OGH 2Ob238/12g

OGH2Ob238/12g20.12.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** O*****, vertreten durch Dr. Lukas Lorenz und Mag. Sebastian Strobl, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei O***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Thomas Lederer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 28.674 EUR sA sowie Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 30. August 2012, GZ 2 R 145/12h‑21, womit das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 29. Mai 2012, GZ 12 Cg 140/11k‑17, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision und die Revisionsbeantwortung werden zurückgewiesen.

Text

Begründung

1. Zur Revision:

Die Klägerin hat über Beratung eines Beraters der Beklagten Zertifikate der Meinl European Land Ltd (MEL) mit der Zusicherung erworben, das Geld sei damit absolut sicher angelegt. In der Folge verloren diese Zertifikate erheblich an Wert. Hätte die Klägerin gewusst, dass diese Veranlagung risikoreicher als ein Sparbuch sei, hätte sie diese Wertpapiere nicht erworben. Die Klägerin klagte an Schadenersatz 28.674 EUR sA ein und begehrte die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Schäden aus dieser Veranlagung.

Die Beklagte bestritt eine fehlerhafte Beratung und wandte Verjährung sowie ein Mitverschulden der Klägerin ein.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit 11.473,22 EUR sA sowie dem Feststellungsbegehren statt und wies das Leistungsmehrbegehren ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge und ließ nachträglich gemäß § 508 Abs 3 ZPO die Revision zu, weil der von der Beklagten geltend gemachte Mitverschuldenseinwand, soweit er auf ein von der Klägerin im März 2012 nicht angenommenes Vergleichsangebot der Meinl Bank über 15 % des investierten Geldbetrags gestützt worden sei, zu Unrecht als eine im Berufungsverfahren unzulässige Neuerung qualifiziert worden sei. Tatsächlich sei dieser Einwand in erster Instanz erhoben worden, weshalb der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit vorliegen könnte.

Die Revision ist unzulässig.

Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

Rechtliche Beurteilung

Die Revision zeigt zwar zutreffend auf, dass die Beklagte den dargestellten Einwand, die Klägerin habe ihre Schadensminderungspflicht verletzt, schon in erster Instanz erhoben hat und somit die Begründung des Berufungsgerichts, dieses auch in der Berufung wiederholte Vorbringen verstoße gegen das Neuerungsverbot, unzutreffend ist.

Dennoch wird dadurch eine erhebliche Rechtsfrage nicht aufgezeigt, weil diese Unrichtigkeit der berufungsgerichtlichen Begründung aus folgenden Erwägungen keinen Einfluss auf das Ergebnis hat:

Die Vorinstanzen haben zwar keine Feststellungen zu dem von der Beklagten relevierten Vergleichsanbot der Meinl Bank getroffen. Aus der von der Klägerin vorgelegten und von der Beklagten in ihrer Echtheit nicht bestrittenen Urkunde Beilage ./C ergibt sich aber der Inhalt dieses Vergleichsanbots. Danach bot die Meinl Bank vom Gesamtbetrag, den die Klägerin in die MEL‑Zertifikate investiert hatte, eine Vergleichsquote von 15 % an. Dafür hätte die Klägerin auf die Geltendmachung allfälliger Ansprüche gegenüber der Meinl Bank AG, der Meinl Success AG sowie gegenüber Julius Meinl verzichten müssen. Weiters hätte die Klägerin allfällige Ansprüche, die sie gegen Dritte im Zusammenhang mit MEL haben könnte, insbesondere gegen Atrium, die Nachfolgegesellschaft von Meinl European Land, an die Meinl Bank abtreten müssen. Im Fall einer Einklagung dieser abgetretenen Ansprüche von der Meinl Bank gegen Atrium würde die Klägerin 40 % eines allfälligen Prozesserfolgs erhalten.

Dass die Klägerin durch die Nichtannahme dieses Vergleichsvorschlags nicht gegen die Schadensminderungspflicht verstoßen hat, liegt auf der Hand. Zunächst muss der Klägerin zugebilligt werden, sich allfällige Ansprüche bzw Klagsführungen gegen die im Vergleichsanbot genannten juristischen oder natürlichen Personen (zB wegen Verletzung der Prospektpflicht etc) vorzubehalten und allfällige höhere Prozesschancen im Vergleich zu dem doch eher niedrigen Vergleichsangebot zu prüfen oder prüfen zu lassen. Überdies hätte die Annahme dieses Vergleichsangebots die Gefahr in sich geborgen, die im vorliegenden Verfahren geltend gemachten Ansprüche gegen das Beratungsunternehmen zu verlieren, wären doch diese Ansprüche ‑ zumindest nach dem Wortlaut des Vergleichsangebots ‑ unter „die Ansprüche, die sie gegen Dritte im Zusammenhang mit MEL haben könnte“ und die die Klägerin an die Meinl Bank abtreten hätte müssen, gefallen.

Auch die Revisionswerberin zeigt keine (sonstige) erhebliche Rechtsfrage auf.

Insbesondere unter Verweis auf die Entscheidungen 10 Ob 39/11z und 8 Ob 135/10a ortet die Revisionswerberin ein Abweichen des Berufungsgerichts von oberstgerichtlicher Rechtsprechung zur Verjährung. Nach diesen Entscheidungen beginne die Verjährungsfrist des § 1489 ABGB trotz noch nicht vorhandener Kenntnis vom Schaden schon dann, wenn dem Anleger Kontoauszüge (Depotauszüge, Rechenschaftsberichte, Zahlungsübersichten) übermittelt würden, aus denen er den Kurs‑ bzw Wertverlust bzw die Risikoträchtigkeit der erworbenen Wertpapiere erfahren könne, auch wenn er diese Informationen nicht lese.

Im vorliegenden Fall kann eine Auseinandersetzung mit dieser Rechtsprechung unterbleiben: Nach den Feststellungen erhielt die Klägerin Depotauszüge für das Ende des Jahres 2008 und das Ende des Jahres 2010. Ob die Klägerin über diese Unterlagen hinaus noch weitere Depotauszüge erhielt, konnte nicht festgestellt werden.

Da die Klage am 12. August 2011 bei Gericht einlangte, wäre selbst bei Relevanz der Depotauszüge für das Ende des Jahres 2008 für die Verjährung die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB im Klagszeitpunkt noch nicht abgelaufen. Die Negativfeststellung über weitere (allenfalls frühere) Depotauszüge fällt der Beklagten zur Last (RIS‑Justiz RS0034456).

Schließlich meint die Revisionswerberin, eine Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts liege darin, ein Mitverschulden der Klägerin verneint zu haben, habe sie doch die (auf das Risiko hinweisenden) Kundenhinweise auf dem Beratungsprotokoll nicht gelesen.

Die Frage, ob sich ein Anleger ein Mitverschulden am Scheitern seiner Veranlagung anrechnen lassen muss, etwa weil er Risikohinweise nicht beachtet hat, oder etwa eine grobe Pflichtverletzung des Beraters dieses in den Hintergrund treten lässt, ist aufgrund der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen und begründet daher im Regelfall keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (4 Ob 16/12z = RIS‑Justiz RS0102779 [T8]).

Angesichts der festgestellten Unerfahrenheit der Klägerin bei Veranlagungen und der mündlichen Zusicherungen des Beraters über die Sicherheit des Investments hält sich die Beurteilung der Vorinstanzen, der Klägerin falle dadurch kein Mitverschulden zur Last, dass sie die ganz klein gedruckten Risikohinweise im Beratungsprotokoll nicht gelesen hat, durchaus im Rahmen der oberstgerichtlichen Rechtsprechung (2 Ob 2107/96h; 3 Ob 40/07i; 4 Ob 62/11p).

Mangels erheblicher Rechtsfragen war die Revision zurückzuweisen.

2. Zur Revisionsbeantwortung:

Der Beschluss des Berufungsgerichts, womit es die Revision gemäß § 508 Abs 3 ZPO zuließ, wurde dem Klagevertreter am 17. 10. 2012 zugestellt. Die an das Erstgericht gerichtete Revisionsbeantwortung langte dort elektronisch am 13. 11. 2012 ein. Sie wurde zunächst vom Erstgericht dem Obersten Gerichtshof übermittelt und von diesem an das Berufungsgericht weitergeleitet, wo sie am 22. 11. 2012 einlangte.

Im Fall der nachträglichen Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht gemäß § 508 Abs 3 ZPO ist die Revisionsbeantwortung beim Berufungsgericht einzubringen (§ 507a Abs 3 Z 1 ZPO). Die Anwendung des § 89 GOG hat zur Voraussetzung, dass die Anschrift der Postsendung an jenes Gericht lautet, bei dem die Eingabe gesetzmäßig zu überreichen ist, andernfalls entscheidet nur der Tag ihres Einlangens bei dem zuständigen Gericht (RIS‑Justiz RS0041608; RS0041653). Die in den Gesetzesmaterialien zu § 89d GOG vorgesehene Funktion der Bundesrechenzentrum GmbH als „vorgelagerte Einlaufstelle des Gerichts“ ändert nichts daran, dass ein im Wege des ERV übermitteltes Schriftstück ‑ unter Nichteinrechnung des Postenlaufs ‑ nur dann als rechtzeitig eingebracht angesehen werden kann, wenn es durch Angabe des jeweils zutreffenden „Dienststellenkürzels“ an das richtige Gericht adressiert war. Wurde hingegen die Dienststellenkennzeichnung des Adressatgerichts anlässlich der Eingabe des Rechtsmittels unrichtig angegeben und langte der Schriftsatz deshalb beim falschen Gericht ein, das ihn (mit Zeitverzögerung) an das zuständige Gericht übermitteln musste, so ist die Eingabe nur dann als rechtzeitig anzusehen, wenn sie noch innerhalb der Rechtsmittelfrist beim zuständigen Gericht einlangt (RIS‑Justiz RS0124533).

Nach diesen Grundsätzen war die vierwöchige Frist zur Erstattung der Revisionsbeantwortung (§ 507a Abs 1 ZPO) am 22. 11. 2012 schon abgelaufen (§ 507a Abs 2 Z 2 ZPO).

Die verspätete Revisionsbeantwortung war zurückzuweisen (RIS‑Justiz RS0035958 [T2]; RS0043688 [T1]).

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