreichen. Es erschiene auch praxisfern, nur für diese Leistungen ein vom tatsächlich ausbezahlten Bruttomonatsgehalt abweichendes Bruttomonatsgehalt heranzuziehen. Insbesondere ist aber auch Punkt 4. Zusatz-KV beachtlich, nach dem für die dort genannten Leistungen (Leistungspension, vorzeitige Alterspension, bestimmte Abfertigungszahlungen und Dienstjubiläumszahlungen) jene Bemessungsgrundlage heranzuziehen ist, die ohne Vereinbarung eines Einsparungspakets gegolten hätte. Wäre der Kostenbeitrag nur als monatlicher Einmalbetrag gedacht, der ausschließlich vom Bruttomonatsgehalt selbst zu berechnen wäre, so käme Punkt 4. kein normativer Gehalt zu. Davon ist ohne ersichtlichen Grund nicht auszugehen (vgl RIS-Justiz RS0008773, RS0008792). Das spricht aber dafür, dass der Krisenbeitrag in Höhe von 5 % des Bruttogehalts auch jene Entgeltansprüche erfasst, deren Berechnung von der Höhe des Bruttomonatsgehalts abzuleiten ist. Dies trifft etwa auf die genannten Mehrdienstleistungen und Sonderzahlungen zu.

Die von den Kollektivvertragsparteien getroffene Unterscheidung zwischen Bruttomonatsgehalt und Bruttomonatsentgelt ist damit noch nicht obsolet, weil sich letzteres auch aus Entgeltbestandteilen zusammensetzen kann, die betragsmäßig nicht vom Bruttomonatsgehalt abzuleiten sind. Über diese muss jedoch nicht abgesprochen werden, weil gar nicht behauptet wurde, dass die eingeklagte Entgeltdifferenz auch solche Entgeltbestandteile erfasst. Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beklagte gerade beim Pensionsbeitrag (der auf Basis eines Monatsbruttoentgelts zu berechnen ist, s Punkt 63 KV) mehr als die vereinbarte Reduktion des Gehalts durchschlagen ließ.

Insgesamt ist der Revision damit ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, § 46 Abs 1 Satz 2, § 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte