OGH 7Ob232/12m

OGH7Ob232/12m23.1.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L***** B*****, vertreten durch Dr. Peter Schmautzer und Mag. Stefan Lichtenegger, Rechtsanwälte in Wien, und die Nebenintervenientin H***** Versicherungen AG, *****, vertreten durch Dr. Christian Gamauf, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei E***** Versicherung AG, *****, Deutschland, vertreten durch Heinke Skribe + Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 25. September 2012, GZ 16 R 125/12p‑15, mit dem das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 27. Februar 2012, GZ 4 Cg 185/11g‑11, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil lautet:

Das Klagebegehren, es wird festgestellt, dass die beklagte Partei der klagenden Partei für sämtliche Schäden aus dem Flugunfall vom 24. April 2010 mit dem Luftfahrzeug L***** mit dem Kennzeichen OE***** Versicherungsschutz im Rahmen der vertraglichen Haftungssummen (Luftfahrzeug‑Vielschutz‑Versicherung Nr *****, CLS‑Deckung von 2.500.000 EUR) zu gewähren hat, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 9.072,81 EUR (darin enthalten 2.565,20 EUR an Barauslagen) bestimmten Prozesskosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Der Kläger und die Flugschülerin H***** M***** sind Mitglieder des Vereins U***** (im Folgenden: Verein). Der Kläger ist beim Verein nicht beschäftigt, sondern übt für diesen ehrenamtlich die Tätigkeit des Fluglehrers aus. Der Verein schloss mit der Beklagten eine „Luftfahrzeug‑Vielschutz‑Versicherung“ für das beim Schulflug eingesetzte Segelflugzeug ab. Die darin vereinbarte CSL‑Deckung (Combined Single Limit) ist eine kombinierte Halterhaftpflicht‑ und Passagierhaftpflichtversicherung. Als Verwendungszweck des zweisitzigen Segelflugzeugs wurde der Vereinseinsatz inklusive Anfängerschulung, Kunstflug/Kunstflugschulung, Wettbewerbsflüge und Einweisung angeführt. Dem Versicherungsvertrag liegen unter anderem die „Luftfahrt Haftpflichtversicherungs‑Bedingungen (Luftfahrzeughalter, Luftfrachtführer) EA 01 06/05“ (kurz: LHB) zugrunde.

Die LHB lauten auszugsweise wie folgt:

§ 1 Gegenstand der Versicherung

1. Der Versicherer bietet Versicherungsschutz, wenn der Versicherungsnehmer wegen eines während der Wirksamkeit der Versicherung eingetretenen Schadenereignisses von einem Dritten aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts wegen des Todes, der Verletzung oder Gesundheitsschädigung von Menschen (Personenschaden) oder der Beschädigung oder Vernichtung von Sachen (Sachschaden) auf Schadenersatz in Anspruch genommen wird.

2. Versicherungsfall im Sinne dieses Vertrages ist das Schadenereignis, das Haftpflichtansprüche gegen den Versicherungsnehmer zur Folge haben könnte.

3. Der Versicherungsschutz umfasst die gesetzliche Haftpflicht

3.1 aus dem Gebrauch von Luftfahrzeugen wegen Schäden von Personen und Sachen, die nicht im Luftfahrzeug befördert werden (Halter‑Haftpflichtversicherung);

3.2 aus der Beförderung oder Mitnahme von Personen und von Sachen, die sie an sich tragen oder mit sich führen sowie Reisegepäck und Luftfracht ohne Wertdeklaration (Luftfrachtführer‑Haftpflichtversicherung);

...

§ 2 Mitversicherte Personen

1. Der Versicherungsschutz umfasst auch die persönliche gesetzliche Haftpflicht

1.1 des Halters sowie aller Personen, die mit Wissen und Willen des Halters an der Führung und Bedienung der Luftfahrzeuge beteiligt sind, einschließlich der Personen, die berechtigt sind, die Fernsteuerungsanlage eines Flugmodells zu bedienen;

1.2 der eigenen Leute des Versicherungsnehmers, soweit sie berechtigt Arbeiten oder Tätigkeiten an über diesen Vertrag versicherten Luftfahrzeugen vornehmen;

1.3 der für den vertragsschließenden Luftfrachtführer tätigen Personen, mit Ausnahme des ausführenden Luftfrachtführers und dessen Leuten.

2. Mitversicherte Personen können ihre Ansprüche selbständig geltend machen.

...

§ 4 Ausschlüsse

1. Kein Versicherungsschutz besteht

...

1.9 für Haftpflichtansprüche

...

1.9.4 des Halters, Eigentümers oder des verantwortlichen Luftfrachtführers gegen Mitversicherte;

1.9.5 der Mitversicherten untereinander wegen Sachschäden, es sei denn wegen Schäden an Flugmodellen;

...

Während in § 14 Z 1 LHB festgehalten ist, dass dem Versicherungsvertrag das Recht der Bundesrepublik Deutschland zugrunde liegt, bestätigte die Beklagte im (nachfolgenden) Versicherungsnachweis gemäß § 168 Abs 1 Luftfahrtgesetz (LFG), dass für die Haftpflichtversicherung österreichisches Recht gilt.

Der österreichische A*****‑Club vereinbarte mit der Nebenintervenientin unter anderem für den Kläger eine Haftpflichtversicherung für Fluglehrer, welche aber nur subsidiär zur Haftpflichtversicherung für das der Ausbildung dienende Luftfahrzeug gilt.

Am 24. 4. 2010 führten der Kläger und die Flugschülerin mit dem Flugzeug einen Schulflug durch. Die Flugschülerin saß am vorderen, der Kläger am hinteren Sitz. Die Flugschülerin hatte die Übungsaufgabe, trotz des Seilrisses sicher zu landen. Während der Übung übergab sie dem Kläger ‑ zu spät ‑ die Steuerung. Bei der Landung schlug das Flugzeug hart auf, wodurch die Flugschülerin schwer verletzt und das Flugzeug beschädigt wurde. Die Flugschülerin macht gegen den Kläger Schadenersatzansprüche geltend.

Der Kläger begehrte die Feststellung, dass ihm die Beklagte für sämtliche Schäden aus diesem Flugunfall mit dem näher bezeichneten Flugzeug Versicherungsschutz im Rahmen der vertraglich vereinbarten Haftungssummen aus der Luftfahrzeug‑Vielschutz‑Versicherung zu gewähren habe. Zusammengefasst brachte er vor, die Beklagte behaupte zu Unrecht, dass für die verletzte Flugschülerin keine Deckung gegeben sei. Vielmehr hafte sie primär wegen der CLS‑Deckung, den zugrunde liegenden LHB und der gemäß den §§ 146 ff Luftfahrtgesetz (LFG) bestehenden Versicherungspflicht für Insassen von Luftfahrzeugen primär für alle Schäden aus dem Flugunfall. In der abgeschlossenen Versicherung sei unter dem Verwendungszweck eine Anfängerschulung vereinbart worden. Entgegen der Behauptung der Beklagten sei § 333 ASVG schon deshalb nicht anwendbar, weil weder der Kläger Dienstgeber noch die Flugschülerin Dienstnehmerin sei. Mit der Beklagten sei österreichisches Recht vereinbart worden.

Die Nebenintervenientin auf Seiten des Klägers brachte weiters vor, der Versicherungsschutz der Beklagten umfasse auch eine gesetzliche Haftpflicht aus der Mitnahme von Personen; die Flugschülerin sei eine mitgenommene Person. Ebenso sei sie als Dritte im Sinn des § 1 LHB und als Passagierin im Sinn des LFG zu qualifizieren. Anfängerschulungen seien vom Versicherungsschutz umfasst. Haftpflichtansprüche von Flugschülern seien nach dem Versicherungsvertrag nicht ausgeschlossen (§ 4 LHB).

Die Beklagte wendete im Wesentlichen ein, die Flugschülerin habe bis zum Beginn der Landung das Flugzeug geführt, sodass sie an der Bedienung des Flugzeugs beteiligt gewesen sei und deshalb nicht zugleich als Passagierin qualifiziert werden könne; sie sei auch nicht Dritte im Sinn des Haftpflichtversicherungsvertrags. Der Kläger habe der Flugschülerin die Kontrolle über das Flugzeug überlassen, möglicherweise ohne hiebei ein rechtzeitiges Eingreifen sicherstellen zu können. Dieses Risiko decke die Fluglehrer‑Haftpflichtversicherung. Schließlich könne sich der Kläger gegenüber der Flugschülerin ‑ mangels Vorsatzes ‑ auf das Haftungsprivileg des § 333 ASVG berufen, sodass kein Schadens‑ und damit auch kein Versicherungsfall bestehe. Im Vertrag sei die Anwendung deutschen Rechts vereinbart worden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es bejahte eine Haftung der Beklagten aus dem Versicherungsvertrag für die Schäden der Flugschülerin im Rahmen des Schulungsflugs. Zwar könne ein Flugschüler nach diversen Legaldefinitionen nicht Passagier sein. Allerdings sei auf den Versicherungsvertrag abzustellen und dieser auszulegen. Da nach der Vereinbarung das Flugzeug für den Einsatz als Anfängerschulung in Verbindung mit einem Fluggastsitz Versicherungsdeckung finden sollte, sei daraus zwingend zu schließen, dass „auch ein Flugschüler im Rahmen der Insassenversicherung erfasst sein sollte“. § 333 ASVG sei wegen der gesetzlich angeordneten erhöhten Haftpflicht nicht anzuwenden.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Rechtlich führte es aus, dass die Aktivlegitimation des Klägers gemäß § 2 LHB nicht strittig sei. Zur Bestimmung des Deckungsumfangs aus der vereinbarten Haftpflichtversicherung sei der Versicherungsvertrag maßgeblich. Der Verwendungszweck für das versicherte Flugzeug umfasse, wenn auch nicht ausschließlich, so doch auch Anfängerschulungen. Für die Frage, inwieweit Schäden der Flugschülerin von der Haftpflichtversicherung erfasst seien, komme es insbesondere auf die Auslegung der §§ 1, 2 und 4 LHB an. Der in § 1 Z 1 LHB verwendete Begriff „Dritter“ werde in den LHB nicht definiert. Naheliegend wäre, diesen Begriff in Anlehnung an die Gefährdungshaftung nach § 148 LFG („Drittschadenshaftung“) auszulegen. Der Oberste Gerichtshof habe zu dieser Vorgängerbestimmung (§ 146 LFG idF BGBl I 1997/102) ausgesprochen, dass Schäden von Personen, die beim Betrieb des Luftfahrzeugs tätig gewesen seien, von der Halterhaftung in analoger Anwendung des § 3 Z 3 EKHG ausgeschlossen seien (2 Ob 47/08p). Danach seien beim Betrieb tätige Piloten nicht als Dritte anzusehen. Allerdings ergebe sich aus den §§ 2 und 4 LHB, dass auch Schäden von Personen, die am Betrieb des Flugzeugs tätig gewesen seien, von der mit der Beklagten geschlossenen Haftpflichtversicherung umfasst sein können. Zudem könnte auch aus § 1 Z 3.2 LHB zum Versicherungsschutz für die gesetzliche Haftpflicht „aus der ... Mitnahme von Personen“ ein Argument für die Subsumtion von Flugschülern unter diesen Begriff abgeleitet werden. „Mitnahme“ solle zumindest klarstellen, dass Haftpflichtansprüche auch aus vertragsloser Beförderung, insbesondere aus reiner Gefälligkeitsbeförderung versichert seien. Mühlbauer (in Münchener Kommentar zum VVG [2011], Kap Luftfahrtversicherung Rn 181) vertrete zwar zu Z 2.2 der (deutschen) „Luftfahrt‑Haftpflicht‑ versicherungs‑Bedingungen für Luftfahrzeughalter und Luftfrachtführer“ (LHB 2008) die Ansicht, dass der Versicherungsschutz keine Schäden im Rahmen der Flugausbildung erfasse, weil Flugschüler zum Zweck der Ausbildung, nicht zum Zweck der Beförderung mitgenommen würden; sie führten oder bedienten das Luftfahrzeug selbst, seien also keine Passagiere. Die von ihm kommentierte Klausel enthalte aber als wesentliche Ergänzung zu der hier zu beurteilenden Bestimmung des § 1 Z 3.2 LHB, dass dort die gesetzliche Haftpflicht unter anderem Schäden aus „der Mitnahme von Personen (ausgenommen der Flugausbildung)“ erfasse. Dieser Unterschied dürfe nicht vernachlässigt werden.

Mit § 2 Z 1.1 LHB seien auch Flugschüler erfasst, wenn sie am Betrieb des Flugzeugs ‑ mit Wissen und Willen des Halters ‑ tätig seien. Daraus folge, dass eine persönliche gesetzliche Haftpflicht von Flugschülern, wenn diese von dritten Personen in Anspruch genommen würden, unter den Versicherungsschutz fallen könne. Das schließe nicht aus, dass Schadenersatzansprüche von in der Flugausbildung stehenden Personen gegenüber anderen mitversicherten Personen (zB gegenüber verantwortlichen Piloten) ebenfalls von der Haftpflichtversicherung umfasst seien.

§ 4 LHB enthalte unter dem Titel „Ausschluss“ einen detaillierten Katalog jener Fälle, in denen kein Versicherungsschutz bestehe. Diese Aufzählung lasse Rückschlüsse darauf zu, dass der Haftungsausschluss in den nicht genannten Fällen nicht gelten solle; bei den in § 4 LHB nicht genannten Fällen sei von einem Versicherungsschutz auszugehen. § 4 Z 1.9.4 LHB enthalte die Einschränkung des Ausschlusses auf den „verantwortlichen Luftfahrzeugführer“. Daraus könne geschlossen werden, dass andere Luftfahrzeugführer vom Ausschluss nicht betroffen seien. Aus § 4 Z 1.9.5 LHB ergebe sich, dass der Haftungsausschluss nicht Haftpflichtansprüche von Mitversicherten aus Personenschäden gegenüber anderen Mitversicherten erfasse. Mühlbauer (aaO Rn 211) führe zur vergleichbaren Klausel in Z 7.10.5 LHB 2008 aus, dass für Ansprüche zwischen Mitversicherten wegen Personenschäden ein Versicherungsbedürfnis bejaht werde.

Als Ergebnis der wörtlichen und systematischen Auslegung der LHB sei festzuhalten, dass der Versicherungsschutz für Haftpflichtansprüche aus „der Mitnahme von Personen“ auch die Ausbildung von Flugschülern im Flugzeug (auch wenn sie am Betrieb des Flugzeugs beteiligt seien) erfasse. Flugschüler seien mitversicherte Personen im Sinn des § 2 LHB, deren Haftpflichtansprüche wegen Personenschäden gegenüber ihrem Fluglehrer (als ebenfalls mitversicherter Person) vom Versicherungsschutz umfasst seien. Für die Fluglehrer‑Haftpflichtversicherung verbleibe ein Anwendungsfall zumindest dann, wenn in Flugausbildung stehende Personen Sachschäden gegen einen Fluglehrer geltend machten.

Soweit die Beklagte mit § 333 ASVG argumentiere, fehle für die Anwendung des sogenannten Dienstgeberhaftpflichtprivilegs jegliches Vorbringen, woraus sich ableiten ließe, dass der von der Flugschülerin begehrte Ersatz des Schadens aus einer Körperverletzung infolge eines Arbeitsunfalls, eines gleichgestellten Unfalls oder einer Berufskrankheit entstanden sei.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige, und erklärte die ordentliche Revision für zulässig. Die Auslegung der LHB zur Frage, ob der Versicherungsschutz auch Schäden von Flugschülern gegen Fluglehrer erfasse, komme eine über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu.

Gegen das Berufungsurteil richtet sich die Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das Klagebegehren abzuweisen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger und die Nebenintervenientin beantragen, dem Rechtsmittel der Prozessgegnerin nicht Folge zu geben.

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Voranzustellen ist, dass die hier zu beurteilenden Versicherungsbedingungen (LHB) inhaltsgleich mit den „Luftfahrt Haftpflichtversicherungs‑Bedingungen“ in der Fassung des Deutschen Luftpools (DLP 300/01) sind (abgedruckt und teilweise kommentiert von Mühlbauer in Thume/de la Motte , Transportversicherungsrecht [2004], 641 ff).

Zu beurteilen ist die Deckungspflicht der Beklagten aus dem Versicherungsvertrag mit dem Verein für Schäden, die der Flugschülerin beim Schulflug am 24. 4. 2010 entstanden und die sie gegen den Kläger (Fluglehrer) geltend macht. Die Aktivlegitimation des Klägers als Mitversicherter gemäß § 2 Z 1.1 iVm Z 2 LHB ist nicht strittig.

2. Die zwischen dem Verein und der Beklagten in der „Luftfahrzeug‑Vielschutz‑Versicherung“ vereinbarte CSL‑Deckung (Combined Single Limit) ist eine kombinierte Halterhaftpflicht‑ und Passagierhaftpflichtversicherung. Dabei werden ‑ wie hier mit insgesamt 2.500.000 EUR ‑ diese beiden Risiken unter einer gemeinsamen Versicherungssumme versichert (dazu Mühlbauer in Münchener Kommentar zum VVG [2011], Kap Luftfahrtversicherung Rn 178; ders in Thume/de la Motte/Ehlers, Transportversicherungsrecht² [2011], Teil 7. AVB‑Verkehrshaftungs‑Bedingungen Rn 359).

Die (Luftfahrzeug‑)Halterhaftpflichtversicherung (= Drittschaden‑Haftpflichtversicherung; vgl § 1 Z 3.1 LHB) verspricht Schutz bei Schadenersatzansprüchen von nicht am Lufttransport beteiligten Dritten. Die Luftfrachtführer‑Haftpflichtversicherung (= Passagierhaft‑ pflichtversicherung; vgl § 1 Z 3.2 LHB) sichert das Risiko der Haftung aus dem Beförderungsvertrag ab. Beide Versicherungen sind gemäß der Verordnung (EG) Nr 785/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. 4. 2008 über Versicherungsanforderungen an Luftfahrtunternehmen und Luftfahrzeugbetreiber (ABl Nr L 138/1 vom 30. 4. 2008), die zum 30. 4. 2005 in Kraft trat, Pflichtversicherungen ( Mühlbauer in Münchener Kommentar zum VVG aaO Rn 18 f).

Sowohl die Haftungsbestimmungen des österreichischen Luftfahrtgesetzes (LFG) als auch des deutschen Luftverkehrsgesetzes (dLuftVG) werden durch Pflichtversicherungen ergänzt (§§ 164 ff LFG; §§ 43 und 50 dLuftVG). In Österreich trifft die Versicherungspflicht sowohl für den Bereich der Drittschadens‑ als auch der Befördererhaftung den Halter des Luftfahrzeugs (§ 164 Abs 1 und 2 LFG). Für den Bereich der Drittschadenshaftung gilt dies auch für Deutschland (§ 43 dLuftVG). Demgegenüber trifft die Versicherungspflicht für das Risiko der Haftung aus der Luftbeförderung ‑ anders als in Österreich ‑ den Luftfrachtführer (§ 50 dLuftVG). Der in § 1 Z 3.2 LHB von der deutschen Beklagten verwendete Begriff der „Luftfrachtführer‑Haftpflichtversicherung“ resultiert daraus, dass nach deutschem Recht die Versicherungspflicht für die Haftung aus der Beförderung den Luftfrachtführer trifft.

3. Für die Beurteilung, ob Schäden der Flugschülerin von der Haftpflichtversicherung erfasst sind, kommt es speziell auf die Auslegung des § 1 LHB („Gegenstand der Versicherung“) an. Darin erfolgt die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos durch die primäre Risikoabgrenzung, wozu vor allem die Beschreibung des Versicherungsfalls und die Festlegung, welche Interessen gegen welche Gefahren versichert sind, gehört.

Nach § 1 Z 1 LHB bietet der Versicherer Versicherungsschutz, wenn der Versicherungsnehmer (hier: Verein) wegen eines eingetretenen Schadenereignisses von einem Dritten auf Grund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts wegen eines Personen‑ oder Sachschadens auf Schadenersatz in Anspruch genommen wird. Als gesetzliche Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts kommen alle in‑ und ausländischen luftrechtlichen und sonstigen deliktischen Haftungsbestimmungen in Betracht, insbesondere das Montrealer Übereinkommen, das LFG (dLuftVG) sowie die allgemeinen Schadenersatzbestimmungen des bürgerlichen Rechts (vgl Mühlbauer in Münchener Kommentar zum VVG aaO Rn 177; ders in Thume/de la Motte/Ehlers aaO Rn 358). Der Begriff „Dritter“ wird ‑ wie das Berufungsgericht zutreffend ausführte ‑ in den LHB nicht definiert. Jedoch erfolgt dessen Konkretisierung durch die in § 1 Z 3 LHB genannten versicherten Risiken.

3.1. Da sich die Flugschülerin im Segelflugzeug befand, macht sie keinen Schadenersatzanspruch geltend, der dem in § 1 Z 3.1 umschriebenen Risiko entspricht. Das ist zwischen den Parteien auch unstrittig.

3.2. Strittig ist, ob die Flugschülerin Schadenersatzansprüche gemäß § 1 Z 3.2 LHB (gegenüber dem gemäß § 2 Z 1.1 LHB mitversicherten Kläger) geltend macht. Danach umfasst der Versicherungsschutz die gesetzliche Haftpflicht aus der Beförderung oder Mitnahme von Personen und von Sachen, die sie an sich tragen oder mit sich führen sowie Reisegepäck und Luftfracht ohne Wertdeklaration.

Mit der Flugschülerin wird kein Beförderungsvertrag geschlossen; diese benützt das Flugzeug vielmehr auf Grund eines Ausbildungsvertrags (vgl 1 Ob 19/80 = FHZivR 29 Nr 2129 = RIS‑Justiz RS0066463 [T1]; Mühlbauer in Geigel, Haftpflichtprozess 26 [2011], Kap 29 Rn 23). Die Flugschülerin macht daher keine Schadenersatzansprüche „aus der Beförderung“ geltend.

Mit dem Begriff „Mitnahme“ wird klargestellt, dass auch Haftpflichtansprüche etwa aus reiner Gefälligkeitsbeförderung versichert sind. Der Versicherungsschutz erfasst nicht Schäden im Rahmen der Flugausbildung, weil sich Flugschüler zum Zweck der Ausbildung, nicht zum Zweck der Beförderung im Flugzeug befinden; sie führen oder bedienen das Flugzeug selbst, sind also keine Passagiere. Nach § 1 Z 3.2 LHB ist auch das Haftpflichtrisiko aus der Inanspruchnahme durch die eigenen Piloten oder durch sonstige Crew‑Mitglieder nicht versichert (vgl Mühlbauer in Münchener Kommentar zum VVG aaO Rn 181; ders in Thume/de la Motte/Ehlers aaO Rn 362). Die Flugschülerin wurde ‑ anders als ein Passagier ‑ beim Schulflug nicht „mitgenommen“, sondern bediente im Rahmen ihrer Ausbildung das Steuer des Segelflugzeugs. Damit scheidet aber mangels Beförderung oder Mitnahme die Deckungspflicht für einen Haftpflichtanspruch der Flugschülerin nach § 1 Z 3.2 LHB aus.

Dass in Z 2.2 der aktuelleren „Luftfahrt‑Haftpflicht‑Versicherungs‑Bedingungen für Luftfahrzeughalter und Luftfrachtführer“ (LHB 2008), Musterbedingungen des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V., ausdrücklich die Flugausbildung ausgenommen wird („... Mitnahme von Personen [außerhalb der Flugausbildung] ...“), ist gegenüber § 1 Z 3.2 LHB lediglich eine Klarstellung, bedeutet jedoch keinen entscheidungswesentlichen Unterschied zur hier zu beurteilenden Bedingungslage.

4. Diese Beurteilung deckt sich auch mit der Versicherungspflicht des Halters im Bereich der Befördererhaftung.

Nach § 164 Abs 2 LFG hat der Halter eines Luftfahrzeugs oder eines selbständig im Fluge verwendbaren Luftfahrtgeräts zur Deckung der Schadenersatzansprüche der Fluggäste pro vorhandenen Passagierplatz eine Haftpflichtversicherung über eine Versicherungssumme von zumindest 250.000 SZR (= Sonderziehungsrechte) abzuschließen. Bei einem Luftfahrzeug oder einem selbst im Fluge verwendbaren Luftfahrtgerät mit einem MTOM bis zu 2.700 kg muss die Versicherungssumme bei nicht gewerblichen Flügen zumindest 100.000 SZR betragen. Für die Beförderer‑Haftpflichtversicherung gilt, dass diese nicht nur die Ansprüche nach den §§ 156 bis 158 LFG („Haftung aus dem Beförderungsvertrag“), sondern auch die damit konkurrierenden (§ 162 Abs 2 LFG) Ansprüche nach anderen Rechtsgrundlagen und gegen andere Personen zu decken hat (ErläutRV 1429 BlgNR XXII. GP 13; Aufner , Das österreichische Luftfahrt‑Haftpflichtrecht auf neuem Kurs, ZVR 2006/120, 349 [356]). Diese Pflichtversicherung betrifft aber Schadenersatzansprüche der Fluggäste. Schon aus dem allgemeinen Sprachgebrauch ergibt sich, dass der Begriff „Fluggast“ Besatzungsmitglieder oder andere beim Betrieb tätige Personen nicht einschließt (Schauer, Fluggast oder Pilot ‑ Zur Beweislastverteilung im Versicherungsrecht am Beispiel von OGH 7 Ob 149/09a, ÖJZ 2010/72, 688 [689]).

Die Verordnung (EG) Nr 785/2004 in der Fassung der Verordnung (EU) Nr 285/2010 der Kommission vom 6. 4. 2010 (ABl Nr L 87/19 vom 7. 4. 2010) ist die zentralste und wichtigste europäische Verordnung für die Versicherungspflicht (sowohl Halterhaftpflicht für Drittschäden als auch Haftpflicht bei Passagier‑ und Güterschäden). Nach Erwägungsgrund 14 der Verordnung sollte die Versicherung die luftverkehrsspezifische Haftung in Bezug auf Fluggäste, Reisegepäck, Güter und Dritte decken. Für den Fluggast sollte die Versicherung, den Tod und die Personenschäden durch Unfall sowie für Reisegepäck und Güter Verlust, Zerstörung oder Beschädigung decken. Gemäß Art 3 lit g der Verordnung ist „Fluggast“ jede Person, die sich mit Zustimmung des Luftunternehmens oder des Luftfahrzeugbetreibers auf einem Flug befindet, mit Ausnahme der Dienst habenden Flug‑ und Kabinenbesatzungsmitglieder. Danach ist die Flugschülerin nicht als Fluggast anzusehen. Sie steuerte anlässlich des Schulflugs während der Übung das Segelflugzeug und ist damit Flugbesatzungsmitglied.

Mangels Eigenschaft als Fluggast besteht der Flugschülerin gegenüber daher weder nach der Verordnung (EG) Nr 785/2004 noch nach § 164 Abs 2 LFG eine Versicherungspflicht. Daran ändert auch nichts, dass gemäß § 52 Abs 1 LFG Übungs‑ und Prüfungsflüge im Rahmen der praktischen Ausbildung zum Zivilluftfahrer unter unmittelbarer Aufsicht und Anleitung eines dazu berechtigten Zivilfluglehrers (hier: Kläger) durchzuführen sind und dieser als verantwortlicher Pilot gemäß § 125 LFG gilt. Die Flugschülerin nahm am Schulflug jedenfalls nicht als Fluggast teil, sondern steuerte das Segelflugzeug selbst.

5. Dass der Verwendungszweck des versicherten Segelflugzeugs auch Anfängerschulungen umfasst, führt allein nicht dazu, dass die von der Flugschülerin geltend gemachten Schäden von der Haftpflichtversicherung erfasst sind. Da der Versicherungsschutz Haftpflichtansprüche von Flugschülern im Rahmen der Ausbildung im Flugzeug schon nach der primären Risikoumschreibung in § 1 Z 3 LHB nicht umfasst, kommt es auf den personellen Geltungsbereich der Versicherung (§ 2 Z 1 LHB) und die in § 4 LHB vereinbarten Ausschlüsse nicht mehr an.

6. In Stattgebung der Revision der Beklagten ist daher das Klagebegehren abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO. Die Umsatzsteuer ist nicht zuzuerkennen, weil Leistungen österreichischer Rechtsanwälte für ausländische Unternehmer nicht der österreichischen Umsatzsteuer unterliegen. Verzeichnet der österreichische Anwalt im Prozess ‑ kommentarlos ‑ 20 % USt, so wird im Zweifel nur die österreichische Umsatzsteuer angesprochen (RIS‑Justiz RS0114955).

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