OGH 12Os38/12y

OGH12Os38/12y28.8.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. August 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel‑Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Lindenbauer als Schriftführer in der Strafsache gegen Thomas G*****, einen anderen Angeklagten und einen belangten Verband wegen des Vergehens nach § 11 Abs 1 und Abs 2 UWG, AZ 222 U 191/10b des Bezirksgerichts Graz‑Ost, über die von der Generalprokuratur gegen die Beschlüsse dieses Gerichts vom 25. März 2011 (ON 7) und des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 23. August 2011, AZ 1 Bl 67/11y (ON 10), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Höpler, des Vertreters der Privatanklägerinnen A***** GmbH und Au*****‑AG Univ.‑Prof. Dr. Lewisch, des Angeklagten Ing. Thomas G***** und seines Verteidigers Dr. Bartl sowie des Angeklagten DDI Dieter D***** und seines Verteidigers Dr. Ruhri zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Verfahren AZ 222 U 191/10b des Bezirksgerichts Graz‑Ost verletzen die Beschlüsse dieses Gerichts vom 25. März 2011 (ON 7) und des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 23. August 2011, AZ 1 Bl 67/11y (ON 10), in der Begründung, wonach der Tatbestand des § 11 UWG ein Wettbewerbsverhältnis zwischen den Beteiligten voraussetzt und die der Privatanklage zugrunde liegenden Taten sohin schon mangels Erfüllung des Tatbestandsmerkmals „zu Zwecken des Wettbewerbs“ nicht nach § 11 UWG strafbar sind, das Gesetz in § 11 Abs 1 und Abs 2 UWG.

Text

Gründe:

Die Privatanklägerinnen A***** GmbH und Au*****‑AG brachten beim Bezirksgericht Graz‑Ost zu AZ 222 U 191/10b am 9. Dezember 2010 gegen Ing. Thomas G***** wegen § 11 Abs 1 UWG, DDI Dieter D***** wegen §§ 12 dritte Alternative StGB, 11 Abs 1 UWG und § 11 Abs 2 UWG und die „B***** GmbH“ wegen §§ 12 dritte Alternative StGB, 11 Abs 1 UWG und § 11 Abs 2 UWG iVm § 3 VbVG Privatanklage ein.

Das Bezirksgericht Graz‑Ost stellte das Strafverfahren wegen der Vorwürfe, es hätten

A./ Ing. Thomas G***** dadurch, dass er als Angestellter der A***** GmbH am 10. Dezember 2009 in einem von seinem Dienst‑Account an seinem Arbeitsplatz (*****) versendeten E‑Mail mehrere für seinen Arbeitgeber für das Hearing im Vergabeverfahren „S ***** Schnellstraße, Abschnitt *****, örtliche Bauaufsicht ‑ Freiland“ vorbereitete vertrauliche Fragen und Musterantworten sowie in diesem Zusammenhang auch weitere vertrauliche Informationen der A***** GmbH an DDI Dieter D*****, den Geschäftsführer der „B***** GmbH“, die in einer Bietergemeinschaft am genannten Vergabeverfahren teilnahm, übermittelt und dieser dadurch im Vergabeverfahren im Verhältnis zu ihren Mitbewerbern einen Vorteil verschafft, während der Geltungsdauer seines Dienstverhältnisses Geschäftsgeheimnisse, welche ihm vermöge seines Dienstverhältnisses anvertraut worden sind, unbefugt anderen zu Zwecken des Wettbewerbs mitgeteilt;

B./I./ DDI Dieter D***** dadurch, dass er den Erstangeklagten Ing. G***** am 10. Dezember 2009 dazu ermutigte und mit ihm vorbesprach, während der Geltungsdauer seines Dienstverhältnisses unbefugt mehrere für seinen Arbeitgeber für das Hearing im Vergabeverfahren „S ***** Schnellstraße, Abschnitt *****, örtliche Bauaufsicht ‑ Freiland“ vorbereitete vertrauliche Fragen und Musterantworten sowie in diesem Zusammenhang auch weitere vertrauliche Informationen der A***** GmbH an ihn zu übermitteln und so der im Rahmen einer Bietergemeinschaft am genannten Vergabeverfahren teilnehmenden „B***** GmbH“ im Vergabeverfahren einen Vorteil gegenüber ihren Mitbewerbern zu verschaffen, einen Beitrag dazu geleistet, dass Ing. G***** Geschäftsgeheimnisse, welche ihm vermöge seines Dienstverhältnisses anvertraut worden sind, unbefugt anderen zu Zwecken des Wettbewerbs mitgeteilt hat;

B./II./ der Zweitangeklagte DDI Dieter D***** dadurch, dass er die von Ing. G*****, einem Mitarbeiter der A***** GmbH, während der Geltungsdauer von dessen Dienstverhältnis unbefugt erlangten vertraulichen Informationen (insbesondere Fragen und Musterantworten für das Hearing im Vergabeverfahren „S ***** Schnellstraße, Abschnitt *****, örtliche Bauaufsicht ‑ Freiland“) durch Ergänzung der Musterantworten und deren Rückübersendung an Ing. G***** am 10. Dezember 2009 zur Verwendung im Hearing im Vergabeverfahren sowie zwischen 10. und 15. Dezember 2009 für die Vorbereitung für das Hearing genutzt und auch an Mitarbeiter der „B***** GmbH“ weitergegeben, um der im Rahmen einer Bietergemeinschaft am genannten Vergabeverfahren teilnehmenden „B***** GmbH“ im Vergabeverfahren einen Vorteil gegenüber ihren Mitbewerbern zu verschaffen, unbefugt mitgeteilte Geschäftsgeheimnisse der A***** GmbH zu Zwecken des Wettbewerbs unbefugt verwertet und anderen mitgeteilt;

C./ die „B***** GmbH“ dadurch, dass ihr Geschäftsführer DDI Dieter D***** die unter Punkt B./I./ und II./ angeführten Straftaten zu ihren Gunsten begangen habe, als verantwortlicher Verband das [richtig: die] Vergehen gemäß § 12 dritte Alternative StGB iVm § 11 Abs 1 UWG und nach § 11 Abs 2 UWG, jeweils iVm § 3 VbVG, zu verantworten,

mit Beschluss vom 25. März 2011, GZ 222 U 191/10b‑7, gemäß § 451 Abs 2 StPO ein.

Das Landesgericht Graz als Beschwerdegericht gab der von den Privatanklägerinnen erhobenen Beschwerde (ON 8) mit Beschluss vom 23. August 2011, AZ 1 Bl 67/11y (ON 10), nicht Folge.

Zum Sachverhalt führten die Gerichte unter Bezugnahme auf das Vorbringen der Privatanklägerinnen ‑ kurz zusammengefasst ‑ aus:

Für den Neubau einer Schnellstraße habe die A***** GmbH als vergebende Stelle im Namen und Auftrag der Au*****‑AG ein Vergabeverfahren durchgeführt, in dem sich die Bieter einem mündlichen Hearing zu stellen hatten. Für dieses sei ein streng vertraulicher Fragenkatalog samt „Musterlösungen“ erarbeitet worden. Der Erstangeklagte Ing. Thomas G***** habe am 10. Dezember 2009 unter Bruch seiner Geheimhaltungsverpflichtung den Fragenkatalog samt Musterlösungen zur Durchsicht und Rückmeldung an den Zweitangeklagten DDI Dieter D*****, Geschäftsführer des im Rahmen einer Bietergemeinschaft am Vergabeverfahren teilnehmenden belangten Verbands, übermittelt. Der von DDI Dieter D***** überarbeitete und an Ing. Thomas G***** rückgemittelte Fragen‑ und Musterantwortenkatalog sei beim Hearing tatsächlich zum Einsatz gekommen. Die Erst‑ und Zweitangeklagten hätten dem belangten Verband gegenüber den übrigen Bietern im Vergabeverfahren einen Vorteil verschaffen wollen. Die Erstprivatanklägerin sei Trägerin des Geheimnisses gewesen, das auch die Zweitprivatanklägerin betroffen habe, sodass sie Verletzte des Geheimnisbruchs seien.

Die Verfahrenseinstellung gemäß § 451 Abs 2 StPO begründete das Bezirksgericht Graz‑Ost unter Bezugnahme auf Judikatur zu § 1 UWG aF mit dem Fehlen des für § 11 UWG essentiellen Tatbestandsmerkmals des Handelns „zu Zwecken des Wettbewerbs“ mangels vorliegenden und denkbaren Wettbewerbsverhältnisses zwischen den Privatanklägerinnen und dem Zweitangeklagten sowie dem belangten Verband (ON 7, S 13 f).

Das Landesgericht für Strafsachen Graz teilte in der Beschwerdeentscheidung die Rechtsansicht des Erstgerichts und ergänzte, dass die Handlungen des Erstangeklagten Ing. Thomas G***** für die Wettbewerbsfähigkeit der Verletzten (Privatankläger) keinerlei Bedeutung hätten (ON 10, S 6 f).

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, stehen in der Strafsache des Bezirksgerichts Graz‑Ost, AZ 222 U 191/10b, die Beschlüsse dieses Gerichts vom 25. März 2011 (ON 7) und des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 23. August 2011, AZ 1 Bl 67/11y (ON 10), in der Begründung, wonach der Tatbestand des § 11 UWG ein Wettbewerbsverhältnis zwischen den Privatanklägerinnen und dem Zweitangeklagten sowie dem belangten Verband (Beteiligten) voraussetze und die der Privatanklage zugrunde liegenden Taten sohin schon mangels Erfüllung des Tatbestandsmerkmals „zu Zwecken des Wettbewerbs“ nicht nach § 11 UWG strafbar seien, mit dem Gesetz nicht in Einklang:

Täter nach § 11 UWG ist, wer als Bediensteter eines Unternehmens Geschäfts‑ oder Betriebsgeheimnisse, die ihm vermöge des Dienstverhältnisses anvertraut oder sonst zugänglich geworden sind, während der Geltungsdauer des Dienstverhältnisses unbefugt anderen zu Zwecken des Wettbewerbs mitteilt (Abs 1), sowie derjenige, der Geschäfts‑ oder Betriebsgeheimnisse, deren Kenntnis er durch eine der im Abs 1 leg cit bezeichneten Mitteilungen oder durch eine gegen das Gesetz oder die guten Sitten verstoßende eigene Handlung erlangt hat, zu Zwecken des Wettbewerbs unbefugt verwertet oder an andere mitteilt (Abs 2). Zur Privatanklage legitimiert ist der Verletzte (Abs 3).

Das von § 11 UWG vorausgesetzte „Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs“ lässt nach langjähriger Judikatur und Lehre genügen, dass der Störer (Täter) mit der Intention handelt, nicht eigenen, sondern fremden Wettbewerb zu fördern (RIS‑Justiz RS0077773, RS0077738, ebenso jetzt 4 Ob 10/09p zum UWG idF der UWGNov 2007, BGBl I 2007/79; Koppensteiner, Österreichisches und Europäisches Wettbewerbsrecht³ § 23 RN 15; Heidinger in Wiebe/G. Kodek, Kommentar zum UWG § 1 Rz 110; Enzinger, Lauterkeitsrecht [2012] RN 111, 114 ff, 376; Duursma in M. Gumpoldsberger/Baumann, UWG § 11 Rz 10).

Dies entspricht bereits der Intention des historischen Gesetzgebers, wonach die Absicht des Täters nicht zwingend auf die Schädigung des Wettbewerbs des Dienstgebers gerichtet sein musste, wenn doch der Wettbewerb eines anderen gefördert oder dem Dienstgeber Schaden zugefügt werden sollte (JAB 913 BlgNR 1. GP 5 f).

Der Tatbestand des § 11 UWG hat ‑ was die Verteidiger in ihren Äußerungen zur Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes verkennen ‑ vielmehr auch typische Fälle der Förderung fremden Wettbewerbs im Blick. Schon nach seinem Wortlaut genügt es, dass die Geheimnisse anderen Personen zu Zwecken des Wettbewerbs - und nicht bloß an Mitbewerber ‑ mitgeteilt werden (Mahdi, Die Wettbewerbshandlung im UWG, 166).

Zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals des „Handelns zu Zwecken des Wettbewerbs“ ist aber auch der schon seit Jahrzehnten vollzogene Funktionswandel im Lauterkeitsrecht zu berücksichtigen, wonach nunmehr Schutzsubjekte nicht ausschließlich die Interessen der Mitbewerber (so der historische Gesetzgeber; vgl ErläutRV 464 BlgNR 1. GP 1 und 4 f), sondern auch jene der Verbraucher und der Allgemeinheit sind („Schutzzwecktrias“). Schutzobjekt ist der lautere, unverfälschte Leistungswettbewerb (Heidinger in Wiebe/G. Kodek, Kommentar zum UWG § 1 Rz 5 f; Mahdi, WBl 1995, 48 f; vgl auch Duursma in M. Gumpoldsberger/Baumann, UWG § 11 Rz 1 und ErläutRV 243 BlgNR 12. GP 2).

Bei einem Vergabeverfahren, in welchem der Täter auf die Wettbewerbssituation eines im Wettbewerbsverhältnis stehenden Mitbieters durch die Verschaffung eines Informationsvorteils Einfluss nimmt, wird die Marktsituation (zumindest) potentiell beeinflusst und damit in den objektiven Leistungswettbewerb eingegriffen (vgl Enzinger aaO RN 377). An einem unbeeinflussten Konkurrenzverhältnis zwischen den Bietern ist aber sowohl die Marktgegenseite (der Konsument bzw ‑ hier ‑ die vergebende Stelle) zur Erlangung bestmöglicher und vergleichbarer Angebote, aufgrund derer sie wirtschaftlich optimale Entscheidungen treffen kann, als auch ein Mitbieter im Interesse seiner Konkurrenzfähigkeit und demzufolge die Allgemeinheit zur Erhaltung eines funktionierenden Markts angewiesen.

Da für ein Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs iSd § 11 UWG die Förderung der Wettbewerbsposition eines von mehreren Mitbietern in einem Vergabeverfahren genügt, war die Verneinung des Handelns zu Zwecken des Wettbewerbs verfehlt.

Die Gesetzesverletzung hat sich zum Vorteil der Angeklagten und des belangten Verbands ausgewirkt, sodass es mit ihrer Feststellung sein Bewenden hatte.

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