OGH 9ObA134/12i

OGH9ObA134/12i26.11.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter MMag. Dr. Helwig Aubauer und Mag. Regina Bauer-Albrecht als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M***** K*****, vertreten durch Dr. Heinz-Peter Wachter, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei O***** Z*****, vertreten durch Steiner Rechtsanwalts KG in Wien, wegen 22.020,78 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 11. September 2012, GZ 8 Ra 65/12f-25, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Die Klägerin kam im Sommer 1991 ohne Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung nach Österreich und wurde vom Vater der Beklagten als damaligem Inhaber des Gasthauses einvernehmlich „schwarz“ als Küchenhilfe angestellt. Das Arbeitsverhältnis wurde durch Arbeitgeberkündigung zum 31. 12. 2000 beendet. Nachdem die Klägerin einen österreichischen Staatsbürger geheiratet hatte, wurde ihr ein neuer Arbeitsvertrag mit Anmeldung bei der Gebietskrankenkasse per 1. 9. 2001 angeboten. Vereinbart war eine Arbeitszeit von 6:00 Uhr - 14:00 Uhr und ein Nettoentgelt von 1.150 EUR. In den Jahren 2001 bis 2004 half die Klägerin auch bei Abendveranstaltungen mit, ohne dafür gesondert entlohnt zu werden. Im Jahr 2009 leistete sie gesamt 12,5 Überstunden. Mit 1. 1. 2009 wurde ihr Nettomonatslohn auf 1.200 EUR erhöht. Die Klägerin erhielt nie Lohnzettel und auch keine Antwort auf diesbezügliches Nachfragen. Sie hielt sich regelmäßig bis ca 16:00 Uhr in der Gaststube auf, weil sie auf ihren Mann wartete, sie traf in dieser Zeit aber keine Arbeitsverpflichtung. Im Sommer 2009 äußerte sie gegenüber der Beklagten, deren Vater und einem Gast, dass sie im Jänner 2010 eine Stelle im Ausland antreten werde. Die daraufhin von der Beklagten gesuchte Nachfolgerin wurde von der Klägerin eingeschult. Am 21. 12. 2009 kam es zum Streit zwischen der Klägerin und dem Vater der Beklagten, bei dem die Klägerin alles „hinwarf“ und in den Krankenstand ging. Die Beklagte meldete die Klägerin per 23. 12. 2009 von der Gebietskrankenkasse ab, eine persönliche Kommunikation erfolgte nicht mehr. Erst mit Erhalt der Arbeitsunterlagen im Februar 2010 erfuhr die Klägerin, dass sie seit 1. 9. 2001 mit zu geringen Beträgen bei der Gebietskrankenkasse angemeldet worden war.

Die Klägerin begehrt mit ihrer am 27. 5. 2010 eingebrachten Klage zusammengefasst 22.151,60 EUR an Überstundenentgelt, Kündigungsentschädigung, Kranken-entgelt und Abfertigung sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für sozialversicherungsrechtliche Nachteile, die ihr durch die Nichtanmeldung im Zeitraum September 1991 bis Jänner 2001 entstehen, zur Hälfte, sowie für jene Nachteile, die ihr durch die Anmeldung mit zu geringen Beträgen im nachfolgenden Zeitraum entstehen, zur Gänze.

Die Vorinstanzen sprachen ihr 130,81 EUR (netto) für 12,5 Überstunden zu, stellten die Haftung der Beklagten für den Zeitraum September 2001 bis Februar 2005 auf Basis eines Nettolohns von 1.150 EUR fest und wiesen die Mehrbegehren ab. Das Arbeitsverhältnis habe durch Arbeitnehmerkündigung geendet, die wiederholten Äußerungen im Sommer 2009 und das Verhalten anlässlich der Nachfolgersuche seien als (schlüssige) Auflösungserklärung der Klägerin zum Jahresende zu werten. Beendigungsabhängige Ansprüche stünden daher nicht zu. Sämtliche Ansprüche aus Überstunden vor dem 26. 5. 2007 seien verjährt. Der Feststellungsanspruch aus der Nichtanmeldung im Zeitraum 1991 bis 2000 sei wegen der Kenntnis der Klägerin vom „Primärschaden“ verjährt (8 ObA 66/09b). Für den Zeitraum Februar 2005 bis 6. 1. 2010 fehle es ihr am rechtlichen Interesse, weil sie insoweit einen verwaltungsrechtlichen Feststellungsantrag einbringen könne und dies auch getan habe. Damit bleibe nur ein Feststellungsinteresse für die Periode September 2001 bis Jänner 2005; die unrichtige Anmeldung sei der Klägerin nicht erkennbar gewesen. Da sie auch keine Nachforschungspflicht getroffen habe, sei dieser Anspruch nicht verjährt.

Rechtliche Beurteilung

Zu dieser Beurteilung zeigt die außerordentliche Revision der Klägerin keine Rechtsfrage von der Bedeutung des § 502 Abs 1 ZPO auf:

1. Feststellungsbegehren

1.1. Zur Abweisung des Feststellungsbegehrens hinsichtlich des Zeitraums September 1991 bis Jänner 2001 meint die Klägerin, die Verjährung derartiger Ansprüche könne erst mit Stellung des Pensionsantrags zu laufen beginnen, weil durch die Einzahlung der monatlichen Beiträge nur eine Pensionsanwartschaft, jedoch noch kein Pensionsanspruch geschaffen werde. Überdies komme die dreißigjährige Verjährungsfrist des § 1489 S 2 zweiter Fall ABGB zum Tragen, weil Sozialbetrug (§ 114 ASVG; nun § 153c StGB) mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht sei.

In der Entscheidung 8 ObA 66/09b wurde ausführlich und unter Berücksichtigung der bisherigen Lehre und Rechtsprechung dargelegt, dass nach § 225 Abs 1 ASVG idF vor der Novelle BGBl I Nr 83/2009 im Fall der unrichtigen Meldung bei der Sozialversicherung bzw der unrichtigen Abfuhr von Sozialversicherungsbeiträgen trotz Nachholung der Meldung der Arbeitnehmer das Risiko der Nichtzahlung der Beiträge trug und schon dieses Risiko nach dem weiten Schadensbegriff des ABGB einen erheblichen Schaden darstellt. Das Eintreten des Primärschadens wurde daher am Zeitpunkt der Unterlassung der korrekten Anmeldung der richtigen Beitragsgrundlagen oder der Entrichtung der Beiträge und der dadurch bewirkten vorläufigen zu geringen Feststellung der Beitragsgrundlagen festgemacht. Der Entscheidung lag eine zu geringe Anmeldung zugrunde. Dazu wurde zwischenzeitig angemerkt, dass kein Grund für eine Differenzierung zwischen zu geringer und gänzlich unterbliebener Anmeldung bestehe, weil der Schaden in beiden Fällen in der (zumindest vorläufigen) Anwartschaftsbeeinträchtigung liege (Kietaibl in der Entscheidungsanmerkung, RdA 2012, 321, 323).

Im vorliegenden Fall bedarf es aber weder dazu noch zur Frage der dreißigjährigen Verjährungsfrist des § 1489 S 2 zweiter Fall ABGB einer Stellungnahme:

Selbst wenn man nämlich davon ausgeht, dass noch keine Verjährung eingetreten ist, wurde in der genannten Entscheidung 8 ObA 66/09b in Hinblick auf nicht von der Verjährung betroffene Zeiträume darauf hingewiesen, dass den Arbeitnehmer auch eine Schadensminderungs- bzw -abwehrpflicht trifft. Nach der dort zu beurteilenden Konstellation hätte der Versicherte das Risiko aus der (dort:) zu geringen Anmeldung dadurch vermeiden können, dass er selbst einen Antrag auf Feststellung bei der zuständigen Verwaltungsbehörde einbringen und dadurch die Hemmung bzw Unterbrechung der Verjährungsfrist bewirken hätte können (§ 68 Abs 1 ASVG). Mangels einer solchen Antragstellung wurde deshalb ein Anspruch auf Schadenersatz - und damit auch die Berechtigung des Feststellungsbegehrens des Klägers - für Beitragszeiten, für die durch einen solchen Feststellungsantrag ein Schaden vermieden werden hätte können, wegen der Verletzung der Schadensminderungs- bzw -abwehrpflicht verneint.

Umso mehr muss aber im vorliegenden Fall eine Schadenersatzpflicht verneint werden, weil die Klägerin - ungeachtet dessen, dass gar kein solcher Antrag gestellt wurde - bewusst und gewollt eine Beschäftigung einging und ausübte, mit der sie gegen das Beschäftigungsverbot des § 3 Abs 2 AuslBG verstieß und die ihr nach dem Verständnis der Parteien auch keine sozialversicherungsrechtliche Absicherung bieten sollte. Die Verneinung einer Schadenersatzpflicht entspricht hier nur dem allgemeinen Grundsatz, dass die Zurechnung einer Schadensfolge jedenfalls dann nicht mehr gerechtfertigt ist, wenn diese auf einem selbstständigen, durch den haftungsbegründenden Vorgang nicht herausgeforderten Entschluss des Verletzten selbst beruht (RIS-Justiz RS0022607). Die Klägerin ist insofern nicht schützenswert.

1.2. In Hinblick auf ihr Feststellungsbegehren für den Zeitraum September 2001 bis Februar 2005 will die Klägerin auch die von ihr geleisteten Überstunden berücksichtigt wissen, weil diesbezüglich nichts anderes als für den vom Feststellungsbegehren umfassten Anspruch bezüglich des laufenden Entgelts gelten könne. Zu Recht hat das Berufungsgericht aber darauf hingewiesen, dass der Klägerin bezüglich der Überstunden spätestens am jeweiligen Monatsende erkennbar war, dass diese nicht abgegolten wurden, sodass ihr sowohl der Schaden als auch die Person des Schädigers bekannt waren und eine (allenfalls klagsweise) Geltendmachung möglich gewesen wäre. Mit welchem monatlichen Entgelt sie angemeldet war, war ihr dagegen nicht bekannt. Die Differenzierung des Berufungsgerichts ist danach gerechtfertigt.

1.3. Zur Abweisung des Feststellungsbegehrens hinsichtlich des Zeitraums Februar 2005 bis 6. Jänner 2010 ist die Klägerin ebenfalls auf die Entscheidung 8 ObA 66/09b und die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts zu verweisen.

2. Bezüglich der Überstunden fordert die Klägerin eine Beweislastumkehr dahin, dass die Beklagte zu beweisen gehabt hätte, dass die Klägerin in der Zeit von 14:00 Uhr - 16:00 Uhr keine Arbeitsleistungen erbracht hat. Diesbezüglich wurde bereits zu 8 ObA 71/09p im Detail dargelegt, dass die Voraussetzungen für eine Verschiebung der Beweislast nicht vorliegen, weil dem Kläger die von ihm behaupteten Überstunden naturgemäß bekannt sein müssen. Für einen bereicherungsrechtlichen Anspruch aus der Zuwendung der Arbeitsleistungen der Klägerin fehlt ein entsprechendes Tatsachensubstrat in den Feststellungen; die tatsächlich mit Arbeitsleistung zugebrachte Zeit im genannten Zeitraum war nämlich nicht feststellbar.

3. Soweit die Klägerin meint, das Dienstverhältnis habe nicht durch Arbeitnehmerkündigung, sondern am 21. 12. 2009 durch ungerechtfertigte Entlassung bzw einen berechtigten Austritt geendet, so ist auch im Arbeitsrecht der objektive Erklärungswert einer Willensäußerung maßgeblich (RIS-Justiz RS0028642). Die Auflösungserklärung ist so zu beurteilen, wie sie der Empfänger nach ihrem Wortlaut und dem Geschäftszweck unter Berücksichtigung der gegebenen Umstände bei objektiver Betrachtungsweise verstehen konnte; auf eine davon abweichende subjektive Auffassung des Erklärenden kommt es dabei nicht an (RIS-Justiz RS0028622). Ob eine Erklärung eines Arbeitnehmers als Beendigungserklärung aufzufassen beziehungsweise welcher Erklärungswert ihr beizumessen ist, kann nur an Hand der Umstände des jeweiligen Einzelfalls beurteilt werden, begründet daher keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO.

Angesichts dessen, dass die Klägerin gegenüber der Beklagten, deren Vater und einem Gast geäußert hatte, sie werde mit Jänner des nächsten Jahres ins Ausland gehen, monatelang keine Einwände gegen eine Nachfolgersuche erhob und ihre Nachfolgerin sogar einschulte, ist die Ansicht der Vorinstanzen, es liege eine Arbeitnehmerkündigung vor, vertretbar und keiner Korrektur bedürftig. Ein berechtigter vorzeitiger Austritt der Klägerin ist aus dem Sachverhalt nicht ableitbar. Der durch die Beklagte erfolgten Abmeldung der Klägerin zur Gebietskrankenkasse per 23. 12. 2009 kommt kein selbstständiger Erklärungswert zu.

4. Die Revision ist daher zurückzuweisen.

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