OGH 7Ob111/12t

OGH7Ob111/12t26.9.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** Assurance, *****, vertreten durch Dr. Rainer Kornfeld, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei V*****gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Eduard Klingsbigl, Dr. Robert Lirsch, Mag. Florian Masser und Mag. Ernst Wimmer, Rechtsanwälte in Wien, wegen 355.784 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 9. März 2012, GZ 5 R 279/11b‑23, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 22. September 2011, GZ 43 Cg 45/10f‑17, teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts, das hinsichtlich des Teilzuspruchs von 2.048,67 EUR sA in Rechtskraft erwachsen ist, wird hinsichtlich der noch strittigen Klagsforderung von 353.735,33 EUR sA dahin abgeändert, dass insoweit das klagsstattgebende Ersturteil einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 19.151,19 EUR (darin enthalten 13.316,65 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist Transportversicherer eines Konzerns, wobei die österreichische B***** GmbH & Co KG (kurz: B*****) im Rahmen dieser Polizze mitversichert ist. B***** beauftragte die Beklagte am 27. 1. 2009 mit einem Arzneimitteltransport von Wien nach Litauen. Die Arzneimittel kamen am 2. 2. 2009 tiefgefroren beim Empfänger an. Die Klägerin bezahlte an ihre Versicherte B***** am 21. 4. 2009 als Schadensbetrag 355.784 EUR, wodurch die Ansprüche gegen die Beklagte an sie übergingen.

Seit dem Jahr 2000 beauftragte B***** die Beklagte regelmäßig mit Arzneimitteltransporten. Im Rahmen ihrer Geschäftsbeziehung schlossen B***** und die Beklagte am 2. 4. 2007 eine Qualitätssicherungsvereinbarung, die für sämtliche durchgeführte Transporte von Arzneimitteln gilt. Darin verpflichtete sich die Beklagte als „Auftragnehmer“, während der gesamten Laufzeit des jeweiligen Auftrags die Qualität der mit B***** als „Auftraggeber“ vereinbarten Dienstleistungen sicherzustellen, wobei die Beklagte ein regelmäßiges Qualitätsmanagement‑System mit diversen, näher bestimmten Maßnahmen und Zertifizierungen aufrecht erhalten muss.

B***** richtete am 27. 1. 2009 einen mit 22. 1. 2009 datierten Transportauftrag an die Beklagte. Darin angeführt waren die Abholadresse in Wien sowie der Warenempfänger in Litauen. Als Ladedatum wurde der 27. 1. 2009 und als Versand‑ und als Ankunftsdatum der 29. 1. 2009 angegeben. Als Versandbedingung stand der Begriff „Air“. Als Auftragswert wurde „ca 355.784 EUR“ angeführt. Im letzten Feld des Transportauftragsformulars wurden folgende Unterlagen aufgelistet: „Warenbegleitpapiere; Rechnung 1‑fach; Packliste 1‑fach; Analysenzertifikate“.

Dem Transportauftrag an die Beklagte wurde die in der Auflistung angesprochene Rechnung an den Empfänger beigefügt, in der mehrmals die Arzneimittel Actilyse und Metalyse sowie jeweils die Weisung „Avoid extreme temparature do not freeze“ angeführt waren. Aus der Rechnung ergab sich der Kaufpreis der zu transportierenden Arzneimittel von insgesamt 355.784 EUR.

Die Beklagte stellte am 27. 1. 2009 den Luftfrachtbrief aus. Dieser enthielt die Daten von B*****, des litauischen Empfängers und der Beklagten als „Carrier“. Der Transportweg war wie folgt angeführt: Wien‑Frankfurt‑Vilnius; auch die beiden Flugnummern der Fluglinie wurden genannt. Der Luftfrachtbrief enthielt folgende Anweisung: „Ship to: [litauische Adresse]“. Zwei Mal wurde der Dringlichkeitsvermerk „Delivery latest on Friday, 30. 01. 2009“ gesetzt. Die Warenangabe lautete „Pharmaceuticals ‑ not restricted“, wobei auf die Begleitdokumente ausdrücklich hingewiesen wurde („One envelope with docs attached to AWB“). Der litauische Empfänger („Consignee“) sollte sofort nach Ankunft kontaktiert werden.

Nicht festgestellt werden konnte, ob und in welcher Form auf der Verpackung darauf hingewiesen wurde, dass das Liefergut keinen Temperaturen unter dem Gefrierpunkt ausgesetzt werden dürfe.

Am 27. 1. 2009 wurde die Ware samt den Begleitpapieren im Original von der Ladeadresse in Wien mittels Lkw zum Lager der Beklagten am Flughafen Schwechat gebracht, wo sie für die Abfertigung geprüft und vorbereitet wurde. Spätestens zu diesem Zeitpunkt lag der Beklagten die gesamte schriftliche Dokumentation über die zu befördernden Arzneimittel vor, die ihr von B***** zur Kenntnis gebracht wurden. Der Beklagten war es daher möglich, während der gesamten Transportstrecke bis zur Ablieferung in Litauen für die Einhaltung von Vorkehrungen zur Vermeidung von Schäden am Transportgut Sorge zu tragen. Bei Unklarheiten hätte die Beklagte auch unverzüglich Weisung von B***** einholen oder Rücksprache halten können.

Die Ware wurde zunächst mittels Luftbeförderung durch eine Fluglinie nach Frankfurt gebracht. In Frankfurt wurde zu diesem Zeitpunkt gerade gestreikt. Deshalb wurden die Arzneimittel von der Fluglinie bis zum 30. 1. 2009 eingelagert, wobei im Lager in Frankfurt Temperaturen zwischen 5 und 10° Celsius herrschten. Am 30. 1. 2009 wurde die Ware dann mittels Luftfracht weiter nach Vilnius befördert, wo sie von einem Speditionspartner der Beklagten vom Flughafen abgeholt und in ein unbeheiztes Zwischenlager verbracht und dort eingelagert wurde.

Es konnte nicht festgestellt werden, ob der Empfänger der Ware zugesagt hatte, diese vom Flughafen in Vilnius selbst abzuholen. Am 30. 1. 2009 (einem Freitag) war die Zustellung an den Empfänger nicht mehr möglich. In der Zeit vom 30. 1. bis 2. 2. 2009 herrschten in Vilnius Außentemperaturen weit unter dem Gefrierpunkt. Auf Grund der unbeheizten Zwischenlagerung und der Außentemperaturen weit unter null Grad Celsius wurden die eingelagerten Medikamente während dieses Zeitraums tiefgefroren. Am 2. 2. 2009 (Montag) wurden die Arzneimittel an den litauischen Empfänger mittels Lkw geliefert und tiefgefroren übergeben. Durch das Einfrieren verloren die gelieferten Arzneimittel zur Gänze ihre Verkehrsfähigkeit und durften daher nicht mehr verwendet werden.

Mit Schreiben vom 5. 2. 2009 machte B***** die Beklagte für den Schaden auf Grund der Temperaturunterschreitung haftbar. Als Schadensbetrag wurde der Rechnungsbetrag von 355.784 EUR angeführt.

Die Beklagte stellte B***** per 13. 2. 2009 für die Leistung „Luftfracht“ nach Litauen (samt Zuschlägen für die Fluglinie) insgesamt 605,64 EUR in Rechnung. Damit verrechnete sie das Entgelt für den gesamten Transportweg.

Die Klägerin begehrte die Zahlung von 355.784 EUR sA und brachte dazu im Wesentlichen vor, die Beklagte habe als regelmäßig beauftragtes Transportunternehmen bestätigt, dass ihr die EU‑Leitlinien für die „Gute Vertriebspraxis von Humanarzneimitteln“ inhaltlich bekannt seien. Dabei habe sie sich unter anderem verpflichtet, während des Transports zu beachten, dass die Arzneimittel sicher und weder in unvertretbarem Maß Hitze, Kälte, Licht, Feuchtigkeit noch einem anderen schädlichen Einfluss ausgesetzt seien. Weiters sollten die Arzneimittel, die bei kontrollierter Temperatur gelagert werden müssen, auch unter geeigneten Vorkehrungen befördert werden.

Am 22. 1. 2009 sei die Beklagte mit dem Transport der Lieferung beauftragt worden. Beigefügt ‑ und per Fax übersandt ‑ seien neben Analysezertifikaten auch eine Packliste und insbesondere die Rechnung gewesen, die unübersehbar die Warnung „Avoid extreme temperature do not freeze“ enthalten habe. Die Rechnung sei zeitgleich mit dem Transportauftrag übermittelt worden, weshalb die Weisung „Avoid extreme temperature do not freeze“ auch für die Beklagte gedacht gewesen sei. Solche Weisungen seien nicht nur für den Empfänger, sondern gerade für den Transporteur hauptsächlich bestimmt, weil auf dem Transportweg erfahrungsgemäß das größte Schädigungsrisiko bestehe. Die Ware habe den Empfänger tiefgefroren erreicht. Es liege ein Totalschaden vor. Da Medikamente nicht Temperaturen von bis minus 20 Grad ausgesetzt werden dürften, liege grobe Fahrlässigkeit vor. Der gesamte Transport bis zum Empfänger in Litauen sei im Verantwortungsbereich der Beklagten gelegen. Der Absender (B*****) habe das Interesse an der Ablieferung im Sinn des Art 22 Abs 3 Montrealer Übereinkommen (Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr vom 28. 5. 1999, BGBl III 2004/131 ‑ kurz: MÜ) bereits in den Rechnungen und somit im Transportauftrag betragsmäßig angegeben, weshalb die Beklagte unbeschränkt hafte.

Die Beklagte wendete im Wesentlichen ein, der Transportauftrag habe keine Vorschrift betreffend die Temperatur enthalten. Hinweise auf der Rechnung seien nicht als Weisung angesehen worden. Auf der Verpackung seien keine Hinweise angebracht gewesen. Im Zeitraum Oktober 2008 bis Jänner 2009 seien lediglich 12 von 58 Aufträgen mit einem für den Spediteur bestimmten Temperaturhinweis versehen gewesen. In 53 Fällen habe ein solcher Vermerk erst bei Nachschau in den Rechnungen festgestellt werden können. Während des gesamten Zeitraums habe es von B***** auch keine Beanstandung gegeben, dass im Luftfrachtbrief ein Temperaturhinweis fehle. Die Beklagte habe davon ausgehen können, dass in den Transportaufträgen die wesentlichen Angaben enthalten seien und Hinweise in den Rechnungen nur für den Käufer gelten würden. B***** und in weiterer Folge der Klägerin sei der Vorwurf des groben Verschuldens gegenüber der Beklagten auch deshalb verwehrt, weil B*****, welche weiterhin Aufträge an die Beklagte erteile, nach wie vor auf den Überverpackungen keinen Hinweis auf allfällige Frostgefährdung anbringe, was nunmehr von der Beklagten eigenständig veranlasst werde.

Ersatzfähig sei nicht der Verkaufspreis, sondern gegebenenfalls nur der Wiederbeschaffungswert am Abgangsort. Weil Totalschaden geltend gemacht werde, stünden die Besichtigungskosten nicht zu. Da ihr ein Auftrag zur Luftbeförderung erteilt worden sei, kämen die die Haftung der Beklagten ausschließenden oder begrenzenden Bestimmungen des Montrealer Übereinkommens (MÜ), hilfsweise einige näher bezeichnete Bestimmungen der CMR zur Anwendung.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Auf den vorliegenden Sachverhalt, der jenem in 7 Ob 147/10h gleich gelagert sei, finde das MÜ Anwendung. Für Sachschäden (Zerstörung, Verlust oder Beschädigung) an Gütern treffe den Luftfrachtführer (Beklagte) gemäß Art 18 Abs 1 MÜ eine verschuldensunabhängige (Gefährdungs‑)Haftung, von der er sich gemäß Abs 2 leg cit nur unter bestimmten (beweispflichtigen) Voraussetzungen befreien könne. Der Schaden sei aus dem Fehlverhalten der Beklagten entstanden, weil von ihr die Eigenschaften der Arzneimittel nicht ausreichend berücksichtigt worden seien. Maßgeblich für die Bestimmung der Sorgfaltspflichten sei jedenfalls die Schadensgeneigtheit des Transportguts. Jeder Frachtführer habe unter dem Gesichtspunkt der Obhutspflicht die ordnungsgemäße und technisch einwandfreie Durchführung des Transports und somit den Schutz des fremden Eigentums vor jeder Beschädigung während der Beförderung zu gewährleisten. Daraus ergebe sich, dass der Frachtführer jedenfalls immer dann, wenn er (oder seine Beförderungsgehilfen) vor Beginn oder während der Beförderung Schadensquellen (sei es Lade‑, aber auch Verpackungsfehler des Absenders) feststelle oder solche offenkundig seien, für deren Beseitigung Sorge tragen und weitere Weisungen einholen müsse. Bei der Qualitätssicherungsvereinbarung handle es sich zudem um eine besondere vertragliche Verpflichtung, gegen die die Beklagte verstoßen habe. Die Angaben und Voraussetzungen für die Beförderung nach Litauen hätten sich nicht nur aus dem Formular des Transportauftrags allein, sondern auch aus den weiteren Unterlagen, insbesondere der Rechnung, ergeben. Die Beklagte hätte die nötigen Schutzmaßnahmen während des Transportwegs bis zur endgültigen Ablieferung treffen können. Ihr habe auch klar sein müssen, dass durch die eingetretene Verzögerung die Gefahr für das Transportgut erhöht worden sei, weil damit Zwischenlagerungen in der Winterzeit erforderlich gewesen seien. Die Beklagte sei ihren Obhutspflichten grob fahrlässig nicht nachgekommen.

Für den ersatzfähigen Schaden seien die Haftungssummen nach Art 22 MÜ zu beachten. Die Haftungsgrenze nach Art 22 Abs 3 MÜ gelte nicht, weil der Absender bei Übergabe der Fracht das Interesse an der Ablieferung am Bestimmungsort betragsmäßig angegeben habe. B***** sei als Versender von einem konkret bezifferten Warenwert des Lieferguts ausgegangen. Die Beklagte habe dies zur Kenntnis genommen. Die schriftlich zu erfolgende Wertdeklaration führe zum haftungsrechtlichen Ergebnis, dass sich der Luftfrachtführer nicht auf die begrenzten Haftungssummen berufen könne. Statt dessen werde der eingetretene Schaden auf der Grundlage des für das jeweilige Frachtgut deklarierten Werts abgerechnet. Der Luftfrachtführer hafte bis zur Höhe des tatsächlichen Schadens (jedoch auch für mittelbare Schäden und entgangenen Gewinn). Maßgeblich sei der Verkaufswert für den Absender. Der Warenwert habe 355.784 EUR betragen; von der Beklagten sei daher in dieser Höhe Ersatz zu leisten.

Das Berufungsgericht bestätigte den Zuspruch von 2.048,67 EUR sA und wies das Mehrbegehren der Klägerin von 353.735,33 EUR sA ab. Das Berufungsgericht schloss sich der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts zur Anwendung des MÜ an. Die Ware habe sich auch bei der Zwischenlagerung in Litauen in der Obhut der Beklagten im Sinn des Art 18 Abs 3 MÜ befunden (7 Ob 174/10h; BGH 24. 2. 2011, I ZR 21/10). Die Beklagte treffe die verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung des Luftfrachtführers für den an den beförderten Gütern entstandenen Schaden.

Zur Höhe der Ersatzforderung sei auf Art 22 Abs 3 MÜ idF BGBl III 2004/131 Bedacht zu nehmen. Danach hafte der Luftfrachtführer bei der Beförderung von Gütern für Zerstörung, Verlust, Beschädigung oder Verspätung nur bis zu einem Betrag von 17 Sonderziehungsrechten für das Kilogramm; diese Beschränkung gelte nicht, wenn der Absender bei der Übergabe des Frachtstücks an den Luftfrachtführer das Interesse an der Ablieferung am Bestimmungsort betragsmäßig angegeben und den verlangten Zuschlag entrichtet habe. Die in der (deutschen) Literatur überwiegende Meinung gehe davon aus, dass die Wertdeklaration auf Grund ihrer Bedeutung schriftlich zu erfolgen habe. In der deutschen Rechtsprechung werde der Vermerk „Valuable Cargo“ nicht als Wertdeklaration angesehen. Das Verwenden der Klausel „NVD“ (no value declared) spreche sogar für das Fehlen einer Wertdeklaration. Aus den (deutschen) Lehrmeinungen gehe die nachvollziehbare Ansicht hervor, dass der Hinweis auf die Wertdeklaration jedenfalls ausreichend bestimmt und eindeutig zu sein habe, um den Luftfrachtführer auf das erhöhte Haftungsrisiko aufmerksam zu machen. Der Transportauftrag sei der Beklagten schriftlich übermittelt worden. Dieser habe bezüglich des Werts der Sendung eine „cirka“‑Angabe enthalten, wobei auf der ‑ hinsichtlich ihres Wortlauts unbestrittenen ‑ Urkunde unterhalb dieses „Auftragswerts“ auch noch angeführt sei, dass Änderungen vorbehalten seien. Für die Annahme einer wirksamen Wertdeklaration sei die Anführung eines „cirka“‑Werts, der überdies unter Vorbehalt von Änderungen angegeben werde, nicht geeignet, einen ausreichend deutlichen Hinweis darauf zu geben, dass der Absender einen Wegfall der Haftungsgrenzen unter Angabe eines konkreten Interesses wünsche. Im Transportauftrag werde auch kein Bezug zu einer Haftungshöchstgrenze hergestellt. Hinzu komme, dass im Luftfrachtbrief nicht nur kein Wert der Sendung, sondern die Klausel „NVD“ aufscheine, die entsprechend der deutschen Rechtsprechung dafür spreche, dass keine Wertdeklaration vorliege. Die bloße Anführung des Auftragswerts im Transportauftrag in der hier festgestellten Form erfülle nicht die Erfordernisse einer die Haftungsgrenze des MÜ beseitigenden Wertdeklaration nach Art 22 Abs 3 zweiter (Halb‑)Satz MÜ. Dass ein Zuschlag im Sinn des Art 22 Abs 3 MÜ bezahlt worden sei, habe die dafür behauptungs‑ und beweispflichtige Klägerin ebenfalls nicht vorgebracht. Daraus folge, dass die Haftungsbeschränkung des Art 22 Abs 3 erster (Halb‑)Satz MÜ zur Anwendung gelange. Die Beklagte schulde Ersatz in der Höhe der dort angeführten Sonderziehungsrechte. Ausgehend vom im Frachtbrief angeführten Gewicht der Sendung von 103 kg errechne sich der von der Beklagten geschuldete Haftungsbetrag von 2.048,67 EUR.

Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil zur Frage der Voraussetzungen einer wirksamen Wertdeklaration zur Überwindung der Haftungshöchstgrenzen im Anwendungsbereich des MÜ keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Die Klägerin macht in der Revision unrichtige rechtliche Beurteilung geltend und beantragt, dem Klagebegehren auch im Umfang von 353.735,33 EUR sA stattzugeben. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision zurück‑ oder abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig und berechtigt.

1. Sowohl Österreich als auch Litauen sind Vertragsstaaten des MÜ (zur Anpassung der Haftungshöchstbeträge gemäß Art 24 MÜ siehe Kundmachung des Bundeskanzlers, BGBl III 2010/11). Dieses Übereinkommen ersetzt das Warschauer Abkommen (Art 55 MÜ). Es wurde von Österreich am 29. 4. 2004 ratifiziert und ist damit Teil des innerstaatlichen Rechts (1 Ob 128/10w). Das MÜ ist in arabischer, chinesischer, englischer, französischer, russischer und spanischer Sprache geschlossen, wobei alle diese Sprachfassungen gleichermaßen verbindlich sind (Schlussbestimmung MÜ; zur Übersetzung in die deutsche Sprache siehe ErläutRV 13 BlgNR XXII. GP 2). Das MÜ ist auf die hier zu beurteilende Beförderung von Gütern zwischen Österreich und Litauen anwendbar (Art 1 MÜ). Zutreffend gingen die Vorinstanzen davon aus, dass der geltend gemachte Schaden, der während der Einlagerung des Transportguts im unbeheizten litauischen Zwischenlager des Speditionspartners der Beklagten eintrat, in den Haftungszeitraum nach Art 18 Abs 3 MÜ fällt (7 Ob 147/10h = TranspR 2011, 264 [insofern zustimmend Müller‑Rostin]; ebenso BGH 24. 2. 2011, I ZR 91/10).

2. Den Ausführungen der Klägerin zur Vereinbarung der AÖSp und insbesondere des § 51 lit b AÖSp steht das Neuerungsverbot entgegen (§ 504 Abs 2 ZPO). Im erstinstanzlichen Verfahren bestritt die Klägerin die Anwendung der AÖSp.

3. Gemäß Art 22 Abs 3 MÜ haftet der Luftfrachtführer bei der Beförderung von Gütern für Zerstörung, Verlust, Beschädigung oder Verspätung nur bis zu einem Betrag von 17 (ab 30. 12. 2009 [BGBl III 2010/11]: 19) Sonderziehungsrechten für das Kilogramm; diese Beschränkung gilt nicht, wenn der Absender bei der Übergabe des Frachtstücks an den Luftfrachtführer das Interesse an der Ablieferung am Bestimmungsort betragsmäßig angegeben und den verhängten Zuschlag entrichtet hat. In diesem Fall hat der Luftfrachtführer bis zur Höhe des angegebenen Betrags Ersatz zu leisten, sofern er nicht nachweist, dass dieser höher ist als das tatsächliche Interesse des Absenders an der Ablieferung am Bestimmungsort. In der verbindlichen englischen Sprachfassung lautet Art 22 Abs 3 erster Satz MÜ wie folgt: „In the carriage of cargo, the liability of the carrier in the case of destruction, loss, damage or delay is limited to a sum of 17 Special Drawing Rights per kilogramme, unless the consignor has made, at the time when the package was handed over to the carrier, a special declaration of interest in delivery at destination and has paid a supplementary sum if the case so requires. ...“

Die Klägerin wendet sich nicht gegen die Berechnung der Höhe des ihr vom Berufungsgericht gemäß Art 22 Abs 3 erster Halbsatz MÜ zugesprochenen Höchstbetrags. Sie bekämpft aber die Rechtsansicht, dass die Voraussetzungen für eine Wertdeklaration nach dem zweiten Halbsatz dieser Bestimmung nicht vorliegen. Sie habe im Transportauftrag als Auftragswert und Währung „ca 355.784 EUR“ angegeben. Von dieser Wertangabe sei auszugehen und nicht auch davon, dass darunter ‑ „klein und sichtlich nur aus kaufmännischer Vorsicht“ ‑ ein Vorbehalt von Änderungen angegeben worden sei, der nicht stattgefunden habe. Die Wertdeklaration sei auch in der angeschlossenen, einen integrierenden Bestandteil des Auftrags darstellenden Rechnung erfolgt. Im Zusammenhang mit der beigelegten Rechnung könne das „ca“ auch nicht als unbestimmte Angabe angesehen werden. Dass im Luftfrachtbrief die Klausel „NVD“ („no value declared“ ‑ kein Wert angegeben) aufscheine, betreffe nur das Rechtsverhältnis der Beklagten zu ihrem Subfrachtführer für die Luftbeförderung von Wien nach Litauen. Ein Zuschlag im Sinn des Art 22 Abs 3 MÜ sei nur dann zu entrichten, wenn dieser auch verlangt werde. Habe der Luftfrachtführer einen derartigen Zuschlag ‑ trotz vertragsgemäßer Angabe des Interesses an der Ablieferung am Bestimmungsort ‑ nicht verlangt, sei dieser auch nicht zu entrichten, die Haftung sei aber dennoch für den angegebenen Wert gegeben. Auf Grund der erfolgten Wertdeklaration bestehe eine Haftung der Beklagten in Höhe von weiteren 353.735,33 EUR sA.

Die Beklagte hält dem entgegen, dass die Wertdeklaration einer Vereinbarung bedürfe, die nicht erfolgt sei. Die behauptete Wertdeklaration sei auch weder ausreichend deutlich noch bestimmt. Im Luftfrachtbrief sei kein Wert angegeben, zudem werde durch die Verwendung der Abkürzung „NVD“ (no value declared) ausdrücklich eine Wertdeklaration ausgeschlossen. Auch dem Transportauftrag fehle die nötige Bestimmtheit für eine Wertdeklaration, werde doch darin der Auftragswert nur mit „ca“ bezeichnet. Zudem befinde sich darunter in Klammer der Vermerk „Änderungen vorbehalten“. Art 22 Abs 3 MÜ setze die Zahlung eines Zuschlags für die Ausnahme von der Haftungsbeschränkung voraus.

Dazu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

3.1. Zur Interessen‑ oder Wertdeklaration gemäß Art 22 Abs 3 MÜ werden folgende Rechtsansichten vertreten:

Der EuGH (6. 5. 2010, C‑63/09, Axel Walz/Clickair SA, Rn 38) führt zur inhaltsähnlichen Regelung des Art 22 Abs 2 MÜ aus, dass der Reisende die Möglichkeit habe, bei der Übergabe des aufgegebenen Reisegepäcks an das Luftunternehmen das Interesse betragsmäßig anzugeben. Diese Möglichkeit bestätige, dass es sich ‑ sofern keine Angaben gemacht werden ‑ beim Haftungshöchstbetrag, den das Luftfahrtunternehmen für Schäden, die durch den Verlust von Reisegepäck eintreten, nach dieser Bestimmung zu zahlen habe, um einen absoluten Höchstbetrag handle, der sowohl den immateriellen als auch den materiellen Schaden abdecke. Aus diesem Urteil könnte implizit abgeleitet werden, dass der EuGH die Interessendeklaration nach Art 22 Abs 2 MÜ als einseitigen Akt des Reisenden ansieht.

Die österreichischen Gesetzesmaterialien zum MÜ (ErläutRV 13 BlgNR XXII. GP 8) halten fest, dass wie nach Art 22 Abs 2 MÜ auch nach Abs 3 leg cit höhere Haftungsgrenzen vereinbart werden können (durch Angabe eines höheren Interesses und Bezahlung des verlangten Zuschlags). Sie enthalten keine Aussagen zum Verhältnis dieser Bestimmung zur Vereinbarung eines höheren Haftungshöchstbetrags nach Art 25 MÜ.

Giemulla (in Giemulla/Schmid, MÜ, Art 22 MÜ Rn 60 ff) argumentiert, dass die grundsätzliche Haftungsbeschränkung bei der Beförderung von Gütern nicht gelte, wenn der Absender bei der Übergabe des Frachtstücks das Interesse an der Ablieferung am Bestimmungsort zum einen besonders deklariere, das heißt „betragsmäßig angegeben“ habe, und zum anderen den etwa verlangten Zuschlag entrichtet habe. Zwar werde weder in Art 22 Abs 2 oder 3 MÜ eine bestimmte Form für die Wertdeklaration gefordert, wegen der für das Gesamtsystem des MÜ so wichtigen Folge der Wertdeklaration werde man jedoch annehmen müssen, dass sie zweifelsfrei aus dem Frachtbrief zu entnehmen sein müsse, und zwar auch hinsichtlich ihres Bezugs zu der Erhöhung der Haftungsgrenzen. Für die Erhöhung der Haftungsgrenzen reiche nicht aus, wenn die Wertdeklaration mündlich erfolge oder zwar im Frachtbrief enthalten sei, aber an einer Stelle, an der sie der Luftfrachtführer nicht vermute. Wortlaut und Zweck der Regelung sprächen für die Schriftform der Wertdeklaration.

Ruhwedel (in Münchener Kommentar zum HGB² [2009], Art 22 MÜ Rn 8 ff) spricht sich ebenfalls für das Schriftlichkeitserfordernis aus. Die dem Luftfrachtführer gegenüber erklärte Wertdeklaration sei kein einseitiger Rechtsakt des Absenders, vielmehr handle es sich ‑ wie der vom Luftfrachtführer „verlangte Zuschlag“ deutlich mache ‑ um eine einvernehmliche, das heißt um eine vertragliche, Erhöhung der jeweiligen Mindesthaftungssummen. Das Verwenden der Klausel „NVD“ (no value declared) spreche für das Fehlen einer solchen Wertdeklaration.

Nach Pokrant (in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB² [2009] Art 22 MÜ Rn 12, Art 25 MÜ Rn 2) bedarf die Wertdeklaration der Schriftform. Für die Erforderlichkeit der Schriftform spreche der Zweck der Wertangabe, der darin bestehe, die Haftungsbeschränkung aufzuheben und dem Luftfrachtführer das erhöhte Risiko deutlich bewusst zu machen, sodass er zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen treffen und hiefür insbesondere ein Entgelt verlangen könne. Schließlich diene die Schriftform auch der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. Eine einseitige Wertdeklaration führe für sich allein noch nicht zur Erhöhung der Haftungshöchstbeträge. Dafür sei vielmehr erforderlich, dass der Luftfrachtführer den zu zahlenden Zuschlag annehme. Es sei deshalb auch denkbar, in der Angabe des Interesses ein Angebot zur Erhöhung der Haftungshöchstsumme zu erblicken, das der Luftfrachtführer ohne zusätzliche Vergütung oder gegen eine erst später fällig werdende Zusatzvergütung annehme.

Reuschle (Montrealer Übereinkommen, Art 22 Rn 20 ff) führt aus, aus einem Umkehrschluss zu Art 25 MÜ (Vereinbarung höherer Haftungshöchstbeträge) ergebe sich, dass es sich bei der Interessendeklaration um einen einseitigen Akt handle, der keiner vertraglichen Vereinbarung bedürfe. Auch könne diese formlos erfolgen, die Deklaration eines besonderen Interesses müsse aber eindeutig und bestimmt sein; sie müsse beziffert werden. Keine Interessendeklaration sei dagegen die bloße Wertangabe zum Beispiel für Gebührenberechnung, Steuern oder Zoll, die Angabe des Versicherungswerts im Luftfrachtbrief oder der unbezifferte Hinweis auf einen hohen Wert. Das Verwenden der Klausel „NVD“ (no value declared) spreche für das Fehlen einer Interessendeklaration.

Mühlbauer (in Geigel, Haftpflichtprozess26 [2011] Kap 29 Rn 76) führt aus, dass Art 22 Abs 3 MÜ lediglich die ‑ einseitige ‑ Interessenangabe und die Zuschlagsentrichtung voraussetze. Der Zuschlag müsse nur dann gezahlt werden, wenn er vereinbart sei; für eine Vereinbarung müsse der Luftfrachtführer im eigenen Interesse sorgen. Keine Wertdeklaration sei die bloße Wertangabe (zum Beispiel für Gebührenberechnung, Steuern, Zoll), die Angabe des Versicherungswerts im Luftfrachtbrief oder der unbezifferte Hinweis auf einen hohen Wert. Eine Wertdeklaration sei formlos möglich, sie müsse dem Luftfrachtführer nur „eindeutig mitgeteilt werden“.

Wojtek/Ettrich (in Hauschka, Corporate Compliance² [2010] § 44. Haftungsvermeidung im Transportgewerbe Rn 27) legen dar, dass dem Absender unbenommen bleibe, die Haftungsgrenze durch die betragsmäßige Angabe seines Interesses an der Luftfracht bei Übergabe der Ware an den Luftfrachtführer und durch die Entrichtung eines eventuell hiefür verlangten Entgeltzuschlags anzuheben. Daneben könne die „gesetzliche“ Haftungsbegrenzung auch durch eine Vereinbarung der Vertragsparteien vollständig oder teilweise abbedungen werden.

Koller (Transportrecht7 [2010] Art 22 MÜ Rn 1 iVm Art 22 WA 1955 Rn 4, Art 25 MÜ Rn 1) ist der Ansicht, wesentlich sei, dass für den Luftfrachtführer der Wille erkennbar werde, dass die Haftungshöchstsumme hinaufgesetzt werden solle. Es reiche insofern eine eindeutige Mitteilung, auch wenn diese nicht schriftlich erfolge. Werde ein Luftfrachtbrief verwendet, reiche eine Angabe in dem dafür vorgesehenen Feld ‑ nicht jedoch die Angabe des Zollwerts oder Versicherungswerts. Die Angabe des Interesses sei keineswegs ein einseitiger Akt, sondern wegen des Erfordernisses der Zahlung eines Zuschlags durchaus zweiseitiger Natur; denn die Zahlung müsse vom Luftfrachtführer angenommen werden.

Zum Warschauer Abkommen (WA) sprach die deutsche Rechtsprechung aus, dass die besondere Deklarierung im Sinn von Art 22 Abs 2 lit a WA der Schriftform bedürfe (OLG Köln 16. 2. 1990, 20 U 177/89 = NJW‑RR 1990, 527). Der Vermerk „Valuable cargo“ im Luftfrachtbrief stelle keine Wertdeklaration gemäß Art 22 Abs 2 WA dar, die dort gesondert hätte verzeichnet und abgerechnet werden müssen (OLG Frankfurt 15. 10. 1991, 5 U 196/90 = TranspR 1993, 61 [insofern zustimmend Müller‑Rostin]). Der Auftrag zum Abschluss einer Transportversicherung und die Angabe des Versicherungswerts auf dem Luftfrachtbrief seien von der Wertdeklaration im Sinn des Art 22 Abs 2 lit a WA zu unterscheiden (OLG Frankfurt 16. 4. 1996, 5 U 219/94 = TranspR 1998, 123). Zu Art 22 Abs 3 MÜ führte das LG Karlsruhe (30. 12. 2009, 15 O 70/09 KFH IV = NZV 2010, 522) in einem Fall, in dem im internationalen Frachtbrief ein höherer Zollwert/Warenwert und ein bedeutend niedriger Versicherungswert eingetragen waren, aus, die Mitteilung des Zollwerts stelle jedenfalls dann keine Angabe eines höheren Interesses dar, wenn zugleich ein niedriger Versicherungswert angegeben worden sei. Mit den divergierenden Werten stelle der Versender klar, dass er entsprechend den Zollbestimmungen den realen Wert der Ware angebe, andererseits aber gerade keine höhere Haftung mit dem Frachtführer vereinbaren wolle.

3.2. Zur hier strittigen Interessen- oder Wertdeklaration nach Art 22 Abs 3 MÜ ist zunächst festzuhalten, dass dem von der Beklagten (vertragliche Luftfrachtführerin gemäß Art 39 MÜ) anlässlich des Transports durch den ausführenden Luftfrachtführer ausgestellten Luftfrachtbrief, der keinen Wert der Sendung, sondern die Klausel „NVD“ („no value declared“) enthält, nicht die vom Berufungsgericht unterstellte Bedeutung zukommt. Nach Art 7 Abs 4 MÜ wird zwar bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass der Luftfrachtführer im Namen des Absenders gehandelt hat, wenn der Luftfrachtbrief auf Verlangen des Absenders vom Luftfrachtführer ausgestellt wird. Diese widerlegbare Vermutung setzt aber den Nachweis des Luftfrachtführers voraus, dass der Absender eine Ausfüllung des Luftfrachtbriefs durch den Luftfrachtführer verlangte (Koller aaO Art 7 MÜ Rn 6). Dies hat die dafür beweispflichtige Beklagte nicht nachgewiesen, steht doch nicht fest, dass sie den Luftfrachtbrief auf Verlangen von B***** (Absender) ausstellte. Damit besteht von vornherein nicht die (widerlegbare) Rechtsvermutung nach Art 7 Abs 4 MÜ, dass die Beklagte im Namen von B***** handelte und dieser die Klausel „NVD“ zuzurechnen wäre.

Nach Art 11 Abs 1 MÜ begründen der Luftfrachtbrief und die Empfangsbestätigung über die Güter die widerlegbare Vermutung für den Abschluss des Vertrags, die Annahme der Güter und die Beförderungsbedingungen, die darin niedergelegt sind.

Ob die Interessendeklaration im Luftfrachtbrief überhaupt von der widerlegbaren Vermutung des Art 11 Abs 1 MÜ (als Beförderungsbedingung, die darin niedergelegt ist) umfasst ist, kann hier dahingestellt bleiben, weil der Klägerin der Beweis gelang, dass ‑ abweichend von der Klausel „NVD“ im Luftfrachtbrief ‑ B***** der Beklagten im Transportauftrag einen bestimmten Auftragswert bekannt gab und diese den Transport ohne dagegen erhobenen Widerspruch durchführte.

Dem Transportauftrag lag ein Auftragswert von „ca 355.784 EUR“ zugrunde. Das Argument des Berufungsgerichts, dass auch deshalb keine Wertdeklaration vorliege, weil im Luftfrachtbrief nicht nur kein Wert der Sendung, sondern die Klausel „NVD“ aufscheine, ist daher nicht zutreffend.

Der Luftbeförderungsvertrag ist ein formfreier Konsensualvertrag, der auch ohne Ausstellung eines Luftfrachtbriefs oder einer Empfangsbestätigung im Sinn des Art 4 Abs 2 MÜ ebenso wie bei unvollständiger Ausstellung dieser Dokumente zustande kommt, wenn sich die Parteien ‑ wie hier ‑ auf den wesentlichen Vertragsinhalt einigen (Art 9 MÜ; Schütz in Straube aaO MÜ Art 4 Rz 2 mwN; Pokrant aaO Art 9 MÜ Rn 2; Müller‑Rostin in Giemulla/Schmid, MÜ, Art 9 MÜ Rn 2; Ruhwedel aaO Art 4 MÜ Rn 24; Art 11 MÜ berührt den Charakter des Luftbeförderungsvertrags als Konsensualvertrag nicht: Reuschle aaO Art 11 Rn 1). Damit kann auch nicht der Annahme Giemullas (aaO Art 22 MÜ Rn 62) gefolgt werden, dass die Wertdeklaration zweifelsfrei aus dem Luftfrachtbrief zu entnehmen sein muss.

Nach den Feststellungen stellte die Beklagte B***** nach dem Schadensfall für die Leistung „Luftfracht“ nach Litauen insgesamt 605,64 EUR in Rechnung und verrechnete ihr damit das Entgelt für den gesamten Transportweg. Von keiner der Parteien wurde behauptet, dass die Beklagte einen Zuschlag verlangte und dass B***** einen solchen entrichtete. Die Erhöhung der grundsätzlichen Haftungsbegrenzung bei Interessendeklaration erfordert nicht zwingend einen Zuschlag. Dieser ist nämlich zunächst vom Luftfrachtführer zu verlangen (englische Sprachfassung: „supplementary sum if the case so requires“). Eine Interessendeklaration ist daher auch dann wirksam, wenn der Luftfrachtführer keinen Zuschlag verlangt (Reuschle aaO Art 22 Rn 25; Pokrant aaO Art 22 MÜ Rn 13).

B***** hat der Beklagten den Transportauftrag schriftlich erteilt. Die unterschiedlich beantwortete Frage, ob die Interessendeklaration auch formlos möglich ist, braucht daher hier nicht geklärt zu werden.

Die Wert‑ oder Interessendeklaration gemäß Art 22 Abs 3 MÜ ist zunächst ein einseitiger Akt des Absenders bei Übergabe des Frachtguts an den Luftfrachtführer (vgl Koller aaO Art 22 MÜ Rn 1 iVm Art 22 WA 1955 Rn 4; Reuschle aaO Art 22 Rn 20; Mühlbauer aaO Kap 29 Rn 76; Giemulla aaO Art 25 MÜ Rn 10). Die Übergabe des Frachtguts erfolgte am 27. 1. 2009, am selben Tag wurde der Beklagten der Transportauftrag erteilt. B***** gab im Transportauftrag an die Beklagte einen Auftragswert von „ca 355.784 EUR“ an. Nimmt die Beklagte den Transportauftrag ‑ wie hier ‑ auf der Grundlage dieses Auftragswerts an, wird damit konkludent das betragsmäßige Interesse des Absenders an der Ablieferung am Bestimmungsort Grundlage des Luftbeförderungsvertrags und ist damit vereinbart (siehe Koller aaO Art 25 MÜ Rn 1 und Pokrant aaO Art 25 MÜ Rn 2, die es für denkbar halten, in der Angabe des Interesses ein Angebot zur Erhöhung der Haftungshöchstsumme zu erblicken, das der Luftfrachtführer ohne zusätzliche Vergütung oder eine später fällig werdende Vergütung annimmt). Damit führte die Durchführung des Transportauftrags durch die Beklagte, die den Transportauftrag mit dem bekannt gegebenen Auftragswert annahm, zur schlüssigen Vereinbarung der Wert‑ oder Interessendeklaration gemäß Art 22 Abs 3 MÜ.

Zutreffend hat das Berufungsgericht noch ausgeführt, dass die Deklaration eindeutig und ziffernmäßig bestimmt sein muss, um den Luftfrachtführer auf das erhöhte Haftungsrisiko aufmerksam zu machen (vgl Reuschle aaO Art 22 Rn 24; Giemulla aaO Art 22 MÜ Rn 60; Mühlbauer aaO Kap 29 Rn 76; Wojtek/Ettrich aaO § 44. Haftungsvermeidung im Transportgewerbe Rn 28; Koller aaO Art 22 MÜ Rn 1 iVm Art 22 WA 1955 Rn 4). Die englische Sprachfassung von Art 22 Abs 3 zweiter Halbsatz MÜ verlangt vom Absender „a special declaration of interest in delivery at destination“. Der Zweck, dass der Absender schon bei oder vor der Übergabe der Ware zum Transport deren Wert gegenüber dem Luftfrachtführer eindeutig mitteilen muss, besteht darin, diesem das erhöhte Risiko der Aufhebung der Haftungsbeschränkung deutlich bewusst zu machen, sodass er in Kenntnis des Warenwerts frei entscheiden kann, ob und gegebenenfalls unter welchen zusätzlichen Sicherungsvorkehrungen und für welches Entgelt er das wertvolle Frachtgut befördern will. Ob eine solche bestimmte und eindeutige Wertdeklaration vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls.

Entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts ist die Anführung eines „cirka“‑Auftragswerts mit exakter Angabe des Betrags auch unter Vorbehalt von Änderungen geeignet, der Beklagten einen ausreichend deutlichen Hinweis zu geben, dass B***** als Absender einen Wegfall der Haftungsgrenze unter Angabe eines konkreten Interesses wünscht. Dem Zweck der Wertangabe, der darin besteht, die Haftungsbeschränkung aufzuheben und dem Luftfrachtführer das erhöhte Risiko deutlich bewusst zu machen, wird in der hier vorliegenden Sachverhaltskonstellation ein „ca“‑Wert auch mit der Beifügung „Änderungen vorbehalten“ durchaus gerecht. Auch die dem Transportauftrag angeschlossene Rechnung an den litauischen Empfänger über einen Kaufpreis der zu transportierenden Arzneimittel von insgesamt 355.784 EUR gibt gegenüber der Beklagten das betragsmäßige Interesse des Absenders an der Ablieferung am Bestimmungsort an. Die Beklagte musste die Angabe des Auftragswerts, der auf einen Euro genau angeführt war, ungeachtet der Beifügung „ca“ im Transportauftrag als Wertdeklaration im Sinn des Art 22 Abs 3 MÜ auffassen und ihr musste daher auch die Erhöhung der Haftungsgrenze bewusst gewesen sein.

Damit hat die Beklagte als vertragliche Luftfrachtführerin gemäß Art 22 Abs 3 zweiter Satz MÜ bis zur Höhe des von B***** angegebenen Betrags von 355.784 EUR Ersatz zu leisten.

4. Zur Höhe des Schadenersatzes enthält die Revisionsbeantwortung der Beklagten keine Ausführungen. Zu Recht greift sie den noch im Berufungsverfahren erhobenen Mitverschuldenseinwand nicht mehr auf. Da nicht feststeht, dass die entsprechende Kennzeichnung auf der Verpackung fehlte, wie behauptet wurde, scheidet ein Mitverschulden von B***** nach Art 20 MÜ aus. Der Beklagten ist der nach dieser Bestimmung erforderliche Nachweis, dass B***** „den Schaden durch eine unrechtmäßige Handlung oder Unterlassung, sei es auch nur fahrlässig, verursacht oder dazu beigetragen hat“, nicht gelungen. Der Klägerin steht daher der Ersatz des tatsächlich eingetretenen Schadens in der Höhe des von ihr an B***** bezahlten Warenwerts von 355.784 EUR zu.

5. Aus den dargelegten Gründen ist der Revision der Klägerin Folge zu geben und das Urteil des Erstgerichts hinsichtlich des im Revisionsverfahren noch strittigen Klagsbetrags von 353.735,33 EUR sA wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich im Rechtsmittelverfahren auf die §§ 50, 41 ZPO.

Im Hinblick auf die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils in der Hauptsache ist vom Revisionsgericht über den Kostenrekurs der Klägerin zu entscheiden (RIS-Justiz RS0036069 [T1]). Dieser ist nicht berechtigt: Zwar erhob die Beklagte gemäß § 54 Abs 1a ZPO keine begründeten Einwendungen, jedoch ist nach der Aufhebung des Worts „ungeprüft“ in § 54 Abs 1a dritter Satz ZPO idF BGBl I 2010/111 durch den VfGH (G 84/11 ua = VfSlg 19.526; zuvor bereits G 280/09 = VfSlg 19.249) klargestellt, dass das Gericht Schreib‑ oder Rechenfehler oder andere offenbare Unrichtigkeiten korrigieren kann. Sachverständigengebühren sind im erstinstanzlichen Verfahren nicht angefallen. Die Klägerin vermag solche Sachverständigengebühren weder zu begründen noch zu belegen. Die der Klägerin vom Erstgericht nicht zugesprochene Umsatzsteuer ist ‑ ebenso wie in ihren Schriftsätzen im Berufungs‑ und Revisionsverfahren ‑ nicht zuzuerkennen, weil Leistungen österreichischer Rechtsanwälte für ausländische Unternehmer nicht der österreichischen Umsatzsteuer unterliegen. Verzeichnet der österreichische Anwalt im Prozess ‑ kommentarlos ‑ 20 % USt, so wird im Zweifel nur die österreichische Umsatzsteuer angesprochen (RIS‑Justiz RS0114955). Infolge Unterliegens mit dem Kostenrekurs hat die Klägerin der Beklagten die tarifmäßigen Kosten der Rekursbeantwortung gemäß TP 3A I Z 5 lit b iVm § 11 RATG zu ersetzen.

Der Klägerin stehen im Revisionsverfahren überdies nur die tarifmäßigen Kosten auf Basis des Revisionsstreitwerts zu.

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