OGH 9Nc17/12t

OGH9Nc17/12t23.5.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf, Hon.-Prof. Dr. Kuras, Mag. Ziegelbauer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B*****, vertreten durch Dr. Walter Reichholf, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Ö*****, vertreten durch Doralt Seist Csoklich, Rechtsanwalts-Partnerschaft in Wien, wegen Unterlassung gemäß §§ 28 ff KSchG und Urteilsveröffentlichung (Gesamtstreitwert 31.000 EUR), über die Befangenheitsanzeige des Hofrats des Obersten Gerichtshofs ***** Dr. G***** vom 23. April 2012 den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Hofrat des Obersten Gerichtshofs ***** Dr. G***** ist in der Rechtssache 6 Ob 24/11i befangen.

Text

Begründung

Für das im Spruch genannte Verfahren ist nach der Geschäftsverteilung des Obersten Gerichtshofs der 6. Senat zuständig, der seine Verstärkung beschlossen hat. Das im Spruch genannte Mitglied des verstärkten Senats zeigt selbst Gründe an, aus denen allenfalls der objektive Anschein der Befangenheit entstehen könnte.

Konkret verweist die Anzeige darauf, dass der anzeigende Richter zur gleichen Zeit wie der Beklagtenvertreter und für dasselbe Institut als „part-time“-Professor bestellt wurde. Mit dem Beklagtenvertreter habe er seitdem einen freundschaftlich kollegialen Kontakt und kooperiere auch bei den Lehrveranstaltungen. Nach Fassung des Verstärkungsbeschlusses sei es in der Außenwahrnehmung dieses Verhältnisses zu einer beispiellosen Problematisierung gekommen, weshalb diese Frage dem Befangenheitssenat vorgelegt werde.

Rechtliche Beurteilung

Die Befangenheitsanzeige ist berechtigt.

Befangenheit liegt vor, wenn ein Richter an eine Rechtssache nicht mit voller Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit herantritt, somit eine Hemmung zu unparteiischer Entscheidung durch sachfremde psychologische Motive gegeben ist (RIS-Justiz RS0046052). Für die Annahme des Vorliegens einer Befangenheit genügt nach ständiger Rechtsprechung, dass bei objektiver Betrachtungsweise auch nur der äußere Anschein der Voreingenommenheit der zur Entscheidung berufenen Richter entstehen könnte (RIS-Justiz RS0045949; RS0046052 ua; Mayr in Rechberger ZPO3 § 19 JN Rz 4). Es ist im Allgemeinen ein Befangenheitsgrund anzunehmen, wenn ein Richter selbst seine Befangenheit anzeigt (RIS-Justiz RS0046053). Dies trifft auch dann zu, wenn der anzeigende Richter bloß die Möglichkeit des objektiven Anscheins für gegeben erachtet. Dem jeweiligen Richter sind das konkrete Umfeld seiner Entscheidung und die maßgeblichen Umstände am besten bekannt. Unter Beachtung des Ansehens der Justiz ist kein strenger Prüfungsmaßstab anzulegen und ist bei einer entsprechenden Anzeige grundsätzlich die Befangenheit zu bejahen (RIS-Justiz RS0045943; RS0045949; RS0046052 mwN; Ballon in Fasching 2 I § 19 JN Rz 5; Mayr in Rechberger ZPO2 § 19 JN Rz 4).

Regelmäßig kann nun alleine in dem oft aufgrund der gemeinsamen Aus- und oft auch Fortbildung häufigen freundschaftlich kollegialen Kontakt zwischen Richtern und Rechtsanwälten kein Befangenheitsgrund gesehen werden, außer der Richter erklärt sich selbst für befangen (RIS-Justiz RS0046076; zum kollegialen Verhältnis zum Richterkollegen RIS-Justiz RS0108696). Grundsätzlich kann eine professionelle Trennung zwischen beruflicher und privater Beziehung erwartet werden (vgl auch RIS-Justiz RS0045970, vgl auch Kuderna ASGG2, 186 mwN), sodass eine Hemmung bei einer unparteiischen Entscheidung (RIS-Justiz RS0045975 mwN) auch bei objektiver Betrachtung schon dem Anschein nach nicht befürchtet werden muss. Auch die gemeinsame Tätigkeit in einer von einem konkreten Verfahren gar nicht betroffenen Institution wird alleine zur Annahme einer Befangenheit im Allgemeinen noch nicht ausreichen (Kuderna ASGG2, 186 mwN; RIS-Justiz RS0045892). Entscheidend ist letztlich immer die konkrete Konstellation im konkreten Verfahren (RIS-Justiz RS0045933; RS0042064). Es geht also nicht um die bloße gute kollegiale Bekanntschaft und die Tätigkeit im Rahmen desselben Instituts, sondern darum welche weiteren Umstände hinzukommen und inwieweit aus diesen der objektive Anschein der Voreingenommenheit im konkreten Rechtsstreit begründet wird (RIS-Justiz RS0045935). Dies kann nun gerade wegen der Bedeutung der öffentlichen Wahrnehmung für die wissenschaftliche Tätigkeit auch durch diese bewirkt werden. Kann doch eine besondere öffentliche Wahrnehmung einer wissenschaftlichen Beziehung zu einem am selben Institut auch wissenschaftlich tätigen Parteienvertreter bewirken, dass der Anschein einer besonderen Identifikation mit diesem Parteienvertreter eintritt.

Die Anzeige zeigt auf, dass nach der Fassung des Verstärkungsbeschlusses sich die Wahrnehmung der abgestimmten Tätigkeit am Institut und dass es sich bei dem Institutskollegen um den Beklagtenvertreter handelt, spezifisch verstärkt hat. Diese besondere Wahrnehmung dieser gemeinsamen Tätigkeit und des besonderen Schwerpunkts im Rahmen der gemeinsamen wissenschaftlichen Tätigkeit sowie der Verbindung mit der wirtschaftlichen Tätigkeit als Rechtsanwalt kann den vom anzeigenden Senatsmitglied dargestellten objektiven Anschein begründen. Kann doch nicht ausgeschlossen werden, dass für den unbefangenen Beobachter der Eindruck entsteht, der Richter müsste sich mit dem Institutskollegen wegen des nicht allein mit Bezug auf die wissenschaftliche Meinung, sondern wegen der Verbindung mit der Tätigkeit als Rechtsanwalt im Verfahren und der Verbindung mit dem Anzeiger erfolgten Kritik als Institutskollegen besonders solidarisieren. Dieser Eindruck kann durch den allgemeinen Grundsatz, wonach alleine das Äußern einer Rechtsansicht dann keine Befangenheit bewirkt, wenn erkennbar die Bereitschaft besteht, sich erneut kritisch mit dieser Rechtsansicht auseinanderzusetzen (RIS-Justiz RS0036155 mwN; vgl auch § 63 Abs 2 RStDG), nicht beseitigt werden.

Ausgehend von der eigenen Anzeige des betroffenen Senatsmitglieds war daher spruchgemäß dessen Befangenheit festzustellen.

Im Hinblick auf den zeitlichen Verlauf ergeben sich keine Anhaltspunkte für das Erfordernis einer darüber hinausgehenden Beschlussfassung im Sinne des § 25 zweiter Satz JN.

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