OGH 8ObS15/12g

OGH8ObS15/12g19.12.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kuras und Dr. Tarmann-Prentner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann und Harald Kohlruss als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei T***** D*****, vertreten durch Mag. German Storch und Mag. Rainer Storch, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei IEF-Service GmbH, Geschäftsstelle Linz, 4020 Linz, Gruberstraße 63, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17-19, wegen Insolvenzentgelt (2.305 EUR sA), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. September 2012, GZ 11 Rs 86/12i-11, mit dem das Urteil des Landesgerichts Steyr als Arbeits- und Sozialgericht vom 26. Juni 2012, GZ 9 Cgs 25/12f-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten der Revision selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war ab 1. 7. 2007 als Lehrling bei der späteren Gemeinschuldnerin beschäftigt, über deren Vermögen mit Beschluss vom 14. 12. 2009 das Konkursverfahren eröffnet wurde. Am 2. 4. 2010 wurde über Antrag des Masseverwalters die gänzliche Schließung des Unternehmens gerichtlich bewilligt. Die Klägerin erklärte am 31. 3. 2010 den vorzeitigen Austritt aus dem Lehrverhältnis nach § 25 Abs 1 IO. Die Gewerbeberechtigung der Schuldnerin wure am 9. 4. 2010 zurückgelegt, am selben Tag teilte der Masseverwalter der Gewerbebehörde mit, dass kein Fortbetrieb mehr erfolgt.

Die Klägerin begehrte von der Beklagten unter anderem Insolvenz-Entgelt für Kündigungsentschädigung vom 1. 4. bis 30. 9. 2010 und für Urlaubsersatzleistung im Ausmaß von 24 Arbeitstagen. Die Beklagte anerkannte diese Forderungen nur aliquot für den Zeitraum vom 1. 4. bis 9. 4. 2010; den darüber hinausgehenden Anspruch lehnte sie mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid ab.

In der Klage wird vorgebracht, der Masseverwalter könne nach §§ 44 iVm 43 Abs 3 GewO auf sein Fortbetriebsrecht nur binnen eines Monats ab Entstehung, somit ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens, mit der Wirkung verzichten, dass dieses als nicht entstanden gelte. Eine spätere Zurücklegung sei unwirksam, sodass das Fortbetriebsrecht erst mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens ende. Eine jederzeitige Zurücklegung der Gewerbeberechtigung sei vom Gesetzgeber bewusst zum Schutz der Masse ausgeschlossen worden, um die Möglichkeit der Wiedereröffnung eines geschlossenen Unternehmens zu wahren.

Die Beklagte wandte ein, das Lehrverhältnis der Klägerin sei mit der Zurücklegung des Fortbetriebsrechts der Insolvenzmasse nach § 14 Abs 2 lit d BAG ex lege beendet worden. Die behauptete Beschränkung der freiwilligen Zurücklegung des Fortbetriebsrechts sei weder dem Gesetzeswortlaut zu entnehmen, noch sachgerecht, weil der Masse nach Schließung des Betriebs durch die Aufrechterhaltung eines nutzlosen Fortbetriebsrechts nur unnötige Kosten entstünden.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Die Regelung der §§ 43 Abs 3, 44 GewO sei als abschließend anzusehen, sodass der Insolvenzverwalter außerhalb der Monatsfrist sein Fortbetriebsrecht nicht mehr wirksam zurücklegen könne. Die Klägerin habe aufgrund ihres berechtigten Austritts einen Ersatzanspruch nach § 25 Abs 2 KO (IO) bis zum Ende der fiktiven Behaltefrist.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge. In § 85 Z 7 GewO werde die Beendigung der Gewerbeberechtigung unter anderem durch Zurücklegen des Fortbetriebsrechts genannt. Wenngleich darin § 41 Abs 1 Z 4 GewO nicht erwähnt werde, komme der Bestimmung kein selbständiger normativer Inhalt zu, sondern es handle sich nur um eine systematische Übersicht aller in Betracht kommenden Endigungsgründe. Ein Ausschluss der Zurücklegung des Fortbetriebsrechts des Masseverwalters außerhalb der Monatsfrist lasse sich daraus nicht ableiten. Diese Auslegung komme auch den Gläubigerinteressen entgegen, weil dem Masseverwalter kein mit Kosten verbundenes Recht aufgenötigt werden solle. Nach der jüngeren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs könne auf subjektive öffentlich-rechtliche Ansprüche grundsätzlich verzichtet werden, soweit das Gesetz nichts anderes anordne.

Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil der Oberste Gerichtshof noch nicht mit der Frage einer zusätzlichen Verzichtsmöglichkeit des Masseverwalters auf das Fortbetriebsrecht nach § 44 GewO und deren Auswirkungen auf Lehrverhältnisse befasst gewesen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Beklagten beantwortete Revision der Klägerin ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig, jedoch nicht berechtigt.

1. Aktenwidrigkeit liegt nur vor, wenn der Inhalt eines bestimmten Aktenstücks und dessen Wiedergabe durch das Rechtsmittelgericht im Widerspruch stehen (RIS-Justiz RS0043397 [T2]). Mit einer rechtlichen Beurteilung wird dieser Revisionsgrund nicht erfüllt, selbst wenn das Berufungsgericht darin eine veröffentlichte Literaturmeinung unrichtig zitiert oder ausgelegt hätte.

2. Die Klägerin ist aus ihrem Lehrverhältnis begünstigt nach § 25 IO vorzeitig ausgetreten und hat daher bis zur fiktiven Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch ordnungsgemäße Arbeitgeberkündigung Anspruch auf Schadenersatz entsprechend einer Kündigungsentschädigung, grundsätzlich bis zum Ende der Behaltepflicht (8 ObS 4/12i; 8 ObS 4/10m). Auf vor Ablauf dieses verlängerten Zeitraums eingetretene Endigungsgründe, mit denen ein Verlust künftiger Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verbunden ist, ist dabei aber Bedacht zu nehmen (8 ObS 14/12k; 8 ObS 299/00d; 8 ObS 4/12i; vgl 8 ObS 8/06v).

Ein Lehrverhältnis endet gemäß § 14 Abs 2 lit d BAG kraft Gesetzes, wenn der Lehrberechtigte nicht mehr zur Ausübung der Tätigkeit befugt ist, in deren Rahmen der Lehrling ausgebildet wird, oder der Lehrberechtigte von der Ausbildung gesetzlich ausgeschlossen ist. In diesem Fall besteht kein Anspruch des Lehrlings auf Kündigungsentschädigung für danach liegende Zeiträume, ein bereits laufender Anspruch endet vorzeitig (RIS-Justiz RS0052893; RS0008980).

Durch die Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Lehrberechtigten wird das Lehrverhältnis nicht beendet, der Masseverwalter wird als Fortbetriebsberechtigter nach § 41 Abs 1 GewO 1973 auch Lehrberechtigter nach § 2 BAG (8 ObS 3/11s; 9 ObA 2113/96t mwN; RIS-Justiz RS0053027; vgl auch RS0021706; Berger/Fida/Gruber, BAG-Komm § 14 Rz 34; Preiss/Spitzl in ZellKomm² § 14 BAG Rz 11, 12). Während des Insolvenzverfahrens ist die Zurücklegung der Gewerbeberechtigung des Schuldners für das Lehrverhältnis ohne Relevanz (8 ObS 3/11s; vgl § 86 Abs 3 GewO); erst der Verlust des Fortbetriebsrechts der Masse, das mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens zusätzlich zur Gewerbeberechtigung des Schuldners entsteht, stellt den Endigungsgrund des § 14 Abs 2 lit d BAG her (VwGH Zl 94/04/0039; Gruber/Paliege-Barfuß, GewO7 § 44 Anm 2).

Das Fortbetriebsrecht der Insolvenzmasse endet grundsätzlich mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens. Der Insolvenzverwalter hat nach § 43 Abs 3 iVm § 44 GewO innerhalb eines Monats ab Insolvenzeröffnung die Möglichkeit, auf das Fortbetriebsrecht mit der Wirkung zu verzichten, dass es als nicht entstanden gilt, woraus allerdings nicht umgekehrt geschlossen werden kann, dass eine Zurücklegung nach Ablauf der Frist unzulässig wäre, sondern lediglich, dass sie dann nicht mehr auf den Anfallszeitpunkt des Rechts zurückwirkt. Gerade weil das Gesetz dem Insolvenzverwalter den Verzicht als privilegierte, da rückwirkend gestaltende Form der Verfügung ausdrücklich einräumt, ist der Größenschluss zulässig, dass eine gewöhnliche Zurücklegung (allein) des Fortbetriebsrechts mit Wirkung bloß ex nunc ebenfalls möglich ist.

Die Revision leitet ihre Rechtsansicht über eine Unzulässigkeit der Zurücklegung des Fortbetriebsrechts aus einer Interpretation in § 85 GewO 1994 aufgezählten Gründe für die Beendigung der Gewerbeberechtigung her.

Danach endet die Gewerbeberechtigung unter anderem (Z 7) durch Zurücklegung, im Fall von Fortbetrieben gemäß § 41 Abs 1 Z 1 bis 3 GewO aber mit der Zurücklegung des Fortbetriebsrechts. Der Grund dafür, dass in dieser Bestimmung das Fortbetriebsrecht der Insolvenzmasse (und auch jenes der gerichtlich bestellten Zwangsverwalter und Zwangsverpächter; § 41 Abs 1 Z 4 und 5 GewO) nicht genannt sind, ist aber offenkundig nicht, dass eine Zurücklegung dieser Rechte ausgeschlossen sein soll, sondern dass sie vielmehr nicht zur Beendigung der Gewerbeberechtigung führt.

Im Unterschied zu den genannten Nachfolgerrechten von Todes wegen besteht das Fortbetriebsrecht der Masse parallel neben einer aufrechten Gewerbeberechtigung des Schuldners. Die Differenzierung zwischen diesen beiden Rechten ist für das Verständnis der Regelung des § 85 Z 7 GewO wesentlich. Jede Verfügung des Insolvenzverwalters kann sich nämlich nur auf das Fortbetriebsrecht, aber nicht auf die Gewerbeberechtigung beziehen (ua Hanusch in Hanusch/Stöger GewO § 44 Rz 3). Ein Verzicht des Insolvenzverwalters auf das Fortführungsrecht nach §§ 43 Abs 3 und 44 GewO beendet eine aufrechte Gewerbeberechtigung des Schuldners nicht, woraus aber im Größenschluss zu folgern ist, dass einer bloßen Zurücklegung ex nunc diese Wirkung ebenfalls nicht zukommen kann.

Der mit „Endigung und Ruhen der Gewerbeberechtigungen“ überschriebene § 85 GewO trifft somit in Wahrheit keine negative, sondern überhaupt keine Aussage zum Fortbetriebsrecht der Insolvenzmasse.

Auch in der Literatur wurde dieses Ergebnis bereits mehrfach vertreten (Kinscher/Sedlak GewO6 § 44 Anm 9; Gruber/Paliege-Barfuß GewO7 § 44 Anm 11). Nach den zuletzt genannten Autoren ist „aus § 86 Abs 3 (...) ersichtlich, dass das Fortbetriebsrecht des Masseverwalters unabhängig von der diesem zu Grunde liegenden Gewerbeberechtigung besteht. Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass der sich auf die Anführung der Z 1 bis 3 des § 41 Abs 1 beschränkende § 85 Z 7 sich bezüglich der Zurücklegung des Fortbetriebsrechts auf die Endigung der dem Fortbetrieb zugrunde liegenden Gewerbeberechtigung selbst bezieht. Dem Masseverwalter bleibt deshalb ungeachtet des Wortlauts des § 85 Z 7 die Möglichkeit der Zurücklegung seines Fortbetriebsrechts gewahrt“. Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin sind diese Ausführungen durchaus eindeutig. Daran ändert auch die im Verfahren vorgelegte persönliche Stellungnahme des Mitautors Gruber nichts, bezieht sie sich doch ebenfalls auf die - von der Revision offenbar verkannte - Unterscheidung zwischen dem Fortbetriebsrecht der Insolvenzmasse und der Gewerbeberechtigung des Gewerbeinhabers (in das der Insolvenzverwalter eben nicht eingreifen kann).

Die von der Revision zitierten gegenteiligen Literaturstimmen, denen zufolge eine Zurücklegung des Fortbetriebsrechts ausgeschlossen sein soll (ua Fialka, Gewerbliche Unternehmen im Konkurs, ÖZW 1976/4, 109 [111]; Hanusch in Hanusch/Stöger, GewO § 44 Rz 2; Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO³ § 44 Rz 6), stützen diese Ansicht insbesondere auf den Wortlaut des § 85 Z 7 GewO, der wie bereits ausgeführt, nur die Endigung der Gewerbeberechtigung einschließlich der aus ihr abgeleiteten Nachfolgerrechte, aber nicht das parallel zur Gewerbeberechtigung bestehende Fortbetriebsrecht im Insolvenzverfahren zum Gegenstand hat.

Auch das Argument, die Zurücklegung des mit dem Insolvenzverfahren untrennbar verknüpften Fortbetriebsrechts solle nicht möglich sein, um die Abwicklung der Insolvenz bis zum Ende des Insolvenzverfahrens zu sichern (Hanusch aaO), kann nicht überzeugen. Besteht nämlich die Abwicklung nur mehr in der Liquidation der Masse, sind aufrechte gewerbliche Fortbetriebsrechte nicht nur unnötig, sondern zusätzlich mit vermeidbaren Belastungen für die Masse verbunden. Die Entscheidung über die Betriebsfortführung oder -einstellung unterliegt dem gerichtlich kontrollierten Ermessen des Insolvenzverwalters. Weshalb gerade das gewerbliche Fortbetriebsrecht als bloßer Teilaspekt der Betriebsführung von dieser Entscheidungskompetenz ausgenommen sein müsste, und das noch dazu erst ab dem zweiten Monat nach der Verfahrenseröffnung, ist nicht evident. Gerade mit der Eröffnung der Möglichkeit des Verzichts innerhalb des ersten Monats (§ 44 GewO idF BGBl I 2002/111), in dem der Insolvenzverwalter naturgemäß den Stand und die Entwicklungsmöglichkeiten der Masse weit weniger exakt überblicken kann, hat der Gesetzgeber offenkundig zum Ausdruck gebracht, dass er solche Bedenken nicht hegt (vgl ErläutRV 1117 BlgNR 21. GP 79).

Auf im öffentlichen Recht wurzelnde Rechtspositionen kann im Allgemeinen auch ohne ausdrückliche Anordnung verzichtet werden, sofern sich - wie im vorliegenden Fall - aus den gesetzlichen Bestimmungen nichts Gegenteiliges ergibt (VwGH Zl 2011/07/0186; vgl auch 88/05/0220; 99/17/0200). Da der Verzicht auf das Fortbetriebsrecht ausdrücklich geregelt ist, stehen auch der Zulässigkeit der Zurücklegung ex nunc keine öffentlichen Interessen entgegen.

Mit dem Verlust des Fortbetriebsrechts (nach vorangegangener Zurücklegung der Gewerbeberechtigung durch den Schuldner) endete das Lehrverhältnis der Klägerin nach § 14 Abs 2 lit d BAG am 9. 4. 2010. Die Entscheidungen der Vorinstanzen stehen mit diesem Ergebnis im Einklang, womit der Revision ein Erfolg versagt bleiben musste.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 ASGG, die Revisionswerberin hat keine Gründe für einen Ersatzanspruch nach Billigkeit dargelegt.

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