OGH 10Ob52/12p

OGH10Ob52/12p17.12.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen M*****, geboren am 1. Juni 2000, und M*****, geboren am 27. August 2006, beide vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger Land Niederösterreich (Magistrat der Stadt St. Pölten - Jugendhilfe, 3100 St. Pölten, Heßstraße 6), über den Revisionsrekurs der beiden Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 26. September 2012, GZ 23 R 399/12t, 23 R 400/12i-15, womit infolge Rekurses des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, die Beschlüsse des Bezirksgerichts St. Pölten vom 31. Juli 2012, GZ 11 Pu 42/11w-5 und -6, abgeändert wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die beiden Minderjährigen leben als eheliche Kinder von T***** und A***** in Obsorge ihrer Mutter in St. Pölten. Alle genannten Familienangehörigen sind türkische Staatsbürger.

Die beiden Minderjährigen, vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger, beantragten mit Eingaben vom 24. 7. bzw 27. 7. 2012 die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß § 4 Z 2 UVG im Wesentlichen mit der Begründung, die Festsetzung von Unterhaltsbeiträgen sei aus Gründen, die der Vater als Unterhaltsschuldner zu verantworten habe, bisher nicht gelungen. Der Vater sei unbekannten Aufenthalts und wahrscheinlich in der Türkei aufhältig. Er habe in seiner Heimat als Verkäufer in der Elektrobranche gearbeitet und sei zu dieser Tätigkeit weiterhin in der Lage. Die prinzipielle Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners stehe daher außer Zweifel, sodass die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen beantragt werde.

Das Erstgericht gewährte den Kindern jeweils Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 2 UVG für den Zeitraum vom 1. 7. 2012 bis 30. 6. 2017 und begründete dies im Wesentlichen damit, dass der Unterhaltsschuldner in Österreich nicht mehr erreichbar und aufhältig sei, jedoch kein Zweifel an seiner Leistungsfähigkeit in der Türkei bestehe.

Das Rekursgericht gab dem vom Bund dagegen erhobenen Rekurs Folge und wies die Unterhaltsvorschussanträge der beiden Minderjährigen ab. Es verwies in seiner rechtlichen Beurteilung im Wesentlichen darauf, dass türkische Arbeitnehmer und ihre Angehörigen aufgrund des im Assoziationsratsbeschluss Nr 3/80 vom 19. 9. 1980 festgelegten Diskriminierungsverbots Unionsbürgern, sofern sie sich in einem Mitgliedstaat aufhalten, gleichzustellen seien und daher in gleicher Weise Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse hätten. Da der Vater als Unterhaltsschuldner unbekannten Aufenthalts sei und daher nicht feststehe, ob er überhaupt einer Erwerbstätigkeit nachgehe, erfülle er nicht die Voraussetzungen für eine Anwendung der Wanderarbeitnehmerverordnung. Anhaltspunkte für eine Arbeitnehmereigenschaft der Mutter der beiden Minderjährigen seien im Zeitpunkt der Beschlussfassung erster Instanz nicht aktenkundig gewesen. Aus einem nach Beschlussfassung erster Instanz eingeholten Versicherungsdatenauszug vom 20. 8. 2012 ergebe sich, dass die Mutter im Zeitraum vom 1. 4. 2010 bis 20. 10. 2011 als Asylwerberin bei der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse versichert gewesen sei. Für die Zeit danach finde sich kein Eintrag mehr im Versicherungsdatenauszug.

Soweit der Jugendwohlfahrtsträger im Rahmen der Rekursbeantwortung erstmals geltend mache, die Mutter beziehe seit Dezember 2011 eine bedarfsorientierte Mindestsicherung und sei daher krankenversichert, sei daraus rechtlich nichts zu gewinnen, da beim ausschließlichen Bezug einer bedarfsorientierten Mindestsicherung unabhängig von einer bestehenden Krankenversicherung keine Arbeitnehmereigenschaft im Sinne der Wanderarbeitnehmerverordnung vorliege.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob der bloße Bezug einer bedarfsorientierten Mindestsicherung bzw das bloße Bestehen einer Krankenversicherung die Einbeziehung der betreffenden Person in den persönlichen Geltungsbereich der VO 1408/71 rechtfertige, noch nicht vorliege.

Gegen diese Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs der beiden Minderjährigen mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Wiederherstellung der Beschlüsse erster Instanz.

Es wurden keine Revisionsrekursbeantwortungen erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG abhängt.

Die beiden Minderjährigen, vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger, vertreten weiterhin den Standpunkt, ihre Mutter erfülle durch den Bezug einer bedarfsorientierten Mindestsicherung und die damit verbundene Krankenversicherung den Arbeitnehmerbegriff im Sinne der Verordnung (EWG) 1408/71 , weshalb ihnen ein Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse zustehe.

Dazu ist auszuführen, dass von den beiden, durch den Jugendwohlfahrtsträger vertretenen, Minderjährigen erstmals in ihrer Rekursbeantwortung vorgebracht wurde, dass ihre Mutter „laut Informationen der Sozialhilfe St. Pölten bedarfsorientierte Mindestsicherung für Ausländer seit Dezember 2011“ beziehe, weshalb ihnen im Hinblick auf das im Assoziationsratsbeschluss Nr 3/80 vom 19. 9. 1980 festgelegte Diskriminierungsverbot ein Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse zustehe. Gemäß § 49 Abs 2 AußStrG können (neue) Tatsachen und Beweismittel, die zum Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Beschlusses bereits vorhanden waren, nicht mehr geltend gemacht werden, wenn sie von der Partei schon vor der Erlassung des Beschlusses hätten vorgebracht werden können. Ausnahmsweise können sie dennoch geltend gemacht werden, wenn die Verspätung (Unterlassung) des Vorbringens in erster Instanz auf eine entschuldbare Fehlleistung zurückgeht (§ 49 Abs 2 AußStrG).

Der Rechtsmittelwerber hat nach ständiger Rechtsprechung die Zulässigkeit der Neuerungen zu behaupten und schlüssig darzulegen, dass die Verspätung (Unterlassung) des Vorbringens auf einer entschuldbaren Fehlleistung beruht (RIS-Justiz RS0120290). Es wäre daher Sache der beiden, durch den Jugendwohlfahrtsträger vertretenen, Minderjährigen gewesen, schon in ihrer Rekursbeantwortung schlüssig darzulegen, dass die Unterlassung eines Vorbringens erster Instanz, wonach ihre Mutter eine bedarfsorientierte Mindestsicherung beziehe und sich daraus ihr Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse ergebe, auf einer entschuldbaren Fehlleistung beruhe. Dahingehende Behauptungen haben aber die Minderjährigen gar nicht aufgestellt. Das Rekursgericht setzte sich zwar mit diesen unzulässigen Neuerungen inhaltlich auseinander. Diese Ausführungen sind jedoch, weil ihnen kein entsprechendes erstinstanzliches Vorbringen zugrundeliegt, überschießend und daher im konkreten Fall unbeachtlich (vgl 8 Ob 50/10a ua).

Es erübrigt sich daher ein inhaltliches Eingehen auf die vom Rekursgericht als erheblich iSd § 62 Abs 1 AußStrG erachtete Rechtsfrage.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

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