OGH 1Ob188/12x

OGH1Ob188/12x13.12.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden und die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** W*****, vertreten durch Dr. Peter Primus, Rechtsanwalt in Graz, sowie des Nebenintervenienten auf Seiten der klagenden Partei Dkfm. L***** W*****, vertreten durch Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in St. Pölten, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen 22.297,36 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 4. Juli 2012, GZ 5 R 19/12x-46, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 25. November 2011, GZ 16 Cg 130/09m-40, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Ausschließlich auf der Grundlage eines vom Nebenintervenienten im Auftrag der C*****bank AG zur Beurteilung der Mündelsicherheit einer Geldanlage verfassten, dem Pflegschaftsgericht lediglich auszugsweise vorgelegten Gutachtens veranlasste dieses mit Beschluss vom 13. 3. 2000 die Veranlagung des Vermögens der damals minderjährigen Klägerin in Aktien der I***** AG.

Im ersten Rechtsgang erkannte der Oberste Gerichtshof mit Entscheidung vom 23. 2. 2011, 1 Ob 210/10d, dass Organe der Beklagten durch diese Vorgangsweise gegen die Schutzbestimmung des § 230e ABGB verstoßen haben und trug den Vorinstanzen die Prüfung des von der Beklagten erhobenen Einwands des rechtmäßigen Alternativverhaltens auf.

Das Erstgericht stellte dazu im zweiten Rechtsgang fest, dass die Veranlagung des gesamten Mündelgelds allein in die vom Nebenintervenienten beurteilte Aktie nicht den Grundsätzen einer wirtschaftlichen Vermögensverwaltung entsprochen habe, und verurteilte die Beklagte zum Ersatz der Differenz zwischen dem Erlös aus dem Verkauf der Wertpapiere im Jahre 2009 und dem bei einer mündelsicheren Anlage zu erwarten gewesenen Betrag.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und ließ die ordentliche Revision zu, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage der Verletzung der Schadensminderungspflicht bei Verkauf von Aktien, deren Kurs seit der Veranlagung wesentlich gefallen sei, fehle.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig.

Ein Mitverschulden des Geschädigten im Sinne des § 1304 ABGB setzt weder ein Verschulden im technischen Sinn noch die Rechtswidrigkeit des Verhaltens voraus. Es genügt die Sorglosigkeit gegenüber den eigenen Gütern (RIS-Justiz RS0032045; RS0022681).

Der Mitverschuldenseinwand der Beklagten geht im Kern dahin, die Klägerin habe die risikoträchtigen Wertpapiere zum ungünstigsten Zeitpunkt verkauft, anstatt sie in der Hoffnung auf eine Kurserholung zu behalten. Mit einem solchen Einwand hat sich der Oberste Gerichtshof bereits im Zusammenhang mit der Haftung infolge pflichtwidriger Anlageberatung auseinandergesetzt und ausgesprochen, dass der Schädiger dem Anleger den Einwand der Schadensminderungspflichtverletzung bei Verkauf oder Behalten der Wertpapiere nur dann entgegenhalten könne, wenn die Verkaufs- oder Behalteobliegenheit dem Anleger zumutbar gewesen sei. Da im Regelfall die Kursentwicklung keine sicheren Schlüsse des einzelnen Anlegers auf den Unternehmenswert und den objektiven Wert seiner Beteiligung zulasse, werde die Verletzung der Verkaufs- oder Behalteobliegenheit des Anlegers nur in besonderen Fallkonstellationen mit Erfolg eingewendet werden können (RIS-Justiz RS0120785). Was die Obliegenheit zum Verkauf oder zum Behalten der zur Veranlagung ihres Vermögens erworbenen Aktien anlangt, ist die Stellung der Klägerin der des geschädigten Anlegers vergleichbar, sodass zu der vom Berufungsgericht als relevant erachteten Frage bereits auf Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zurückgegriffen werden kann. Ob der Klägerin ein Behalten der Aktien zumutbar gewesen wäre, hängt, wie generell die Beurteilung des Mitverschuldens, maßgeblich von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl RIS-Justiz RS0087606 [T11]; Mitverschulden des Anlegers: RS0102779 [T8]). Eine vom Obersten Gerichtshof zu korrigierende Fehlbeurteilung dieser Frage durch das Berufungsgericht vermag die Revisionswerberin nicht aufzuzeigen.

Indem die Beklagte auf den derzeitigen, gegenüber dem Verkaufszeitpunkt höheren Kurs der Aktie verweist, verkennt sie, dass die Verletzung der Pflicht zur Schadensminderung nicht aus einer ex-post-Betrachtung zu beurteilen ist. Ob dem Geschädigten Maßnahmen der Schadensminderung (ex ante) objektiv zumutbar gewesen wären, hat darüber hinaus der Schädiger zu behaupten und zu beweisen (RIS-Justiz RS0026909). Aus welchen Gründen der Klägerin ein Behalten der Aktien über den Verkaufszeitpunkt hinaus objektiv zumutbar gewesen wäre, legt die Revisionswerberin nicht dar. Soweit sie geltend macht, dass die Klägerin keine nachvollziehbaren Gründe für den Verkauf der Aktien geltend gemacht habe, verkennt sie ihre Behauptungs- und Beweislast.

Dem Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens kann nur dann Erfolg beschieden sein, wenn das Alternativverhalten nicht bloß vertretbar, sondern richtig war (RIS-Justiz RS0022889). Hier steht fest, dass die vom Pflegschaftsgericht veranlasste Veranlagung des Mündelgelds nicht den Grundsätzen einer wirtschaftlichen Vermögensverwaltung entsprach, was von einem Sachverständigen, der vom Pflegschaftsgericht vor dessen Entscheidung gemäß § 230e Abs 1 ABGB anzuhören gewesen wäre, auch so erkannt worden wäre. Die bei rechtsrichtigem Verhalten vorzunehmende Beiziehung eines Sachverständigen hätte daher zu einer den Grundsätzen der wirtschaftlichen Vermögensverwaltung entsprechenden Veranlagung des Vermögens der Klägerin mit dem vom Erstgericht festgestellten Ertrag geführt. Bereits daraus ergibt sich, dass die Beklagte den haftungsbefreienden Nachweis dafür, dass derselbe Nachteil auch bei pflichtgemäßem Tun entstanden wäre (RIS-Justiz RS0022889 [T3]; RS0111706), nicht zu erbringen vermochte. Darauf, ob - wie sie geltend macht - die im Sinn einer wirtschaftlichen Vermögensverwaltung vorzunehmende Streuung des Mündelgelds allenfalls auch die Veranlagung eines Teilbetrags in Form der gewählten Aktie erlaubt hätte, kommt es damit nicht mehr an.

Die Revision, die insgesamt keine Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung aufzuzeigen vermag, ist daher zurückzuweisen ohne dass es einer weiteren Begründung bedürfte (§ 510 Abs 3 ZPO).

Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels der Beklagten nicht hingewiesen, weshalb ihr auch kein Kostenersatz gebührt (§§ 50, 40 ZPO).

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