OGH 5Ob528/88

OGH5Ob528/8819.4.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Marold als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Jensik, Dr. Zehetner, Dr. Klinger und Dr. Schwarz als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Karl R***, geboren am 30. Jänner 1947, Angestellter, Castellezgasse 24/16, 1020 Wien, vertreten durch Dr. Walter Mardetschläger und Dr. Peter Mardetschläger, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Helena R***, geboren am 23. April 1954, Pensionistin, Voltagasse 28-38/8/1/6, 1210 Wien, vertreten durch den zu 3 Sw 5/87 des Bezirksgerichtes Floridsdorf bestellten einstweiligen Sachwalter Dr. Otto Ackerl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 11. Dezember 1987, GZ 13 R 236/87-18, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 2. Juni 1987, GZ 19 Cg 218/86-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird keine Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.397,35 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 308,85 S an Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 30. Jänner 1947 geborene Karl R*** und die am 23. April 1954 geborene Helena R***, geborene D***, haben am 26. September 1975 vor dem Standesamt Wien-Floridsdorf die beiderseits erste Ehe geschlossen. Beide Parteien sind österreichische Staatsbürger und hatten ihren letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in Wien. Der Ehe entstammen keine Kinder. Karl R*** begehrte mit der am 1. September 1986 erhobenen Klage die Scheidung der Ehe gemäß § 51 EheG, weil seine Frau geisteskrank sei. Sie leide an einem Wandertrieb, sei wiederholt in psychiatrischen Kliniken gewesen und beziehe eine Berufsunfähigkeitspension. Die Beklagte habe die eheliche Wohnung verlassen und lebe bei ihrer Mutter. Die geistige Erkrankung habe einen solchen Grad erreicht, daß die geistige Gemeinschaft zwischen den Ehegatten aufgehoben sei und eine Wiederherstellung dieser Gemeinschaft nicht mehr erwartet werden könne.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Es liege wohl eine geistige Erkrankung (Wandertrieb) vor, diese habe aber keinen solchen Grad erreicht, daß die geistige Gemeinschaft zwischen den Ehegatten aufgehoben wäre und nicht mehr wiederhergestellt werden könnte. Das Scheidungsbegehren sei auch sittlich nicht gerechtfertigt, weil es die Beklagte außerordentlich hart treffen würde. Die Beklagte beantragte weiters, für den Fall der Scheidung der Ehe ein Verschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe auszusprechen. Sie sei vor sieben bis acht Jahren zu ihrer Mutter gezogen, weil sie wegen ihres Wandertriebes nicht allein habe sein können und einer Betreuung bedurft habe. Bis vor ca. einem Jahr habe sie der Kläger am Wochenende zu sich geholt und die Wochenenden mit ihr verbracht. Seither kümmere er sich aber nicht mehr um sie, habe ihr ihre Kleider gebracht und gesagt, sie brauche ihn auch nicht mehr anzurufen. Er unterhalte Beziehungen zu anderen Frauen. Das Erstgericht schied die Ehe der Streitteile, wies jedoch den Antrag der Beklagten, ein Verschulden des Klägers im Sinne des § 61 Abs 2 EheG auszusprechen, ab. Es traf über den bereits wiedergegebenen Sachverhalt hinaus noch folgende Feststellungen:

Etwa zwei Jahre nach der Eheschließung trat bei der Beklagten eine psychische Störung in Erscheinung, die nunmehr den Grad einer Geisteskrankheit erreicht. Diese Erkrankung manifestierte sich in Form eines Wandertriebes. Die Beklagte verließ mehrfach die eheliche Wohnung, um tagelang ziellos herumzuirren, bis sie wieder aufgegriffen werden konnte. Sie verlor krankheitsbedingt ihren erlernten Beruf als Verkäuferin und erhält seitdem eine Berufsunfähigkeitspension von ca. S 5.000 monatlich. Vor etwa sieben oder acht Jahren zog sie aus der ehelichen Wohnung aus und zu ihrer Mutter, weil ihr - wie sie selbst angab - alleine zu Hause - der Kläger ist berufstätig - langweilig geworden sei, sicher aber auch, weil sie auf Grund ihrer Erkrankung ständiger Betreuung bedarf. Seit dieser Zeit lebte sie in der Wohnung ihrer Mutter, von der sie auch betreut und beaufsichtigt wurde. Seit dem Tod der Mutter vor einigen Monaten übernahm die Schwester der Beklagten ihre Betreuung. Das Urteilsvermögen und die Auffassung der Beklagten sind deutlich reduziert, ihr Geisteszustand setzt sie häufig außerstande, einsichtsvoll zu handeln. Die Erkrankung der Beklagten bewirkte eine Zerstörung der geistigen Gemeinschaft zwischen den Eheleuten, zwischen denen es auch seit mindestens sieben Jahren zu keinem geschlechtlichen Verkehr mehr kam. Die Aussichten der Beklagten auf eine andere partnerschaftliche Beziehung sind erheblich herabgesetzt. Durch Isolierung, in der sie ohne familiäres Umfeld auf sich allein gestellt ist, wird die Beklagte in ihrem psychischen Zustand fixiert. All dies bewirkte aber schon die tatsächliche Trennung. Daß die Scheidung eine besondere Härte für die Beklagte darstellen würde, konnte nicht festgestellt werden. Die Beklagte, die nicht in der Lage scheint, den Unterschied zwischen der bereits vor geraumer Zeit erfolgten faktischen Trennung und einer förmlichen Scheidung geistig zu erfassen, reagierte auf die Möglichkeit einer Scheidung eher gleichgültig und gab an, sie wisse nicht, ob sie etwas dagegen habe. Auch hatte die Beklagte zu einem früheren Zeitpunkt zu 53 Cg 111/86 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien bereits selber eine Scheidungsklage eingebracht, diese in der Folge aber wieder zurückgezogen. Der Kläger kümmerte sich über lange Jahre in aufmerksamer Weise um seine kranke Gattin, soweit dies angesichts seiner Berufstätigkeit und mit Rücksicht auf ihren Auszug aus der ehelichen Wohnung möglich war. Er besuchte sie an den Wochenenden oder nahm sie an diesen zu sich. Erst nachdem eine verstehende Teilnahme der Erkrankten am Leben ihres Ehemannes infolge ihrer geistigen Störung nicht mehr möglich erschien, stellte er vor etwa einem Jahr diese Besuche ein, seither ist der Kontakt abgebrochen. Daß der Kläger in der Zeit seiner Ehe Beziehungen zu anderen Frauen unterhalten hätte, konnte nicht nachgewiesen werden. Aus diesem Sachverhalt leitete das Erstgericht ab, daß die geistige Erkrankung der Beklagten einen Grad erreicht habe, der ihre Teilnahme am Lebens- und Gedankenkreis ihres Ehepartners verhindere, sodaß eine geistige Gemeinschaft zwischen den Ehegatten nicht mehr möglich und die Wiederherstellung einer solchen Gemeinschaft nicht zu erwarten sei. Die Voraussetzungen für eine Scheidung nach § 51 EheG seien daher gegeben.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Das Berufungsgericht verneinte das Vorliegen von Verfahrensmängeln und legte den vom Erstgericht festgestellten, seiner Ansicht nach auch für die rechtliche Beurteilung ausreichenden Sachverhalt seiner Entscheidung zugrunde. In Erledigung der in der Bekämpfung der Nichtanwendung der Härteklausel des § 54 EheG gipfelnden Rechtsrüge führte das Berufungsgericht im wesentlichen folgendes aus:

In den Fällen der §§ 50 bis 52 dürfe die Ehe nicht geschieden werden, wenn das Scheidungsbegehren sittlich nicht gerechtfertigt sei. Dies sei in der Regel dann anzunehmen, wenn die Auflösung der Ehe den anderen Ehegatten außergewöhnlich hart treffen würde. Ob dies der Fall sei, richte sich nach den Umständen, namentlich auch nach der Dauer der Ehe, dem Lebensalter der Ehegatten und dem Anlaß der Erkrankung (§ 54 EheG). Die Bestimmung des § 54 EheG sei nicht nur eine Härteklausel, sondern ein allgemeiner Vorbehalt, wonach ein auf die §§ 50 bis 52 EheG gestütztes Scheidungsbegehren sittlich gerechtfertigt sein müsse. Die Voraussetzungen für die Anwendung der Bestimmung des § 54 EheG seien von Amts wegen zu berücksichtigen und unter Bedachtnahme auf die Umstände des Einzelfalles, insbesondere auf Ursachen und Mitursachen der Erkrankung, die Dauer der lebendigen Gemeinschaft der Ehe, das gesamte bisherige Verhalten der Ehegatten zueinander und die Auswirkungen der Scheidung auf den erkrankten Ehegatten sowie auf die Zumutbarkeit der Aufrechterhaltung der Ehe für den gesunden Ehegatten zu prüfen (vgl. EFSlg 31.684, 33.990 und 33.991). Die sittliche Rechtfertigung des Scheidungsbegehrens sei somit auch eine rechtliche Voraussetzung für das Bestehen des Scheidungsrechtes nach § 51 EheG (vgl. EFSlg 33.987 und 38.733). Bei Vorliegen des Tatbestandes nach § 51 EheG habe der gesunde Ehepartner in der Regel ein Recht auf Scheidung; die Härteklausel des § 54 EheG sei nur eine Ausnahmsregelung, die keineswegs ausdehnend ausgelegt werden dürfe (vgl. MGA ABGB32 § 51 EheG/5 und § 54 EheG/2; EFSlg 43.651 und 48.784; Pichler in Rummel Rz 3 zu § 54 EheG). Im vorliegenden Fall sei das Erstgericht unbekämpft zu dem Ergebnis gekommen, daß die Geisteskrankheit der Beklagten einen solchen Grad erreicht habe, daß hiedurch die geistige Gemeinschaft der Ehegatten ohne Aussicht auf Wiederherstellung aufgehoben worden sei. Diese geistige Erkrankung der Beklagten sei nicht auf ein Verhalten des Klägers zurückzuführen und sei zu einer Zeit ausgebrochen, als die Ehegatten erst etwa zwei Jahre verheiratet gewesen seien. Die Ehegatten seien auch jetzt noch relativ jung, nämlich 40 bzw. 33 Jahre alt. Die Beklagte erhielte eine, wenn auch nicht hohe, eigene Pension wegen Berufsunfähigkeit und spräche sich - soweit sie dies verstehe - nicht gegen eine Scheidung aus, sondern habe zunächst selbst eine Scheidungsklage erhoben, diese dann allerdings wieder zurückgezogen. Wohl habe die Beklagte nur äußerst geringe Aussichten auf eine neue Partnerbeziehung und gerate sie ohne Kontakt mit einem Ehegatten noch mehr in die Gefahr einer Isolierung. Dies seien aber Umstände, die sich schon aus der völligen Trennung der Ehegatten ergeben hätten, welche nicht mehr zu beheben sei. Die Beklagte werde jedenfalls durch eine Scheidung keineswegs aus ihrem jetzt bereits gewohnten Lebenskreis des Zusammenwohnens mit der Mutter und nun mit einer Schwester herausgerissen, sodaß ausgehend von all diesen Überlegungen der Ausspruch einer Scheidung keine außergewöhnliche Härte für sie bedeute. Lege man, wie dies geboten sei, einen durchschnittlichen Maßstab an und verlange man keine außergewöhnliche Aufopferung, so sei dem Kläger, der sich nach der Erkrankung und weitgehenden Übersiedlung seiner Frau zu ihrer Mutter zuerst noch durch Jahre um sie gekümmert habe, eine weitere Aufrechterhaltung der Ehe nicht zumutbar. Sein Scheidungsbegehren sei daher unter Berücksichtigung aller angeführten Umstände sittlich gerechtfertigt, sodaß § 54 EheG dem Ausspruch der Scheidung nicht entgegenstehe.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die auf den Anfechtungsgrund des § 503 Abs 1 Z 4 ZPO gestützte Revision der Beklagten mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragte in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig (§ 502 Abs 5 ZPO), aber nicht berechtigt.

In ihrer Revision vertritt die Beklagte die Ansicht, auf Grund der Ausführungen des vom Gericht beigezogenen Sachverständigen, wonach aus medizinischer Sicht der Verlust des Ehepartners für sie gravierende Folgen im Sinne einer weiteren Verminderung der Aussichten auf eine andere partnerschaftliche Beziehung haben könnte, wäre bei richtiger rechtlicher Beurteilung die Härteklausel des § 54 EheG anzuwenden und das Klagebegehren abzuweisen gewesen. Dazu komme noch, daß die Beklagte auch nach den Ausführungen des Berufungsgerichtes nur äußerst geringe Aussichten auf eine neue Partnerbeziehung habe und ohne Kontakt mit einem Ehegatten noch mehr in die Gefahr einer Isolierung gerate. Bei dieser Argumentation übersieht die Beklagte aber, daß diese Verminderung ihrer Aussichten auf eine andere partnerschaftliche Beziehung und ihrer weiteren Isolierung ihre Ursachen bereits in der völligen Trennung der Lebensbereiche der Eheleute, also in Umständen haben, die bereits seit längerer Zeit Realität sind, und nicht eine Folge des Ausspruches der Scheidung ihrer Ehe selbst sind. Wird die Beklagte aber durch die Scheidung ihrer Ehe an sich nicht aus ihrem ihr bereits gewohnten Lebenskreis herausgerissen, so kann - wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat - der Ausspruch der Scheidung selbst keine außergewöhnliche Härte für die Beklagte bedeuten.

Insoweit die Revisionswerberin zur Stützung ihrer Rechtsansicht auf das geringe Ausmaß ihrer Berufsunfähigkeitspension verweist und meint, aus diesem Grunde auf den Unterhalt ihres Ehegatten angewiesen zu sein, ist ihr zu entgegnen, daß ihr im Falle der Scheidung nach Billigkeit Unterhalt zugesprochen werden kann (§ 69 Abs 3 EheG) und eine solche Beschränkung des Unterhaltsanspruches im Falle der Scheidung keine Härte im Sinne des § 54 EheG begründet (vgl. SZ 36/124; EFSlg 6961 ua).

Es entspricht der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, daß die Unauflöslichkeit der Ehe im geltenden Eherecht dort ihre Grenzen findet, wo die Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft dem Ehegatten, der nicht selbst durch seine Rücksichtslosigkeit und fehlende Fürsorge Anlaß für die geistige Erkrankung seines Ehepartners war, unmöglich und unzumutbar erscheint (vgl. EFSlg 33.987 ua). Da der Kläger sich um seine Frau auch nach deren Auszug aus der ehelichen Wohnung - soweit ihm dies im Hinblick auf seine Berufstätigkeit möglich war - noch jahrelang gekümmert hat und die Bemühungen um seine Frau erst vor etwa einem Jahr einstellte, als ihm klar wurde, daß die Wiederherstellung einer geistigen Gemeinschaft wegen der Krankheit seiner Frau nicht mehr möglich sein werde, kann im Ergebnis auch kein auf Rücksichtslosigkeit zurückzuführender Verstoß des Klägers gegen seine eheliche Beistandspflicht angenommen werden. Da die Anwendung der Härteklausel des § 54 EheG - wie das Berufungsgericht ebenfalls richtig ausführte - ein Ausnahmsfall bleiben soll und einem auf § 51 EheG gestützten Scheidungsbegehren in Ansehung der Auflösung des Ehebandes die Härteklausel nach § 54 EheG nicht mit Erfolg entgegengehalten werden kann, wenn - so wie im vorliegenden Fall - die Voraussetzungen für eine Scheidung nach § 55 Abs 3 EheG vorliegen (JBl 1985, 489 = EFSlg 48.783), kann in der Ablehnung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Anwendung der Härteklausel im Sinne des § 54 EheG durch das Berufungsgericht kein Rechtsirrtum erblickt werden. Der Revision konnte somit kein Erfolg beschieden sein. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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