OGH 11Os63/12t

OGH11Os63/12t28.6.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Juni 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Angrosch als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Milan I***** und Ljiljana S***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 29. Februar 2012, GZ 608 Hv 3/11w-254, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Den Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen - auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden - Urteil wurden Milan I***** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und Ljiljana S***** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB als Beteiligte nach § 12 dritter Fall StGB schuldig erkannt.

Danach haben in Wien

1) Milan I***** am 11. Februar 2011 Sasa S***** durch Abgabe eines Schusses aus einer Faustfeuerwaffe, wodurch dieser einen Kopfdurchschuss erlitt, der zu ausgedehnten Verletzungen im Bereich des Kleinhirns und des Hirnstamms mit einer Hirnlähmung und sofort zum Eintritt des Todes führte, vorsätzlich getötet;

2) Ljiljana S***** von zumindest Dezember 2010 bis 11. Februar 2011 in Wien zur Ausführung der in Punkt 1) genannten Handlung beigetragen, indem sie Milan I***** 40.000 Euro für die Tötung des Sasa S***** in Aussicht stellte, ab zumindest Dezember 2010 in zahlreichen persönlichen Treffen und Telefongesprächen mit I***** die Tat plante und vorbereitete, in Ausführung des Tatplans am 11. Februar 2011 gemeinsam mit I***** in der Lagerhalle in ***** auf S***** wartete und versuchte, die ebenfalls anwesenden Cvetko, David und Perislav B***** zum Verlassen der Lagerhalle zu bewegen.

Die Geschworenen hatten die beiden Hauptfragen in Richtung eines als Mord respektive Beitrag zu diesem zu wertenden Tatgeschehens jeweils bejaht; weitere Fragen waren ihnen nicht vorgelegt worden.

Dagegen richten sich die Nichtigkeitsbeschwerden der beiden Angeklagten aus § 345 Abs 1 Z 6 StPO; der Erstangeklagte stützt sich überdies auf Z 13, die Zweitangeklagte auch auf Z 4 leg cit.

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Erstangeklagten:

Dieser hatte im gesamten Verfahren die Tatbegehung überhaupt in Abrede gestellt. In seiner Fragenrüge (Z 6) referiert er in der Hauptverhandlung vorgekommene Aussagen der Zweitangeklagten über - zeitlich nicht eingeordnete - Gespräche zwischen ihr und dem Beschwerdeführer: Dieser sei „aufgeregt“, ja „sehr wütend“ gewesen wegen Aussagen des späteren Opfers über das Vorhandensein behinderter Personen in der Familie des Erst- und der Zweitangeklagten. Ein Vorbringen in der Hauptverhandlung, wonach der Erstgenannte wegen dieser - in der Rechtsmittelschrift als „schwerst beleidigend, geradezu erniedrigend“ bezeichneten - Äußerungen zur Tatzeit (nur dies wäre entscheidend - vgl 14 Os 72/11m, EvBl 2011/158, 1093) in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung gewesen sei und sich in diesem Zustand zur Tötung des Sasa S***** hinreißen habe lassen und deshalb eine Eventualfrage (§ 314 StPO) in Richtung eines als Totschlag nach § 76 StGB einzuordnenden Geschehens zu stellen gewesen wäre, wird solcherart nicht prozessordnungsgemäß zur Darstellung gebracht.

Der Vollständigkeit halber sei daran erinnert, dass eine heftige Gemütsbewegung nur dann allgemein begreiflich wäre, wenn das Verhältnis zwischen dem sie herbeiführenden Anlass und dem eingetretenen psychischen Ausnahmezustand verständlich ist, das heißt, wenn ein Mensch von durchschnittlicher Rechtstreue sich vorstellen kann, auch er wäre unter den gegebenen Umständen in eine solche Gemütsbewegung geraten. Einer bloß übersteigerten Reaktion fehlt das Moment der allgemeinen Begreiflichkeit (RIS-Justiz RS0092271, RS0092087, RS0092259).

Einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot (Z 13 zweiter Fall) sieht der Nichtigkeitswerber in der Annahme sowohl der heimtückischen Begehensweise als auch der „Hilflosigkeit“ (US 6: Wehrlosigkeit) des Opfers als besondere Erschwerungsgründe. Es handelt sich indes um im Gesetz ausdrücklich angeführte Umstände (§ 33 Abs 1 Z 6 und Z 7 StGB), die keineswegs die Strafdrohung bestimmen (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB; vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 711); die Argumentation mit § 32 Abs 3 StGB bleibt unverständlich.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Zweitangeklagten:

Die Verfahrensrüge (Z 4) moniert das Fehlen des Wortes „vorsätzlich“ im Schuldspruch (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO). Nach seit Jahren gefestigter Judikatur gilt dieser Ausdruck allerdings als subintelligiert, soweit die Deliktsbeschreibung - wie hier - keine subjektiven Merkmale enthält, der zur Anwendung gelangte Tatbestand also durch § 7 Abs 1 StGB ergänzt wird (Lendl, WK-StPO § 260 Rz 21; RIS-Justiz RS0089093).

Die Fragenrüge (Z 6) knüpft im Wesentlichen an dasselbe Vorbringen in der Hauptverhandlung an wie jene des Erstangeklagten. Dieser habe in diesem Zusammenhang überdies geäußert, „ich werde das erledigen, du wirst nicht mehr so leiden“ und versuchen wollen, den Mann seiner Cousine „zur Vernunft zu bringen“, dieser „sollte sich besser benehmen“.

Weder dadurch noch durch den Hinweis auf eine Passage der Aussage der Zweitangeklagten, wonach sie die Tat nicht gesehen, sondern nur einen Knall gehört habe, wird indes ein Vorkommen von Tatsachen in der Hauptverhandlung dargetan, das die Stellung einer Eventualfrage in Richtung eines Tatgeschehens nach § 286 StGB erforderlich gemacht hätte, bleibt doch jedenfalls aus diesen Gesprächen zwischen den Angeklagten völlig im Dunkeln, dass irgendeine mit Strafe bedrohte Handlung begangen werden könnte.

Eine zur Stellung einer Eventualfrage nach § 76 StGB erforderliche heftige Gemütsbewegung der Zweitangeklagten wird mit ihrer Bezugnahme auf Äußerungen des unmittelbaren Täters nicht einmal behauptet (vgl Moos in WK2 § 76 Rz 57).

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufungen folgt (§§ 285i, 344 StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Stichworte