OGH 11Os71/12v

OGH11Os71/12v21.8.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. August 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Temper als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Gustav M***** wegen des Verbrechens des betrügerischen Datenverarbeitungsmissbrauchs nach § 148a Abs 1, Abs 2 dritter Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 15. Dezember 2011, GZ 13 Hv 91/09h-82, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung

I. den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Angeklagten wird hinsichtlich der Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt;

II. zu Recht erkannt:

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das sonst unberührt bleibt, in seinem Schuldspruch II, somit auch in der gemäß § 29 StGB gebildeten Subsumtionseinheit nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB sowie im Strafausspruch aufgehoben und die Sache in diesem Umfang an das Erstgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung verwiesen.

Mit seiner den Schuldspruch II betreffenden Nichtigkeitsbeschwerde und seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde ebenso wie die „Berufung wegen Schuld“ zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Gustav M***** des Verbrechens des betrügerischen Datenverarbeitungsmissbrauchs nach § 148a Abs 1, Abs 2 dritter Fall StGB (I A) und des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB (I B und II) schuldig erkannt.

Danach hat er

I. von Februar 2003 bis Ende November 2005 in St. Pölten als Werbeleiter beim O***** in zahlreichen Angriffen

A. mit dem Vorsatz, sich und die L***** HandelsGmbH unrechtmäßig zu bereichern, den O***** dadurch am Vermögen geschädigt, dass er das Ergebnis einer automationsunterstützten Datenverarbeitung durch Eingabe und Löschung von Daten beeinflusste, indem er teils die von Unternehmen beauftragten Werbespots in das für die automatische Verrechnung zuständige „Publiplan-System“ einbuchte und in weiterer Folge in das für die Ausstrahlung der Spots zuständige „Digas-System“ überspielte, jedoch Daten vor Verrechnung durch das Publiplan-System wieder aus diesem löschte, teils die beauftragten Werbespots lediglich im „Digas-System“ eingab, wobei er durch die Tat einen 50.000 Euro übersteigenden Schaden von insgesamt 250.348,28 Euro herbeiführte;

B. mit dem Vorsatz, durch das Verhalten der Getäuschten sich und die L***** HandelsGmbH unrechtmäßig zu bereichern, Werbekunden des O***** durch Täuschung über Tatsachen, nämlich die tatsächliche Ausstrahlung der beauftragten Werbespots, indem er diese zwar in das für die automatische Verrechnung zuständige „Publiplan-System“ einbuchte, die Aufträge aber nicht oder nur in geringerem Ausmaß in das für die Ausstrahlung zuständige „Digas-System“ überspielte, sodass trotz unterbliebener Ausstrahlung Rechnungen an die Kunden versendet wurden, zu Handlungen, nämlich zur Bezahlung der Rechnungen in Höhe von insgesamt 270.118,94 Euro verleitet, sohin einen 50.000 Euro übersteigenden Vermögensschaden herbeigeführt;

II. von Jänner 2006 bis Ende Juli 2006 in Wien mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung schwerer Betrügereien, nämlich mit einem jeweils 3.000 Euro übersteigenden Schaden, eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, Verfügungsberechtigte der R***** durch Täuschung über Tatsachen, nämlich seine Bereitschaft zur Beauftragung der Radiounternehmen „K*****“ und „H*****“ mit der Einschaltung von Radiowerbung für die R***** zu einer Handlung, nämlich zur Leistung von Vorauszahlungen in der Höhe von insgesamt 81.600 Euro verleitet, die diese sohin mit einem 50.000 Euro übersteigenden Betrag am Vermögen schädigten.

Die nach Urteilsverkündung angemeldete (ON 81 S 52) Nichtigkeitsbeschwerde blieb nach Urteilszustellung am 21. März 2012 (Rückschein bei ON 1 S 32) - vorerst - unausgeführt, weshalb das Erstgericht am 26. April 2012 einen Zurückweisungsbeschluss (§ 285a StPO) fasste und am 27. April 2012 zustellte (ON 88).

Im Hinblick darauf stellte der Angeklagte am 11. Mai 2012 einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die versäumte Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und führte letztere unter Abstützung auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 9 [lit] a StPO aus.

Rechtliche Beurteilung

Zum Wiedereinsetzungsantrag:

Das vorgebrachte (trotz täglich mindestens 20 vorzumerkender Fristen einmalige) Kanzleiversehen der unterbliebenen Vormerkung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde nach Zustellung der Urteilsausfertigung (die in den Handakten abgelegt wurde) - was bis zur erwähnten Zustellung des Zurückweisungsbeschlusses unbemerkt blieb - erfüllt die Voraussetzungen des § 364 Abs 1 StPO, zumal keine Verletzung der von einem ordentlichen Rechtsanwalt zu erwartenden Organisations- und Kontrollpflichten zu ersehen ist (RIS-Justiz RS0101310, RS0101329).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde:

Aus deren Anlass musste sich der Oberste Gerichtshof zum - von der Faktengruppe I unabhängigen (Kirchbacher/Presslauer in WK2 § 167 Rz 65 ff) - Schuldspruch II von einem nicht geltend gemachten Feststellungsmangel zum Nachteil des Angeklagten überzeugen (§§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall; 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO; § 167 StGB): Aus US 16 ergibt sich nämlich vollständige Schadensgutmachung aufgrund der Erfüllung eines am 12. März 2008 vor dem (richtig:) Landesgericht Wiener Neustadt (AZ 19 Cg 56/07z) abgeschlossenen Vergleichs, ohne dass eine Klärung der sonstigen Voraussetzungen nach § 167 Abs 1, Abs 2 Z 2 StGB erfolgte (vgl dazu ON 27 S 3, ON 40 S 17 und 25 iVm ON 81 S 4; Kirchbacher/Presslauer in WK2 § 167 Rz 137).

Dies zwingt (in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur) hinsichtlich dieses Faktums zu dem aus dem Spruch ersichtlichen Vorgehen (§ 285e StPO), ohne auf das Vorbringen des Nichtigkeitswerbers dazu eingehen zu müssen; die Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe ist wegen der denknotwendigen Aufhebung des Sanktionsausspruchs obsolet. Im zweiten Rechtsgang wird die aufgelöste Subsumtionseinheit nach § 29 StGB - mit oder ohne dieses Faktum - neu zu bilden sein (RIS-Justiz RS0116734).

Zum Schuldspruch I A bleibt der Beschwerdeführer (Z 5, der Sache nach Z 9 lit a) jede juristische Ableitung für die Ansicht schuldig, dass Tatbestandsmerkmal der tatsächliche Vermögenszuwachs und nicht bloß der in US 13 konstatierte auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtete Vorsatz sei (Kirchbacher/Presslauer in WK² § 148a Rz 25 iVm Kirchbacher in WK² § 146 Rz 118).

Wer unrechtmäßig bereichert werden sollte - der Angeklagte oder die L***** HandelsGmbH - betrifft aufgrund des Normtextes („sich oder einen Dritten“) und der dualen Urteilsannahmen (US 13, 14) keine entscheidende Tatsache (zum Begriff Ratz, WK-StPO § 281 Rz 399).

Mit teils eigenständig beweiswürdigenden Überlegungen zu diversen Geldflüssen macht der Rechtsmittelwerber nicht klar, inwieweit davon bei einer wertqualifizierten, in gleichartiger Verbrechensmenge begangenen strafbaren Handlung wie hier eine im Gesetz statuierte Wertgrenze tangiert sei (vgl zuletzt 12 Os 3/12v uva), und verfehlt somit - ebenso wie mit der Berufung auf den Grundsatz „in dubio pro reo“ (RIS-Justiz RS0102162; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 454) - die Ausrichtung an der Verfahrensordnung.

Dem Beschwerdeeinwand (Z 5 vierter Fall) zuwider wurde die zu I B getroffene Annahme, dass der Angeklagte auch mit dem (erweiterten) auf unrechtmäßige Bereicherung gerichteten Vorsatz gehandelt hat, logisch und empirisch einwandfrei aus dem objektiven Tatgeschehen abgeleitet (US 24 f). Der Schluss von einem gezeigten Verhalten auf zu Grunde liegendes Wissen und Wollen ist durchaus zulässig (und bei leugnenden Angeklagten in aller Regel methodisch gar nicht zu ersetzen [RIS-Justiz RS0116882; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 452]).

Schon vom Ansatz her unbeachtlich ist der Einwand der Urteilsunvollständigkeit, weil die Beschwerde insoweit die deutliche und bestimmte Bezeichnung konkreter, in der Hauptverhandlung vorgekommener Verfahrensergebnisse vermissen lässt (RIS-Justiz RS0118316 [T4 und T6], RS0119422; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 421).

Der - für sich keine entscheidende Tatsache betreffende - Umstand, dass zwischen dem Angeklagten und der L***** „eine Verbindung“ bestand, wurde - der Beschwerdebehauptung entgegen - sehr wohl begründet (vgl insbesondere US 22).

Die Aufklärungsrüge (Z 5a) verkennt deren Subsidiarität zur Verfahrensrüge (Z 4) und versäumt die Darlegung, an einer Antragstellung hinsichtlich der nunmehr vermissten Beweiserhebung gehindert gewesen zu sein (RIS-Justiz RS0114036, RS0115823; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 480).

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) kritisiert fehlende Feststellungen zur subjektiven Tatseite, übergeht dabei aber - wodurch sie die Basis der Geltendmachung materiell-rechtlicher Nichtigkeit verfehlt (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 581, 584, 588) - die tatrichterlichen Ausführungen US 13 und 14, die im Kontext mit den Annahmen zum objektiven Geschehen (US 12, 13) ausreichenden Sachverhaltsbezug aufweisen, womit der Vorwurf des „substanzlosen Gebrauchs der verba legalia“ versagt (RIS-Justiz RS0098664, RS0119090). Aus welchem Grund Feststellungen zum „Tatplan“ erforderlich gewesen wären, sagt die Beschwerde nicht. Ebenso wird nicht erklärt, welche - über die ohnedies vorliegenden Urteilsannahmen hinausgehenden - Konstatierungen zur rechtsrichtigen „Beurteilung der objektiven/subjektiven Tatseite“ noch notwendig gewesen wären.

Im Umfang der Schuldspruchgruppe I war - wie bereits die Generalprokuratur ausführte - die Nichtigkeitsbeschwerde ebenso wie die im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehene Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld (die der Angeklagte nach Urteilsverkündung angemeldet hat) schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 283 Abs 1, 294 Abs 4, 296 Abs 2 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der den Zuspruch an den O***** betreffenden Berufung wegen des Ausspruchs über die Privatbeteiligtenansprüche folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Abschließend wird angemerkt, dass im zweiten Rechtsgang die (schon im angefochtenen Urteil als mildernd gewertete) unverhältnismäßig lange Verfahrensdauer durch eine ausdrückliche und messbare Strafmilderung gemäß § 34 Abs 2 StGB auszugleichen sein wird (RIS-Justiz RS0121600; 13 Os 18/12i).

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