OGH 9Ob23/12s

OGH9Ob23/12s26.11.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf, Hon.-Prof. Dr. Kuras, Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der am ***** verstorbenen W***** B*****, zuletzt wohnhaft gewesen in *****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der erbantrittserklärten Erben 1. H***** H*****, 2. J***** H*****, 3. A***** L*****, alle vertreten durch Dr. Alfred Windhager, Rechtsanwalt in Linz, sowie den außerordentlichen Revisionsrekurs des erbantrittserklärten Erben K***** H*****, vertreten durch Mag. Barbara Pöckl, Rechtsanwältin in Mondsee, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom 24. November 2011, GZ 22 R 51/11y‑138, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentlichen Revisionsrekurse werden mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Der Antrag der Revisionsrekurswerber H***** H*****, J***** H***** und A***** L***** auf „Einholung einer Vorabentscheidung durch den EuGH gemäß Art 77 EGV“ wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Erblasserin verstarb am ***** unter Hinterlassung ihrer Adoptivtochter W***** K*****. Die Eltern der Erblasserin waren bereits vorverstorben und hinterließen die erblasserischen Geschwister A***** L*****, H***** P*****, K***** H*****, H***** H*****, M***** B***** und J***** H*****. Die Adoptivtochter W***** K***** hat zwei Töchter, D***** und V***** K*****.

Die Erblasserin hatte am 25. 3. 1994 ein Testament errichtet, wonach ihr Wohn- und Geschäftshaus in M***** zu je gleichen Teilen ihr Lebensgefährte S***** R*****, ihre Schwester M***** B***** und deren Tochter G***** B***** erben sollten. In Bezug auf ihre Adoptivtochter erklärte die Erblasserin, dass diese laut §§ 768, 769 ABGB (Verletzung der Beistandspflicht) keinen Anteil bekomme.

Am 17. 8. 2004 hatte sie vor einem Notar ein Testament errichtet, in dem alle früher errichteten letztwilligen Anordnungen aufgehoben wurden. Zum Alleinerben ihres gesamten Nachlassvermögens setzte die Erblasserin ihren Neffen ein. Für den Fall, dass der Alleinerbe die Erbschaft antritt, beschränkte sie die Noterben auf den gesetzlichen Pflichtteil und ordnete an, dass sie sich alle Vorempfänge einrechnen lassen müssen. An Legaten vermachte sie ihrem Lebensgefährten und ihrer Nichte je ein Wohnungsgebrauchsrecht an zwei bestimmten Wohnungen. Weiters bestimmte sie, dass ihre Adoptivtochter W***** enterbt und ihr auch der gesetzliche Pflichtteil entzogen wird. Dies begründete sie damit, dass sich ihre Adoptivtochter seit dem Jahr 1987 auch während ihrer schweren Krankheit und ihrem Spitalsaufenthalt überhaupt nicht mehr um sie gekümmert habe. Sie habe ihr dieses Verhalten nie verziehen. Der Neffe verstarb 2006. Die Erblasserin errichtete kein neues Testament. Mit Erbschaftskaufvertrag vom 8. 5. 2009 verkaufte die Adoptivtochter dem erblichen Bruder K***** H***** das ihr nach der Erblasserin zustehende gesetzliche Erbrecht.

Die sechs Geschwister gaben je zu einem Sechstel aufgrund des Gesetzes, die beiden erblasserischen Enkeltöchter jeweils zur Hälfte des Nachlasses, K***** H***** in der Folge zum gesamten Nachlass aufgrund des mit der Adoptivtochter abgeschlossenen Erbschaftskaufvertrags, M***** B*****, G***** B***** und der Lebensgefährte aufgrund des Testaments vom 25. 3. 1994 je zu einem Drittel des Nachlasses bedingte Erbantrittserklärungen ab.

Die Verlassenschaft wurde vom Erstgericht, bestätigt durch den bekämpften Beschluss des Rekursgerichts, den beiden Enkeltöchtern der Erblasserin eingeantwortet.

Das Rekursgericht führte dazu aus, die Enterbung der Adoptivtochter sei dahin zu verstehen, dass sie infolge Vorversterbens des Neffen als negatives Testament aufrecht und die Adoptivtochter weiterhin von jeglichem Erbrecht ausgeschlossen bleibe. Der Ansicht der anderen Geschwister, dass auch die Enkel von der Enterbung umfasst seien, hielt es unter Darstellung von Lehre und Rechtsprechung zusammengefasst entgegen, dass dann, wenn es bei testamentarischer Enterbung eines Kindes aus welchem Grund auch immer nicht zur testamentarischen Erbfolge komme, das gesetzliche Erbrecht des Enkels wieder auflebe (§ 541 ABGB analog), wenn der Enterbungswille des Testators ‑ wie hier ‑ die Nachkommen des enterbten Kindes nicht von der gesetzlichen Erbfolge ausschließe. Im Zweifel greife der Typus der gesetzlichen Erbfolge ein. § 780 ABGB sei nur bei Eintritt der gewillkürten Erbfolge anzuwenden, weil nur bei dieser die sonst berufenen gesetzlichen Erben verdrängt würden. Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteige 30.000 EUR, der ordentliche Revisionsrekurs sei jedoch nicht zulässig, weil die Entscheidung der überwiegend von der Lehre und vom Höchstgericht (2 Ob 544/91) vertretenen Ansicht entspreche.

Zu dieser Beurteilung zeigen die Ausführungen des außerordentlichen Revisionsrekurses von H***** H*****, J***** H***** und A***** L***** sowie der außerordentliche Revisionsrekurs von K***** H***** keine Rechtsfrage von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG auf:

Rechtliche Beurteilung

1. Zum erstgenannten Revisionsrekurs

Ein Antragsrecht zur ‑ nicht weiter begründeten ‑ „Einholung einer Vorabentscheidung durch den EuGH gemäß Art 77 EGV“ steht den Revisionsrekurswerbern nicht zu; der Antrag ist zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0058452 [T14]).

Als „Nichtigkeit, allenfalls Mangelhaftigkeit“ machen sie geltend, dass der wahre Wille der Erblasserin darauf gerichtet gewesen sei, das Erbe der Blutsverwandtschaft zukommen zu lassen. Damit bekämpfen sie die ‑ im Revisionsrekursverfahren keiner Überprüfung zugängliche ‑ Beweiswürdigung des Erstgerichts, das einen solchen Nachweis als nicht erbracht ansah. Im Übrigen müsste ein Wille des Erblassers, auch die Abkömmlinge zu enterben, in der letztwilligen Verfügung zum Ausdruck kommen (2 Ob 544/91).

Zu ihrer Rechtsansicht, dass die Tatbestände der Enterbung und der Erbunwürdigkeit nicht vermengt werden dürften und dass eine Enterbung mit den Rechtswirkungen des § 780 ABGB vorliege, wonach den „Abkömmlingen“ lediglich der Pflichtteil zukomme, ist bei der Behandlung des Revisionsrekurses von K***** H***** Stellung zu nehmen.

Was aus dem Vorbringen, dass der Ausschluss vom Erbrecht wegen Erbunwürdigkeit kraft Gesetzes eintrete und diese von Amts wegen wahrzunehmen sei, zu gewinnen ist, legen die Revisionsrekurswerber nicht dar.

Ihr Vorbringen, dass nach dem Tod des Neffen mit großer Wahrscheinlichkeit ein neues Testament zu Gunsten der Familienangehörigen verfasst worden sei, jedoch ebenso wie Schmuck und Bargeld verschwunden sei, erachten sie selbst als „derzeit nicht beweisbar“.

2. Zum Revisionsrekurs von K***** H*****

Dieser meint, dass kein ausreichender Enterbungsgrund vorgelegen gewesen sei, sodass ihm der Nachlass aufgrund des Erbschaftskaufvertrags einzuantworten gewesen wäre.

Ein Kind kann ua dann enterbt werden, wenn es den Erblasser im Notstand hilflos gelassen hat (§ 768 Z 2 ABGB) oder wenn es seine aus dem Rechtsverhältnis zwischen Eltern und Kindern sich ergebenden Pflichten dem Erblasser gegenüber gröblich vernachlässigt hat (§§ 770 iVm 540 ABGB). Ob ein hinreichender Grund für eine rechtmäßige Enterbung vorliegt, ist nur nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Da sich die Adoptivtochter zufolge des 2004 errichteten Testaments seit dem Jahr 1987, insbesondere auch nicht während einer schweren Krankheit und eines Spitalsaufenthalts der Erblasserin, nicht mehr um sie gekümmert hatte, liegt in der Rechtsansicht der Vorinstanzen noch keine grobe, der Korrektur bedürftige Fehlbeurteilung (vgl EF 40.998: rechtmäßige Enterbung der Tochter, die die lebensbedrohlich erkrankte Mutter nicht im Krankenhaus besuchte). Ungeachtet dessen übersieht die Argumentation, dass selbst eine unrechtmäßige Enterbung nur dazu führt, dass der Noterbe den Pflichtteil, nicht aber den Erbteil erhält (Welser in Rummel ABGB3 Vor § 768 Rz 4). Auch aus einer unrechtmäßigen Enterbung könnte der Revisionsrekurswerber daher keine Einantwortung zu seinen Gunsten beanspruchen.

Soweit sich beide Revisionsrekurse dagegen richten, dass die Vorinstanzen die Einantwortung auf eine analoge Anwendung des § 541 ABGB (gesetzliche Erbfolge) statt auf § 780 ABGB (Pflichtteilsanspruch der Nachkommen des Enterbten) stützten, ist festzuhalten, dass zunächst der in der letztwilligen Verfügung zum Ausdruck gebrachte Wille des Erblassers maßgeblich sein muss, ob auch der Nachkomme vom gesetzlichen Erbrecht ausgeschlossen sein soll (RIS-Justiz RS0012270 [T1]). Für eine solche Absicht der Erblasserin bietet der vorliegende Sachverhalt keine hinreichenden Anhaltspunkte. Sonst entspricht es der jüngeren Rechtsprechung, dass den Nachkommen eines gesetzlichen Erben ein Erbrecht kraft eigenen Rechts zusteht (formelle Repräsentation) und deshalb der Ausschluss eines gesetzlichen Erben seinen Stamm, also seine Abkömmlinge nicht trifft, und zwar auch dann nicht, wenn der ausgeschlossene gesetzliche Erbe noch am Leben ist (2 Ob 544/91; 9 Ob 71/00g; vgl auch schon 2 Ob 322/48; RIS‑Justiz RS0012270). Dass im Fall einer Enterbung ohne weitere (aufrechte) Erbseinsetzung im Zweifelsfall ein Eintritt der Nachkommen des Ausgeschlossenen stattfinden muss, folgt dabei aus der Erwägung, dass hier mangels testamentarischer Erbfolge die gesetzliche Erbfolge zum Tragen kommt. Das Eintrittsrecht der Nachkommen entspricht auch führenden Stimmen der Lehre (zB Zemen, Das erbrechtliche Eintrittsrecht in der jüngeren Rechtsentwicklung, JBl 2004, 356; Welser in Rummel, ABGB3 § 780 Rz 1; Apathy in KBB, ABGB3 § 541 Rz 2; Eccher in Schwimann, ABGB3 § 553 Rz 3; Werkusch in Kletečka/Schauer, ABGB-ON 1.00 § 541 [2]; aA Rabl, Die Folgen einer Enterbung für die gesetzliche Erbfolge, NZ 2003/68; Gruber/Sprohar-Heimlich/Scheuba, Die letztwillige Verfügung, in Gruber/Kalss/Müller/Schauer, Handbuch Erbrecht und Vermögensnachfolge [2010] 436 f). Dem halten die Revisionsrekurse nichts Stichhältiges entgegen.

3. Das dem Obersten Gerichtshof von J***** H***** ‑ unvertreten ‑ vorgelegte grafologische Sachver-ständigengutachten zu den Unterschriften der Erblasserin auf den genannten Testamenten kann im Revisionsrekursverfahren keine Berücksichtigung finden (Neuerungsverbot, § 66 Abs 2 AußStrG).

Mit ihrem Antrag auf „Wiederaufnahme des Verfahrens“ sind H***** H*****, J***** H***** und A***** L***** an das Erstgericht zu verweisen.

Da die Revisionsrekurse daher insgesamt keinen Anlass geben, zu einer Rechtsfrage von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG Stellung zu nehmen oder eine Fehlbeurteilung des Rekursgerichts aufzugreifen, sind sie zurückzuweisen.

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