OGH 3Ob73/12z

OGH3Ob73/12z15.5.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache der Betroffenen E*****, vertreten durch Dr. Markus Bachmann, Rechtsanwalt in Wien, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Betroffenen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 12. März 2012, GZ 45 R 644/11f‑21, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Donaustadt vom 19. August 2011, GZ 1 P 206/11w‑11, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung

Das Erstgericht sprach aus, dass das Verfahren, in dem die Notwendigkeit der Bestellung eines Sachwalters für die Betroffene geprüft wird, fortgesetzt wird, und bestellte einen Rechtsanwalt zum Verfahrenssachwalter sowie zum einstweiligen Sachwalter zur Besorgung dringender Angelegenheiten (Vertretung vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträgern). Das Erstgericht begründete seine Entscheidung damit, dass die Betroffene nach dem Ergebnis der Erstanhörung vom 28. Juli 2011 nicht in der Lage zu sein scheine, alle ihre Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen; dies auch im Hinblick darauf, dass ein Zwangsversteigerungsverfahren betreffend ihr Wohnhaus sowie weitere Exekutionsverfahren anhängig seien.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Betroffenen nicht Folge. Es verneinte die (wegen mangelhafter Beschlussbegründung) geltend gemachte „Nichtigkeit“ sowie eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens und bestätigte die Rechtsansicht des Erstgerichts. Im nunmehrigen Verfahrensstadium stehe der Eindruck, den das Erstgericht von der Betroffenen in eigener Wahrnehmung gewonnen habe, im Vordergrund; es sei nicht möglich gewesen, der Betroffenen Verfahrensinhalte näher zu bringen; bei bloßen Zweifeln darüber, ob die betroffene Person an einer psychischen Krankheit oder geistigen Behinderung leide, müsse das Verfahren fortgesetzt werden. Auf dieser Grundlage sei auch die Bestellung eines Verfahrenssachwalters und eines einstweiligen Sachwalters nicht zu beanstanden.

Der Revisionsrekurs sei mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

In ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs macht die Betroffene keine erhebliche Rechtsfrage geltend.

1. Die Betroffene beruft sich erneut auf eine „Nichtigkeit“ sowohl des erstinstanzlichen als auch des zweitinstanzlichen Beschlusses; diese Entscheidungen könnten nicht mit Sicherheit auf ihre inhaltliche Richtigkeit überprüft werden. Die „Nichtigkeit“ des Beschlusses des Erstgerichts sei vom Rekursgericht mit unzureichender („formelhafter“) Begründung verneint worden.

1.1. Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0121265) können die in § 66 Abs 1 Z 1 AußStrG genannten Mängel, wozu auch die qualifiziert mangelhafte Begründung eines Beschlusses zählt (§ 57 Z 1 AußStrG), auch dann in einem Revisionsrekurs geltend gemacht werden, wenn sie vom Rekursgericht verneint worden sind.

1.2. § 57 Z 1 AußStrG entspricht inhaltlich im Wesentlichen § 477 Abs 1 Z 9 ZPO (RIS-Justiz RS0121710; zuletzt etwa 10 Ob 6/12y). Der im Rekurs monierte schwere Verstoß des Erstgerichts gegen Verfahrensgrundsätze kann nicht mehr aufgegriffen werden, weil das Rekursgericht die Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung ‑ im Sinne ihrer Überprüfbarkeit ‑ ausreichend ergänzt und dargelegt hat, warum das Verfahren fortzusetzen sei (siehe 1.3.).

1.3. Eine qualifiziert mangelhafte Begründung des zweitinstanzlichen Beschlusses ist nicht erkennbar; das Rekursgericht hat sich ausreichend mit den Rekursargumenten auseinandergesetzt und sich bei der zulässigen Ergänzung der Begründung des Erstgerichts (6 Ob 62/10a) zutreffend auf Aktenvermerke der Erstrichterin gestützt.

1.4. Die geltend gemachte „Nichtigkeit“ liegt daher nicht vor.

2. Eine vom Rekursgericht verneinte Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz kann aufgrund der klaren gesetzlichen Anordnung in § 66 Abs 1 Z 2 AußStrG nicht mehr im Revisionsrekurs geltend gemacht werden (RIS‑Justiz RS0030748; RS0050037 [T7]). Die Anfechtungsbeschränkung für Verfahrensmängel kann auch nicht mit der Behauptung unterlaufen werden, das Rekursgericht sei nicht ausreichend auf die Rekursargumente im Zusammenhang mit einem erstinstanzlichen Verfahrensmangel eingegangen (vgl RIS‑Justiz RS0042981 [T15] zur Nichtigkeit im Berufungsverfahren).

3. In der Rechtsrüge spricht die Betroffene die Frage der Notwendigkeit der Fortsetzung des Verfahrens zur Bestellung eines Sachwalters an.

3.1. Dazu hat der Oberste Gerichtshof ausführlich in der Entscheidung 2 Ob 21/11v (= RIS‑Justiz RS0126667) Stellung bezogen. Demnach würde es dem Zweck des Verfahrens widersprechen, wenn schon zu Verfahrensbeginn konkrete Feststellungen über vorliegende oder nicht vorliegende psychische Erkrankungen oder geistige Behinderungen sowie konkrete Gefährdungen verlangt würden (3 Ob 39/09w). Für die Fortsetzung des Verfahrens genügt schon die bloße Möglichkeit, dass es nach Abschluss des Verfahrens zur Bestellung eines Sachwalters kommen kann (8 Ob 19/08i; RIS‑Justiz RS0008542). Erforderlich ist ein Mindestmaß an nachvollziehbarem Tatsachensubstrat, aus dem sich das Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte ableiten lässt. In diesem Sinn ist zumindest konkret festzustellen, in welchem Zusammenhang sich die betroffene Person in der Vergangenheit in einer ihren eigenen Interessen objektiv zuwiderlaufenden Weise verhalten hat und/oder aufgrund welcher (konkreten) Umstände die Befürchtung nahe liegt, sie werde sich (auch) in Hinkunft selbst Schaden zufügen (1 Ob 110/09x).

3.2. Im vorliegenden Verfahren haben die Vorinstanzen auf der Grundlage der Erstanhörung nachvollziehbar und ausreichend dargelegt, dass die Betroffene nach dem Ergebnis der Erstanhörung nicht in der Lage zu sein scheine, alle ihre Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen; dies auch im Hinblick darauf, dass ein Zwangsversteigerungsverfahren betreffend ihr Wohnhaus sowie weitere Exekutionsverfahren anhängig seien.

3.3. Die angefochtene Entscheidung hält sich im Rahmen der Rechtsprechung zum Sachwalterbestellungsverfahren; eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung liegt nicht vor.

4. Mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG ist der Revisionsrekurs der Betroffenen zurückzuweisen.

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