OGH 10ObS110/12t

OGH10ObS110/12t10.9.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Kainz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Johann Sommer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. K*****, vertreten durch Dr. Edeltraud Fichtenbauer, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Wiener Gebietskrankenkasse, 1100 Wien, Wienerbergstraße 15-19, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen Kinderbetreuungsgeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. März 2012, GZ 7 Rs 23/12x-14, womit das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 6. Oktober 2011, GZ 27 Cgs 149/11i-11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die Klägerin war seit 2007 bei einer Aktiengesellschaft beschäftigt. Am 27. 8. 2010 bescheinigte die Bezirkshauptmannschaft M*****, dass bei Fortdauer der Beschäftigung Leben und Gesundheit der Klägerin und ihres Kindes gefährdet würden und daher ein individuelles Beschäftigungsverbot gemäß § 3 Abs 3 MSchG bestehe. Von diesem Zeitpunkt an bezog die Klägerin Wochengeld bis 3. 6. 2011.

Mit Beschluss des Handelsgerichts Wien zu 5 S 154/10x wurde jener Unternehmensteil, in dem die Klägerin tätig war, geschlossen. Der Insolvenzverwalter kündigte mit Schreiben vom 22. 11. 2010 das Dienstverhältnis der Klägerin unter Einhaltung der sechswöchigen Kündigungsfrist zum 3. 1. 2011 auf.

Am 11. 3. 2011 gebar die Klägerin ihren Sohn Z*****.

Sie begehrt die Zuerkennung von Kinderbetreuungsgeld gemäß § 24 KBGG als Ersatz des Erwerbseinkommens ab 4. 6. 2011 bis 10. 3. 2012.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und wies das Klagebegehren ab.

Die dagegen erhobene Revision der Klägerin ist entgegen dem nach § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

1. Für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO vorliegen, ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs maßgebend (RIS-Justiz RS0112921; RS0112769). Dieser hat aber zwischenzeitig in der Entscheidung 10 ObS 170/11i vom 13. 3. 2012 (die im Rechtsinformationssystem RIS-Justiz am 5. 4. 2012 - somit erst nach Ergehen des Berufungsurteils - veröffentlicht wurde) zu der auch im vorliegenden Verfahren entscheidungswesentlichen Rechtsfrage Stellung genommen:

2.1. Der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens („einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld“) setzt ua voraus, dass der anspruchserhebende Elternteil „in den letzten sechs Kalendermonaten unmittelbar vor der Geburt des Kindes, für das Kinderbetreuungsgeld bezogen werden soll, durchgehend erwerbstätig gemäß Abs 2 war, wobei Unterbrechungen von insgesamt nicht mehr als 14 Kalendertagen nicht anspruchsschädigend wirken“ (§ 24 Abs 1 Z 2 KBGG). Gemäß § 24 Abs 2 KBGG ist unter „Erwerbstätigkeit“ die tatsächliche Ausübung einer in Österreich sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit zu verstehen. Dieser sind ua Zeiten der vorübergehenden Unterbrechung während eines Beschäftigungsverbots nach dem Mutterschutzgesetz 1979 gleichgestellt (§ 24 Abs 2 Satz 2 KBGG).

2.2. In der Entscheidung 10 ObS 170/11i wurde ausgeführt, dass § 24 Abs 2 Satz 2 KBGG seinem Wortlaut nach so auszulegen ist, dass während der Zeiten eines Beschäftigungsverbots eine sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit, zum Beispiel ein sozialversicherungspflichtiges Dienstverhältnis, bestehen muss, da nur eine bestehende Erwerbstätigkeit (zB ein Dienstverhältnis) vorübergehend unterbrochen werden kann. Ist die Erwerbstätigkeit beendet - etwa das Dienstverhältnis aufgelöst oder das Gewerbe abgemeldet -, kann keinesfalls mehr von der tatsächlichen Ausübung einer Erwerbstätigkeit ausgegangen werden. Von einer durchgehenden Erwerbstätigkeit kann auch dann nicht die Rede sein, wenn zwar ein individuelles Beschäftigungsverbot der Schwangeren noch zur Zeit eines aufrechten Dienstverhältnisses beginnt, dieses aber bereits vor der Geburt endet, weil dann keine bloß vorübergehende Unterbrechung der Erwerbstätigkeit gegeben ist (RIS-Justiz RS0127745).

Diese Ausführungen treffen auch auf den vorliegenden Fall uneingeschränkt zu.

Die Ansicht des Berufungsgerichts, der Klage auf einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld sei der Erfolg zu versagen, steht mit dieser Rechtsprechung in Einklang.

2. Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 10 ObS 170/11i auch zur Verfassungsgemäßheit des § 24 KBGG Stellung genommen. Die Anspruchsvoraussetzung, dass der Elternteil, der das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld beziehen will, in den letzten sechs Monaten vor der Geburt einer in Österreich sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nachgegangen sein muss, wurde als sachlich begründet erachtet, weil das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld den Zweck hat, als (teilweiser) Ersatz für den Entfall des früheren Einkommens jenen Elternteilen, die vor der Geburt über ein relativ hohes Einkommen verfügt haben, die Möglichkeit zu geben, trotz kurzzeitigem Rückzug aus dem Erwerbsleben den bisherigen Lebensstandard zu halten (RIS-Justiz RS0127744). Es ist dem Gesetzgeber unbenommen, neben dem pauschalen Kinderbetreuungsgeld auch ein einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld zu schaffen und dabei die einkommensabhängige Variante an das Vorliegen einer aufrechten Erwerbstätigkeit zu knüpfen. Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz ist nicht erkennbar, verbietet dieser dem Gesetzgeber doch nur, Gleiches ungleich zu behandeln. Es ist dem Gesetzgeber aber nicht verwehrt, sachlich gerechtfertigte Differenzierungen vorzunehmen (RIS-Justiz RS0109606).

Da bereits eine ausführlich begründete Entscheidung für das Vorliegen gesicherter Rechtsprechung ausreicht (RIS-Justiz RS0103384 [T5]), ist die von der Klägerin entsprechend dem Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts aufgeworfene Frage nicht erheblich im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO und das Rechtsmittel daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung hinsichtlich der Kosten der Revision beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Berücksichtigungswürdige Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin, die einen ausnahmsweisen Kostenzuspruch nach Billigkeit rechtfertigen können, wurden nicht vorgebracht und sind aus der Aktenlage nicht ersichtlich.

Ein Kostenersatzanspruch der beklagten Partei ist ausgeschlossen, weil der Versicherungsträger (abgesehen vom hier nicht in Betracht kommenden Fall des § 77 Abs 3 ASGG) seine Kosten des Verfahrens jedenfalls selbst zu tragen hat (§ 77 Abs 1 Z 1 ASGG).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte