OGH 1Ob132/12m

OGH1Ob132/12m11.10.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ‑Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D***** M*****, geboren am *****, vertreten durch Haftner + Schobel Rechtsanwälte OG in St. Pölten, gegen die beklagte Partei M***** M*****, geboren am *****, vertreten durch Dr. Helene Klaar Dr. Norbert Marschall, Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Ehescheidung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 30. November 2011, GZ 23 R 481/11z‑30, womit der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts St. Pölten vom 6. September 2011, GZ 2 C 27/10s‑21, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 447,98 EUR (darin enthalten 74,66 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger und die Beklagte schlossen am 10. 5. 1985 vor dem Standesamt St. Pölten die Ehe. Der Ehe entstammen zwei ‑ nunmehr volljährige ‑ Kinder.

Bis August 2003 war die Ehe der Parteien glücklich und unauffällig. Der Kläger hatte bis zu diesem Zeitpunkt keine Eheverfehlungen gesetzt.

Am 15. 8. 2003 erlitt die Beklagte eine Gehirnblutung. Seitdem ist sie vollständig pflegebedürftig und bezieht Pflegegeld der Stufe 7. Sie wird über eine PEG‑Sonde ernährt und trägt einen Katheter. Aufgrund der Lähmung von Armen und Beinen muss sie ständig gelagert werden. Ein selbständiger Gebrauch der Gliedmaßen ist ihr nicht möglich. Sie ist zu keinen sprachlichen Äußerungen fähig. Wenn die Beklagte blinzelt, geschieht das rein reflektorisch. Sie ist nicht in der Lage, sich durch ein Blinzeln bewusst auszudrücken. Überhaupt ist bei der Beklagten eine willkürliche Äußerung nicht mehr feststellbar.

Bei der Beklagten liegt ein traumatisch bedingtes apallisches Syndrom vor. Sie befindet sich im Wachkoma (coma vigile). Sie ist wach, aber ohne Bewusstseinsinhalt. Es fehlen emotionale Reaktionen. Es können lediglich primitive motorische Schablonen auftreten. Eine zielgerichtete Bewegung ist nicht möglich. Als Folge der langen Dauer der Erkrankung hat sich zudem bereits eine Spastizität mit einer deutlichen Muskelanspannung entwickelt. Dieser Zustand ist andauernd (persistent vegetative state).

Nahe Angehörige haben auf eine eventuelle Genesung von Wachkomapatienten keinen wesentlichen Einfluss. Eine Betreuung in der Familie beinhaltet jedoch einen emotionalen Kontakt, was auch Patienten im Wachkoma empfinden können, weil das autonome (vegetative) Nervensystem die basalen Lebensfunktionen wie Atmung, Kreislauf, Verdauung etc aufrechterhält. Alle höher liegenden Leistungen sind ausgeschlossen.

Mit Beschluss vom 23. 12. 2003 wurde der Vater der Beklagten zu deren Sachwalter bestellt.

Nach Aufenthalten der Beklagten in Krankenhäusern und Pflegeheimen nahm sie ihr Vater mit 14. 12. 2005 zu sich. Seitdem befindet sich die Beklagte bei ihm in häuslicher Pflege. Wegen der schon seit jeher bestehenden Differenzen zwischen dem Kläger und seinem Schwiegervater brach mit der Überstellung der Beklagten in die häusliche Pflege bei ihrem Vater der Kontakt zum Kläger sowie zu den gemeinsamen Kindern völlig ab.

Der Sachwalter der Beklagten leitet am 5. 1. 2005 ein Unterhaltsverfahren gegen den Kläger ein, wobei er einen Unterhalt von 350 EUR monatlich geltend machte. Der Kläger lehnte Unterhaltsleistungen mit dem Hinweis ab, dass er die Kreditbelastung im Zusammenhang mit der Ehewohnung zu tragen habe und sorgepflichtig für die beiden Kinder sei. Unterhalt an die Beklagte leistete der Kläger erst, nachdem er hiezu mit Urteil verpflichtet worden war. Bis zur Einleitung des Verfahrens über den Unterhalt wurde der Kläger nicht zur Unterhaltsleistung an die Beklagte aufgefordert.

Seit etwa dem Jahr 2007 unterhält der Kläger eine partnerschaftliche Beziehung zu einer anderen Frau.

Der Kläger begehrte die Scheidung nach § 51 EheG, in eventu nach § 55 EheG, weil die eheliche Lebensgemeischaft seit dem Jahr 2003 aufgehoben sei.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Scheidungsbegehrens, in eventu den Ausspruch des alleinigen Verschuldens des Klägers gemäß § 61 Abs 2 bzw Abs 3 EheG, weil bei ihr eine Geisteskrankheit nicht vorliege und sie eine Scheidung härter treffen würde als den Kläger. Der Kläger habe die Beistandspflicht und seine Unterhaltspflicht auf das Gröbste verletzt.

Das Erstgericht schied die Ehe der Streitteile gemäß § 51 EheG und wies den Antrag der Beklagten auf Feststellung des Verschuldens des Klägers ab.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts. Vorraussetzung für die Scheidung nach § 51 EheG sei eine unheilbare Aufhebung der geistigen Gemeinschaft als Folge einer Geisteskrankheit. Dabei müsse die Geisteskrankheit als solche nicht unheilbar sein, es genüge, dass eine Heilung oder Besserung in absehbarer Zeit nicht zu erwarten sei. Der Begriff Geisteskrankheit in § 51 EheG sei dabei nicht ausschließlich in einem medizinischen Sinn zu verstehen. Es komme vielmehr darauf an, ob durch eine Krankheit, möge es auch eine organische sein, eine schwere Regelwidrigkeit des geistigen Zustands verursacht werde. Die Härteklausel des § 54 EheG könne einem auf § 51 EheG gestützten Scheidungsbegehren jedenfalls dann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, wenn die Voraussetzungen für eine Scheidung nach § 55 Abs 3 EheG vorlägen. Bis zur Erkrankung der Beklagten sei die Ehe völlig intakt gewesen, weswegen Billigkeitserwägungen ebenfalls nicht anzustellen seien, weil diese das Vorliegen von Eheverfehlungen voraussetzten. Sinn des § 61 Abs 2 EheG sei, dass ein Ehepartner, dessen Verhalten als Summe schwerer Eheverfehlungen zu beurteilen wäre, die Krankheit des anderen Teils nicht zum Anlass für eine Scheidung nehmen könne, ohne dass sein erhebliches Verschulden berücksichtigt werde.

Rechtliche Beurteilung

Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht nicht zu. Aus § 502 Abs 5 Z 1 ZPO folgt für diesen Fall, dass die Revision nicht jedenfalls unzulässig und daher eine außerordentliche Revision erhoben werden kann nach § 505 Abs 4 ZPO. Eine nachträgliche Zulassung der Revision gemäß § 508 Abs 1 ZPO kommt nicht in Betracht (vgl RIS‑Justiz RS0110049; 1 Ob 140/08g). Der ohne gesetzliche Grundlage und ohne darauf abzielenden Antrag gefasste Beschluss des Berufungsgerichts vom 9. 5. 2012, mit dem es die ordentliche Revision aus Anlass des außerordentlichen Rechtsmittels der Beklagten für zulässig erklärte, ist daher wirkungslos.

Mit ihrer aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobenen außerordentlichen Revision beantragt die Beklagte, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen, in eventu, dass die Ehe aus dem Verschulden des Klägers geschieden werde.

Der Kläger hat von der ihm vom Obersten Gerichtshof freigestellten Möglichkeit, eine Revisionsbeantwortung zu erstatten, Gebrauch gemacht und beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob ein Wachkoma unter den von § 51 EheG erfassten Krankheitszustand zu subsumieren ist, fehlt; sie ist aber nicht berechtigt.

1. Die durch ihren Sachwalter vertretene Revisionswerberin gibt die in der Judikatur zum Scheidungsgrund des § 51 EheG vertretenen Grundsätze richtig wieder, meint aber, der Kläger könne sich auf diesen Tatbestand nicht berufen, weil sie als Wachkomapatientin nicht an einer Geisteskrankheit leide.

2. Nach § 51 EheG kann ein Ehegatte die Scheidung begehren, wenn der andere geisteskrank ist, die Krankheit einen solchen Grad erreicht hat, dass die geistige Gemeinschaft zwischen den Ehegatten aufgehoben ist, und eine Wiederherstellung dieser Gemeinschaft nicht erwartet werden kann. Tatbestand dieses Scheidungsgrundes ist die unheilbare Aufhebung der geistigen Gemeinschaft zwischen den Ehegatten durch eine „Geisteskrankheit“ des Beklagten (Weitzenböck in Schwimann/Kodek, ABGB4 I § 51 EheG Rz 1). Geistige Gemeinschaft im Sinne dieser Gesetzesstelle ist nicht die Gesamtheit der ehelichen Lebensgemeinschaft, sondern sie beschränkt sich auf die Fähigkeit, mit dem Ehepartner und der Familie geistig und psychisch zu kommunizieren. Das ist der Fall, wenn der erkrankte Ehepartner noch fähig und willens ist, am Lebens‑ und Gedankenkreis des anderen teilzunehmen, Vorgänge in der Familie zu erfassen, seelisch darauf zu reagieren und in der Lage ist, dieser Anteilnahme aktiv Ausdruck zu verleihen (Aichhorn in Gitschthaler/Höllwerth, Ehe‑ und Partnerschaftsrecht § 51 EheG Rz 1; ähnlich Stabentheiner in Rummel, ABGB3 § 51 EheG Rz 1 mwN).

3. Für die Scheidung nach § 51 EheG ist nicht vorausgesetzt, dass die Krankheit unheilbar ist. Die Unabsehbarkeit der Heilung reicht aus (Deixler‑Hübner, Scheidung, Ehe und Lebensgemeinschaft10 [AT] Rz 111; Stabentheiner aaO Rz 3; 5 Ob 594/90). Bei der Zukunftsprognose kommt es darauf an, welche künftige Entwicklung absehbar eintreten wird. Eine Heilung kann nie ganz ausgeschlossen werden; kann aber eine solche nach Lage der konkreten Umstände in absehbarer Zeit nicht erwartet werden, liegt der Scheidungsgrund nach § 51 EheG vor (5 Ob 594/90). Die Möglichkeit einer bald vorübergehenden, geradezu flüchtigen geistigen Berührung genügt für die Wiederherstellung der geistigen Gemeinschaft nicht (RIS‑Justiz RS0056837).

4.1 Wesentlich für das Vorliegen des Tatbestands nach § 51 EheG ist, dass es dem erkrankten Ehegatten aufgrund einer geistig‑psychischen Anomalie (vgl Weitzenböck aaO Rz 3) unmöglich ist, sich jetzt und unter aller Voraussicht nach auch in Zukunft mit seinem Partner über ein dem Wesen der Ehe entsprechendes Handeln und Denken zu verständigen. Der Oberste Gerichtshof hat daher bereits ausgesprochen, dass der Begriff Geisteskrankheit in § 51 EheG nicht in einem streng medizinischen Sinn zu verstehen, sondern darauf abzustellen ist, ob durch eine Krankheit eine schwere Regelwidrigkeit des geistigen Zustands verursacht wird (7 Ob 248/63 = RIS‑Justiz RS0056834). Entscheidend ist, ob eine geistige Störung, mag sie organischen oder nichtorganischen Ursprungs sein, vorliegt, die eine Wiederherstellung der geistigen Gemeinschaft der Eheleute nicht erwarten lässt.

4.2 Die Beklagte leidet seit dem Jahr 2003 an einem apallischen Syndrom. Ein apallisches Syndrom ist immer Folge einer schweren Schädigung des Gehirns. Nach den Feststellungen ist der Zustand der Beklagten als „persistierend“ anzusehen. Wie bereits das Berufungsgericht zutreffend aufgezeigt hat, ist damit ein andauernder vegetativer Zustand umschrieben (persistent vegetative state), bei dem das autonome (vegetative) Nervensystem die basalen Lebensfunktionen wie Atmung, Kreislauf, Verdauung etc aufrecht erhält. Eine Änderung des Zustands der Beklagten ist ‑ soweit absehbar ‑ nicht mehr zu erwarten.

4.3 Daraus folgt zusammengefasst, dass bei der Beklagten eine geistige Störung vorliegt, aufgrund der ihr eine verstehende Teilnahme am Lebens‑ und Gedankenkreis des Klägers bzw ihrer Familie nicht mehr möglich ist. Eine Wiederherstellung der geistigen Gemeinschaft der Eheleute kann aufgrund des Krankheitsbildes in absehbarer Zeit nicht mehr erwartet werden. In den Auswirkungen auf die geistige Gemeinschaft zwischen den Ehepartnern ist das bei der Klägerin vorliegende Wachkoma damit den in § 51 EheG genannten Geisteskrankheiten gleichzuhalten, sodass die durch das Krankheitsbild der Beklagten hervorgerufene Regelwidrigkeit den Tatbestand des § 51 EheG erfüllt.

5.1 Nach § 54 EheG darf die Ehe nach § 51 EheG nicht geschieden werden, wenn das Scheidungsbegehren sittlich nicht gerechtfertigt ist. Dazu wurde in der älteren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs judiziert, dass die Härteklausel nach § 54 EheG einer Scheidung dann nicht mehr mit Erfolg entgegengehalten werden kann, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs 3 EheG vorliegen, also die häusliche Gemeinschaft seit sechs Jahren aufgehoben ist (RIS‑Justiz RS0056853). Das Berufungsgericht hat sich auf diese Rechtsprechung gestützt und den Härteeinwand der Beklagten verworfen.

5.2 Es trifft zu, dass diese Rechtsprechung in der Lehre zum Teil auf Kritik gestoßen ist (Hopf/Kathrein, EheG², § 54 Anm 8; Weitzenböck aaO § 54 EheG FN 9; Stabentheiner aaO § 54 EheG Rz 6; Koch in KBB3 § 54 EheG Rz 2). Die Beklagte greift diese Kritik in ihrem Rechtsmittel auf und meint, dass ihr Einwand losgelöst von der Frist des § 55 Abs 3 EheG zu prüfen gewesen wäre. Eine nähere Auseinandersetzung mit dieser Frage kann hier aber schon deshalb unterbleiben, weil die Beklagte unabhängig von der Dauer der Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft keinen tauglichen Grund zur Rechtfertigung des Scheidungsausschlusses aufzeigen kann.

5.3 Der gesunde Ehepartner hat bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 EheG grundsätzlich ein Recht auf Scheidung (RIS‑Justiz RS0056662; Aichhorn aaO § 54 EheG Rz 2). Die Anwendung der Bestimmung des § 54 EheG ist daher nicht als Regel sondern als einschränkend auszulegende Ausnahme zu verstehen (RIS‑Justiz RS0056694). Dass rein wirtschaftliche Gründe im Allgemeinen keine beachtliche Härte darstellen, betont die Revisionswerberin unter Heranziehung entsprechender Judikaturnachweise zu Recht selbst. Allein der Umstand, dass im Fall der Scheidung nach § 51 EheG Unterhalt allenfalls nur nach Billigkeit iSd § 69 Abs 3 EheG gebührt, ist aber kein Anwendungsfall des § 54 EheG (5 Ob 528/88; 4 Ob 176/04t). Dass der Beklagten als Folge der Scheidung eine wirtschaftliche Notlage konkret drohen würde, macht der Sache nach die Revision nicht geltend, die sich dazu auf die bloße Wiedergabe von Judikaturnachweisen beschränkt. Soweit die Beklagte eine besondere Härte darin erblickt, in ihrer Situation vom Kläger verlassen zu werden, übersieht sie, dass es nach den Feststellungen ohnedies zu keinem persönlichen Kontakt mehr kam, nachdem sie von ihrem Sachwalter und Vater in häusliche Pflege übernommen worden war.

6.1 Ein Verschuldensausspruch nach § 61 Abs 2 EheG erfordert, dass der Beklagte zum Zeitpunkt der Klageerhebung oder später während des Scheidungsverfahrens auf Scheidung wegen Verschuldens nach § 49 EheG klagen hätte können. Hatte der Beklagte sein Klagerecht durch Verfristung, Verzeihung oder Verzicht bereits verloren, so ist dem Verschuldensantrag dennoch stattzugeben, wenn dies der Billigkeit entspricht (§ 61 Abs 2 letzter Satz EheG). Ein darauf gerichteter Antrag entspricht grundsätzlich dem Verschuldensantrag nach § 60 Abs 3 EheG (Stabentheiner aaO § 61 EheG Rz 2). Die Beklagte irrt daher, wenn sie meint, für einen Ausspruch nach § 61 Abs 2 EheG wäre eine niedrigere Schwelle anzusetzen. Zu einem Verschuldensantrag nach § 61 Abs 2 EheG gibt es nach herrschender Ansicht keinen Mitverschuldensantrag des Klägers (Stabentheiner aaO § 61 EheG Rz 3 mwN; Aichhorn aaO § 61 EheG Rz 11). Der Sache nach kann daher immer nur ein rechtlich erhebliches Verschulden des Klägers im Sinne eines „Alleinverschuldens“ festgestellt werden (RIS‑Justiz RS0057230; aA Koch aaO § 61 EheG Rz 2 mwN). Es trifft zu, dass dem Verschuldensantrag der Beklagten kein Rechtsmissbrauch vorgeworfen werden kann, weil sie ‑ wie die Revision zu Recht betont ‑ keinen Beitrag zur Zerrüttung leistete. Daraus folgt aber nicht schon die Berechtigung ihres Verschuldensantrags. Es ist zu prüfen, ob dem Kläger ein Verhalten anzulasten ist, das die Beklagte ihrerseits zur Klage nach § 49 EheG berechtigt hätte. Lediglich vom Erfordernis, dass die Beklagte das Verhalten des Klägers als ehezerstörend empfinden musste, ist im Fall der Ehescheidung nach § 51 EheG abzusehen (Stabentheiner aaO § 61 EheG Rz 4 mwN).

6.2 Das Erstgericht ging davon aus, dass die Ehe der Streitteile bis zur Erkrankung der Beklagten im August 2003 glücklich verlief. Für die Zeit danach, kann deren eheliche Beziehung aber nicht mit den gleichen Maßstäben gemessen werden wie die Ehe zweier gesunder Partner. Zur Beurteilung der dem Kläger als Verschulden angelasteten Umstände, ist auf die Gesamtsituation abzustellen, wozu entgegen der Annahme der Beklagten auch das Verhältnis ihres gesetzlichen Vertreters zum Kläger zählt. Persönliche Kontakte des Klägers zur Beklagten unterblieben als Folge der gespannten persönlichen Beziehung zwischen dem Kläger und dem gesetzlichen Vertreter der Beklagten erst als dieser die Beklagte mehr als zwei Jahre nach deren Erkrankung in häusliche Pflege übernahm. Bis dahin besuchte der Kläger die Beklagte regelmäßig im Krankenhaus bzw in Pflegeeinrichtungen. Bezieht man in die Beurteilung mit ein, dass Angehörige auf eine eventuelle Genesung von Wachkomapatienten im Wesentlichen keinen Einfluss nehmen können, haben die Vorinstanzen zu Recht keine verschuldensrelevante Beistandspflichtverletzung des Klägers angenommen. Bereits nach einem Jahr war der Zustand der Beklagten als persistierend anzusehen, sodass mit großer Wahrscheinlichkeit keine Besserung mehr erwartet werden konnte. Dass der Kläger ca vier Jahre nach der Erkrankung der Beklagten eine Beziehung zu einer anderen Frau aufgenommen hat, kann daher ebenfalls nicht als relevante Eheverfehlung gesehen werden.

6.3 Grundsätzlich begründet eine gravierende und länger dauernde Verletzung der Unterhaltspflicht gegenüber dem Ehepartner eine schwere Eheverfehlung iSd § 49 EheG (Aichhorn aaO § 49 Rz 21; Weitzenböck aaO § 49 EheG Rz 20; Stabentheiner aaO § 49 EheG Rz 12 je mwN).

Nach den Feststellungen des Erstgerichts wurde der Kläger mit Urteil aus November 2005 zur Zahlung von Unterhalt an die Beklagte verpflichtet. Dass er danach seiner Verpflichtung zur Unterhaltsleistung nicht nachgekommen wäre, wurde nicht geltend gemacht. Damit betrifft der Vorwurf der Beklagten ausschließlich die Zeit bis zur Beendigung des Unterhaltsverfahrens. Wegen der Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft liegt gemäß § 57 Abs 1 Satz 3 EheG zwar keine Verfristung der dem Kläger vorgeworfenen Verfehlung vor. Dieser kommt aber nicht das Gewicht einer schweren Eheverfehlung zu.

Bis die Beklagte von ihrem Vater am 15. 12. 2005 zu sich genommen wurde, war sie zunächst in Krankenhäusern und dann in Pflegeeinrichtungen untergebracht und war damit während der gesamten vom Vorwurf der Unterhaltsverletzung betroffene Zeit in auf die Pflege spezialisierten Institutionen versorgt. Sie verfügte auch über ein eigenes Einkommen, sodass der Kläger ohne gegenteilige Anhaltspunkte bis zum Vorliegen einer gerichtlichen Entscheidung nicht davon ausgehen musste, dass die Bedürfnisse der Beklagten ohne seinen Beitrag nicht in ausreichendem Maß gedeckt gewesen wären. Tatsächlich wurde der Kläger vom gesetzlichen Vertreter der Beklagten vor Einleitung des gerichtlichen Verfahrens mit 5. 1. 2005 auch nie mit Unterhaltsforderungen konfrontiert, was ihn in der Annahme bestärken musste, die Beklagte wäre auf Unterhaltsleistungen durch ihn nicht angewiesen. Berücksichtigt man seine eigene Situation, die dadurch geprägt war, dass er wegen der Erkrankung der Beklagten die mit der Ehewohnung im Zusammenhang stehende Kreditbelastung allein zu tragen und für die beiden damals noch minderjährigen Kinder zu sorgen hatte, wird deutlich, dass die Jahre zurückliegende Verletzung seiner Unterhaltspflicht durch den Kläger den Vorwurf einer schweren Eheverfehlung nicht rechtfertigt.

7. Der Revision ist damit insgesamt ein Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.

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