OGH 11Os105/12v

OGH11Os105/12v9.10.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. Oktober 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Scheickl als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Stefan H***** wegen Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau vom 19. April 2012, GZ 16 Hv 79/11p-29, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Stefan H***** dreier Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I/1/a und b), eines Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I/2), dreier Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (II) und mehrerer Vergehen der pornographischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 3 zweiter Fall StGB (III) schuldig erkannt.

Danach hat er in K***** und (zu III auch) in G*****

(I) Ende April 2011 an einer unmündigen Person, nämlich an der am 2. April 2003 geborenen Natascha W*****

(1) dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, indem er

(a) sie veranlasste, einen Oralverkehr an seinem Penis vorzunehmen und selbst mit der Zunge die Scheide und Klitoris der Unmündigen leckte und

(b) einen Finger in ihren Anus einführte;

(2) außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung vorgenommen, indem er seinen erigierten Penis zwischen den Oberschenkeln der Unmündigen hin- und herbewegte, während sie bäuchlings auf ihm lag;

(II) durch die zu I) angeführten Tathandlungen mit einer minderjährigen Person, die seiner Aufsicht unterstand, unter Ausnützung dieser Stellung gegenüber dieser geschlechtliche Handlungen vorgenommen und an sich vornehmen lassen, um sich geschlechtlich zu erregen;

(III) von Ende 2009 bis zum 16. Mai 2011 zahlreiche pornographische Darstellungen unmündiger Personen „im Sinne des § 207a Abs 4“ StGB, die er sich durch Herunterladen aus dem Internet beschafft hatte, besessen.

Rechtliche Beurteilung

Die auf Z 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.

Indem die gegen den Schuldspruch I/1/b gerichtete Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) anhand eigener Beweiswerterwägungen den der Aussage der Zeugin Nicole W***** zuerkannten Wahrheitsgehalt (US 8 f) kritisiert, bekämpft sie bloß die Beweiswürdigung der Tatrichter nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung.

Der Einwand „bloßer Scheinbegründung“ der Urteilsannahmen zur Ausnützung eines Autoritätsverhältnisses übergeht die Erwägungen des Erstgerichts, wonach der Angeklagte seine Vertrauensstellung als Lebensgefährte der Mutter des Tatopfers einsetzte (US 6, 13), und nimmt solcherart nicht Maß an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe (RIS-Justiz RS0116504, RS0119370; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 394).

Der weiteren Beschwerde (der Sache nach Z 9 lit a) zuwider hat das Erstgericht zum Schuldspruch III ohnedies nicht bloßes „Wissenmüssen“ um die Tatbestandsmerkmale des § 207a Abs 3 StGB, sondern positives Wissen angenommen (US 3), womit das Rechtsmittel den Anfechtungsrahmen des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes verlässt. Aus welchem Grund der aus Allgemeinwissen gezogene Schluss auf die Verbotskenntnis des Angeklagten (US 11) nicht zulässig sein soll (Z 5 vierter Fall), sagt der Beschwerdeführer nicht.

Mit der Behauptung fehlender Feststellungen zur Ausnützung des gegenüber dem Tatopfer bestehenden Autoritätsverhältnisses (II) ist die Rechtsrüge (Z 9 lit a) auf US 5 zu verweisen.

Die weitere Rüge (Z 9 lit a) leitet ihre Behauptung, der zu I/2 konstatierte „Schenkelverkehr“ stelle - mangels Berührung einer zur unmittelbaren Geschlechtssphäre gehörigen Körperpartie des Opfers - keine geschlechtliche Handlung iSd § 207 Abs 1 StGB dar, nicht argumentativ aus dem Gesetz ab (zum auf Körperpartien des Opfers oder des Täters abstellenden Begriff der geschlechtlichen Handlungen vgl Philipp in WK2 § 202 Rz 9) und verfehlt daher die prozessförmige Darstellung materieller Nichtigkeit (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 588).

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der dazu abgegebenen Äußerung der Verteidigung - bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Bleibt mit Blick auf § 290 Abs 1 StPO anzumerken, dass das Erstgericht das Tatgeschehen laut Schuldspruch I/1/a zweiter Halbsatz verfehlt § 206 Abs 1 StGB unterstellte. Unter einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung ist grundsätzlich jede in der Summe der Auswirkungen und Begleiterscheinungen einem Geschlechtsverkehr vergleichbare geschlechtliche Handlung, demnach jede Form der oralen, vaginalen oder analen Penetration zu verstehen. Die Urteilsannahmen lassen aber das für eine Gleichstellung mit einem Geschlechtsverkehr wesentliche Element der Penetration (vgl dazu JAB 927 BlgNR XVII. GP, 3 [zu BGBl 1989/242]; EBRV 1230 BlgNR XX. GP, 20 f [zu BGBl I 1998/153]; RIS-Justiz RS0095201; RS0094905; RS0095025; Philipp in WK² § 206 Rz 12; aM Hinterhofer, SbgK § 201 Rz 45; Kienapfel/Schmoller BT III² Vorbem §§ 201 ff Rz 48) nicht erkennen. Richtigerweise wäre insoweit - aufgrund festgestellter tatbestandlicher Handlungseinheit mit dem zu I/2 abgeurteilten Sachverhalt (US 5) - lediglich ein Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB anzunehmen gewesen.

Für eine amtswegige Wahrnehmung der demnach vorliegenden Nichtigkeit aus Z 10 des § 281 Abs 1 StPO besteht jedoch kein Anlass, weil dem Angeklagten mit Blick auf die angenommenen Erschwerungsgründe daraus kein effektiver Nachteil erwachsen ist. Das Oberlandesgericht ist bei der Entscheidung über die Berufungen angesichts dieser Klarstellung nicht an die verfehlte Subsumtion gebunden (RIS-Justiz RS0118870).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Stichworte