OGH 1Ob110/09x

OGH1Ob110/09x6.7.2009

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache des Boris S*****, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des Betroffenen, vertreten durch Saxinger Chalupsky & Partner Rechtsanwälte GmbH, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 2. Dezember 2008, GZ 44 R 567/08w-15, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Döbling vom 17. September 2008, GZ 1 P 48/08v-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird eine neuerliche Entscheidungsfällung - allenfalls nach Verfahrensergänzung - aufgetragen.

Text

Begründung

Aufgrund von Vorkommnissen in einem vom Kläger angestrengten sozialgerichtlichen Verfahren regte das Arbeits- und Sozialgericht Wien die Bestellung eines Sachwalters für den Betroffenen an. Dieser verweigere die erforderliche Mitwirkung am Verfahren durch Weiterleitung von Unterlagen des israelischen Versicherungsträgers, wobei er geäußert habe, er habe Angst vor den israelischen Behörden und wolle deshalb diesen seine Adresse nicht zur Verfügung stellen. Nach einer Erstanhörung bestellte das Erstgericht für den Betroffenen einen Rechtsanwalt zum Verfahrenssachwalter und zum einstweiligen Sachwalter für die Vertretung vor Gericht, insbesondere im anhängigen sozialgerichtlichen Verfahren, und beauftragte weiters einen neurologischen und psychiatrischen Sachverständigen mit der Erstattung eines Gutachtens über den psychischen Gesundheitszustand des Betroffenen sowie darüber, ob er allenfalls nicht im Stande sei, seine Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen. Zur Begründung führte das Erstgericht im Wesentlichen aus, dass der Betroffene bei der Erstanhörung in persönlicher, örtlicher und zeitlicher Hinsicht gut orientiert gewesen sei und über Befragung über seine persönlichen Verhältnisse berichtet habe. Eine Verfahrensfortsetzung sei vom Ergebnis der Erstanhörung abhängig, in deren Verlauf sich der Richter einen Eindruck von einem Betroffenen zu verschaffen habe. Aufgrund der Erstanhörung könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Betroffene für die genannten Angelegenheiten die Hilfestellung eines einstweiligen Sachwalters benötige. Es werde die Aufgabe des Gerichtsgutachters sein, abzuklären, ob und allenfalls in welchem Ausmaß Leistungsdefizite bestehen.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig. Im vorliegenden Fall habe das Erstgericht nach dem Ergebnis der Erstanhörung nachvollziehbar den Eindruck gewonnen, dass eine Schutzbedürftigkeit im Sinne des § 268 Abs 1 ABGB nicht ausgeschlossen werden könne und einer näheren Klärung durch ein psychiatrisches Gutachten bedürfe. Dies stimme mit dem vom zuständigen Richter des Arbeits- und Sozialgerichts gewonnenen persönlichen Eindruck überein. Auch der Inhalt des schriftlichen Rekurses und der sonstigen Eingaben des Betroffenen bestätigten diesen Eindruck (dabei wies das Rekursgericht auf bestimmte Passagen im vom Betroffenen selbst erhobenen Rekurs hin). Die Bestellung eines Sachverständigen wäre als verfahrensleitender Beschluss zwar für sich nicht abgesondert anfechtbar. Komme im Zusammenhang mit der Bestellung eines psychiatrischen Sachverständigen hingegen der Entscheidungswille des Gerichts auf Fortsetzung des Verfahrens nach der Erstanhörung zum Ausdruck, sei dies sehr wohl bekämpfbar.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen vom Betroffenen durch seinen Verfahrenshelfer erhobene Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

Zutreffend weist der Revisionsrekurswerber vor allem darauf hin, dass die Vorinstanzen keine ausreichend konkreten Feststellungen getroffen haben, aus denen Schlüsse auf eine (allfällige) Hilfsbedürftigkeit gezogen werden könnten. Es entspricht der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass die bloße Behauptung der Notwendigkeit einer Sachwalterbestellung für die Einleitung des Verfahrens nicht hinreichend ist. Vielmehr müssten die Anhaltspunkte konkret und begründet sein. Sie haben sich sowohl auf die psychische Krankheit oder geistige Behinderung als auch auf die Notwendigkeit der Sachwalterbestellung zum Schutz der betreffenden Person zu beziehen. Fehlen solche Anhaltspunkte, ist ein Verfahren nach § 236 AußStrG nicht einzuleiten (RIS-Justiz RS0008526). Auch wenn die Konkretisierungserfordernisse für solche Anhaltspunkte im Zusammenhang mit der Entscheidung des Gerichts, das eingeleitete Sachwalterbestellungsverfahren fortzuführen sowie für den Betroffenen einen Verfahrenssachwalter und einen einstweiligen Sachwalter zu bestellen, nicht überspannt werden dürfen und nicht an jene heranreichen, die für die Bestellung eines endgültigen Sachwalters erforderlich sind, ist doch ein Mindestmaß an nachvollziehbarem Tatsachensubstrat zu fordern (vgl etwa 1 Ob 125/07z). Es ist zumindest konkret festzustellen, in welchem Zusammenhang sich der Betroffene in der Vergangenheit in einer seinen eigenen Interessen objektiv zuwiderlaufenden Weise verhalten hat und/oder aufgrund welcher (konkreten) Umstände die Befürchtung nahe liegt, er werde sich (auch) in Hinkunft selbst Schaden zufügen.

Im vorliegenden Verfahren hat das Erstgericht im Wesentlichen darauf verwiesen, dass das Sachwalterschaftsverfahren nach einer Anregung des für ein vom Betroffenen anhängig gemachtes Verfahren zuständigen Richters eingeleitet worden sei. Selbst wenn man dies als einen Verweis auf den vom genannten Richter verfassten Aktenvermerk vom 4. 8. 2008 (AS 1) verstehen wollte, wäre daraus noch nicht ausreichend abzuleiten, dass die Weigerung, den israelischen Behörden seine Adresse zur Verfügung zu stellen, Rückschlüsse auf eine allfällige Schutzbedürftigkeit durch Sachwalterbestellung zuließe und den - möglicherweise irrationalen - Ängsten des Betroffenen nicht auch durch andere Maßnahmen (etwa eine Antragstellung durch einen Vertreter ohne Angabe der Anschrift des Betroffenen selbst) begegnet werden könnte.

Soweit das Rekursgericht weiters auf die Eingaben des Betroffenen im Verfahren sowie bestimmte Passagen aus dem von ihm verfassten Rekurs verweist, so kommen darin zwar eine gewisse Verzweiflung und das Gefühl der Hilflosigkeit gegenüber Behörden und letztlich auch ein durchaus außergewöhnlicher Charakter des Betroffenen zum Ausdruck. Woraus jedoch konkret die Befürchtung abgeleitet werden könnte, der Betroffene könnte sich selbst Nachteile aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen Behinderung zufügen, ist nicht leicht nachvollziehbar.

Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren daher die von ihm nur allgemein artikulierten Bedenken bzw die Besorgnis einer Selbstschädigung im Sinne des § 268 Abs 1 ABGB - allenfalls nach Ergänzung des Verfahrens - zu konkretisieren haben. Erst dann wird die Ansicht des Erstgerichts, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Betroffene für bestimmte Angelegenheiten die Hilfestellung eines einstweiligen Sachwalters benötigt, einer Überprüfung im Rechtsmittelweg zugänglich sein. Erst dann kann auch beurteilt werden, ob die Fortführung des Sachwalterbestellungsverfahrens durch Einholung eines medizinischen Gutachtens erforderlich ist.

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