OGH 11Os88/12v

OGH11Os88/12v21.8.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. August 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Temper als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Murat G***** und Alfred Go***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, Abs 3, 148 zweiter Fall und 15 StGB, AZ 061 Hv 60/10d des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 22. Februar 2011, ON 166 der Hv-Akten erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Staatsanwalt Dr. Haslwanter und des Verteidigers Dr. Mirecki zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 22. Februar 2011, GZ 061 Hv 60/10d-166, verletzt das Gesetz

1./ durch Unterlassung von Feststellungen über einen bei Murat G***** und Alfred Go***** eingetretenen (unrechtmäßigen) Vermögensvorteil und über dessen Höhe in § 20 Abs 1 (Z 1) StGB idF BGBl I 134/2002;

2./ durch die Verurteilung von Murat G***** und Alfred Go***** zur Bezahlung des Abschöpfungsbetrags „zur ungeteilten Hand“ in § 20 Abs 6 erster Satz StGB idF BGBl I 134/2002.

Dieses Urteil wird aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Alfred Go***** wird mit seinen Rechtsmitteln gegen das genannte Urteil auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Im Verfahren AZ 061 Hv 60/10d des Landesgerichts für Strafsachen Wien wurden Murat G***** und Alfred Go***** rechtskräftig mit - jeweils gekürzt ausgefertigten und einen Teilfreispruch enthaltenden - Urteilen eines Schöffengerichts vom 31. August 2010 (Murat G*****; ON 145) bzw vom 22. Oktober 2010 (Alfred Go*****; ON 153) des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3, 148 zweiter Fall und 15 StGB (G*****) bzw nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, 148 zweiter Fall und 15 StGB (Go*****; siehe indes ON 153 S 3: „in einem 50.000 Euro übersteigenden Betrag“) schuldig erkannt.

Danach haben sie in der Zeit zwischen 28. Juli und 19. November 2009 in Wien im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) - Letzteres mit Ausnahme der Urteilsfakten I./50./, erster Teil, und II./2./ in ON 145 (S 37 und 43), die nur G***** betreffen, sowie des Urteilsfaktums I./62./b./ in ON 153 (S 49), das nur Go***** verwirklichte - mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz in 115 (G*****) bzw 114 (Go*****) Angriffen gewerbsmäßig Verfügungsberechtigte der im jeweiligen Urteilstenor näher bezeichneten Versicherungsunternehmen und Hausverwaltungen durch Täuschung über Tatsachen, nämlich durch die falsche Behauptung, Installationsarbeiten bei Noteinsätzen an den in den Urteilssprüchen genannten Adressen erbracht zu haben, zur Überweisung von insgesamt rund 90.000 Euro (Go*****) bzw 91.000 Euro (G*****) auf ein Konto der B***** GmbH bei der BAWAG-PSK, sohin zu Handlungen verleitet (I./) bzw zu verleiten versucht (II./), die diese Versicherungsunternehmen, Hausverwaltungen oder Wohnungseigentümergemeinschaften in einem 50.000 Euro übersteigenden Betrag am Vermögen schädigten, indem sie zur Täuschung falsche Beweismittel, nämlich fingierte Rechnungen der B***** GmbH über angebliche Noteinsätze, die tatsächlich nie stattgefunden hatten, benützten, wobei Alfred Go***** als faktischer Geschäftsführer der B***** GmbH den Namen und das Konto des Unternehmens zur Verfügung stellte und Murat G***** Hausverwaltungen sowie Namen von angeblichen Geschädigten ausfindig machte, die fingierten Rechnungen erstellte, diese an die Hausverwaltungen versendete, Rechnungskopien an Alfred Go***** übermittelte und die überwiesenen Beträge per Onlinebanking vom genannten Konto auf ein Sparbuch der B***** GmbH überwies, von welchem Alfred Go***** bis zu seiner Verhaftung die Beträge behob, einen Teil an Murat G***** auszahlte und den Rest für sich behielt.

Murat G***** und Alfred Go***** wurden darüber hinaus gemäß § 369 Abs 1 StPO zur ungeteilten Hand zur Bezahlung privatrechtlicher Ansprüche an die Privatbeteiligten „Ge*****“, „D*****“, „W*****“ und „Gen*****“ verurteilt (ON 145 S 45; ON 153 S 53 f).

Schließlich wurde der Ausspruch über die Abschöpfung der Bereicherung nach § 20 StGB (aF) sowohl bei Murat G***** (ON 145 S 47) als auch bei Alfred Go***** (ON 153 S 55) jeweils gemäß § 443 Abs 2 StPO - bei Letzterem entgegen dieser Bestimmung nicht in Beschlussform - einer gesonderten Entscheidung vorbehalten.

Mit Urteil vom 22. Februar 2011 (ON 166) erkannte die Vorsitzende des Schöffensenats als Einzelrichterin (§ 445 Abs 2 letzter Satz StPO) des Landesgerichts für Strafsachen Wien Murat G***** und Alfred Go***** - Letztgenannten in Abwesenheit (§ 444 Abs 1 StPO) - „zur ungeteilten Hand“ schuldig, „den Betrag von 11.459,14 Euro an eingetretener unrechtmäßiger Bereicherung zu bezahlen“; von der Abschöpfung „des darüber hinausgehenden Betrages“ wurde gemäß § 20a Abs 1 und Abs 2 Z 2 StGB (aF) abgesehen.

Dagegen erhob (lediglich) Alfred Go***** „Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung“ (ON 176), worüber bislang nicht entschieden wurde.

Das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 22. Februar 2011, GZ 61 Hv 60/10d-166, steht - wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Rechtliche Beurteilung

Gemäß der (hier aufgrund des vor dem 1. Jänner 2011 gelegenen Tatzeitraums anzuwendenden) Bestimmung über die Abschöpfung der Bereicherung nach § 20 Abs 1 (Z 1) StGB idF BGBl I 134/2002 (dh idF vor Inkrafttreten des sKp, BGBl I 2010/108), die sich schon infolge des dabei geltenden „Nettoprinzips“ (siehe unten) und der „Härteklausel“ nach § 20a Abs 2 Z 3 StGB (aF) im Vergleich zum Verfall nach § 20 StGB idgF (der vom „Bruttoprinzip“ ausgeht) für den Angeklagten in seiner Gesamtauswirkung als günstiger erweist (RIS-Justiz RS0119545 [insbes T4 und T5]), ist der Täter, der eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen und dadurch Vermögensvorteile erlangt hat, zur Zahlung eines Geldbetrages in Höhe der dabei eingetretenen unrechtmäßigen Bereicherung zu verurteilen.

Solche die Abschöpfung der Bereicherung tragende Konstatierungen über einen bei den Tätern durch die strafbaren Handlungen eingetretenen (unrechtmäßigen) Vermögensvorteil und über dessen Höhe wurden im Urteil, das den abzuschöpfenden Betrag nur aus der „Differenz des sichergestellten Geldes und der Summe der Privatbeteiligtenansprüche (§ 20a Abs 1 StGB)“ errechnete (US 7), nicht getroffen, sodass dem Ausspruch über die vermögensrechtliche Anordnung ein - im Übrigen sogar Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO bewirkender - Rechtsfehler mangels Feststellungen (zum Begriff vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 605) anhaftet.

Weiters ist nach § 20 Abs 6 erster Satz StGB idF BGBl I 134/2002 eine Verurteilung mehrerer Täter zur Bezahlung des Abschöpfungsbetrags „zur ungeteilten Hand“ im Sinn einer Solidarhaftung nicht vorgesehen. Vielmehr sind mehrere Bereicherte entsprechend ihrem Anteil an der Bereicherung zur Zahlung zu verpflichten (RIS-Justiz RS0116481; Fuchs/Tipold in WK2 § 20 Rz 137 sowie Fabrizy, StGB10 § 20 Rz 5 mwN). Lässt sich dieser Anteil nicht feststellen, hat ihn das Gericht nach seiner Überzeugung festzusetzen (§ 20 Abs 6 zweiter Satz StGB aF).

Die aufgezeigten Gesetzesverletzungen sind geeignet, sich zum Nachteil der beiden Verurteilten auszuwirken. Der Oberste Gerichtshof sah sich somit zu einem Vorgehen gemäß § 292 letzter Satz StPO veranlasst.

Der Verurteilte Alfred Go***** war mit seinen Rechtsmitteln auf diese Entscheidung zu verweisen.

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