OGH 9Ob56/12v

OGH9Ob56/12v29.1.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.

Hopf als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner als weitere Richter in der Pflegschaftssache der am ***** 2001 geborenen mj D*****, vertreten durch Mag. Andreas Duensing, Rechtsanwalt in Wien, über den Revisionsrekurs des Vaters S*****, vertreten durch Mag. Alexander Razka, Rechtsanwalt in Wien, wegen Bemessung des Unterhalts, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 2. Oktober 2012, GZ 44 R 421/12f, 44 R 549/12d‑34, mit dem infolge Rekurses des Vaters die Beschlüsse des Bezirksgerichts Liesing vom 3. Februar 2012 und vom 22. März 2012, GZ 8 Pu 228/10p‑11 und 17, bestätigt wurden in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Revisionsrekursgegnerin hat die Kosten der Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.

Begründung

Der hier im Verfahren über den Revisionsrekurs noch maßgebliche Sachverhalt lässt sich dahin zusammenfassen, dass die einkommens‑ und vermögenslose Minderjährige im mütterlichen Haushalt lebt. Ihr Vater hat ein monatliches Durchschnittseinkommen von rund 2.200 EUR und Sorgepflichten für eine Ehefrau. Ihm entstanden aufgrund seiner Infertilität erhebliche Kosten für eine In‑vitro‑Fertilisation, die zum Großteil von der Sozialversicherung oder Vereinen getragen wurden.

Die Minderjährige begehrte mit dem hier maßgeblichen Antrag die Erhöhung der Unterhaltsverpflichtung von 305 EUR monatlich auf 339 EUR ab 1. 8. 2011 und auf 375 EUR ab 1. 10. 2011. Sie stützte dies vor allem darauf, dass sie mittlerweile das 10. Lebensjahr vollendet habe. Die vom Vater ins Treffen geführten Kosten einer In‑vitro‑Fertilisation seien nicht zu berücksichtigen.

Der Vater sprach sich gegen die Unterhaltserhöhung aus und wendete unter anderem ein, dass ihm aufgrund seiner Infertilität Kosten in Höhe von rund 3.000 EUR erwachsen seien.

Das Erstgericht erhöhte den monatlichen Unterhalt von 305 EUR ab 1. 8. 2011 bis 30. 9. 2011 um 20 EUR, ab 1. 10. 2011 um 55 EUR und ab 1. 1. 2012 um 70 EUR auf dann 375 EUR monatlich. Es ging dabei zusammengefasst davon aus, dass die Kosten der Infertilitätsbehandlung auf das Jahr 2011 aufzuteilen seien und mit monatlich 100 EUR zu berücksichtigen wären.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters, der unter anderem eine höhere Berücksichtigung der Kosten der In‑vitro‑Fertilisation von weiteren 1.800 EUR begehrte, nicht Folge. Es stützte dies zusammengefasst darauf, dass krankheits‑ und behinderungsbedingte Mehraufwendungen zwar als Abzugsposten zu berücksichtigen seien, soweit sie nicht durch Sozial‑ und Sozialversicherungsleistung gedeckt wären. Dies könne aber nur für die Behandlung oder Linderung eines Krankheitsbildes gelten, nicht aber für die Verwirklichung eines Kinderwunsches.

Den Revisionsrekurs erachtete das Berufungsgericht als zulässig, weil keine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zur Frage der Abzugsfähigkeit der aufgewendeten Kosten einer In‑vitro‑Fertilisation vorliege.

Der Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Allgemein anerkannt ist, dass ein krankheitsbedingter Mehraufwand, den der Unterhaltsschuldner zu tragen hat, die Unterhaltsbemessungsgrundlage verringert (RIS‑Justiz RS0085165 mwN). So wurden etwa im gewissen Umfang auch Mehraufwendungen für Diätnahrungen berücksichtigt (RIS‑Justiz RS0047506).

Andererseits wurde durch die Rechtsprechung auch bereits klargestellt, dass die sogenannte In‑vitro‑Fertilisation zur Herbeiführung einer Schwangerschaft keine Krankenbehandlung iSd § 133 ASVG darstellt, da der regelwidrige Zustand nicht im Fehlen einer Schwangerschaft besteht, sondern in der Unfähigkeit zur Empfängnis (bzw der Zeugung) und dieser krankheitswertige Zustand als solches durch die In‑vitro‑Fertilisation nicht beeinflusst wird (RIS‑Justiz RS0111045). Dabei hat der Oberste Gerichtshof allerdings nicht in Frage gestellt, dass die Sterilität als solche den Krankheitsbegriff erfüllt (ausführlich 10 ObS 193/98z). Auch auf den weiteren Krankheitsbegriff der WHO, der soziale Komponenten miteinbezieht, wurde eingegangen, aber festgehalten, dass die gesetzliche Krankenversicherung als solches nicht dazu berufen ist, „soziales Wohlbefinden“ zu finanzieren. Auch bei körperlich völlig gesunden Menschen die keinen entsprechenden Partner finden, kann ungewollte Kinderlosigkeit eintreten. Im Ergebnis wurde die Behandlungsbedürftigkeit des regelwidrigen Körperzustands dem Krankheitsbegriff unterstellt, nicht aber die Herbeiführung der Schwangerschaft als eine Krankenbehandlung gewertet. Die In‑vitro‑Fertilisation ist ‑ anders als andere Behandlungen (etwa Dialysebehandlung) ‑ nicht zur Aufrechterhaltung des Gesundheitszustands erforderlich. Daher wurde ein Anspruch auf Kostentragung durch die gesetzliche Krankenversicherung verneint (RIS‑Justiz RS0111045; vgl dazu etwa auch die Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichts vom 27. 2. 2009, 1 BvR 2982/07).

In weiterer Folge hat der Gesetzgeber mit dem IVF‑Fonds‑Gesetz nähere Regelungen für die Voraussetzungen zur Übernahme von 70 % der Kosten der In‑vitro‑Fertilisation festgelegt (vgl 10 ObS 172/03x mwN). Darin wird sowohl die Anzahl der Versuche der In‑vitro‑Fertilisation beschränkt als auch der Anspruch auf Ersatz eines Teils der Kosten an bestimmte Voraussetzungen gebunden.

In der Rechtsprechung des EGMR wurde allgemein festgehalten, dass die In‑vitro‑Fertilisation heikle ethische und moralische Fragen aufwirft, für die kein einheitlicher Standard in Europa besteht und bei deren Regelung den Mitgliedstaaten ein weiter Ermessensspielraum zukommt (vgl die Entscheidung der großen Kammer vom 10. 4. 2007, Bsw 6339/05; RIS‑Justiz RS0125432 mwN). Anerkannt ist, dass die Frage der In‑vitro‑Fertilisation grundsätzlich vom Recht auf Privat‑ und Familienleben nach Art 8 EMRK (vgl auch zum Recht auf Familiengründung Art 12 EMRK) erfasst ist, dieses aber kein unbeschränktes Recht auf Fortpflanzung garantiert (EGMR 3. 11. 2011, Bsw 57813/00; vgl auch RIS‑Justiz RS0126616, RS0128017 ua).

Der allgemeine Ansatz für die Berücksichtigung von Aufwendungen des Unterhaltsschuldners bei der Bemessung des Unterhalts liegt darin, dessen Verhalten an jenem eines pflichtbewussten Elternteils in einer intakten Familie zu messen (allgemein RIS‑Justiz RS0047590 mwN). Beispielsweise wurden bei Transsexualität, der Krankheitswert zukommen kann, Behandlungskosten für psychotherapeutische Behandlung und Kosten der Geschlechtsumwandlung die Berücksichtigung bei der Unterhaltsbemessungsgrundlage zugebilligt, wenn ein verantwortungsbewusster Elternteil diese Aufwendung getätigt hätte (RIS‑Justiz RS085164 mwN).

Zieht man nun ins Kalkül, dass der österreichische Gesetzgeber im Rahmen der Voraussetzungen des IVF‑Fonds‑Gesetzes die In‑vitro‑Fertilisation unterstützt, und die Krankheitswertigkeit der Infertilität als solche nicht strittig ist, so vermag allein der Umstand, dass die Kosten der In‑vitro‑Fertilisation nicht von dem Anspruch auf Krankenbehandlung nach dem ASVG erfasst wird, noch nicht eine Berücksichtigung bei der Unterhaltsbemessung generell auszuschließen. Wohl wird aber ein verantwortungsbewusster Elternteil auch in einer aufrechten Ehe die Aufwendungen auf einen längeren Zeitraum verteilen. Hier hat nun das Erstgericht ohnehin im Wesentlichen die sich aus einer In‑vitro‑Fertilisation ergebenden Kosten angemessen für das Jahr 2011 berücksichtigt. Eine darüber hinaus vom Vater begehrte weitere Berücksichtigung kann im Rahmen der dargestellten Grundsätze nicht als angemessen erachtet werden.

Insgesamt war daher im Ergebnis dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Ein Kostenersatz war nicht zuzusprechen (§ 101 Abs 2 AußStrG).

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